Die Radiologie befasst sich in der Regel eher nicht mit der Aufklärung von Verbrechen.
Doch mittlerweile etabliert sich die forensische Bildgebung. Was hat es damit auf
sich?
Bei der forensischen Bildgebung geht es darum, kriminologisch wichtige Erkenntnisse,
die eine Obduktion nicht liefern kann, durch Bildgebung zu erhalten. Dafür erstellen
speziell fortgebildete Radiolog*innen auf Anfrage der Staatsanwaltschaft etwa sogenannte
postmortale Computertomografien (PMCT) der Leichen und befunden sie. Dabei arbeiten
sie eng mit der Rechtsmedizin zusammen.
Dr. Joel Aissa
Die CT-Aufnahmen von Lebenden und Toten unterscheiden sich erheblich.
Wie unterscheiden sich die CTs von Lebenden und Toten?
Mit Eintritt des Todes kommt es recht schnell zu erheblichen Veränderungen im Körper.
Deshalb kann man kann die CT-Untersuchungen beim Lebenden und beim Toten letztendlich
nicht miteinander vergleichen. Und diese Unterschiede sollte man kennen, um Fehlinterpretationen
zu vermeiden.
Durch den Zelltod tritt Flüssigkeit aus. Innerhalb der ersten 24 Stunden kommt es
zu großen Flüssigkeitsansammlungen innerhalb von Körperhüllen, etwa der Lunge. So
kann der Anschein von Lungenödemen oder Pleuraergüssen vor Eintritt des Todes erweckt
werden.
Beim Gehirn sollte man wissen, dass postmortal immer ein Hirnödem vorliegt. Dabei
sind die äußeren Hirnräume, das Hirnfurchenrelief verstrichen, die inneren Ventrikel
verschmälert. Bei Brandleichen können postmortal subdurale Hämatome entstehen: Das
Hirn verliert durch die Hitze an Flüssigkeit, die Gefäße schmelzen ein und reißen
dadurch ab.
Auch im Gefäßsystem finden erhebliche Veränderungen statt. Sterben die Zellen im Blut
ab, kommt es zur Hypostase. Die korpuskulären Teile trennen sich von den flüssigen
Elementen, im Gefäß bilden sich Spiegel.
Das hat erhebliche Effekte, die man als forensischer Radiologe zwingend kennen muss.
Auch Gasansammlungen bilden sich durch die Alteration des Leichnams relativ schnell,
besonders im Darm, aber auch in den Lebergefäßen. Hier gilt es abzuschätzen, wie weit
der Alterationszustand des Leichnams ist, also wie viel Gasbildung vorliegt und wie
das Gas verteilt ist. Findet man etwa nur in den Koronargefäßen viel Gas, stellt sich
die Frage, ob der Mensch möglicherweise an einer Gasembolie verstorben ist. Und diesen
Befund teilt man dann dem Rechtsmediziner mit, damit er bei der Obduktion zielgerichtet
vorgehen kann.
Die PMCT bietet vor allem bei polytraumatisierten Patienten einen signifikanten Mehrwert
gegenüber der Obduktion.
Wie greifen klassische Obduktion und PMCT-Untersuchung ineinander und welchen Mehrwert
bietet die Kombination?
Die PMCT-Untersuchung findet in der Regel immer vor der eigentlichen Obduktion statt.
Dies hat den ersten Vorteil, dass damit zunächst der Zustand der Leiche dokumentiert
wird. Zum Mehrwert der Kombination gibt es Studien, die die Aussagekraft beider Methoden
einzeln und in Kombination verglichen haben. Hier zeigte sich vor allem bei polytraumatisierten
Patienten ein signifikanter Mehrwert der PMCT im Vergleich zur konventionellen Obduktion.
Das liegt vor allem an Knochenbrüchen. Sie können mit einer PMCT sehr gut dargestellt
werden. Für den Rechtsmediziner kann es nämlich schwierig sein kann, sie aufzufinden
und zu präparieren. Denn gerade im Mittelgesicht oder in der Wirbelsäule, aber auch
an anderen Lokalisationen können kleinere Frakturen übersehen werden.
Welche Methoden kommen neben der PMCT in der forensischen Radiologie noch zum Einsatz?
Wir haben ein breites Spektrum an Methoden, die letztendlich auch in der klassischen
klinischen Diagnostik zum Einsatz kommen. Dazu zählen die Sonografie und das Röntgen.
Das Röntgen wurde früher viel genutzt, um den intrakorporalen Transport von Drogen,
das sogenannte Body Packing, zu erfassen. Da nicht alle Drogenpacks durch Röntgen
zufriedenstellend dargestellt werden konnten, ist hier heute das CT die Untersuchung
der Wahl. Geht es um die Altersbestimmung von jugendlichen Straftätern, wird dafür
ihre linke Hand geröntgt.
