Arthritis und Rheuma 2022; 42(06): 421-424
DOI: 10.1055/a-1960-2263
Kasuistik Kinderrheumatologie

Patientin mit JIA und Entwicklung von chronischen nichtentzündlichen Gelenkschmerzen – stationäre Schmerztherapie bei chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat als Gruppenkonzept

Arnold Illhardt
1   St. Josef-Stift Sendenhorst, Klinik für Kinder- und Jugendrheumatologie, Sendenhorst
,
Daniel Windschall
1   St. Josef-Stift Sendenhorst, Klinik für Kinder- und Jugendrheumatologie, Sendenhorst
2   Medizinische Fakultät Universität Halle-Wittenberg
› Author Affiliations
 

Der Klinikalltag in der Betreuung von jungen Patienten mit chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat, aber auch rheumatischen Erkrankungen zeigt immer wieder, dass eine multiprofessionelle Zusammenarbeit bei der Diagnostik, aber auch beim Therapiemanagement einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Durch Teambesprechungen und eine Patientenführung, die vor allem durch Wertschätzung und Empathie gekennzeichnet ist, lassen sich schmerzmodulierende Prozesse somatischer und/oder psychischer Natur häufig gut aufdecken, abgrenzen und entsprechend therapieren. Die patientenzugewandte Betreuung durch Ärzte, funktionsorientierte Therapeuten und klinische Psychotherapeuten bietet vielen Patienten erfahrungsgemäß ein gutes Setting, um sich zu öffnen, sodass frühzeitig entsprechende Interventionen eingeleitet werden können.

Genauso hat es sich bewährt, Kinder und Jugendliche mit einer „rein“ rheumatologischen Diagnose über gruppenorientierte Modelle, aber auch im Einzelsetting, psychotherapeutisch zu begleiten, um eine psychische Belastung durch die Erkrankung und Therapie selbst, aber auch durch externe Faktoren oder psychische Komorbiditäten zu einem frühen Zeitpunkt aufdecken zu können. Viele, vor allem jugendliche Patienten, benennen immer wieder deutlich einen Zusammenhang zwischen Entzündungsaktivität und erlebtem Stress. Eine optimale Edukation, in der Zusammenhänge auf verständliche Weise aufgezeigt werden, stellt für die jungen Menschen zumeist erst eine Legitimation her, psychische Einflussfaktoren ohne Angst vor einer Stigmatisierung („Psychologisierung“) zu haben, thematisieren zu können.

Patientin

Die 17-jährige Patientin wurde erstmals in unserer kinderrheumatologischen Klinik im Jahr 2021 mit der vorbestehenden rheumatischen Diagnose einer juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) der Kategorie seronegative Polyarthritis zur Therapieintensivierung bei zunehmenden Beschwerden vorgestellt. Die Diagnose einer JIA wurde auswärtig etwa 1,5 Jahre zuvor gestellt.

Unter einer anfänglichen Therapie mit einem oralen Kortison-Stoß und Methotrexat, dann im weiteren Verlauf Etanercept und bei Unverträglichkeit Adalimumab, war es bei der Patientin in den ersten Monaten zu einer Befundstabilisierung gekommen.

In den letzten Monaten vor der ersten Vorstellung in unserer Klinik habe eine Schmerzsymptomatik in den Handgelenken, Kniegelenken und Sprunggelenken jedoch deutlich zugenommen. Die Patientin gibt die zuletzt bemessene Schmerzstärke auf einer VAS (0–10) bei 8/10 an. Sie hätte in den vergangenen Wochen auch eine Morgensteifigkeit von etwa 10 Minuten bemerkt.

Neben der Gelenksymptomatik entwickelten sich bei der Patientin eine ausgeprägte Müdigkeit und Wetterfühligkeit. In der Schule sei es unter Stress zu einer verstärkten Schmerzsymptomatik und weiteren Symptomen wie Übelkeit und Konzentrationsproblemen gekommen.

