Einleitung
Die mit Anti-Neutrophilen zytoplasmatischen Autoantikörpern
(ANCA)-assoziierte Vaskulitis (AAV) ist eine systemische nekrotisierende
Kleingefäßvaskulitis, zu der die Granulomatose mit Polyangiitis
(GPA), die mikroskopische Polyangiitis (MPA) und die – vergleichsweise
seltenere – eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) zählen
[1]
[2]
[3]. Im Fokus des vorliegenden
Beitrags stehen neben klinischen und diagnostischen Aspekten die aktualisierten
Management- und Therapieempfehlungen der Allianz der europäischen
rheumatologischen Fachgesellschaften (European Alliance of Associations of
Rheumatology, EULAR) zur Therapie der GPA und MPA [4].
Fallbericht
Eine 42-jährige Frau kam zur stationären Aufnahme mit chronischem
Nasenlaufen, borkiger Rhinitis, intermittierenden Hämoptysen sowie
zunehmender Abgeschlagenheit. In der Computer-Tomographie (CT)-Untersuchung des
Thorax zeigten sich pulmonale Raumforderungen sowie eine kavernöse
Struktur im linken Oberlappen mit Fistelung in die angrenzende Pleura ([Abb. 1]). In der Laboruntersuchung war
eine CRP-Erhöhung von 29,3 mg/l und Leukozytose von
10.8×109/l auffällig. Eine
bronchoalveoläre Lavage (BAL) und gezielte Kryobiopsie aus einem der
Lungenherden schloss eine maligne oder infektiologische Ursache aus. Die
Diagnose einer Granulomatose mit Polyangiitis (GPA) bestätigte sich mit
dem serologischen Nachweis eines PR3-ANCA sowie dem histologischen Befund einer
nekrotisierenden Kleingefäßvaskulitis und granulomatösen
Entzündung in der Biopsie aus der Lunge sowie aus einer
ergänzend erfolgten Biopsie aus der Nasenschleimhaut. Nach Ausschluss
weiterer relevanter Organmanifestationen erfolgte eine remissionsinduzierende
Therapie mit Rituximab und begleitender Glukokortikoid-Therapie.
Abb. 1 Computertomographie (CT) des Thorax mit Nachweis von
pulmonalen Granulomen (rote Pfeile) sowie einer einschmelzenden Kaverne
im linken Oberlappen (gelber Pfeil).
Definition, Epidemiologie und Mortalität
Die AAV betrifft vorwiegend kleine, intraparenchymal gelegene
Gefäße. Mittelgroße Gefäße
können in den Krankheitsprozess mit einbezogen sein. Da insbesondere bei
der Glomerulonephritis nur eine geringe oder fehlende Immunkomplex-Ablagerung
nachweisbar ist, wird die AAV als pauci-immune Vaskulitis bezeichnet. Im
Gegensatz zur MPA kennzeichnet die GPA neben der
Kleingefäßvaskulitis außerdem eine
extravaskuläre granulomatöse Komponente, die
hauptsächlich den oberen und/oder unteren Respirationstrakt betrifft.
Die Namen und Definitionen von Vaskulitiden einschließlich der GPA und
MPA sind in der revidierten Chapel Hill Consensus Conference (CHCC)
Nomenklatur festgelegt worden ([Tab. 1])
[1]. Genetische Risikofaktoren, die
granulomatöse Entzündung, Rezidivhäufigkeit, das
Therapieansprechen auf Rituximab und die Mortalität korrelieren bei den
AAV-Untergruppen besser mit einer Subklassifizierung entsprechend ihres
ANCA-Zielantigenprofils, d. h. in eine Proteinase 3 (PR3)-AAV und
Myeloperoxidase (MPO)-AAV, als mit der unter klinisch-pathologischen
Gesichtspunkten erfolgenden Unterteilung in die GPA und MPA [5]. Die Subklassifizierung in eine PR3-AAV
und MPO-AAV setzt den Nachweis von ANCA im Serum voraus. ANCA-negative GPA- und
MPA-Fälle und die ANCA-negative und ANCA-positive EGPA sind in diese
Subklassifizierung nicht eingeschlossen [3]
[6].
Tab. 1 CHCC Nomenklatur und Definitionen der AAV, GPA und
MPA [1].
ANCA-assoziierte Vaskulitis (AAV)
|
-
Hauptsächlich kleine Gefäße,
d. h. kleine Arterien, Arteriolen,
Kapillaren und Venolen betreffende, nekrotisierende
Vaskulitis mit wenigen oder fehlenden
Immunablagerungen.
-
AAV sind mit MPO-ANCA oder PR3-ANCA assoziiert.
-
Nicht alle Patienten sind ANCA-positiv.
-
Mit einem Präfix, z. B. PR3-ANCA,
MPO-ANCA oder ANCA-negativ, kann die
ANCA-Reaktivität gekennzeichnet werden.
|
Granulomatose mit Polyangiitis (GPA)
|
-
Gewöhnlich den oberen und unteren
Respirationstrakt betreffende nekrotisierende
granulomatöse Entzündung und
hauptsächlich kleine und mittlere
Gefäße, z. B. Arterien,
Arteriolen, Kapillaren, Venolen und Venen
betreffende nekrotisierende Vaskulitis.
-
Die GPA geht häufig mit einer
nekrotisierenden Glomerulonephritis einher.
|
Mikroskopische Polyangiitis (MPA)
|
-
Hauptsächlich kleine Gefäße,
d. h. Arteriolen, Kapillaren und Venolen
betreffende nekrotisierende Vaskulitis mit wenigen
oder fehlenden Immunkomplex-Ablagerungen.
-
Eine nekrotisierende Arteriitis kleiner und
mittelgroßer Arterien kann vorkommen.