Neben der schon beschriebenen PMCT kann man zur postmortalen Gefäßdarstellung die
PMCT-Angiografie nutzen. Sie bietet einen Mehrwert bei Gefäßverletzungen. Denken Sie
an eine medikolegale Fragestellung, etwa den Fall einer HNO-ärztlichen Operation an
den Mandeln, in deren Folge der Patient mit unklarer Todesursache verstorben ist.
Im Fall einer Gefäßverletzung durch den chirurgischen Eingriff ließe sich dies mit
einer postmortalen Angiografie darstellen: Man sieht dann den Kontrastmittelaustritt
aus dem Gefäß in das Hämatom und hat so Hinweise auf die Todesursache.
Wie funktioniert die postmortale CT-Angiografie?
Die postmortale CT-Angiografie ist aufwendiger als die Standard-PMCTs, weil dafür
vorab die Gefäße, die Femoralarterie und -vene präpariert werden müssen. Rechtsmediziner
müssen hierfür die Leiche öffnen. Aus hygienischen Gründen findet dies in der Regel
in der Rechtsmedizin außerhalb des Klinikbetriebs statt. Sind die Gefäße dargestellt,
wird ein Gemisch aus Paraffin, Öl und einem hochkonzentrierten Kontrastmittel über
eine externe Pumpe in den Körper eingebracht. Dann kann man jeweils eine Phase untersuchen,
auch im Zirkulationsmodus.
Das ist letztendlich ein lang bekanntes Verfahren. Es wird auch bei der Formalinkonservierung
von Leichen genutzt, etwa für den Anatomieunterricht im Medizinstudium.
Inwieweit kommt die postmortale Radiologie auch schon außerhalb von Kriminalfällen
zum Einsatz, etwa nach einem Unfall oder zur Qualitätssicherung im Krankenhaus?
Wenn wir beim Thema PMCT-Untersuchung bleiben, dann ist das im Prinzip bisher der
strafrechtlichen Sektion vorbehalten. Wir an der Universitätsklinik Düsseldorf, aber
auch an einigen anderen Instituten in Deutschland, haben die PMCT jedoch in die Lehre
übernommen. Konkret erstellen wir für den Anatomieunterricht PMCTs von den Leichen,
bevor sie durch die Student*innen präpariert werden. So können die Student*innen zunächst
die Körperregionen studieren und sich überlegen: Was möchte ich mir morgen eigentlich
angucken? Was möchte ich präparieren? Wie sieht das aus? Und das ist dann annotiert
und hilft einem letztendlich, die Dinge noch besser zu verstehen.
Wir wollen uns Ihre Arbeit nun konkreter anschauen. Was passiert, wenn eine Leiche
in der Rechtsmedizin landet? Wie kommen Sie ins Spiel?
Um ganz vorne anzufangen: Die Polizei erscheint am Tatort und ruft dann irgendwann
die Rechtsmedizin dazu. Dann gibt es mittlerweile einen ganz dedizierten Leitlinienkatalog,
in welchen Fällen eine PMCT-Untersuchung durchgeführt werden sollte. Liegen diese
Voraussetzungen vor und hat die Rechtsmedizin kein eigenes CT, dann meldet sich die
Staatsanwaltschaft bei uns in der Radiologie. Wenn der Tatort so weit abgeschlossen
ist, dass die Leiche abtransportiert werden kann, wird sie durch ein Bestattungsunternehmen
zu uns gebracht. Die Untersuchung erfolgt in der Regel nach der klinischen Routine.
Damit umgehen wir den Kontakt unserer eigentlichen Patient*innen mit dem Bestattungsunternehmen
oder dem Leichensack. Aus hygienischen Gründen belassen wir den Leichnam in diesem
Bodypack. Er wird nicht eröffnet und die Leichenstarre wird auch nicht durchbrochen,
um zum Beispiel die Körperhaltung zu verändern. Die PMCT-Untersuchung geht dann von
Kopf bis Fuß und ähnelt einer Polytrauma-Spirale von schwerverletzten Patienten. Erste
Ergebnisse, die im Rahmen der Obduktion wichtig sein könnten, etwa die Lage von abgebrochenen
Messerspitzen oder auffällige Gasansammlungen, geben wir möglichst gleich an die Rechtsmedizin
weiter. Nach der eigentlichen Obduktion gibt es dann noch ein interdisziplinäres Gespräch
mit der Rechtsmedizin, an dem etwa auch Toxikolog*innen und andere beteiligt sein
können. Abschließend erhebt die Rechtsmedizin die eigentliche Todesursache.
Was kostet eine PMCT-Untersuchung und wer bezahlt das?