Aufnahmebefund

P-PDI-Score

Bei Aufnahme zeigte sich im P-PDI-Score (Pediatric Pain Disability Index [P-PDI] nach Varni et al.) eine starke Beeinträchtigung der Patientin durch die Schmerzen (P-PDI Score 41 Punkte). Der P-PDI ist ein kurzer Fragebogen zur Selbst- oder Elterneinschätzung schmerzbedingter Beeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen.


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Gelenkbefunde, Bildgebung und Labor

Bei der Patientin lagen bei Aufnahme zwar geringe Bewegungsbeschwerden im Bereich der Hand- und Kniegelenke vor, jedoch keine eindeutigen Einschränkungen der Beweglichkeit. Weitere klinische Zeichen für eine Arthritis wie eine Schwellung oder Überwärmung konnten nicht festgestellt werden. Die Patientin zeigte auch keine Schon- oder Fehlhaltung. Der Muskelstatus war unauffällig.

Es erfolgte eine umfassende Ultraschalluntersuchung der peripheren Gelenke, in der eine Synovialitis, Tendinitis oder Enthesitis sicher ausgeschlossen werden konnte.

Auch in der Labordiagnostik ergab sich kein Anhalt für ein entzündliches Geschehen.


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Stationärer Behandlungsplan

Aufgrund der Aufnahmebefunde wurden die Beschwerden der Patientin als chronische Arthralgien mit einer hohen subjektiven Schmerzstärke, möglicherweise sekundär entstanden auf dem Boden der extern diagnostizierten Diagnose einer JIA, gewertet.

Die antirheumatische Therapie der Patientin wurde nicht weiter ausgeweitet und es erfolgte die Übernahme der Patientin in ein multimodales Schmerzkonzept unserer Klinik zur Therapie primärer oder sekundärer chronischer Schmerzen am Bewegungsapparat.


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Schmerztherapeutisches Gruppenkonzept in der Kinder- und Jugendrheumatologie („PAINted“)

In Anlehnung an bekannte Formen der multimodalen Schmerztherapie wurde in unserer Klinik für Kinder- und Jugendrheumatologie ein stationäres Gruppenkonzept zur Therapie bei chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat entwickelt („PAINted“).

Wesentliche Eckpfeiler dieser interdisziplinären Behandlung sind:

  • Ein geschlossenes Gruppenmodell, wobei die teilnehmenden Patienten am gleichen Tag aufgenommen und auch entlassen werden,

  • der Fokus liegt auf therapeutischen Prozessen, daher weitgehender Ausschluss von diagnostischen Interventionen,

  • fixe Therapiepfade und standardisierte Abläufe,

  • der Schwerpunkt liegt auf einer überwiegend aktiven Ausrichtung der Therapien,

  • Bezugstherapiekonzept (feste Behandler in den verschiedenen Bereichen),

  • systematische Edukation,

  • Einbezug der Eltern durch eigene Seminare und Einzelgespräche.

Neben den verschiedenen „klassischen“ Therapieangeboten (siehe Wochenplan, [ Tab. 1 ]) ergänzen Entspannungstherapie (Progressive Muskelrelaxation, meditatives Verfahren), Transkutane Elektrische Nerven-Stimulation (TENS), Reittherapie und Mototherapie, Aromatherapie, Handwerkgruppen sowie Musik- und Kunsttherapie das Therapiekonzept. Ein besonderer Baustein ist die Thematisierung einer Transition für Schmerzpatienten in Kooperation mit der Schmerzklinik für Gelenk- und Rückenbeschwerden. Durch den regelmäßigen Austausch der verschiedenen Disziplinen kann das Programm trotz seiner Standardisierung individuell angepasst und im Bedarfsfall abgeändert werden.