-
Eine nekrotisierende Glomerulonephritis ist sehr
häufig. Ebenso ist eine pulmonale
Kapillariitis häufig. Eine
granulomatöse Entzündungskomponente
fehlt.
|
Die AAV ist eine seltene Erkrankung mit einer weltweit regional unterschiedlichen
jährlichen Inzidenz zwischen 20–50 pro 1 Million Einwohner und
einer Prävalenz von 300–420 pro 1 Million Einwohner [3]
[7]. Neuere Daten auf der Grundlage einer Auswertung von
Versichertenangaben weisen eine jährliche Inzidenz der GPA von 34 und
der MPA von 13 Fällen pro 1 Million Einwohner und eine Prävalenz
von der GPA von 210 und der MPA von 46 Fällen pro 1 Million Einwohner in
Deutschland aus [8]. Die GPA manifestiert
sich typischerweise im Alter zwischen 45–65 Jahren, die MPA zwischen
55–75 Jahren. Frauen und Männer sind etwa gleich häufig
betroffen [3]. Unbehandelt
verläuft eine AAV bei den meisten Patienten in der Regel innerhalb eines
halben Jahres tödlich und hat damit eine ähnliche Prognose wie
eine unbehandelte akute Leukämie [9]. Trotz erheblicher Verbesserungen in der Diagnostik und Therapie
bleiben die GPA und MPA chronische, häufig rezidivierende Erkrankungen
mit einer erhöhten Vaskulitis- und Therapie-assoziierten
Morbidität und Mortalität [3]. Während im ersten Jahr nach Diagnosestellung die aktive
Vaskulitis und Infektionen die häufigste Todesursache darstellen, sind
es in der Folge kardiovaskuläre und maligne Erkrankungen sowie
Infektionen, gefolgt von Vaskulitis-Rezidiven [10]. Eine Metanalyse mit Auswertung von 10 Studien ergab ein 2,7-fach
erhöhtes Sterberisiko für Patienten mit einer AAV
(standardisierte Mortalitätsrate, SMR) [11].
Ätiopathogenese
Der AAV liegt eine multifaktorielle Ätiopathogenese zugrunde [2]
[3]
[12]
[13]
[14]. In der ersten Genom-weiten Assoziationsstudie (GWAS) wurden
Assoziationen von Einzelnukleotid-Polymorphismen der humanen Leukozytenantigene
HLA-DP mit der PR3-AAV und HLA-DQ mit der MPO-AAV
identifiziert. Außerdem wurden bei der PR3-AAV
Einzelnukleotid-Polymorphismen im Bereich der PR3 und Alpha-1-Antitrypsin
kodierenden PRTN und SERPINA1 Genloci nachgewiesen [15]. Darüber hinaus wurden
epigenetische Faktoren, wie eine verminderte DNA-Methylierung bei der Regulation
der MPO und PR3-Transkription mit der AAV in Verbindung gebracht [16]. Die zum Toleranzverlust
gegenüber der von Neutrophilen und Monozyten exprimierten PR3 und MPO
führenden Faktoren sind nicht abschließend geklärt,
jedoch wird ein Einfluss von Infektionen und/oder anderen Umweltfaktoren
sowie Störungen der Apoptose und anderer Zelltodformen von Neutrophilen
vermutet [2]
[12]
[13]
[14]
[17]
[18]. Voraussetzung für die GPA und MPA ist eine zum
Toleranzverlust führende immunogene Präsentation der PR3 und MPO
[18]. Eine intrinsische Dysregulation
der Apoptose von neutrophilen Granulozyten mit erhöhter PR3
Membranexpression und deren Beseitigung durch Makrophagen (Efferozytose) mit
konsekutiver Zytokinfreisetzung wurde bei der GPA in vitro und in
vivo nachgewiesen [2]
[17]
[19]. Zudem induzieren Zytokine wie der Tumor-Nekrose-Faktor-alpha
(TNF-α) und Interleukin (IL)-1 und das Anaphylatoxin C5a eine
verstärkte Translokation von PR3 und MPO aus azurophilen Granula im
Zellinneren auf die Zelloberfläche neutrophiler Granulozyten [2]
[3]
[12]
[13]
[14]
[18]. Die ineffiziente
Clearance von apoptotischen Neutrophilen führt zur sekundären
Nekrose mit Freisetzung von Gefahrensignalen, sogenannten Damage-associated
molecular patterns (DAMP) wie dem Chromatin-assoziierten Alarmin
High-mobility group box 1 protein (HMGB1), das als endogenes Adjuvans
zum Toleranzverlust durch immunogene Autoantigenpräsentation
beiträgt [20]
[21]. Schließlich werden durch
ANCA-induzierte Nekroptose und NETose die Autoantigenpräsentation,
Komplementfaktoraktivierung und Endothelschädigung noch weiter
verstärkt [2]
[3]
[12]
[18]
[22]. In den entzündlichen
Gewebsläsionen im oberen Respirationstrakt und der Niere spiegelt die
Ausbildung von ektopen lymphatischen Strukturen mit in situ
PR3-ANCA-produzierenden B-Zellen und Plasmazellen den Toleranzverlust und die
Aufrechterhaltung der chronischen immunpathologischen Autoimmunantwort in
ektopen lymphatischen Strukturen neben den sekundären lymphatischen
Organen wieder [2]
[12]
[13]
[14]
[23]. Eine Dysbalance zwischen
regulatorischen und Effektor-T-Zellen mit einer Vermehrung zirkulierender
Effektor-T-Zellpopulationen mit einem erhöhten Anteil an zirkulierenden
T-Helferzellen (Th) vom Typ 1 und Th17 und eine in situ Akkumulation von
Effektor-T Zellen trägt zusammen mit der Ausbildung ektoper
lymphatischer Strukturen zur Perpetuierung des Toleranzverlusts und der
chronischen Entzündung bei [2]
[3]
[12]
[13]
[14].
