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DOI: 10.1055/a-1967-1726
Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz der Frau. Leitlinie der DGGG, OEGGG und SGGG (S2k-Level, AWMF-Registernummer 015/091, Januar 2022)
Teil 1 mit Empfehlungen zu Diagnostik, konservativer und medikamentöser Therapie Article in several languages: English | deutsch- Zusammenfassung
- I Leitlinieninformationen
- II Leitlinienverwendung
- III Methodik
- IV Leitlinie
- 3 Bildgebende Diagnostik der weiblichen Harninkontinenz
Zusammenfassung
Ziel Im Dezember 2021 erschien die völlig überarbeitete interdisziplinäre S2k-Leitlinie für die Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientinnen mit einer Harninkontinenz (AWMF-Registernummer: 015-091) und fasst erstmals die früheren Leitlinien „Belastungsinkontinenz der Frau“, „Dranginkontinenz der Frau“ und die Leitlinie „Sonographie im Rahmen der urogynäkologischen Diagnostik“ zusammen. Die Koordination erfolgte durch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB).
Methoden Diese S2k-Leitlinie wurde durch einen strukturierten Konsens von repräsentativen Mitgliedern verschiedener Professionen im Auftrag der Leitlinienkommission der DGGG, OEGGG und SGGG entwickelt. Grundlage der vorliegenden Leitlinie ist die aktuelle Leitlinienversion „Urinary Incontinence in Adults“ der European Association of Urologie (EAU); zusätzlich wurden landesspezifische Punkte für das deutsche bzw. das österreichische und das Gesundheitswesen der Schweiz berücksichtigt.
Empfehlungen Die Kurzversion dieser Leitlinie beinhaltet Empfehlungen und Statements zur Epidemiologie, Ätiologie, Klassifikation, Symptomatik, Diagnostik und Therapie von Patientinnen mit einer Harninkontinenz. Spezifische Lösungsansätze für Diagnostik und konservative und medikamentöse Therapien werden für die unkomplizierte und komplizierte Harninkontinenz diskutiert.
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Schlüsselwörter
Leitlinie - Harninkontinenz - Belastungsinkontinenz - Dranginkontinenz - Beckenbodensonografie - konservative Therapie - medikamentöse TherapieI Leitlinieninformationen
Leitlinienprogramm der DGGG, OEGGG und SGGG
Informationen hierzu finden Sie am Ende der Leitlinie.
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Zitierweise
Diagnosis and Therapy of Female Urinary Incontinence. Guideline of the DGGG, OEGGG and SGGG (S2k-Level, AWMF Registry No. 015/091, January 2022). Part 1 with Recommendations on Diagnostics and Conservative and Medical Treatment. Geburtsh Frauenheilk 2023. doi:10.1055/a-1967-1726
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Leitliniendokumente
Die vollständige deutsche Langfassung und eine DIA-Version dieser Leitlinien sowie eine Aufstellung der Interessenkonflikte aller Autoren befinden sich auf der Homepage der AWMF: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-091.html
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Leitliniengruppe
Autor |
AWMF-Fachgesellschaft |
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Prof. Dr. med. Christl Reisenauer |
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) |
Priv. Doz. Dr. med. habil. Gert Naumann |
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) |
Autor/-in Mandatsträger/-in |
DGGG-Arbeitsgemeinschaft (AG)/AWMF/Nicht-AWMF-Fachgesellschaft/Organisation/Verein |
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PD Dr. med. Thomas Aigmüller |
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) |
Prof. Dr. med. Werner Bader |
Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) |
Prof. Dr. med. Ricarda Bauer |
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) |
Dr. med. Kathrin Beilecke |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
PD Dr. med. Cornelia Betschart |
Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) Schweizer Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Beckenbodenpathologie (AUG) |
Dr. med. Gunther Bruer |
Bundesverband der Frauenärzte |
Prof. Dr. med. Dr. phil. Thomas Bschleipfer |
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) |
PD Dr. med. Miriam Deniz |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Dr. med. Thomas Fink |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Prof. Dr. med. Boris Gabriel |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Roswitha Gräble |
Patientinnenvertreterin |
Prof. Dr. med. Matthias Grothoff |
Experte Radiologie |
Prof. Dr. med. Axel Haferkamp |
Deutsche Kontinenz-Gesellschaft |
Prof. Dr. med. Christian Hampel |
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) |
Ulla Henscher |
Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie (AG-GGUP) im Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK) |
Prof. Dr. med. Markus Hübner |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Dr. med. Hansjoerg Huemer |
Schweizer Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Beckenbodenpathologie (AUG) |
PD Dr. med. Jacek Kociszewski |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Prof. Dr. med. Dr. h. c. Heinz Kölbl |
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) |
Dr. med. Dieter Kölle |
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) |
Dr. med. Stephan Kropshofer |
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) |
Prof. Dr. med. Annette Kuhn |
Schweizer Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Beckenbodenpathologie (AUG) |
PD Dr. med. Gert Naumann |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Prof. Dr. med. Dr. phil. Matthias Oelke |
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) |
Prof. Dr. med. Ursula Peschers |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Dr. med. Oliver Preyer |
Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) |
Prof. Dr. med. Christl Reisenauer |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Prof. Dr. med. Daniela Schultz-Lampel |
Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) |
Prof. Dr. med. Karl Tamussino |
Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und rekonstruktive Beckenbodenchirurgie (AUB) |
Reina Tholen |
Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologie Geburtshilfe Urologie Proktologie (AG-GGUP) im Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK) |
Prof. Dr. med. Ralf Tunn |
Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion e. V. (AGUB) der DGGG |
Prof. Dr. med. Volker Viereck |
Schweizer Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Beckenbodenpathologie (AUG) |
Die folgenden Fachgesellschaften/Arbeitsgemeinschaften/Organisationen/Vereine haben Interesse an der Mitwirkung bei der Erstellung des Leitlinientextes und der Teilnahme an der Konsensuskonferenz bekundet und Vertreter dafür benannt ([Tab. 2]).
Die Moderation der Leitlinie wurde dankenswerterweise von Fr. Dr. Monika Nothacker (AWMF-zertifizierter Leitlinienberater/-moderator) übernommen.
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II Leitlinienverwendung
Fragestellung und Ziele
Die Leitlinie Harninkontinenz der Frau ist eine Zusammenstellung des aktuellen Wissensstandes und formaler Expertenkonsens im Hinblick auf Diagnostik und therapeutische Möglichkeiten als Orientierungskorridor für Ärztinnen und Ärzte, die diese Patientinnen behandeln.
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Versorgungsbereich
Die Leitlinie umfasst das gesamte Spektrum der Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientin mit einer Harninkontinenz und wurde für den ambulanten und den stationären Versorgungsbereich entwickelt. Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz gelten sowohl für die primärärztliche als auch für die spezialisierte Versorgung.
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Anwenderzielgruppe/Adressaten
Die Leitlinie bezieht sich auf die Therapie von erwachsenen Frauen und richtet sich an alle Ärzte und Angehörigen von Berufsgruppen, die mit der ambulanten und/oder stationären Versorgung sowie Rehabilitation von Patientinnen mit einer Harninkontinenz befasst sind.