Tab. 1

Zeitplan 2. Woche (Patientin); Beispiel für den Therapieablauf in der 2. Woche des insgesamt 2½-wöchigen Klinikaufenthalts: In der 1. Woche finden zudem mehrere Einführungsseminare u. a. zur Therapie mit Transkutaner Elektrischer Nerven-Stimulation (TENS) statt, die während des gesamten Aufenthalts angewandt wird. Erläuterung zu den Abkürzungen: MTT = Medizinische Trainingstherapie an Geräten; PMR = Progressive Muskelrelaxation

Zeit

Montag

Dienstag

Mittwoch

Donnerstag

Freitag

7:00

Gruppe: Tagesbeginn

Gruppe: Tagesbeginn

Gruppe: Tagesbeginn

Gruppe: Tagesbeginn

Gruppe: Tagesbeginn

7:30

8:00

Schule

Gruppe: Ergotherapie Handaktiv

Schule

Gruppe: Funktionelle Ergotherapie

Schule

8:30

9:00

Gruppe: Physiotherapie

Physiotherapie Einzel

Gruppe: Schmerzbewältigung

Gruppe: Physiotherapie

Einzelvisite

9:30

Entspannung PMR

Einzelvisite

Gruppe: Entspannung (meditative Verfahren)

10:00

Einzelgespräch Pflege

Aktivgruppe „Beweggründe“

Schule

Psychotherapie

10:30

Reittherapie

11:00

Gruppe: Funktionelle Ergotherapie

Schule

Schule

Gruppe: Ausdauertraining

11:30

Arbeitsplatzberatung

12:00

Mittagessen

Mittagessen

Mittagessen

Mittagessen

Mittagessen

12:30

MTT

13:00

Gruppe: Bewegungstraining

Ärztliches Seminar

13:30

Ergo: Speckstein

14:00

Psychotherapie

Gruppe Aromatherapie

Gruppe: Ergotherapie Handaktiv

14:30

15:00

Ausdauertraining

MTT

15:30

Physiotherapie Einzel

16:00

MTT

Gruppe: Aquafit

16:30

Gruppe: Entspannung (meditative Verfahren)

Entspannung PMR

17:00

Entspannung PMR

17:30

Gruppe: Tagesabschluss

Gruppe: Tagesabschluss

Gruppe: Tagesabschluss

Gruppe: Tagesabschluss

Gruppe: Tagesabschluss

18:00

Gesunde Ernährung

Päd. Abendprogramm

Kunsttherapie

Ziel der Gesamttherapie ist neben der Reduktion der Schmerzen eine verbesserte Balance zwischen aktiven Anforderungen und entspannenden Ausgleichsstrategien sowie die Ableitung eines individuellen, häuslichen Therapieplans unter Berücksichtigung der verschiedenen Alltagsstrukturen aus den hier gemachten Erfahrungen. Dabei fließen auch gegensteuernde Aspekte wie Stressmanagement, Schlafhygiene, der Umgang mit leistungsorientiertem Verhalten oder das Konzept der sensiblen Persönlichkeitsstruktur in die Edukation mit ein.


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Psychotherapie

Stationäre Bezugspsychotherapie

Sowohl für jugendliche Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen als auch mit chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat existiert eine stationäre Bezugspsychotherapie, die verhaltens- und vor allem kurzzeittherapeutisch orientiert ist. Das bedeutet, dass für den Stationsbereich der Jugendlichen ab etwa 14 Jahre psychotherapeutische Prozesse über Seminare, Gruppen und Einzeltermine durch einen eigenen Psychotherapeuten durchgeführt werden. Aufgrund des dadurch gegebenen Austauschs, der Möglichkeit zur kontinuierlichen Patientenbeobachtung sowie einer sehr persönlich gehaltenen Patient-Therapeut-Interaktion ist es möglich, frühzeitig Störungen auch außerhalb der Erkrankung zu erkennen und entsprechend therapeutisch im Einzelsetting aufzuarbeiten.


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Klinische Psychotherapie beim ersten Aufenthalt der Patientin