PR3- und MPO-ANCA binden unter der Einwirkung von Zytokinen und dem Anaphylatoxin
C5a an membranständige PR3 und MPO auf der Zelloberfläche von
neutrophilen Granulozyten und induzieren in vitro und in vivo eine
Adhäsion der Neutrophilen am Endothel. Zur vollständigen
ANCA-induzierten Neutrophilenaktivierung ist die Bindung sowohl des
Fab-Fragmentes als auch des Fc-Teils der ANCA erforderlich. Die ANCA-induzierte
vorzeitige – und damit hoch pathologische – intravasale
endothelnahe Aktivierung und Degranulierung der Neutrophilen mit Freisetzung von
Enzymen und reaktiven Sauerstoffspezies führt zur
Endothelschädigung, weiterer Leukozytenakkumulation und
schließlich Organschädigung. [2]
[3]
[12]
[13]
[14]
[18]. Ähnlich der
Vaskulitisinduktion durch ANCA-aktivierte Neutrophile soll die
extravaskuläre Granulomatose bei der GPA einer Hypothese zufolge durch
eine extravaskuläre ANCA-induzierte Aktivierung und Degranulierung von
im Gewebe ortsständigen Neutrophilen induziert werden [18]. Untersuchungen von Tiermodellen legen
jedoch nahe, dass sich die Pathogenese der granulomatösen Läsion
von der der Vaskulitis bei der GPA unterscheidet [24]. Bei der GPA gehen eine reduzierte
Motilität der nasalen epithelialen Zilien, verminderte Produktion von
humanem Beta Defensin-3 (hBD-3) und ein aberrantes Zytokin-Expressionsmuster
nasaler Epithelzellen mit einer gestörten mukoziliären
Clearance, mikrobiellen Dysbiose (Staphylococcus aureus, Haemophilus
influenzae) einher und prädisponieren zur granulomatösen
Entzündung im Respirationstrakt [2]
[12]
[13]
[14]
[25]. Die chronische nasale
S. aureus Besiedlung ist mit der endonasalen
Entzündungsaktivität und einer erhöhten Rezdivrate bei
der GPA assoziiert [2]
[3]
[12]
[13]
[14]
[26].
Klinik und Diagnostik
Die Mehrzahl der Patienten mit einer GPA und MPA ist von einer Beteiligung des
Respirationstrakts und/oder der Niere betroffen bis hin zur Entwicklung
eines pulmo-renalen Syndroms mit pulmonaler Kapillaritis und alveolärer
Hämorrhagie sowie rapid-progressiver Glomerulonephritis. Prodromi wie
allgemeine Schwäche, Arthralgien und Myalgien – sowie bei der
GPA Rhinitis und/oder Sinusitis – gehen dem pulmo-renalen
Syndrom häufig Wochen bis Monate voraus. Aufgrund der systemischen Natur
der AAV kann jedes Organ von der Erkrankung betroffen sein. Daher weisen die GPA
und MPA neben bestimmten phänotypischen Eigenheiten wie die Neigung zu
kavitierenden intrapulmonalen Läsionen bei der GPA eine Reihe von
gemeinsamen klinischen Manifestationen und Merkmalen wie beispielsweise die
häufige Mitbeteiligung peripherer Nerven mit Polyneuropathie oder
Mononeuritis multiplex auf [2]
[3]
[13]
[14]
[27]
[28]. Etwa 80–90% der Patienten mit einer GPA und MPA
sind von einer generalisierten Erkrankung mit Organ- und lebensbedrohenden
Manifestationen betroffen. Bei weniger als 10% der Patienten ist die
Erkrankung als lokalisierte Form auf den oberen und/oder unteren
Respirationstrakt beschränkt, insbesondere bei GPA, oder es liegt eine
auf ein anderes Organ oder wenige andere Organe beschränkte limitierte
Verlaufsform vor, beispielsweise als renal-limitierte, meist MPO-ANCA positive
AAV oder als – ebenfalls meist MPO-ANCA positive – isolierte
pulmonale interstitielle Lungenerkrankung bzw. Lungenfibrose [2]
[3]
[13]
[14]. Eine Progression von einer
lokalisierten GPA zu einer generalisierten GPA ist selten und wurde bei weniger
als 10% der Patienten mit einer lokalisierten GPA beobachtet [29]. Bei der GPA sind der obere
Respirationstrakt (granulomatös-nekrotisierende Rhinosinusitis
und/oder Vaskulitis), die Lunge (granulomatös-nekrotisierende
Entzündung und/oder neutrophile Kapillaritis mit
hämorrhagischer Alveolitis), Nieren (fokal-segmental nekrotisierende
pauci-immune Glomerulonephritis), Gelenke (Arthralgien, Arthritis), Augen
(Episkleritis), Haut (leukozytoklastische Vaskulitis) und das periphere
Nervensystem häufig betroffen [2]
[3]
[27]
[30]. Rezidive treten bei der GPA häufiger als bei der MPA auf
[31]. Prädilektionsorte bei
der MPA sind vorwiegend die Nieren (nekrotisierende pauci-immune
Glomerulonephritis) und Lunge (neutrophile Kapillaritis mit
hämorrhagischer Alveolitis, bei ca. 10% Fibrose), gefolgt vom
peripheren Nervensystem, der Skelettmuskulatur, dem Gastrointestinaltrakt und
der Haut (leukozytoklastische Vaskulitis) [2]
[3]
[28]
[30]. [Tab. 2] gibt die
Häufigkeit verschiedener klinischer Manifestationen und von PR3- und
MPO-ANCA bei der GPA und MPA wieder [3]
[27]
[28].
Tab. 2 Häufigkeit von klinischen Manifestationen
und ANCA bei der GPA und MPA in Prozent [3]
[27]
[28].
Organmanifestation
|
Granulomatose mit Polyangiitis (GPA), n=445
|
Mikroskopische Polyangiitis (MPA), n=144
|
Oberer Respirationstrakt
|
91
|
2
|
Unterer Respirationstrakt
|
65
|
52
|
Niere
|
53
|
81
|
Muskuloskelettal
|
62
|
83
|
Gastrointestinal
|
4
|
5
|
Herz
|
8
|
8
|
Haut
|
7
|
18
|
Periphere Nerven
|
42
|
42
|
ZNS
|
11
|
4
|
PR3-ANCA
|
>90
|
<5
|
MPO-ANCA
|
<5
|
65
|
ANCA-negativ
|
<5
|
>30
|
n=Zahl der in die Studie eingeschlossenen Patienten.