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Verabschiedung und Gültigkeitsdauer
Die Gültigkeit dieser Leitlinie wurde durch die Vorstände/Verantwortlichen der beteiligten medizinischen Fachgesellschaften, Arbeitsgemeinschaften, Organisationen und Vereine sowie durch den Vorstand der DGGG, SGGG, OEGGG sowie der DGGG/OEGGG/SGGG-Leitlinienkommission im Dezember 2021 bestätigt und damit in ihrem gesamten Inhalt genehmigt. Diese Leitlinie besitzt eine Gültigkeitsdauer vom 01.01.2022 bis 31.01.2024. Diese Dauer ist aufgrund der inhaltlichen Zusammenhänge geschätzt. Bei dringendem Bedarf kann eine Leitlinie früher aktualisiert werden, bei weiterhin aktuellem Wissensstand kann ebenso die Dauer verlängert werden.
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III Methodik
Grundlagen
Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 1.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es wird zwischen der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden. Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen, erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe S2 in die systematische evidenzrecherchebasierte (S2e) oder strukturelle konsensbasierte Unterstufe (S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren.
Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S2k
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Empfehlungsgraduierung
Die Evidenzgraduierung nach systematischer Recherche, Selektion, Bewertung und Synthese der Evidenzgrundlage und eine daraus resultierende Empfehlungsgraduierung einer Leitlinie auf S2k-Niveau ist nicht vorgesehen. Es werden die einzelnen Statements und Empfehlungen nur sprachlich – nicht symbolisch – unterschieden ([Tab. 3]):
Beschreibung der Verbindlichkeit |
Ausdruck |
---|---|
starke Empfehlung mit hoher Verbindlichkeit |
soll/soll nicht |
einfache Empfehlung mit mittlerer Verbindlichkeit |
sollte/sollte nicht |
offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit |
kann/kann nicht |
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Statements
Sollten fachliche Aussagen nicht als Handlungsempfehlungen, sondern als einfache Darlegung Bestandteil dieser Leitlinie sein, werden diese als „Statements“ bezeichnet. Bei diesen Statements ist die Angabe von Evidenzgraden nicht möglich.
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Konsensusfindung und Konsensstärke
Im Rahmen einer strukturierten Konsenskonferenz nach dem NIH-Typ (S2k/S3-Niveau) stimmen die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen ab. Der Ablauf war wie folgt: Vorstellung der Empfehlung, inhaltliche Nachfragen, Vorbringen von Änderungsvorschlägen, Abstimmung aller Änderungsvorschläge. Bei Nichterreichen eines Konsens (> 75% der Stimmen) Diskussion und erneute Abstimmung. Abschließend wird abhängig von der Anzahl der Teilnehmer die Stärke des Konsens ermittelt ([Tab. 4]).
Symbolik |
Konsensstärke |
prozentuale Übereinstimmung |
---|---|---|
+++ |
starker Konsens |
Zustimmung von > 95% der Teilnehmer |
++ |
Konsens |
Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer |
+ |
mehrheitliche Zustimmung |
Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer |
– |
kein Konsens |
Zustimmung von < 51% der Teilnehmer |
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Expertenkonsens
Wie der Name bereits ausdrückt, sind hier Konsensentscheidungen speziell für Empfehlungen/Statements ohne vorige systemische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenzen (S2e/S3) gemeint. Der zu benutzende Expertenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien wie „Good Clinical Practice“ (GCP) oder „klinischer Konsensuspunkt“ (KKP). Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen wie bereits im Kapitel Empfehlungsgraduierung beschrieben ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik, sondern rein semantisch („soll“/„soll nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).
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IV Leitlinie
1 Einleitung
Die International Continence Society (ICS) definiert Harninkontinenz als jeglichen unfreiwilligen Urinabgang. Harninkontinenz gehört zu den häufigsten Krankheitsbildern in der allgemeinärztlichen Sprechstunde und stellt ein schwerwiegendes Gesundheitsproblem für Frauen aller Altersklassen dar. Eine zum Teil massive Beeinträchtigung der Lebensqualität geht mit physischen, psychischen, sozialen und auch ökonomischen Folgen für die Betroffenen einher.
Internationale Studien belegen eine Inzidenz von 13,1%, andere Metaanalysen variieren von 4,4 bis 44% (Mittel 23,5%). Harninkontinenz kann in jedem Lebensalter auftreten, wobei die Prävalenz und das Ausmaß der Harninkontinenz bei Frauen mit zunehmendem Alter ansteigen.
Auch für Deutschland existieren unterschiedliche Angaben. Nach einer statistischen Befragung aus dem Jahr 2005 nahm die Häufigkeit der Inkontinenz bei Frauen mit steigendem Alter deutlich zu: von 7,8% bei den 18- bis 40-Jährigen, 11,3% bei den 41- bis 60-Jährigen auf 27,1% bei den über 60-Jährigen. Damit berichteten insgesamt 15% der weiblichen Bevölkerung Inkontinenzbeschwerden.
Bei der weiblichen Harninkontinenz können aus pathophysiologischer Sicht verschieden Formen abgegrenzt werden:
-
Die Belastungsinkontinenz (früher Stressinkontinenz) zeigt einen unwillkürlichen Urinverlust bei körperlicher Anstrengung (z. B. Husten, Niesen, Sport) ohne Harndrang.
-
Die Dranginkontinenz (früher Urgency-Inkontinenz) wird durch einen unwillkürlichen Urinverlust bezeichnet, der von imperativem Harndrang begleitet ist oder diesem folgt. Dies kann mit einer oder ohne eine Detrusorüberaktivität auftreten.
-
Das übergeordnete Syndrom der überaktiven Blase (ÜAB) beinhaltet das Symptom imperativer Harndrang, der häufig mit Pollakisurie und Nykturie einhergeht sowie von einer drangbedingten Inkontinenz begleitet werden kann. Der Begriff darf nur bei Abwesenheit einer Harnwegsinfektion oder einer anderen Erkrankung mit Auswirkung auf den unteren Harntrakt verwendet werden.
-
Die Enuresis nocturna ist durch einen (unbemerkten) Urinverlust während des Schlafes (üblicherweise in der Nacht) charakterisiert.
-
Die Mischharninkontinenz beinhaltet die Symptome sowohl der Belastungs- als auch der Dranginkontinenz.
-
Eine Inkontinenz bei chronischer Harnretention (früher Überlauf-Inkontinenz) wird durch einen erhöhten Restharn verursacht, der durch eine Detrusorunteraktivität oder eine Blasenauslassobstruktion entstehen kann.
-
Eine neurogene Detrusorüberaktivität mit Harninkontinenz (früher Reflexinkontinenz) besteht aufgrund einer neurogen bedingten Detrusorüberaktivität bei Patientinnen mit einer bekannten neurologischen Erkrankung oder einem objektiven neurologischen Defizit (z. B. einer angeborenen oder erworbenen spinalen Schädigung oder neurologischer Erkrankungen wie der Parkinson-Erkrankung oder der Multiplen Sklerose).
-
Bei der extraurethralen Harninkontinenz findet sich ein stetiger vaginaler und/oder rektaler Urinverlust ohne Zusammenhang mit Drangsymptomen oder körperlicher Aktivität. Ursache sind hier Fistelbildungen oder ein ektop mündender Ureter.