In den psychotherapeutisch ausgerichteten Seminaren fiel die Patientin als sehr schüchtern und introvertiert auf. Trotzdem meldete sie sich im Anschluss einer Gruppe mit der Begründung, dass sie sich in bestimmten Ausführungen zum Thema Stressmanagement deutlich wiedergefunden habe und daher gerne die Möglichkeiten einer Psychotherapie nutzen wolle. Da zunächst noch eine rheumatologische Diagnose im Raume stand, bei dem Aufenthalt in unserer Klinik aber eine deutliche Überlagerung durch Schmerz offenkundig wurde, erfolgte zunächst eine Edukation, in der Aspekte von Rheuma und chronischen Schmerzen differenziert erläutert wurden. Obschon sie in einer anderen Klinik rheumatologisch betreut wurde, besaß sie nur wenig Hintergrundwissen und konnte daher z. B. die Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie nur teilweise nachvollziehen. Sie ging sehr reflektiert mit Themen wie Schmerzentstehung, -verstärkung und -therapie um. Bereits hier gab sie Stress als schmerzmodulierenden Faktor an. Aufgrund der bisher erfolgten edukativen Maßnahmen fühlte sie sich nicht „psychologisiert“, sondern fand sich in einem biopsychosozialen Schmerzmodell sehr gut wieder und ernst genommen.

In den folgenden Therapiesitzungen wurde mit der Patientin eine Exploration der psychosozialen Lebensbereiche durchgeführt, bei der zum einen Auswirkungen der Schmerzen auf den Alltag als auch Alltagsbelastungen als Einflussgrößen auf die Schmerzentstehung und -aufrechterhaltung eruiert werden. Dazu kam ein eigens dafür entwickeltes Verfahren zum Einsatz, das vor allem über den Prozess der Visualisierung zur Selbstreflexion beiträgt. Sehr früh zeigten sich deutliche Faktoren wie Hochsensibilität, Neigung zu ausgeprägtem Grübeln, das häufige Auftreten trauriger Gedanken mit grundlosem Weinen, geringes Selbstwertgefühl, allgemein geringe soziale Kompetenz, soziale Ängste sowie ein allgemeines dysfunktionales Stressmanagement. Im weiteren Verlauf gab sie auch gelegentliche Panikattacken an, die vor allem im Zusammenhang mit sozialen Interaktionen stehen. Die Rückzugstendenzen führten schließlich zu einer weitgehenden Vereinsamung, was die Patientin durch ein unverhältnismäßig ausgeprägtes Spielen am Computer zu kompensieren suchte. Auf den Einsatz von Psychodiagnostik wie z. B. Depressionsinventar wurde bewusst verzichtet, um die Patientin in ihrer bisher verdeckten Möglichkeit, sich auszudrücken und für sich zu sorgen, nicht zu bremsen. Viele psychische Reaktionen basierten offensichtlich auf negativen Erfahrungen im schulischen sowie Freundschaftsbereich, da sie hier immer wieder Mobbing- und Ausgrenzungsvorgänge erleben musste. Die dadurch entstandenen Ängste konnten bei dem klinischen Aufenthalt sehr gut durch positive Erfahrungen und in diesem Zusammenhang über kleine Verhaltensübungen deutlich abgeschwächt werden.

Aufgrund eines deutlich negativ ausgerichteten Wahrnehmungsrahmens hatte die Patientin ihre positiven Lebensbereiche sowie Stärken und Ressourcen aus dem Blick verloren. Hier halfen ihr vor allem die Beschäftigung mit persönlichkeitspsychologischen Mustern, um sich wieder mehr zu akzeptieren und wertzuschätzen, aber auch mehr Selbstfürsorge zu betreiben. Im Anschluss des ersten Aufenthalts gab sie an, sich wesentlich selbstbewusster und sozial aktiver zu erleben; zudem sei sie selbst erstaunt, das Reden über sich als verlernte Entlastungsmöglichkeit wiederentdeckt zu haben. Nach ihren eigenen Angaben hatte sie sich in letzter Zeit niemandem mehr mitgeteilt. Sie sah bei sich selbst eine klare Veränderungsmotivation und gab an, viel zufriedener zu sein, was ihre soziale Kompetenz und ihre Neigung zum Grübeln und Traurigsein anbetrafen. Zudem zeigte sie große Bereitschaft, auch zuhause Psychotherapie wahrzunehmen, u. a. auch, um hier das Vorliegen einer depressiven Episode abklären zu lassen.