Unsere Leistung wird durch die Anmeldung der Staatsanwaltschaft bezahlt. Dafür gibt
es noch keine gesonderte Abrechnungsziffer. Deswegen muss das jedes Institut für sich
selbst entscheiden. In etwa entspricht die Untersuchung einem Ganzkörper-CT mit einem
ganz normalen Satz. Es ist jedoch etwas aufwendiger, weil man auch ein Gutachten erstellt.
Dafür kann man jedoch eine Zusatzziffer in Rechnung stellen.
Eine PMCT kostet etwa 500 €, die die Staatsanwaltschaft bezahlt.
In der Regel kostet das Ganze um die 500 €. Dafür erhält das Gericht auch noch eine
3D-Rekonstruktion. Diese eignet sich hervorragend, um vor Gericht auch medizinischen
Laien bestimmte Sachverhalte viel besser und auch schonender zu erklären. Zudem können
diese Datensätze 30 Jahre digital archiviert werden. So lassen sich gegebenenfalls
auch noch Jahre später neu hinzukommende strafrechtliche Fragestellungen klären.
Sie haben vorhin gesagt, dass es vonseiten der Rechtsmedizin schon Leitlinien gibt,
wann die postmortale forensische Radiologie zum Einsatz kommt. Wann und wie häufig
ist das?
Die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin hat eine eigene AG für forensische Bildgebung,
die übrigens mit unserer AG der DRG kooptiert ist. Demnach sollte eine PMCT-Untersuchung
bei mutmaßlichen Tötungsdelikten erfolgen, insbesondere durch Schuss, scharfe oder
stumpfe Gewalt und Brand. Einsatz laut Leitlinie ist auch die Suche nach röntgendichten
Fremdkörpern in potenziellem Zusammenhang mit der Todesursache sowie beim Verdacht
auf Luft- und Gasembolie. Ebenso beim Verdacht auf Kindesmisshandlung im Vorfeld des
Todes, Kindstötung und letztendlich bei allen unerwarteten Todesfällen von Säuglingen
und Kleinkindern bis zum Alter von 6 Jahren.
PMCT: Die Akzeptanz der Staatsanwaltschaft für die PMCT muss man sich erst erarbeiten.
Und das sollte auch jeder Rechtsmediziner so parat haben. Das funktioniert deutschlandweit
immer besser, aber ich glaube, da gibt es immer noch Potenzial nach oben. Es liegen
keine offiziellen Zahlen vor, deshalb haben wir von der AG das vor 2 Jahren erhoben.
Dabei sind wir auf 17 radiologische Institute in Deutschland gekommen, die PMCT-Untersuchungen
anbieten. An den Unikliniken Düsseldorf und Frankfurt liegen wir bei 100 bis 150 Fällen
im Jahr. Wir gehen jedoch davon aus, dass noch nicht jedes Institut so viele Untersuchungen
durchführt. Wir schätzen etwa 50 Untersuchungen pro Institut pro Jahr, dass wir auf
etwa 1000 PMCT-Untersuchungen in Deutschland kommen sollten.
Leitlinien stellen nur eine Empfehlung dar, sie sind kein „Must“. Wie schätzen Sie
denn die Akzeptanz der Staatsanwaltschaft für forensische Radiologie insgesamt ein?
Und was muss getan werden, damit das in der Breite ausgerollt wird und welche Rolle
können auch Fachzeitschriften wie etwa die RöFo dabei spielen?
Das ist ein guter Punkt. Und das war auch eines der Kriterien, warum wir diese AG
innerhalb der DRG gegründet haben. Die Akzeptanz muss man sich unserer Meinung nach
erst erarbeiten. Denn die Staatsanwaltschaft und Polizei kennen meist nur die Obduktion
und die gibt es schon seit Jahrhunderten und darauf verlassen sie sich. So dass man
diese neue Modalität noch ein bisschen bewerben und den Mehrwert der PMCT im Vergleich
zur Obduktion erklären muss. Innerhalb der Radiologie ist das Thema jedoch sehr gefragt.
Unsere Vorträge und Sessions auf dem DRG-Kongress sind immer bis auf den letzten Platz
ausgebucht.
Und dafür haben Sie auch die AG Forensisch-radiologische Bildgebung gegründet. Wann
war denn das, wer steckt dahinter und was sind Ihre weiteren Ziele?
2019/2020 waren die Anfänge. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten neben Frau Univ.-Professor
Dr. Sarah Heinze, Graz, Dr. Markus Born, Bonn, Dr. Dietrich Stoevesandt, Halle und
Dr. Andreas Bucher aus Frankfurt. Als kooptiertes Mitglied konnten wir zudem die Rechtsmedizinerin
Frau Professor Dr. Silke Grabherr, Lausanne, gewinnen.