-
Sonderformen der weiblichen Harninkontinenz können eine Lagerungsinkontinenz (unwillkürlicher Urinverlust in Verbindung mit einem Lagewechsel vom Sitzen oder Liegen), eine unbemerkte Harninkontinenz (wobei die betroffenen Frauen keinerlei Angaben zum Auftreten des Urinverlustes machen), eine Giggle-Inkontinenz (Urinverlust während des Lachens) oder eine koitale Harninkontinenz (Urinverlust während der Kohabitation durch Penetration und/oder Orgasmus) sein.
Bei der Behandlung der Belastungsharninkontinenz der Frau wird zwischen einer unkomplizierten und einer komplizierten Belastungsinkontinenz unterschieden.
Charakteristika der unkomplizierten Belastungsinkontinenz sind:
-
dominierende Symptome der Belastungsinkontinenz
-
keine Inkontinenz- oder ausgedehnte Senkungsoperationen in der Anamnese
-
keine neurologische Blasenfunktionsstörung
-
kein begleitender symptomatischer Genitalprolaps
-
abgeschlossene Familienplanung
Charakteristika einer komplizierten Belastungsinkontinenz sind:
-
vorangegangene frustrane Inkontinenzoperationen
-
vorangegangene Beckenbestrahlungen, die Scheiden- und oder Urethralgewebe betreffen
-
neurogene Blasenfunktionsstörungen
-
simultaner Genitalprolaps
-
nicht abgeschlossene Familienplanung
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2 Diagnostik
2.1 Anamnese und klinische Untersuchung
Die Erhebung einer ausführlichen und sorgfältigen Anamnese ist der erste und grundlegende Schritt bei der Abklärung der Harninkontinenz, auch wenn hierzu keine Evidenz existiert.
Die urogynäkologische Untersuchung soll in Steinschnittlage mit geteilten Spekula in Ruhe und beim Pressen erfolgen. Dabei soll auf Veränderungen des äußeren Genitales (Östrogenstatus, Vulvaatrophie, Lichen sclerosus et atrophicans etc.) und das Vorliegen einer genitalen Senkung (Deszensus, Prolaps) geachtet werden. Die direkte Beobachtung eines Urinaustrittes durch die Harnröhre im Rahmen des klinischen Hustenstresstests im Liegen oder Stehen, bei dem die Patientin aufgefordert wird, mi voller Blase zu husten, ist ein wichtiger Teil der Untersuchung. Eine Palpation der Beckenbodenmuskulatur mit Überprüfung der Kontraktionsfähigkeit ist eine essenzielle Untersuchung, die mithilfe des Oxford-Grading-Systems auch semiquantifiziert werden kann.
Konsensbasierte Empfehlung E2-01 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Abklärung der Harninkontinenz soll systematisch erfolgen und die Allgemeinanamnese, die urogynäkologische Anamnese, die körperliche Untersuchung und die Untersuchungs- und Behandlungserwartungen einschließen (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-02 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Es soll eine Anamnese des aktuellen Medikamentengebrauchs bei allen Patientinnen mit Harninkontinenz erstellt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-03 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Es sollten alle neuen Medikamente, die mit der Entstehung oder Verschlimmerung der Harninkontinenz in Zusammenhang stehen, überprüft werden (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-04 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Berücksichtigung sollen finden: Harnspeicherung, Blasenentleerung, Beschwerden nach der Miktion, Typ und Ausprägung der Inkontinenz sowie der Leidensdruck (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-05 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Zur Beurteilung der Kontraktionsfähigkeit des Beckenbodens kann der Oxford-Score verwendet werden (offene Empfehlung). |
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2.2 Patientenfragebogen
Es existieren zahlreiche Fragebogen, die Symptomscores, symptomorientierte Fragebogen, Skalen, Indices, Patient-reported Outcomes (PROMs) und die gesundheitsbezogene Erfassung der Lebensqualität behandeln. Letztere beide umfassen allgemeine oder speziell auf das jeweilige Problem bezogene Erfassungen. Sie sollten in der jeweiligen Sprache validiert sein.
Konsensbasierte Empfehlung E2-06 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Wenn eine standardisierte Erfassung erwünscht ist, soll ein validierter und adäquater Fragebogen benutzt werden (starke Empfehlung). |
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2.3 Blasentagebuch
Die Objektivierung der Ausprägung von funktionellen Beschwerden des unteren Harntrakts (lower urinary tract symptoms, LUTS) ist ein wesentlicher Schritt im Management von Frauen mit einer Abweichung der Blasenspeicherung und/oder -entleerung, inklusive Harninkontinenz. Das Blasentagebuch ist eine semiobjektive Methode zur Quantifizierung von Symptomen sowie der Häufigkeit von Inkontinenzepisoden.
Konsensbasierte Empfehlung E2-07 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Ein Miktionstagebuch (Blasentagebuch) soll bei Harninkontinenz geführt werden, wenn eine standardisierte Abklärung erforderlich ist (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-08 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Das Miktionstagebuch (Blasentagebuch) sollte über zumindest 3 Tage geführt werden (Empfehlung). |
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2.4 Vorlagenwiegetest (Pad-Test)
Die Messung des Urinverlustes durch Nutzung von abgewogenen Vorlagen über einen bestimmten Zeitraum unter protokollierten körperlichen Übungen kann die Anwesenheit und den Schweregrad einer Harninkontinenz sowie den Effekt einer Therapie aufzeigen. Ein Pad-Test kann die Diagnose Harninkontinenz akkurat stellen und den Urinverlust quantifizieren.
Konsensbasierte Empfehlung E2-09 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Es soll ein Pad-Test mit standardisierter Dauer und Übungsprotokoll genutzt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-10 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Wenn eine Quantifizierung der Harninkontinenz notwendig ist, sollte ein Vorlagen-Wiegetest genutzt werden (Empfehlung). |
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2.5 Urinanalyse und Harnwegsinfektion
Im Rahmen der Abklärung bei Harninkontinenz soll eine Urinuntersuchung (Streifentest, und ggf. eine Urinmikroskopie [Urin-Sediment] und Urinkultur) zum Ausschluss einer Infektion, aber auch einer Mikrohämaturie, Proteinurie oder Glukosurie routinemäßig erfolgen.
Das Vorliegen eines symptomatischen Harnwegsinfektes verschlechtert die Symptome einer Harninkontinenz und soll daher therapiert werden.
Konsensbasierte Empfehlung E2-11 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine Urinanalyse soll als initiale Untersuchung bei Patientinnen mit Harninkontinenz durchgeführt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-12 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei inkontinenten Patientinnen mit symptomatischem Harnwegsinfekt soll eine Re-Evaluation nach Therapie des Infektes erfolgen (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-13 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine asymptomatische Bakteriurie soll bei geriatrischen harninkontinenten Patientinnen nicht routinemäßig antibiotisch behandelt werden (starke Empfehlung). |
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2.6 Restharn
Restharn, die Urinmenge, die am Ende einer Miktion in der Blase verbleibt, kann unterschiedliche Ursachen haben. Sowohl der erhöhte Blasenauslasswiderstand als auch eine Detrusorschwäche (Detrusorhypo- bzw. -akontraktilität) – oder die Kombination aus beiden Störungen – können für die Restharnbildung verantwortlich sein. Restharn kann Inkontinenzsymptome verschlechtern und seltener mit Harnwegsinfekten oder einer Dilatation des oberen Harntrakts sowie einer Niereninsuffizienz einhergehen. Der Restharn kann mittels Einmalkatheterismus oder Sonografie bestimmt werden.