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Klinische Psychotherapie beim zweiten Aufenthalt der Patientin in einer Schmerzgruppe

Bei ihrem zweiten Aufenthalt 2022 nahm die Patientin an einer Schmerzgruppe teil. Sie freute sich auf die Fortführung der Psychotherapie, habe aber auch zuhause nach langem Warten eine Therapeutin gefunden, bei der sie sich aber noch in der Anfangs- und damit auch Kennenlernphase befände. Aufgrund der Coronasituation war es zu einer Verschlimmerung der Rückzugstendenzen gekommen. So hatte sie aufgrund des Onlineunterrichts kaum Möglichkeiten, sich bezüglich der neu erlernten sozialen Kompetenz auszuprobieren. Ihre Angststörungen waren wieder sehr zentral geworden. Sie habe vor allem Angst vor Wertungen und Fremdeinschätzungen ihrer Person. Deutlich wurde eine sehr angespannte, apathische und zurückgenommene Körperhaltung (u. a. auch Verstecken von Körperteilen), was später u. a. auch physiotherapeutisch aufgegriffen wird. Über das Verfahren des „Selbstwerthauses“ wurden Aspekte der Selbstakzeptanz wie eigene Wertschätzung, „sich in sich zuhause fühlen“, Körper- und Erscheinungsbild thematisiert und durch die Anleitung von Übungen zu beeinflussen versucht. Hier wurde ein sehr ausgeprägter Selbstwertverlust deutlich. Die Patientin begrüßte es, an sich zu arbeiten, empfand es aber sehr schwer, ihren Selbstwert zu akzeptieren. Dieses sehr zentrale Thema, das für das Mädchen deutlich schmerzverstärkend wirkte, zog sich durch die folgenden Therapiesitzungen. Eine Veränderung ihres Denkens und Verhaltens diesbezüglich wurde darüber hinaus durch das pädagogische Programm sowie diverse Gruppenprozesse gestärkt. Nachdem sie in der Schmerzgruppe positive Erfahrungen im Umgang mit Gleichaltrigen gesammelt hatte, wurden Veränderungsmöglichkeiten für zuhause gesammelt: So schlug sie selbst vor, den Kontakt zu einem Mädchen aufzunehmen, was sie sich bisher nicht getraut hatte, sowie sich an einer Malschule anzumelden, um auch dort vorsichtig ihre Kontaktscheue abzubauen und sich kreativ wieder auszuprobieren. Die Patientin besaß sehr gute malerische Fähigkeiten, was aber durch das vermehrte „Zocken“ vernachlässigt worden war. Im Abschlussgespräch gab sie an, sich deutlich gestärkter zu fühlen, konnte Umdenkprozesse benennen und hatte klare Vorsätze, um ihre Situation zu verändern. Entsprechend hatte auch die Schmerzintensität nachgelassen. Für die Patientin war es eine wichtige Erkenntnis, Zusammenhänge zwischen Schmerzentstehung und innerpsychischen Prozessen wahrzunehmen und durch erlernte u. a. kognitive Umstrukturierungen zu beeinflussen.

In der Klinik für Kinder- und Jugendrheumatologie sehen wir im Rahmen der Patientenvorstellungen sehr unterschiedliche Formen von chronischen Schmerzen am Bewegungsapparat, die sich oftmals nur schwer einer klaren diagnostischen Nomenklatur zuordnen lassen, in jedem Fall aber behandlungsbedürftig sind, um eine weitere Chronifizierung zu vermeiden. Wie in der obigen Fallvorstellung dargestellt, kann sich aus einer in Remission befindlichen rheumatischen Erkrankung ein chronischer Schmerz entwickeln, bei dem sich über entsprechende Laborparameter oder Bildgebung keine Entzündungszeichen mehr nachweisen lassen. Häufig unterliegen diese Patienten noch einer medikamentösen Therapie mit Immunsuppressiva und/oder nichtsteroidalen Antirheumatika. Die auf einer VAS (visuellen Analog)-Skala gewerteten Schmerzen befinden sich in der Regel trotz Schmerzmedikation auf einem höheren Niveau als bei einem therapierten entzündlichen Verlauf. Vorstellig werden allerdings auch Patienten, bei denen hohe Schmerzangaben ohne Entzündungszeichen vorliegen, sich im weiteren Verlauf aber eine rheumatische Erkrankung mit klassischen Merkmalen erst später manifestiert.