Neben der Bekanntmachung ist ein weiteres Ziel unserer AG, die Professionalität innerhalb
der forensischen Bildgebung weiter zu steigern. Neben Seminaren und Fortbildung bauen
wir auch eine eigene Fallsammlung zum Nachschauen typischer Veränderungen auf, denn
die fehlt im deutschsprachigen Raum noch. Dann stehen wir natürlich auch als Ansprechpartner
für jedwede Fragestellungen zur Verfügung. Das können auch ganz banale Fragen sein,
etwa, wie man das abrechnet oder wie man die Leiche ins CT bringt.
Woher rührt denn Ihr eigenes Engagement für die AG? Hat es damit zu tun, dass Sie
Kinderradiologe sind und dadurch auch mit Kindesmisshandlungen zu tun haben?
Ja, ich bin da auf 2 Wegen mehr oder weniger hineingewachsen. Der erste Weg, das war
noch in meiner Assistenzarztzeit. Damals musste ich für den Zoll öfters Menschen,
die mutmaßlich Drogen geschluckt haben, röntgen, um dieses sogenannte Bodypacking
gegebenenfalls nachzuweisen. Um ihre Strahlenbelastung möglichst gering zu halten
und gleichzeitig alles darzustellen, habe ich den Wechsel zum CT als Untersuchungsmethode
begleitet. Und so bin ich auch wissenschaftlich mit dem Thema in Kontakt gekommen
und war beim Thema Bodypacking auch schon in der forensischen Radiologie verankert.
Als die neuen Leitlinien erschienen sind, kam die Rechtsmedizin in Düsseldorf auf
uns zu. Sie hatten kein eigenes CT und haben uns gefragt, ob wir ihnen helfen können.
Kindesmisshandlung wiederum ist ein Thema, das jeden Arzt und jeden Radiologen angeht.
Denn nicht jede Kindesmisshandlung führt zwangsläufig zum Tod des Kindes. Deswegen
muss man das auch in der Routinediagnostik erkennen können. Da gibt es ganz spezifische
Verletzungen, wie zum Beispiel metaphysäre Randkantenabsprengung am Knochen. Sie weisen
ganz dringend darauf hin, dass eine Kindesmisshandlung stattgefunden hat. Ebenso mehrzeitige
Verletzungen, also zum Beispiel Frakturen unterschiedlichen Alters.
Haben Sie denn auch ein Beispiel aus der Kindesmisshandlung, wo die forensische Radiologie
ausschlaggebend bei den Ermittlungen geholfen hat?
Wir hatten etwa ein kleines Kind, das zur PMCT angemeldet wurde. Die Leichenschau
zeigte multiple Blutergüsse, Verbrennungen durch Zigaretten und frische Frakturen.
Bei der PMCT haben wir auch Blut innerhalb des Kopfes und der Bauchhöhle gefunden.
Und als wirklich winzigen und kleinsten Zusatzbefund fanden wir eine alte Rippenfraktur.
Diese Fraktur konnte in der konventionellen Obduktion nicht gesehen werden. Dies war
ein klares Indiz für mutmaßlich mehrzeitige Gewalteinwirkung. Und so etwas ist natürlich
relevant für das Strafmaß.
In einem anderen Fall konnten wir nachweisen, dass ein toter Säugling keine Totgeburt,
sondern direkt nach der Geburt getötet worden war.
Das kann man ganz einfach an der Belüftung etwa der Lunge und des Magens in der PMCT
sehen – das Kind hatte in unserem Fall schon geatmet. Gas ist bei einer Obduktion
mitunter schwierig nachzuweisen, denn sobald der Rechtsmediziner das Skalpell ansetzt,
tritt sofort die Außenluft auch in den Körper ein.
Jetzt haben wir so viel von den Vorteilen und geradezu der Notwendigkeit der forensischen
Radiologie gehört, dass ich mich frage: Wird sie irgendwann die Obduktion ersetzen
können?
Ganz klar: nein. Sie bleibt immer ein Teil des Blumenstraußes, der hilft, die Todesursache
zu finden. Denn die PMCT hat auch Nachteile, gerade wenn man kein Kontrastmittel gibt.
Wegen der räumlichen Trennung von CT-Gerät und Obduktionssaal ist dies bei uns oft
nicht möglich. Vorreiter ist da sicherlich die Schweiz. In Lausanne gehört zu jeder
durchgeführten Obduktion eine PMCT – und bei Bedarf zusätzlich noch eine postmortale
Angiografie.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Aissa.
Erfahren Sie mehr im fünften Teil des Jubiläumspodcasts „100 Jahre RöFo & DRG – Der
Jubiläumspodcast“. Sie finden ihn auf
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Das Gespräch führte Dr. Adelheid Liebendörfer, Thieme Gruppe.
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