Konsensbasierte Empfehlung E2-14 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Restharnmenge soll sonografisch bestimmt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-15 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Restharnmenge soll bei Patientinnen mit Harninkontinenz und Miktionsschwierigkeiten bestimmt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-16 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Restharnmenge soll bei Patientinnen mit komplizierter Harninkontinenz bestimmt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-17 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Restharnmenge soll bei Patientinnen vor, unter laufender und nach einer Therapie bestimmt werden, die eine Blasenentleerungsstörung verursachen oder verschlechtern kann – inklusive Inkontinenzoperation (starke Empfehlung). |
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2.7 Urodynamik
Eine Diagnosestellung der Harninkontinenz alleine durch die Urodynamik ist nicht möglich und bedarf der Beurteilung im Kontext mit Symptomen und klinischen Befunden. Generell gilt, dass die klinische Symptomatik nicht zwingend mit den urodynamischen Befunden korreliert.
Eine routinemäßige urodynamische Untersuchung ist vor einer konservativen Therapie der unkomplizierten Belastungsinkontinenz und unbehandelten überaktiven Blase nicht indiziert und sollte nicht durchgeführt werden. Eine Urodynamik sollte aber bei unklaren Befunden und wenn die urodynamischen Befunde einen Einfluss auf die Therapieentscheidung haben könnten durchgeführt werden.
Aktuelle Studien belegen, dass bei Vorliegen einer unkomplizierten Belastungsinkontinenz eine präoperative Urodynamik weder einen Erfolg der OP noch mögliche Komplikationen vorhersagen kann. Häufig liegt jedoch keine unkomplizierte Belastungsinkontinenz vor, und in bis zu 60% ist die klinische Einschätzung nicht korrekt.
Bei komplizierter Belastungsinkontinenz, vor Rezidiveingriffen, bei V. a. Mischinkontinenz, bei V. a. neurogene Komponente, bei Diskrepanz zwischen klinischem Befund und Anamnese sowie bei Blasenentleerungsstörung sollte eine urodynamische Abklärung vor invasiver Therapie erfolgen, um die Therapieentscheidung zu unterstützen und die Patientin bestmöglich beraten zu können.
Konsensbasierte Empfehlung E2-18 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei Unklarheiten bei der Zuordnung der Symptomatik oder bezüglich der Pathophysiologie sollte eine urodynamische Untersuchung erfolgen (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-19 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine urodynamische Untersuchung soll nur durchgeführt werden, wenn aus den Ergebnissen eine therapeutische Konsequenz zu erwarten ist (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-20 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Vor jeder urodynamischen Untersuchung sollte ein Urinstatus zum Ausschluss einer Harnwegsinfektion erhoben und eine ggf. nachgewiesene Infektion zunächst behandelt werden (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-21 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine routinemäßige urodynamische Untersuchung ist vor einer konservativen Therapie der unkomplizierten Belastungsinkontinenz und unbehandelten überaktiven Blase nicht indiziert und sollte nicht durchgeführt werden (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-22 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei Patientinnen mit einer komplizierten Belastungsinkontinenz soll präoperativ eine Urodynamik durchgeführt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-23 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine Videourodynamik sollte nicht routinemäßig bei nicht neurogener Harninkontinenz durchgeführt werden (Empfehlung). |
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2.8 Urethrozystoskopie
Indikationen zu dieser weiterführenden Untersuchung sind:
-
positive Berufsanamnese hinsichtlich V. a. Urothelkarzinom der Harnblase
-
Mikro- und Makrohämaturie
-
positive Urinzytologie
-
rezidivierende Harnwegsinfekte
-
Blasenschmerzen
-
De-novo-Drangsymptomatik nach Inkontinenzoperationen
-
(Verdacht auf) eine Blasenentleerungsstörung
-
Z. n. erfolgloser konservativer Therapie (Physiotherapie, medikamentöse Therapie)
Konsensbasierte Empfehlung E2-24 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei Patientinnen mit einer komplizierten Belastungsinkontinenz sollte eine Urethrozystoskopie durchgeführt werden (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E2-25 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei Patientinnen mit therapierefraktärer Dranginkontinenz soll eine Urethrozystoskopie durchgeführt werden, um nicht eine andere Pathologie zu übersehen (starke Empfehlung). |
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3 Bildgebende Diagnostik der weiblichen Harninkontinenz
3.1 Sonografie
Der Ultraschall (US) ist in der Diagnostik der weiblichen Harninkontinenz das wichtigste bildgebende Verfahren mit der höchsten Aussagekraft und gleichzeitig universeller Einsetzbarkeit. Es existieren zahlreiche etablierte Anwendungsparameter ([Tab. 5]).