Die weit verbreitete Annahme, chronische Schmerzen ohne Entzündungszeichen würden vor allem durch psychosoziale Prozesse moduliert, lässt sich in der Praxis oftmals nicht aufrechterhalten. Die Langzeitbetreuung vieler Patienten mit psychotherapeutischer Begleitung in unserer Klinik zeigt oftmals auch über einen sehr langen Verlauf keine zurückliegenden oder auch aktuellen psychischen Belastungsaspekte auf. Häufig bedeutet die Tatsache, täglich Schmerzen zu empfinden, die sich medikamentös nicht beeinflussen lassen, für die Kinder und Jugendlichen schon Stress genug, der dauerhaft zermürbend wirkt. Die langjährige Erfahrung zeigt allerdings im Gegenzug, dass sich trotz psychotherapeutischer Abklärung im klinischen, wie im ambulanten Bereich eine belastende Lebensthematik erst nach langer Zeit herausstellt, da die Patienten die Thematisierung bewusst umgangen sind. Der Gründe sind häufig mangelndes Vertrauen in die Therapeuten („die Chemie stimmte nicht“), befürchtete Repressalien durch die Familie oder die soziale Umgebung, eine Ablehnung psychotherapeutischer Prozesse aus Angst vor einem Triggereffekt etc.

FAZIT

Die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit einer chronisch rheumatischen Erkrankung und zusätzlich einer sich entwickelnden chronischen Schmerzstörung stellt den Kinderrheumatologen immer wieder vor eine diagnostische und therapeutische Herausforderung. Hierbei gilt es, entzündliche Prozesse wie eine Arthritis oder Enthesitis klar von einer nicht entzündlichen Symptomatik zu differenzieren, um eine Übertherapie zu vermeiden. Diese nicht selten auftretende Komorbidität sollte aufgrund der notwendigen Abgrenzung zwischen Entzündung und Schmerzstörung zunächst unter kinderrheumatologischer Führung betreut werden. Für die Weiterbehandlung haben sich multidisziplinäre Behandlungskonzepte in kinderrheumatologischen oder schmerztherapeutischen Einrichtungen bewährt, die sich vor allem aus psychotherapeutischen, bewegungstherapeutischen, schmerztherapeutischen und physikalischen Behandlungsbausteinen zusammensetzen. Unser Konzept soll hier nur exemplarisch aufgeführt werden und sollte wie andere Behandlungskonzepte weiterentwickelt, evaluiert und optimiert werden.


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Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

  • Literatur

  • 1 Banholzer D, Bureck W, Ganser G. et al Krankheitsbewältigung im Alltag. In: Rheuma bei Kindern und Jugendlichen in der Physio- und Ergotherapie. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013. https://doi.org/10.1007/978-3-642-40001-8_2
  • 2 David J, Cooper C, Hickey L. et al The functional and psychosocial outcome of juvenile chronic arthritis in young adulthood. Br J Rheumatol 1994; 33: 876-881
  • 3 Michels H, Gerhold K, Häfner R. et al Fibromyalgiesyndrom bei Kindern und Jugendlichen. Schmerz 2008; 22 (03) 339-348
  • 4 Sherry DD, Malleson PN. The idiopathic musculoskeletal pain syndromes in childhood. Rheum Dis Clin North Am 2002; 28 (03) 669-685
  • 5 Varni JW, Thompson KL, Hanson V. The Varni/Thompson pediatric pain questionnaire, I: Chronic musculoskeletal pain in juvenile rheumatoid arthritis. Pain 1987; 41: 139-150

Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. Daniel Windschall
St. Josef-Stift Sendenhorst
Klinik für Kinder- und Jugendrheumatologie
Westtor 7
48324 Sendenhorst
Deutschland   

Publication History

Article published online:
09 December 2022

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Georg Thieme Verlag KG
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  • Literatur

  • 1 Banholzer D, Bureck W, Ganser G. et al Krankheitsbewältigung im Alltag. In: Rheuma bei Kindern und Jugendlichen in der Physio- und Ergotherapie. Berlin, Heidelberg: Springer; 2013. https://doi.org/10.1007/978-3-642-40001-8_2
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