Die aktualisierten EULAR Management- und Therapieempfehlungen weisen darauf hin,
dass AAV seltene, heterogene, potentiell Organ- und lebensbedrohende
Erkrankungen sind, die eine multidisziplinäre Betreuung in Zentren mit
hinreichender Vaskulitis-Expertise bzw. Zugang zu dieser Expertise erfordern
[4]. Da die AAV rasch progredient
verlaufen und zu schwerwiegenden Organschäden bis hin zum Tod
führen kann, rechtfertigt der Verdacht auf das Vorliegen einer AAV eine
umgehende zielgerichtete Diagnostik einschließlich des
differentialdiagnostischen Ausschlusses konkurrierender oder zusätzlich
vorliegender Erkrankungen wie Infektionen oder Tumorleiden. Abhängig von
der klinischen Symptomatik soll ein gezieltes Organ-Staging und eine
Aktivitätsbestimmung erfolgen. Hierzu gehören bei
Erstmanifestation oder Rezidiv einer AAV eine vollständige
körperliche Untersuchung einschließlich einer neurologischen
Untersuchung, Labordiagnostik mit Bestimmung von Entzündungsparametern,
Nierenretentionsparametern, Transaminasen und Cholestase-Parametern, ANCA und
unter differentialdiagnostischen Aspekten ANA, dsDNS Antikörper, ENA,
Anti-glomeruläre Basalmembran-Antikörper und Rheumafaktor,
Komplementfaktoren C3 und C4 sowie abhängig von der Symptomkonstellation
infektionsserologische Untersuchungen (Blutkulturen, HBV, HCV, HIV), eine
Urindiagnostik einschließlich Urinsediment und Urinprotein-Analytik,
EKG, Echokardiographie, Abdomen-Sonographie, Lungenfunktionsuntersuchung,
Röntgen- oder CT-Thorax, Bronchoskopie und broncho-alveoläre
Lavage (BAL), kraniale Magnetresonanz-Tomographie (MRT) einschließlich
der Abbildung von Nasennebenhöhlen und Orbitae sowie Elektroneuro- und
-myographie (ENG, EMG). Die weiterführende Diagnostik hängt von
der klinisch führenden Beschwerdesymptomatik und den in Frage kommenden
Differentialdiagnosen ab, wobei jedem Symptom nachgegangen werden soll. Zum
Ausschluss einer paraneoplastischen Vaskulitis ist ggf. eine
Tumorausschlussdiagnostik angezeigt. Die Diagnosestellung erfolgt in
Zusammenschau der klinischen, laborchemischen, apparativen sowie bildgebenden
und bioptischen Befunde [2]
[3]
[32].
Zur ANCA-Testung sollen entsprechend der 2017 revidierten internationalen
Konsensus-Empfehlungen und der aktualisierten EULAR Management- und
Therapieempfehlungen hochwertige antigenspezifische Immunoassays für die
PR3- und MPO-ANCA Bestimmung im Blut als primäre Screening-Methode
für Patienten mit begründetem Verdacht auf eine AAV eingesetzt
werden [4]
[33]. Bei AAV-Verdacht ist eine Immunfluoreszenz-Testung (IFT) auf
Ethanol- und Formalin-fixierten Neutrophilen zur Detektion von ANCA mit
zytoplasmatischer oder perinukleärer IFT (C-ANCA bzw. P-ANCA) nicht
erforderlich, weil die Qualität der antigenspezifischen Enzyme-linked
immunosorbent assays (ELISA) zur PR3- und MPO-ANCA Detektion verbessert
und neue Technologien eingeführt wurden. Daher wird die IFT bei
hinreichend hoher Vortest-Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer
AAV, d. h. bei begründetem AAV-Verdacht wie
beispielsweise das Vorliegen eines pulmo-renalen Syndroms als Screening-Test
nicht mehr als Methode mit zusätzlichem Nutzen erachtet. Ein zweiter
antigenspezifischer Immunoassay oder eine IFT kann bei initial negativen
Ergebnissen bei Patienten mit hohem klinischem Verdacht auf eine AAV in Betracht
gezogen werden, um die Sensitivität zu erhöhen oder um bei
niedriger Antikörper-Konzentration die Spezifität zu
erhöhen [33]. PR3-ANCA sind
hochspezifisch mit dem Vorliegen einer GPA assoziiert. Sie werden bei
generalisierter GPA in mehr als 90% der Fälle nachgewiesen,
während bei der MPA in 60–70% der Fälle ein
MPO-ANCA detektiert werden. Bei weniger als 5% der Patienten liegt ein
divergentes klinisch-serologisches Profil vor mit Nachweis von MPO-ANCA bei GPA
und vice versa PR3-ANCA bei MPA. Bei der seltenen, auf den
Respirationstrakt beschränkten lokalisierten GPA wird ein ANCA-Nachweis
im Blut nur in etwa der Hälfte der Fälle geführt. Ebenso
gelingt die ANCA-Bestimmung bei einem Teil der auf ein oder wenige Organe
limitierten AVV-Verlaufsformen seltener als bei der generalisierten AAV [2]
[3]
[5]
[6]
[33].
Eine histologische Diagnosesicherung soll durch eine Biopsie eines betroffenen
Organs angestrebt werden. Die histologische Diagnosesicherung soll jedoch nicht
zu einer Verzögerung des Therapiebeginns führen [4]. Biopsien aus dem HNO-Trakt weisen
häufig unspezifische chronisch entzündliche
Veränderungen auf. Transbronchiale Biopsien können ebenfalls
diagnostisch wegweisend sein. Zur histopathologischen Trias der GPA
zählen die extravaskuläre granulomatöse
Entzündung, landkartenartige Nekrosen und die nekrotisierende
Kleingefäßvaskulitis [2]
[13]
[14]
[30]. In der Mehrzahl der Fälle sind jedoch nicht alle drei
Kriterien in einer Biopsie vorhanden, insbesondere bei der lokalisierten GPA
[29]
[30]. Nierenbiopsien kommt insbesondere beim Vorliegen vergleichsweise
spezifischer Veränderungen wie einer pauci-immunen, fokal-segmentalen
nekrotisierenden Glomerulonephritis mit Halbmondbildung eine hohe diagnostische
Bedeutung zu [2]
[3]
[13]
[14]
[30]. Die GPA und MPA weisen
ähnliche histopathologische Veränderungen in der Niere auf. Bei
der GPA ist die Zahl der normalen Glomeruli in der Regel jedoch höher
als bei der MPA, und es liegt ein geringeres Ausmaß an Glomerulosklerose
und interstitieller Fibrose vor. Dies erklärt die im Vergleich zur MPA
höhere Rate in Bezug auf die Wiedererlangung der Nierenfunktion und
Funktionsbesserung bei Patienten mit einer GPA [34]. Den Ergebnissen der Nierenbiopsie kommt zudem eine prognostische
Aussagekraft hinsichtlich des Risikos einer terminalen Nierenerkrankung zu. Zur
Risikoabschätzung für die Entwicklung einer terminalen
Nierenerkrankung wurden verschiedene renale Scores entwickelt, wobei die renale
Prognose vom Grad der Glomerulosklerose, interstitiellen Fibrose und
tubulären Atrophie abhängt [34]
[35]
[36]. In Hautbiopsien kommt bei der GPA und
MPA meist eine leukozytoklastische Vaskulitis zur Darstellung. Bei Neuauftreten
einer Polyneuropathie oder Mononeuritis multiplex kann eine Nervenbiopsie zum
Nachweis der zugrunde liegenden Kleingefäßvaskulitis beitragen
[2]
[3]
[13]
[14]
[30]. Durch die Diagnostic and Classification Criteria in
Vasculitis Study (DCVAS)-Gruppe wurden die 2022 American College of
Rheumatology/European Alliance of Associations of
Rheumatology (2022 ACR/EULAR)-Klassifikationskriterien
für die GPA ([Tab. 3]) und MPA
([Tab. 4]) erarbeitet und für
Studienzwecke validiert [37]
[38].