US-Scanner/Frequenzen |
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Introitussonografie Perinealsonografie |
Vaginalscanner mit 2 – 10 MHz Sektorscanner mit 5 – 9 MHz |
Pelvic-Floor-Sonografie |
Curved-Array-Scanner mit 3,5 – 5,0 MHz deren Kombination, Beurteilung aller Kompartimente |
Positionierung der Sonde Introitussonografie |
Introitusbereich (gute Auflösung bei geringstmöglichem Anpressdruck, orthograde Ausrichtung des Schallkopfes zur Körperachse) Scheideneingangsbereich |
Perinealsonografie Pelvic-Floor->Sonografie |
Introitusbereich Scanner muss variieren. Durch variables Eingehen, Rotieren oder Elevieren des Vaginalscanners besteht die Möglichkeit, die untersuchten Organe in 3 Ebenen (sagittal, frontal und axial) darzustellen. |
Untersuchungstechnik 2-D- oder 3-D-Technik |
2-D-Sonografie als Standard (Erfassung schneller Bewegungsänderungen), 3-D-Sonografie zur Darstellung des M. levator ani und M. sphincter ani |
Bilddarstellung |
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kranial – im Bild oben; kaudal – im Bild unten rechts – im Bild links, links – im Bild rechts ventral – im Bild rechts; dorsal – im Bild links (für Publikationen) |
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tomografisch errechnetes Bild in Transversalebene kranial – im Bild oben; kaudal – im Bild unten rechts – im Bild links, links – im Bild rechts ventral – im Bild rechts; dorsal – im Bild links (für Publikationen) Urethra oben, Rektum unten |
Untersuchungsposition |
Steinschnittlage in der Regel ausreichend |
Blasenfüllung |
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Auswerteparameter (deskriptiv) |
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Konsensbasierte Empfehlung E3-01 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Die Pelvic-Floor-Sonografie (Beckenbodensonografie) sollte im Rahmen der konservativen Therapie eingesetzt werden, um Behandlungsfortschritte und Biofeedback zu dokumentieren (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E3-02 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Präoperativ und postoperativ soll die Restharnmenge bestimmt werden, aufgrund der Nichtinvasivität sollte die Messung bevorzugt sonografisch erfolgen (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E3-03 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Pelvic-Floor-Sonografie sollte eingesetzt werden, um ein morphologisches Korrelat zu den klinischen Angaben zu erhalten und evtl. klinisch okkulte Risikofaktoren auszuschließen (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E3-04 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei unauffälligem Verlauf kann eine sonografische Lagekontrolle eingelegter Bänder und Netze erfolgen. Im Rahmen des Komplikationsmanagements soll die Ultraschalldiagnostik neben der klinischen Untersuchung primär angewendet werden (starke Empfehlung). |
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3.2 Voraussetzungen für die US-Diagnostik
Konsensbasierte Empfehlung E3-05 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Zur Ultraschalldiagnostik aller Kompartimente soll die 2-D-Ultraschalltechnik als Standard eingesetzt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E3-06 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die 3-D-Sonografie kann als ergänzendes Verfahren in der morphologischen Beurteilung der Levatoren und der Beckenorgane eingesetzt werden (offene Empfehlung). |
Untersuchungsposition
Konsensbasiertes Statement S3-01 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Eine generelle Empfehlung, welche Untersuchungsposition angewendet werden sollte, kann auf Basis der vorliegenden Studien nicht ausgesprochen werden. |
Konsensbasierte Empfehlung E3-07 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Untersuchungsposition der Patientin soll bei der Befundung im Rahmen von Studien immer angegeben werden (starke Empfehlung). |
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Blasenfüllung
Konsensbasierte Empfehlung E3-08 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Blasenfüllung sollte zur besseren Vergleichbarkeit und im Rahmen von Studien in der Inkontinenzdiagnostik bei ca. 300 ml liegen, weil die Blasenfüllung einen Einfluss auf die Darstellbarkeit des Trichters und die Position des Blasenhalses hat (Empfehlung). |
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Handhabung der Sonde
Konsensbasierte Empfehlung E3-09 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Ultraschalluntersuchung sollte mit möglichst geringem Anpressdruck erfolgen (Empfehlung). |
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Ultraschallsonden
Bei der Perinealsonografie verwendet man einen Curved-Array-Scanner, welcher im Introitus positioniert wird. Durch die breite Auflage des Scanners ist eine Orientierung relativ leicht möglich. Die verwendeten Ultraschallfrequenzen liegen in der Regel zwischen 3,5 und 5 MHz.
Bei der Introitussonografie wird ein Vaginalscanner verwendet, welcher ebenfalls im Introitusbereich positioniert wird. Die hierbei ausgesandten höheren Ultraschallfrequenzen liegen durchschnittlich bei 5 – 9 MHz.
#
Bilddarstellung
Bei der Bilddarstellung wird von der DEGUM sowie für Studien und Publikationen empfohlen, dass kraniale Strukturen oben und kaudale Strukturen unten dargestellt werden. Ventrale Strukturen sollen rechts und dorsale Strukturen links im Bild dargestellt werden. Im klinischen Alltag kann davon abgewichen werden.
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3.3 Sonomorphologie im Rahmen der Diagnostik der Harninkontinenz
Blasenfüllung
Die Messung der Blasenfüllung ist Voraussetzung für jede Untersuchung und sollte zu Anfang der Untersuchung erhoben werden. Die Restharnmenge ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium der einfachen Belastungsinkontinenz von der komplizierten Inkontinenz wie der Überlaufinkontinenz oder neurogenen Inkontinenz.
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Urethralänge
Konsensbasierte Empfehlung E3-10 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Die sonomorphologische Bestimmung der Urethralänge sollte präoperativ erfolgen, um die korrekte Platzierung eines Bandes zu planen (Empfehlung). |
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Position des Blasenhalses
Konsensbasierte Empfehlung E3-11 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Position des Blasenhalses sollte in 3 verschiedenen Zuständen geprüft werden: in Ruhe, bei Valsalva-Manöver und bei Beckenbodenkontraktion (Empfehlung). |
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Mobilität der Harnröhre
Die Mobilität der Harnröhre wird ausgemessen anhand der Position des Blasenhalses während der verschiedenen Bewegungszustände.
Konsensbasiertes Statement S3-02 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Die Beurteilung der Mobilität der Harnröhre dient der Identifikation von Pathologien wie hypermobile oder starre Urethra. Dies ist wichtig im Hinblick auf die Erfolgschancen einer operativen Intervention. |
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Funneling
Konsensbasiertes Statement S3-03 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Das typische sonomorphologische Korrelat einer Belastungsinkontinenz ist das sog. Funneling, welches die Trichterbildung der Harnröhre bei Belastung beschreibt. Ein Funneling kann aber auch bei instabiler Urethra oder bei überaktiver Blase gesehen werden. |
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Periurethrales Gewebe
Konsensbasierte Empfehlung E3-12 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Beurteilung des vorderen Kompartiments sollte das periurethrale Gewebe einschließen (Empfehlung). |
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Beurteilung der Blasenwand
Die Blasenwandhypertrophie infolge einer erhöhten Detrusorarbeit ist mit transvaginaler, translabialer oder suprapubischer Positionierung der Ultraschallsonde nachweisbar.
Konsensbasierte Empfehlung E3-13 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei Patientinnen mit Harndrangsymptomen sollte die Blasenwand sonografisch beurteilt werden, um lokale Pathologien als Ursache auszuschließen. Eine pathologisch verdickte Blasenwand ist weiter abklärungsbedürftig (Empfehlung). |
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Urogenitale Fisteln/ektoper Ureter
Konsensbasierte Empfehlung E3-14 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Pelvic-Floor-Sonografie kann zur Detektion von Harnröhren- bzw. Blasenwanddefekten, insbesondere im Rahmen der Fisteldiagnostik, ergänzend zur Anwendung kommen (offene Empfehlung). |
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3.4 Sonografie in der Diagnostik nach Inkontinenzoperation, Sonografie nach spannungsfreier Bandeinlage
Der Ultraschall stellt die Methode der Wahl dar bei der Diagnostik von Komplikationen nach einer suburethralen Schlingeneinlage. Die häufigsten Komplikationen sind eine De-novo-Dranginkontinenz, eine Blasenentleerungsstörung mit Restharn und ein unbefriedigendes Operationsergebnis. Eine Bandlage im proximalen Urethradrittel oder auf Höhe des Blasenhalses ist häufig mit einer Blasenentleerungsstörung, erhöhten Restharnmengen und der Notwendigkeit einer operativen Sanierung vergesellschaftet.
Konsensbasierte Empfehlung E3-15 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei postoperativer Blasenentleerungsstörung nach Bandeinlage soll eine inkorrekte Position bzw. eine retropubische/paravesikale Hämatombildung mittels Ultraschall ausgeschlossen werden (starke Empfehlung). |
Sonografie nach Kolposuspension
Die Stabilisierung des Blasenhalses durch Kolposuspension kann dargestellt werden. Eine postoperativ persistierende Hypermobilität des Blasenhalses kann mit einer Rezidivharninkontinenz korrelieren.
