Phlebologie 2022; 51(06): 284-285
DOI: 10.1055/a-1962-6102
Literatur weltweit

Erhöhtes Risiko für venöse Thrombembolien und Hämorrhagien nach COVID-19

Authors

    Contributor(s):
  • Katharina Franke

Katsoularis I. et al.
Risks of deep vein thrombosis, pulmonary embolism, and bleeding after covid-19: nationwide self-controlled cases series and matched cohort study.

BMJ 2022;
376: e069590
DOI: 10.1136/bmj-2021-069590
 

Nach einer durchgemachten COVID-19-Erkrankung ist nicht nur das Risiko für akute Myokardinfarkte und Schlaganfälle erhöht, sondern es steigt auch das Risiko für venöse Thrombembolien an, wie eine aktuelle Fall-Kontroll-Studie aus Schweden zeigte. Dies könnte Implikationen für den klinischen Alltag haben.


In die Studie gingen die Daten von mehr als 1,1 Mio. Patientinnen und Patienten aus der schwedischen Allgemeinbevölkerung ein, die zwischen Februar 2020 und Mai 2021 erstmals an COVID-19 erkrankten. Das mittlere Alter lag in der Kohorte bei 40,2 Jahren und 49 % der Studienteilnehmer waren Männer. Ihnen wurden mehr als 4,1 Mio. Personen ohne durchgemachte COVID-19-Erkrankung gegenübergestellt, die nach Alter, Geschlecht und Wohnort gematcht wurden. Einzelheiten zum weiteren klinischen Verlauf der Studienteilnehmer wurden verschiedenen Registern entnommen; eine Verknüpfung der Daten auf Patientenebene war jeweils über die persönliche Identifikationsnummer möglich, die in Schweden jedem Einwohner zugeordnet wird. Als primäre Endpunkte definierten die Autoren das Auftreten von tiefen Venenthrombosen, Lungenembolien bzw. Blutungskomplikationen innerhalb von 180 Tagen nach dem positiven SARS-CoV2-Test. Die statistischen Analysen erfolgten zum einen nach einem selbstkontrollierenden Design im zeitlichen Verlauf innerhalb der Patientenkohorte und zum anderen anhand der im Verhältnis 1:4 gematchten Kontrollpersonen.

Die Risiken für eine tiefe Venenthrombose, Lungenembolie bzw. Hämorrhagie waren bis jeweils 70, 110 bzw. 60 Tage nach einer SARS-CoV2-Infektion signifikant erhöht. Am deutlichsten fiel die Risikoerhöhung für Lungenembolien aus: In der ersten bzw. zweiten Woche nach dem positiven Testergebnis ergab sich ein Inzidenzraten-Verhältnis von 36,2 (95 %-KI 31,6–41,5) bzw. 46,4 (95 %-KI 40,6–53,0). Innerhalb der ersten 30 Tage wurden die Inzidenzraten-Verhältnisse für tiefe Venenthrombosen, Lungenembolien bzw. Hämorrhagien mit 5,90 (95 %-KI 5,12–6,80), 31,59 (95 %-KI 27,99–35,63) bzw. 2,48 (95 %-KI 2,30–2,68) beziffert. In den gematchten Kohorten fanden sich vergleichbare Resultate: Nach statistischen Adjustierungen an mögliche Confounder betrugen die Risiko-Relationen innerhalb der ersten 30 Tage nach der Diagnose der COVID-19-Erkrankung 4,98 (95 %-KI 4,96–5,01), 33,05 (95 %-KI 32,8–33,3) bzw. 1,88 (95 %-KI 1,71–2,07) für tiefe Venenthrombosen, Lungenembolien bzw. Blutungskomplikationen. Das höchste Risiko für das Auftreten eines der Endpunkt-Ereignisse wurde bei Patienten mit einem schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung verzeichnet. Darüber hinaus waren Patienten, die in der ersten Pandemiewelle erkrankten, einem höheren Risiko ausgesetzt als Patienten, die eine COVID-19-Erkrankung in der zweiten oder dritten Pandemiewelle durchmachten. Die Autoren erklären dies mit den im Laufe der Zeit verbesserten Therapiestrategien und der weiteren Verbreitung der Thrombembolie-Prophylaxe. Die absoluten Risiken für das Auftreten von tiefen Venenthrombosen, Lungenembolien bzw. Hämorrhagien wurden mit 0,039 %, 0,17 % bzw. 0,101 % beziffert.

Die Inzidenz der tiefen Venenthrombosen könnte bei Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf unterschätzt sein, da die Diagnostik im Rahmen der Intensivmedizin eher auf die Erkennung von Lungenembolien abzielt. Allerdings ist die höhere Rate an Lungenembolien möglicherweise auch damit zu erklären, dass das lokale Inflammationsgeschehen in der Lunge mit einer vermehrten intravasalen Thrombenbildung einhergeht, so die Autoren. Das erhöhte hämorrhagische Risiko könnte ebenfalls auf Faktoren wie endotheliale Dysfunktion, Koagulopathie oder disseminierte intravasale Gerinnung zurückzuführen sein.

Fazit

Nach einer SARS-CoV2-Infektion sind die Risiken für das Auftreten einer tiefen Venenthrombose, einer akuten Lungenembolie bzw. einer Hämorrhagie deutlich erhöht. Die Bedeutung der Thromboseprophylaxe und der Impfung wird durch die Ergebnisse untermauert. Die aktuellen Daten sollten prospektive Untersuchungen zum Einsatz gerinnungshemmender Substanzen während bzw. nach einer COVID-19-Erkrankung nach sich ziehen, so die Autoren.

Dr. Katharina Franke, Darmstadt



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Article published online:
29 November 2022

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