Tab. 3 ACR/EULAR Klassifikationskriterien
für die GPA (Spezifität 93,8%,
Sensitivität 92,5%) [37].
Die Anwendung der Klassifikationskriterien setzt die Diagnose
einer Vaskulitis kleiner oder mittelgroßer
Gefäße voraus. Ähnliche
Krankheitsbilder, die eine Vaskulitis imitieren, sollen
vorab differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
|
Klinische Kriterien
|
Nasale Beteiligung: Blutiger Schnupfen, Ulzerationen, Borken,
Verstopfung, oder Septum-Defekt bzw. -Perforation
|
+3
|
Knorpel Beteiligung (Entzündung des nasalen oder
Ohr-Knorpels, Heiserkeit oder Stridor, endobronchiale
Beteiligung, oder Sattelnasen-Deformität)
|
+2
|
Schallleitungs- oder Innenohr-Schwerhörigkeit
|
+1
|
Labor, Bildgebung und Biopsie-Kriterien
|
Positiver Test auf C-ANCA oder PR3-ANCA
|
+5
|
Pulmonale Noduli, Raumforderung, oder Kavitation in der
thorakalen Bildgebung
|
+2
|
Granulome, extravaskuläre granulomatöse
Entzündung, oder Riesenzellen in der Biopsie
|
+2
|
Entzündung, Verstopfung, oder Sekretion
nasal/paranasale Sinus, oder Mastoiditis in der
Bildgebung
|
+1
|
Pauci-immune Glomerulonephritis in der Biopsie
|
+1
|
Positiver Test auf P-ANCA oder MPO-ANCA
|
-1
|
Blut-Eosinophilie
≥1×109/Liter
|
-4
|
Die Punktzahl aus den 10 Items wird, soweit vorliegend,
summiert. Für die Klassifikation als GPA ist
eine Punktzahl von ≥5 erforderlich.
|
Tab. 4 ACR/EULAR Klassifikationskriterien
für die MPA (Spezifität 94,2%,
Sensitivität 90,8%) [38].
Die Anwendung der Klassifikationskriterien setzt die Diagnose
einer Vaskulitis kleiner oder mittelgroßer
Gefäße voraus. Ähnliche
Krankheitsbilder, die eine Vaskulitis imitieren, sollen
vorab differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden.
|
Klinische Kriterien
|
Nasale Beteiligung: Blutiger Schnupfen, Ulzerationen, Borken,
Verstopfung, oder Septum-Defekt bzw. -Perforation
|
−3
|
Labor, Bildgebung und Biopsie-Kriterien
|
Positiver Test auf P-ANCA oder MPO-ANCA
|
+6
|
Fibrose oder interstitielle Lungenerkrankung in der
thorakalen Bildgebung
|
+3
|
Pauci-immune Glomerulonephritis in der Biopsie
|
+3
|
Positiver Test auf C-ANCA oder PR3-ANCA
|
−1
|
Blut-Eosinophilie
≥1×109/Liter
|
−4
|
Die Punktzahl aus den 6 Items wird, soweit vorliegend,
summiert. Für die Klassifikation als MPA ist
eine Punktzahl von ≥5 erforderlich.
|
Der Birmingham Vasculitis Activity Score (BVAS, aktuelle Version: V3.0)
wird als validiertes klinisches Tool zur Quantifizierung der
Krankheitsaktivität bei Vaskulitiden wie der GPA und MPA herangezogen.
Der BVAS V3.0 ist ein zusammengesetzter Score, der 56 klinische Merkmale aus 9
Organsystemen mit einer dem Schweregrad entsprechenden Punktzahl bewertet.
Voraussetzung ist, dass die jeweilige Manifestation der aktiven Vaskulitis
zuzuschreiben ist und konkurrierende Ursachen ausgeschlossen wurden. Bestimmte
Items wie das Vorliegen einer alveolären Hämorrhagie,
rapid-progressiven Glomerulonephritis oder Mononeuritis multiplex werden im BVAS
V3.0 als Major-Items mit hoher Punktzahl den Minor-Items wie beispielsweise
Arthralgien oder Myalgien mit niedrigerer Punktzahl gegenübergestellt.
In Therapiestudien dient die Zahl an Major- und Minor-Items häufig der
Definition der Krankheitsschwere und damit als ein wichtiges
Einschlusskriterien. Die aktuelle BVAS-Version wertet außerdem, ob eine
Manifestation neu ist oder sich verschlechtert hat, oder ob es sich um eine
anhaltende Symptomatik handelt [39]. Die
Krankheitsausdehnung kann mit dem Disease Extent Index (DEI) beschrieben
werden mit Kennzeichnung der betroffenen Organsysteme nach der
ELK-Klassifikation, wobei E für die englische Bezeichnung
für den HNO-Trakt steht (Ear, Nose, Throat), L für Lunge
(Lung), K für Niere (Kidney) und so weiter [40]
[41]. Der Vasculitis Damage Index (VDI), schließlich,
dient der Erfassung von Vaskulitis-bedingten Organschäden seit der
Erstmanifestation der Vaskulitis. Als Schädigung wird hierbei eine
länger als 3 Monate andauernde irreversible Veränderung
definiert. Der VDI ist ein kumulativer Index mit einem ungewichteten
Scoring-System mit 64 Items aus 11 Organsystemen [42].