Konsensbasierte Empfehlung E3-16 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei postoperativer Blasenentleerungsstörung nach Kolposuspension sollte durch eine Ultraschalluntersuchung eine Überkorrektur ausgeschlossen werden (Empfehlung). |
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Sonografie nach Bulking Agents
Sonografisch ist eine Darstellbarkeit bezüglich Form und Lokalisation in der Literatur bestätigt. Die sonografische Beurteilung der Depots könnte bei der Klärung der Wirkprinzipien und Komplikationen hilfreich sein.
Konsensbasiertes Statement S3-04 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Sonografisch ist eine Darstellung von Bulking Agents bezüglich Morphologie, Größe und Lokalisation möglich. |
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3.5 Röntgenologische und kernspintomografische Diagnostik der weiblichen Harninkontinenz
Anatomisch setzt sich der Kontinenzmechanismus der Urethra vom Lumen nach außen zusammen aus dem Urothel, der Submukosa, der longitudinalen glatten Muskulatur, der zirkulären glatten Muskulatur, dem externen quergestreiften Sphinkter und der Serosa. Diese Strukturen lassen sich im MRT mit stetig verbesserter Bildqualität visualisieren.
Werden urogenitale Fehlbildungen als Ursache der Harninkontinenz vermutet, so ist die Becken-MRT unter Einschluss der Abbildung der oberen Harnwege die sensitivste Diagnostik mit dem höchsten Weichteilkontrast.
Konsensbasiertes Statement S3-05 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
In der Routinediagnostik der unkomplizierten Harninkontinenz hat die röntgenologische und kernspintomografische Diagnostik nur einen marginalen Stellenwert. |
Konsensbasierte Empfehlung E3-17 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
In ausgewählten Fällen einer kongenitalen oder postoperativen Harninkontinenz und unklarer klinischer sowie sonomorphologischer Diagnostik kann die röntgenologische bzw. die MR-Diagnostik als additive Bildgebung indiziert werden. |
[Abb. 1] zeigt den Algorithmus der Diagnostik, konservativen und operativen Therapie der verschiedenen Harninkontinenzformen.


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4 Konservative Therapie der Harninkontinenz
4.1 Einfache klinische Maßnahmen
In der klinischen Praxis ist es üblich, dass nichtchirurgische Therapien zuerst ausprobiert werden, da sie in der Regel das geringste Risiko eines Schadens mit sich bringen. Sie werden oft in Kombination verwendet, was es schwierig macht zu bestimmen, welche Komponenten wirksam sind. Inkontinenzvorlagen spielen insbesondere eine wichtige Rolle für Personen, die es vorziehen, die Risiken von interventionellen Behandlungen zu umgehen oder bei denen eine aktive Behandlung aus irgendeinem Grund unmöglich ist.
Grunderkrankung/kognitive Beeinträchtigung
Konsensbasierte Empfehlung E4-01 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Harninkontinenzpatientinnen, bei denen Begleiterkrankungen auftreten, sollen immer eine angemessene Behandlung dieser Erkrankung im Sinne guter medizinischer Praxis erhalten (starke Empfehlung). |
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Anpassung anderer (Nicht-Inkontinenz-)Medikamente
Bei Patienten mit bestehender Harninkontinenz, insbesondere bei älteren Menschen, kann es schwierig oder unmöglich sein, zwischen den verschiedenen Einflüssen, die Auswirkungen auf die Harninkontinenz haben könnten, sei es Medikation, Komorbidität oder Alterung, zu unterscheiden.
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Obstipation
Konsensbasierte Empfehlung E4-02 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Patientinnen mit Harninkontinenz, die ebenfalls an Obstipation leiden, sollen im Sinne von guter medizinischer Praxis über die Darmbehandlung beraten werden (starke Empfehlung). |
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Hilfsmittel
Hilfsmittel sind wichtig für Menschen mit Harninkontinenz, wenn eine aktive Behandlung das Problem nicht lösen kann oder wenn eine andere Therapie nicht möglich ist. Einige Personen ziehen möglicherweise Hilfsmittel einer aktiven Behandlung mit den damit verbundenen Risiken vor. Dies schließt die Verwendung von Inkontinenzvorlagen, Kathetern und externen Ableitungen ein.
Konsensbasierte Empfehlung E4-03 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Es soll sichergestellt werden, dass Patientinnen mit Harninkontinenz und/oder ihre Betreuer über die verfügbaren Behandlungsoptionen informiert werden, bevor sie sich allein für eine Hilfsmittel-Verwendung entscheiden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-04 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Es sollen Inkontinenzvorlagen und/oder andere Hilfsmittel für die Behandlung von Harninkontinenz angeboten werden (starke Empfehlung). |
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4.2 Lebensstilbezogene Interventionen
Beispiele für Lebensstilfaktoren, die mit Inkontinenz in Verbindung gebracht werden können, sind Adipositas, Rauchen, körperliche Aktivität und Ernährung. Eine Änderung dieser Faktoren kann auch die Harninkontinenz verbessern.
Konsensbasierte Empfehlung E4-05 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Übergewichtige oder adipöse Patientinnen mit Harninkontinenz sollen motiviert werden, ihr Körpergewicht zu reduzieren und ihr reduziertes Gewicht beizubehalten (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-06 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Patientinnen mit Harninkontinenz sollen darauf hingewiesen werden, dass eine Verringerung der Koffeineinnahme die Symptome imperativer Harndrang und Miktionshäufigkeit, nicht aber die Belastungsinkontinenz verbessern kann (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-07 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Art und Menge der Flüssigkeitsaufnahme bei Patientinnen mit Harninkontinenz soll überprüft und ggf. modifiziert werden (starke Empfehlung). |
Verhaltens- und Physiotherapie
Konsensbasierte Empfehlung E4-08 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Patientinnen mit Harninkontinenz und kognitiven Beeinträchtigungen soll eine Aufforderung zur Entleerung („prompted voiding“) angeboten werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-09 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Bei Patientinnen mit Dranginkontinenz oder Mischinkontinenz sollte Blasentraining als erste Therapie angewendet werden (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-10 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Beckenbodentraining soll Patientinnen mit Belastungsinkontinenz und Mischharninkontinenz (inkl. älterer Patientinnen und nach einer Geburt) angeboten werden. Es ist sinnvoll, die Beckenbodenkraft zu kontrollieren und das Training über mindestens 3 Monate durchzuführen (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-11 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Das Beckenbodentraining-Programm soll Krafttrainingsprinzipien beinhalten (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-12 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Elektrostimulation (Haut, vaginal, anal) kann zusätzlich zum Beckenbodentraining zur Behandlung von Harninkontinenz angewendet werden (offene Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-13 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Elektromagnetische Stimulation kann zur Behandlung von Harninkontinenz oder überaktiver Blase bei erwachsenen Frauen erwogen werden (offene Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-14 |
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---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Das klinisch dominante Symptom sollte bei Patientinnen mit Mischharninkontinenz als erstes behandelt werden (Empfehlung). |
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4.4 Lasertherapie bei Belastungsinkontinenz
Zahlreiche Übersichtsartikel und Leitlinien verschiedener Gremien kamen zum Schluss, dass die Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit trotz massiv verbesserter Datenlage in den letzten 2 Jahren noch unzureichend ist, um die Lasertherapie bei Belastungsinkontinenz routinemäßig einzusetzen. Aufgrund dieser neuen Evidenzen kann heute die Lasertherapie für eine ausgewählte Gruppe von Frauen mit Belastungsinkontinenz empfohlen werden.
Drei Lasermodalitäten zur intravaginalen Behandlung der Belastungsinkontinenz wurden beschrieben,
-
die mikroablative fraktionierte Kohlendioxid-(CO2-)Lasertherapie (10 600 nm),
-
die 2-phasige Erbium:YAG-Lasertherapie (2940 nm), eine Kombination von fraktionierter kalter Ablation und thermischer Subablation und
-
am häufigsten die nicht ablative Erbium:YAG-Lasertherapie (2940 nm) mit SMOOTH-Mode-Technologie.
Konsensbasiertes Statement S4-01 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine randomisiert kontrollierte Studie zum direkten „Head-to-head“-Vergleich der 3 Lasermodalitäten bei Belastungsinkontinenz gibt es bisher nicht. |
Konsensbasiertes Statement S4-02 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Zwei randomisiert kontrollierte Studien mit einer kurzen Nachbeobachtungszeit von bis zu 3 Monaten zeigten eine subjektive Überlegenheit der Laserbehandlung gegenüber der Placebo-/Kontrollbehandlung. Es liegen prospektive Beobachtungsstudien mit Nachbeobachtungsperioden von bis zu 36 Monaten vor. |
Konsensbasiertes Statement S3-03 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine Auffrischung (Top-up) der Lasertherapie ist möglich. |
Konsensbasierte Empfehlung E4-15 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
* Die Lasertherapie hat noch keine Kassenzulassung. |
|
Die intravaginale Lasertherapie kann als therapeutische Möglichkeit zur Behandlung der leichten und mittleren Belastungsinkontinenz angeboten werden (offene Empfehlung).* |
#
4.5 Pessartherapie bei Harninkontinenz
Konsensbasierte Empfehlung E4-16 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Eine Pessartherapie sollte Patientinnen mit Belastungsinkontinenz als Therapieoption angeboten werden (Empfehlung). |
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4.6 Prävention der Harninkontinenz
Konsensbasierte Empfehlung E4-17 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Frauen sollten über den Zusammenhang zwischen Übergewicht und Harninkontinenz aufgeklärt werden, insbesondere über den Nutzen eines präkonzeptionellen Normalgewichts (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-18 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine präpartale Physiotherapie kann das Risiko der Entstehung einer Harninkontinenz verringern und sollte daher allen schwangeren Frauen angeboten werden (Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-19 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++/+++ |
Eine elektive Sectio zur Reduktion des Risikos einer Harninkontinenz soll aufgrund der Risiko-Nutzen-Konstellation nicht empfohlen werden (++). Dennoch soll Schwangeren mit erhöhtem Risiko für eine postpartale Beckenbodeninsuffizienz eine spezifische Aufklärung angeboten werden, um Nutzen und Risiko einer primären Sectio abzuwägen (starke Empfehlung) (+++). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-20 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine präventive Substitution von Vitamin D zur Reduktion des Risikos einer Harninkontinenz kann in der Schwangerschaft aufgrund der unzureichenden Datenlage aktuell nicht generell empfohlen werden (offene Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E4-21 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Frauen sollten über das mit zunehmendem Alter erhöhte Risiko einer Beckenbodeninsuffizienz postpartal aufgeklärt werden (Empfehlung). |
#
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5 Medikamentöse Therapie der Harninkontinenz
5.1 Antimuskarinika
Die in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktuell zugelassenen oralen Antimuskarinika mit ihren in Deutschland verwendeten Präparatenamen, ihren pharmakokinetischen Eigenschaften und den empfohlenen täglichen Dosierungen sind in [Tab. 6] aufgeführt.
Medikamentenklassen |
Präparatename in Deutschland |
tmax [Stunden] |
t½ [Stunden] |
empfohlene tägliche Dosierung |
---|---|---|---|---|
Darifencacin |
Emselex |
7 |
12 |
1-mal 7,5 – 15 mg |
Fesoterodin |
Toviaz |
5 |
7 |
1-mal 4 – 8 mg |
Oxybutynin IR |
Oxybutynin Dridase Oxybugamma Oxybutin Spasyt |
0,5 – 1 |
2 – 4 |
3 – 4-mal 2,5 – 5 mg |
Oxybutynin ER |
5 |
16 |
2 – 3-mal 5 mg |
|
Propiverin |
Propiverin Mictonetten Mictonorm Propimedac Propiver |
2,5 |
13 |
2 – 3-mal 15 mg |
Propiverin ER |
10 |
20 |
1-mal 30 mg |
|
Solifenacin |
Vesikur |
3 – 8 |
45 – 68 |
1-mal 5 – 10 mg |
Tolterodin IR |
Tolterodon Detrusitol |
1 – 3 |
2 – 10 |
2-mal 1 – 2 mg |
Tolterodin ER |
4 |
6 – 10 |
1-mal 4 mg |
|
Trospium IR |
Trospium Spasmolyt Spasmex Urivesc Spasmo-Urgenin Trospi |
5 |
18 |
3-mal 10 – 15 mg 2-mal 10 – 20 mg |
Trospium ER |
5 |
36 |
1-mal 60 mg |
Konsensbasiertes Statement S5-01 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Antimuskarinika stellen eine effektive orale Therapieoption zur Behandlung einer Dranginkontinenz dar. |
Konsensbasiertes Statement S5-02 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Es gibt keine konsistenten Belege, dass ein Antimuskarinikum in der Wirksamkeit einem anderen überlegen ist. |
Konsensbasiertes Statement S5-03 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Nebenwirkungen von Immediate-Release-Formulierungen sind höher als bei Extended-Release-Formulierungen. |
Konsensbasiertes Statement S5-04 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Bei ungenügender oder fehlender Wirksamkeit können auch ein Präparatewechsel oder ein Wechsel der Darreichungsform in Betracht gezogen werden. |
Konsensbasiertes Statement S5-05 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Antimuskarinika bei älteren Patienten können bis auf Oxybutynin IR sicher angewandt werden, Wechselwirkungen und Unverträglichkeiten müssen aber beachtet werden. |
Konsensbasiertes Statement S5-06 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Oxybutynin (oral) zeigt einen deutlichen negativen Einfluss auf die kognitive Funktionsleistung. |
Konsensbasierte Empfehlung E5-01 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Antimuskarinika sollen nach gescheiterter konservativer nicht-medikamentöser Therapie bei Erwachsenen mit überaktiver Blase oder Dranginkontinenz additiv angeboten werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-02 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
ER-Formulierungen sollen IR-Formulierungen vorgezogen werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-03 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Oxybutynin oral soll aufgrund seines hohen Nebenwirkungsprofils gemieden werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-04 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Bei erfolgloser Therapie mit einem Antimuskarinikum kann eine Dosiseskalation, ein Wechsel innerhalb der Medikamentengruppe oder auch eine Kombination von Antimuskarinika in Erwägung gezogen werden (offene Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-05 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Bei Polymedikation (insbesondere bei geriatrischen Patienten) sollen die „anticholinerge (Gesamt-)Last“ bedacht und Wechselwirkungen überprüft werden (starke Empfehlung) |