Therapie
Die Therapie von Patienten mit einer AAV sollte, wie oben im Abschnitt zur
Diagnostik erwähnt, in Zentren mit hinreichender Vaskulitis-Expertise
bzw. Zugang zu dieser Expertise und der Möglichkeit einer
multidisziplinären Betreuung erfolgen [4]. Therapieziel ist das Erreichen einer klinischen Remission
innerhalb von 3 Monaten, definiert als Abwesenheit von
Krankheitsaktivität (BVAS V3.0=0), und eine Reduktion der
täglichen Glukokortikoid-Dosis auf 5 mg
Prednisolonäquivalent innerhalb von 4–5 Monaten unter einer
stabilen Glukokortikoid-sparenden immunsuppressiven Therapie. Späte
Remissionen, Frührezidive und refraktäre Verläufe gehen
mit einer schlechteren Prognose einher [3]. Zur Remissionsinduktion bei Patienten mit einer Erstmanifestation
oder einem Rezidiv einer GPA oder MPA mit Organ- und lebensbedrohenden
Manifestationen raten die aktualisierten EULAR-Empfehlungen eine Kombination
eines Glukokortikoids mit dem B-Zell-depletierenden Anti-CD20 Antikörper
Rituximab oder dem zytostatischen Immunsuppressivum Cyclophosphamid an. Bei
einem Rezidiv ist Rituximab der Vorzug zu geben ([Tab. 5]) [4]. Ob eine Kombinationstherapie mit Rituximab und Cyclophosphamid
bei Patienten mit einer schweren Nierenbeteiligung und/oder anderen
schweren Organmanifestationen der alleinigen Therapie mit Rituximab oder
Cyclophosphamid überlegen ist, kann aufgrund unterschiedlicher
Studiendesigns der hinsichtlich dieser Fragestellung relevanten Studien (RAVE,
RITUXVAS, CycLowVas) nicht abschließend beurteilt werden [43]
[44]
[45]. Während
Patienten mit einer schweren Nierenbeteiligung von der RAVE-Studie
ausgeschlossen waren, erhielten Patienten mit schwerer Nierenbeteiligung in der
RITUXVAS-Studie zusätzlich zur wöchentlichen
intravenösen Rituximab-Gabe über 4 Wochen zum ersten und dritten
Rituximab-Bolus eine intravenöse Cyclophosphamid-Infusion [43]
[45]. In der RAVE-Studie war die Remissionsinduktion mit Rituximab
über 4 Wochen einer oralen Cyclophosphamid-Therapie mit
anschließender Azathioprin-Gabe bis zum Monat 18 nicht unterlegen [31]
[44]. In der RITUXVAS-Studie wurden in beiden Therapiegruppen
(intravenöse Rituximab/Cyclophosphamid-Kombination über
4 Wochen versus Cyclophosphamid-Infusion mit anschließender
oraler Azathioprin-Gabe) gleiche Remissionsraten erzielt [43]. Die Evidenz für die
Wirksamkeit der Rituximab-Therapie für die Therapie von schweren
Krankheitsverläufen und Rezidiven einer GPA und MPA bezog sich zum
Zulassungszeitpunkt 2013 also auf eine Studie, in der die Effektivität
einer Rituximab/Cyclophosphamid-Kombinationstherapie – und nicht
die alleinige Gabe von Rituximab oder Cyclophosphamid – bei Patienten
mit schwerer aktiver Nierenbeteiligung und einer mittleren glomerulären
Filtrationsrate zwischen
10–20 ml/min/1,73m2 im Vergleich
zur Standardtherapie mit Cyclophosphamid und Azathioprin gezeigt wurde
(RITUXVAS-Studie) [43]
[46]. Die CycLowVas-Studie, bei der
Patienten mit einer GPA und MPA ebenfalls eine
Rituximab/Cyclophosphamid-Kombinationstherapie (zweimalige
intravenöse Rituximab-Gabe plus 6-malige niedrig-dosierte
Cyclophosphamid Gabe) erhielten, erlaubt aufgrund ihres monozentrischen Designs
und dem historischen Vergleich der Ergebnisse mit früheren European
Vasculitis Society (EUVAS)-Studien keine endgültigen
Schlüsse hinsichtlich der Effektivität der Kombinationstherapie
trotz der vergleichsweise niedrigeren Rezidivrate und niedrigerem Risiko
für eine terminale Nierenerkrankung in der Nachbeobachtung dieser Studie
[45].
Tab. 5 Aktualisierte EULAR Empfehlung zur
remissionsinduzierenden Therapie bei GPA und MPA [4].
EULAR Empfehlungen – 2022 Update
|
Organ- oder lebensbedrohliche Erkrankung
|
Nicht Organ- oder lebensbedrohliche Erkrankung
|
Empfohlen
|
-
Kombination von Glukokortikoid mit entweder RTX oder
CYC
-
Bei Rezidiv präferentiell RTX
-
Glukokortikoid-Anfangs-dosis 50–75 mg
Prednisolonäquivalent täglich;
Dosisreduktion auf 5 mg
Prednisolon-äquivalent täglich nach
4–5 Monaten
|
|
Zu erwägen
|
|
|
Kann erwogen werden
|
-
PLEX ab einem Kreatinin von>300
µmol/l infolge aktiver
Glomerulo-nephritis; keine Routineanwendung bei
alveolärer Hämorrhagie
-
Avacopan in Kombination mit RTX oder CYC als Teil
einer Glukokortikoid-sparenden
Therapie-strategie
|
|
CYC=Cyclophosphamid, PLEX=Plasmaseparation,
MMF=Mycophenolat Mofetil, MTX=Methotrexat,
RTX=Rituximab.