#
5.2 β3-Adrenorezeptor-Agonisten (Mirabegron) bei überaktiver Blase, Dranginkontinenz oder Mischharninkontinenz
Konsensbasiertes Statement S5-07 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
β3-Adrenorezeptor-Agonisten (Mirabegron) ist Placebo überlegen und gleichwertig mit Anwendungen von Antimuskarinika in der Verbesserung der überaktiven Blase, aber ohne Beeinträchtigung der Blasenkontraktilität (Restharn). |
Konsensbasiertes Statement S5-08 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Als unerwünschte Nebenwirkungen von β3-Adrenorezeptor-Agonisten (Mirabegron) ist eine mögliche Blutdruckerhöhung zu beachten. |
Konsensbasiertes Statement S5-09 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Patientinnen, die mit Antimuskarinika ungenügend behandelt wurden, können mehr von der Zugabe von β3-Adrenorezeptoragonisten (Mirabegron) als von einer Dosiseskalation bei Antimuskarinika profitieren. |
Konsensbasierte Empfehlung E5-06 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
β3-Adrenorezeptoragonisten (Mirabegron) sollte Patientinnen angeboten werden, bei welchen eine nicht-medikamentöse konservative Therapie keine Verbesserung erbrachte und entweder Antimuskarinika-Unverträglichkeit bzw. keine Wirksamkeit vorliegt oder Kontraindikationen bestehen (Empfehlung). |
#
5.3 Duloxetin bei Belastungs- oder Mischharninkontinenz
Konsensbasiertes Statement S5-10 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Duloxetin kann eine Belastungsinkontinenz verbessern. |
Konsensbasiertes Statement S5-11 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Duloxetin kann – vor allem in den ersten Wochen – zentralnervöse und gastrointestinale Nebenwirkungen verursachen, die zu einer hohen Abbruchrate der Therapie führen. |
Konsensbasierte Empfehlung E5-07 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
* Keine Zulassung in Österreich und der Schweiz. |
|
Im Rahmen der konservativen Behandlung sollen Patientinnen ab mittelschwerer Belastungsharninkontinenz über Duloxetin als eine Behandlungsmöglichkeit informiert werden (starke Empfehlung).* |
Konsensbasierte Empfehlung E5-08 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Patientinnen sollen über die Kontinenzrate und die Nebenwirkungen vor dem Beginn der Therapie mit Duloxetin aufgeklärt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-09 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Zur Reduktion der Rate an Nebenwirkungen soll die Duloxetin-Therapie einschleichend begonnen und bei Therapieabbruch wieder langsam ausgeschlichen werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-10 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Eine Kombination von Duloxetin mit Beckenbodentraining kann empfohlen werden (offene Empfehlung). |
#
5.4 Östrogene bei Belastungs-, Drang- und Mischharninkontinenz
Östrogenmangelbedingte Veränderungen des Genitales der Frau können sich neben vaginaler Trockenheit, Pruritus, Brennen, einer verminderten oder fehlenden Lubrifikation, Dyspareunie und Dysurie auch durch Inkontinenzbeschwerden inkl. imperativen Harndrangs und erhöhter Miktionsfrequenz oder auch durch rezidivierende Harnwegsinfektionen manifestieren.
Konsensbasierte Empfehlung E5-13 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine vaginale Östriolgabe bei postmenopausalen Frauen mit Harninkontinenz (insbesondere mit Dranginkontinenz) und vulvovaginaler Atrophie soll durchgeführt werden. Die Anwendung soll längerfristig erfolgen (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-14 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine ultraniedrig dosierte, lokale Östrioltherapie kann bei Patientinnen nach Mammakarzinomerkrankung nach Aufklärung über die unzureichende Datenlage bezüglich der onkologischen Sicherheit durchgeführt werden (offene Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-15 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke + |
* Derzeit sind in Österreich und in der Schweiz keine konjugierten Östrogene mehr zugelassen. |
|
Bei Frauen mit oraler Hormonersatztherapie mit konjugierten equinen Östrogenen, die eine neue oder Verschlechterung einer Harninkontinenz entwickeln, sollen alternative Hormontherapien diskutiert werden (starke Empfehlung)*. |
Konsensbasiertes Statement S5-12 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Eine Verbesserung der Harninkontinenz nach Beendigung einer systemischen Östradioltherapie bei inkontinenten Frauen ist unwahrscheinlich. |
#
5.5 Desmopressin bei Nykturie aufgrund nächtlicher Polyurie
Konsensbasierte Empfehlung E5-16 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Nykturie aufgrund einer nächtlichen Polyurie durch Mangel von Argenin-Vasopressin soll mit Desmopressin behandelt werden, wenn Patientinnen die Nykturie als störend empfinden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-17 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Patientinnen mit überaktiver Blase und Nykturie (ohne Nachweis einer nächtlichen Polyurie) sollen nicht mit einem Antimuskarinikum in Kombination mit Desmopressin behandelt werden (starke Empfehlung). |
Konsensbasierte Empfehlung E5-18 |
|
---|---|
Expertenkonsens |
Konsensstärke +++ |
Die Natriumkonzentration im Serum soll vor und während der Desmopressin-Therapie mindestens nach einer Woche und einem Monat kontrolliert werden (starke Empfehlung). |
#
5.6 Komplementärmedizin bei Belastungs-, Drang- und Mischharninkontinenz
Zur Therapie der weiblichen Harninkontinenz kommen auch Verfahren aus dem Bereich der Erfahrungs- und Komplementärmedizin zum Einsatz.
Es gibt interessante Möglichkeiten bei der Verwendung von Phytotherapeutika und homöopathischen Maßnahmen. Weitere Ansätze bei spezifischer Ernährung, Orthomolekulartherapie, Supplemente mit Einsatz verschiedener Vitamine und insbesondere Vitamin D und Vitamin-D-Analogon Elocalcitol sind möglich. In der Literatur finden sich zahlreiche klinische Studien, welche die Wirksamkeit der Akupunktur bei der Therapie der überaktiven Blase und der Belastungsinkontinenz untersuchen.
Konsensbasiertes Statement S5-13 |
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Expertenkonsens |
Konsensstärke ++ |
Im Bereich der Komplementärmedizin liegt bisher keine ausreichende Evidenz vor, um den Einsatz der Homöopathie, der Phytotherapie, der Supplementtherapie und weiterer komplementärmedizinischer Therapeutika explizit zu empfehlen. |
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Die Literaturangaben sind in der Langfassung der Leitlinie (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-091) aufgelistet.


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Conflict of Interest
The conflicts of interest of all the authors are listed in the long version of the guideline (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-091)./
Die Interessenkonflikte der Autoren sind in der Langfassung der Leitlinie (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/015-091) aufgelistet.
Correspondence
Publication History
Received: 18 October 2022
Accepted: 23 October 2022
Article published online:
20 January 2023
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