Auf Grundlage der PEXIVAS-Studie wird nach einer möglichen initialen,
hoch-dosierten intravenösen Methylprednisolon-Therapie (bis 1 g
täglich für 3 Tage) die Gabe einer Glukokortikoid-Anfangsdosis
von 50–75 mg Prednisolonäquivalent täglich
empfohlen mit schrittweiser Dosisreduktion auf 5 mg
Prednisolonäquivalent täglich nach 4–5 Monaten ([Tab. 5]) [4]
[47]. Das reduzierte
Glukokortikoid-Dosis Schema führt zu einer 50%-igen Reduktion
der kumulativen Glukokortikoid-Dosis in diesem Zeitraum im Vergleich zur
bisherigen Glukokortikoid-Standardtherapie bei gleicher therapeutischer
Effektivität ([Tab. 6]) [47]. Die RITAZAREM-Studie zeigte eine
ähnlich gute Wirksamkeit eines reduzierten Glukokortikoid-Dosis Schemas
im Vergleich zur bisherigen Glukokortikoid-Standardtherapie in der
Remissionsinduktion mit Rituximab bei einem Rezidiv einer GPA oder MPA [48]. Eine Plasmaseparation kann nach den
aktualisierten EULAR Empfehlungen bei einer aktiven Glomerulonephritis ab einem
Kreatinin-Wert>300 µmol erwogen werden [4]. In der Therapieleitlinie der
amerikanischen Fachgesellschaft und Patientenorganisation (American College
of Rheumatology, Vasculitis Foundation, ACR/VF) zur Therapie der
AAV aus dem Vorjahr wird ein Routineeinsatz der Plasmaseparation ebenfalls nicht
empfohlen [49]. Die bislang
größte multizentrische randomisiert-kontrollierte Studie bei
Patienten mit einer GPA oder MPA und schwerer Nierenbeteiligung infolge einer
aktiven Glomerulonephritis mit einer geschätzten glomerulären
Filtrationsrate
(eGFR)<50 ml/min/1,73m2 zeigte
keinen zusätzlichen Vorteil einer Plasmaseparation gegenüber dem
Verzicht auf eine Plasmaseparation in der Remissionsinduktion im Hinblick auf
die kombinierten primären Outcome-Parameter terminale Nierenerkrankung
oder Tod (PEXIVAS-Studie) [47]. Die
Subgruppen-Analyse ergab ebenfalls keinen zusätzlichen Vorteil der
Plasmaseparation in Bezug auf verschiedene Altersgruppen, die Schwere der
Nierenerkrankung, ANCA-Spezifität (PR3- versus MPO-ANCA), das
Remissionsinduktions-Schema (Rituximab versus Cyclophosphamid) und
hinsichtlich des Vorliegens einer alveolären Hämorrhagie [47]. In einer großen retrospektiven
monozentrischen Studie aus der Mayo-Klinik wurde ebenfalls kein
zusätzlicher Nutzen der Plasmaseparation in der Remissionsinduktion
für die Outcomes terminale Nierenerkrankung oder Tod und
alveoläre Hämorrhagie gezeigt [50]. Demgegenüber deutet eine Metaanalyse von 9 Studien
einschließlich der PEXIVAS-Studie auf eine mutmaßliche Reduktion
des Risikos für eine terminale Nierenerkrankung durch eine
Plasmaseparation innerhalb des ersten Jahres nach Diagnosestellung hin. Die
Risikoreduktion betrug bei Patienten mit einem moderaten bis hohen Risiko
für eine terminale Nierenerkrankung
(Kreatinin-Ausgangswert>300–500 µmol/l)
4,6% und bei Patienten mit einem hohen Risiko
(Kreatinin-Ausgangswert>500 µmol/l) 16,0%.
Gleichzeitig stieg das Risiko einer Infektion hierdurch in der Gruppe mit
moderatem bis hohes Risiko um 8,6% und mit hohem Risiko um
13,5%. Die Mortalität wurde nicht durch eine Plasmaseparation
gebessert und das Infektionsrisiko blieb nach dem ersten Jahr weiterhin
erhöht, während die Risikoreduktion für eine terminale
Nierenerkrankung nach dem ersten Jahr nicht mehr signifikant ausfiel [51]. Die Anzahl der notwendigen
Behandlungen (numbers needed to treat, NNT) liegt für die
Plasmaseparation in der Gruppe mit moderatem bis hohem Risiko bei 24, in der
Gruppe mit hohem Risiko bei 7 [4]. Die
Gabe des oralen allosterischen C5aR-Inhibitors Avacopan kann den aktualisierten
EULAR Empfehlungen in Kombination mit einer remissionsinduzierenden Rituxmab-
oder Cyclophosphamid-Therapie als Teil einer Glukokortikoid-sparenden
Therapiestrategie erwogen werden ([Tab.
5]) [4]. In der ADVOCATE-Studie
war die Avacopan-Gruppe der mit Prednison in ausschleichender Dosierung
behandelten Gruppe in Kombination mit einer remissionsinduzierenden Rituximab-
oder Cyclophosphamid-Therapie bei schwerer PR3- und MPO-AAV nach 26 Wochen
hinsichtlich des primären Endpunkts Remission nicht unterlegen und zum
Zeitpunkt der Woche 52 der Vergleichsgruppe sogar überlegen. Auch in
Bezug auf die sekundären Endpunkte Rezidiv-freies Überleben,
renale Funktionsbesserung und Lebensqualität war Avacopan der
Glukokortikoid-Therapie überlegen. Gleichzeitig traten im
Avacopan-Therapiearm weniger Glukokortikoid-assoziierte Nebenwirkungen auf.
Einschlusskriterien der ADVOCATE-Studie waren unter anderem eine neu
diagnostizierte und rezidivierende PR3- oder MPO-ANCA positive GPA oder MPA mit
Vorliegen von mindestens einem Major BVAS-Item oder drei Minor BVAS-Items oder
zwei renalen BVAS-Items und einer
eGFR>15 ml/min/1,73m2
[52].
Tab. 6 Glukokortikoid-Dosierungsschemata aus der
PEXIVAS-Studie [47].
Woche
|
Standardtherapie
|
Reduzierte Dosis
|
|
<50 kg
|
50–75 kg
|
>75 kg
|
<50 kg
|
50–75 kg
|
>75 kg
|
|
Bolus
|
Bolus
|
Bolus
|
Bolus
|
Bolus
|
Bolus
|
1
|
50
|
60
|
75
|
50
|
60
|
75
|
2
|
50
|
60
|
75
|
25
|
30
|
40
|
3–4
|
40
|
50
|
60
|
20
|
25
|
30
|
5–6
|
30
|
40
|
50
|
15
|
20
|
25
|
7–8
|
25
|
30
|
40
|
12,5
|
15
|
20
|
9–10
|
20
|
25
|
30
|
10
|
12,5
|
15
|
11–12
|
15
|
20
|
25
|
7,5
|
10
|
12,5
|
13–14
|
12,5
|
15
|
20
|
6
|
7,5
|
10
|
15–16
|
10
|
10
|
15
|
5
|
5
|
7,5
|
17–18
|
10
|
10
|
15
|
5
|
5
|
7,5
|
19–20
|
7,5
|
7,5
|
10
|
5
|
5
|
5
|
21–22
|
7,5
|
7,5
|
7,5
|
5
|
5
|
5
|
23–52
|
5
|
5
|
5
|
5
|
5
|
5
|
>52
|
Weitere Dosisreduktion nach lokaler Praxis- und
Klinik-Gepflogenheit
|
Bolus=0,5–1 g Methylprednisolon täglich
über maximal 3 Tage.
Bei nicht Organ- oder lebensbedrohlicher GPA und MPA wird eine Kombination von
Glukokortikoid mit Rituximab zur Remissionsinduktion empfohlen. Als Alternativen
zur Rituxmab-Therapie sind Methotrexat oder Mycophenolat Mofetil zu
erwägen ([Tab. 5]) [4]. In der RITAZAREM-Studie erwies sich die
Rituximab-Therapie zur Remissionsinduktion bei einem AAV-Rezidiv in den
verschiedenen Untergruppen mit und ohne Nierenbeteiligung oder HNO-Beteiligung
als gleichermaßen effektiv. Auch bestand kein Unterschied zwischen den
mit reduzierter Glukokortikoid-Dosis und den mit Standard-Glukokortikoid-Dosis
in Kombination mit Rituximab behandelten Patienten in den Untergruppen [48]. In der RAVE-Studie war die
Rituximab-Therapie zur Remissionsinduktion bei GPA und MPA im Vergleich zur
Cyclophosphamid- und Azathioprin-Therapie in der Untergruppe der Patienten ohne
Nierenbeteiligung gleichermaßen effektiv wie in der Untergruppe der
Patienten mit leichter bis mittelschwerer Nierenbeteiligung gewesen [31]. Einschränkend ist
hinzuzufügen, dass die Aussagekraft der genannten Subgruppenanalysen der
RITAZAREM und RAVE Studien aufgrund einer möglicherweise nicht
ausreichenden statistischen Teststärke (Power) als begrenzt einzuordnen
ist [31]
[48]. Im Vergleich zur RAVE- und RITAZAREM-Studie erhielten Patienten
in der früheren NORAM-Studie, in der eine remissionsinduzierende
MTX-Therapie mit Cylophosphamid bei nicht Organ- oder lebensbedrohlicher GPA und
MPA verglichen wurde, eine höhere kumulative Glukokortikoid-Dosis [53]. Zur Remissionserhaltung wird eine
Rituximab-Therapie für die Dauer von 24–48 Monaten empfohlen und
anschließend gegebenenfalls in individueller Abwägung und
Absprache mit dem Patienten fortgeführt. Als Alternativen kommt eine
Therapie mit Azathioprin oder Methotrexat in Betracht ([Tab. 7]) [4]. In der MAINRITSAN-1 Studie erwies sich die über 18 Monate
fortgeführte Gabe von Rituximab einer Azathioprin-Therapie in der
Remissionserhaltung als überlegen [54]. Ein an die periphere B-Zell Zahl und ANCA-Konzentration
angepasstes, individualisiertes Rituximab-Schema war im Hinblick auf das
Rezidiv-freie Überleben gleich effektiv wie die nach einem festen
Rituximab-Schema applizierte B-Zell depletierende Therapie mit Rituximab
(MAINRITSAN-2 Studie). Zu beachten ist jedoch, dass das individualisierte
Rituximab-Schema eine engmaschige, alle 3 Monate erfolgende Kontrolle der
peripheren B-Zell Zahl und ANCA-Konzentration erfordert [55]. Bereits bei einer beginnenden
peripheren B-Zell Repletion ab einer Zellzahl von>10/µl
steigt das Rezidivrisiko nach einer Rituximab-Therapie, d. h.
unterhalb des Normbereichs (90–600/µl), [56]. Eine über 48 Monate
fortgeführte Remissionserhaltung mit Rituximab ermöglicht ein
längeres Rezidiv-freies Überleben im Vergleich zur
Patientengruppe, bei der die remissionserhaltene Therapie nach 18 Monaten
beendet wurde (MAINRITSAN-3 Studie) [57].
Tab. 7 Aktualisierte EULAR Empfehlung zur
remissionserhaltenden Therapie bei GPA und MPA [4].
EULAR Empfehlungen – 2022 Update
|
Nach Remissionsinduktion mit RTX oder CYC
|
Empfohlen
|
|
Sollte erwogen werden
|
|
Kann erwogen werden
|
|
AZA=Azathioprin, CYC=Cyclophosphamid,
MTX=Methotrexat, RTX=Rituximab.
In der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh)
zur Diagnostik und Therapie der AAV werden Empfehlungen gegeben zur Anpassung
der Cyclophosphamid-Dosis an die renale Funktionsleistung und das Alter der
Patienten, zur Vitamin-D-Substitution bei Glukokortikoid-Gabe, Schutzimpfungen,
Erhalt der Fertilität und Familienplanung, Uroprotektion mit
2-Mercaptoethansulfonat-Natrium (Mesna) unter der Cyclophosphamid-Therapie,
Pneumocystis jirovecii-Prophylaxe mit Cotrimoxazol bei
Cyclophosphamid- und Rituximab-Therapie, sowie zur Erfassung von Risikofaktoren
für Infektionen mittels der Bestimmung von Differentialblutbild und
Immunglobulinspiegeln. Insbesondere bei erniedrigter Immunglobulin-Konzentration
und Neigung zu klinisch relevanten Infektionen sollte eine
Immunglobulinsubstitution in Erwägung gezogen werden [58].
Die GPA und MPA stellen aufgrund ihres chronisch-rezidivierenden Verlaufs,
der heterogenen klinischen Präsentation mit in der Regel schweren
Organ- und lebensbedrohenden Manifestationen und der Vaskulitis- und
Therapie-assoziierten Morbidität und Mortalität eine
klinische Herausforderung dar. Die aktualisierten EULAR Empfehlungen zum
Management und Therapie der AAV geben eine Orientierungshilfe
bezüglich der Therapieoptionen und -maßnahmen zur
Remissionsinduktion und -erhaltung.