Vergleichende Symptomatologie anhaltender Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen:
chronische Migräne = new daily persistent headache = chronischer post-traumatischer
Kopfschmerz?
Vergleichende Symptomatologie anhaltender Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen:
chronische Migräne = new daily persistent headache = chronischer post-traumatischer
Kopfschmerz?
**** Patterson Gentile C, Aguirre GK, Hershey AD, et al. Comparison of continuous
headache features in youth with migraine, new daily persistent headache, and persistent
post-traumatic headache. Cephalalgia 2023; 43(1): 3331024221131331. doi: 10.1177/03331024221131331
Hintergrund
Anhaltende Kopfschmerzen ohne kopfschmerzfreie Intervalle treten zwar seltener auf
als intermittierende Kopfschmerzen, sind jedoch schwerer zu behandeln. Die ICHD-3-Kriterien
unterteilen anhaltende Kopfschmerzen nach klinisch-zeitlichen Merkmalen wie den schleichenden
Beginn von episodischen Kopfschmerzen hin zu kontinuierlichen Kopfschmerzen über die
Zeit (z. B. chronische Migräne, CM), einem abrupten Beginn nach Schädeltrauma (posttraumatischer
Kopfschmerz, PTK) oder abruptem Beginn ohne eindeutigen Grund (neu aufgetretener täglich
anhaltender Kopfschmerz, NDPH). In der Literatur wird diskutiert, dass der PTK und/oder
NDPH ähnlichen neurobiologischen Ursprungs sind wie die Migräne und man diese anhaltenden
Kopfschmerzformen als Unterformen der Migräne ansehen könnte [1], [2]. Es gibt keine Studie, welche die 3 Kopfschmerzformen bei Kindern und Jugendlichen
miteinander verglichen hat. In dieser Studie werden erstmalig die klinischen Eigenschaften
von CM, PTK und NDPH bei Kindern und Jugendlichen miteinander verglichen.
Zusammenfassung
150 Kinder- und Jugendliche (11–17 Jahre) mit anhaltenden Kopfschmerzformen (je 50
mit CM, PTK und NDPH) werden in dieser monozentrischen Beobachtungstudie, Alters-
sowie Geschlechtergepaart, nach klinischen Charakteristika miteinander verglichen.
Dabei wurden die Daten zu Kopfschmerzintensität, Frequenz, Einschränkung der Lebensqualität,
PedMIDAS, Kopfschmerzqualität sowie Begleitsymptome und Kopfschmerztrigger aus Patientenfragebögen
untersucht.
Im Durchschnitt waren die Kinder 15,4 Jahre alt und 92 % Mädchen. Der Median der Kopfschmerzintensität
der gesamten Stichprobe lag bei 6 (von 0–10 auf der numerischen Schmerzskala). Einen
signifikanten Unterschied der Kopfschmerzintensität zwischen derCM, PTK und NDPH gab
es nicht (H = 1,2, p = 0,55). Ein signifikanter Unterschied in der Kopfschmerzfrequenz
zeigte sich ebenfalls nicht zwischen den 3 Gruppen (χ2 = 11,7, p = 0,63). Der Median
im PedMIDAS-Score lag bei der gesamten Stichprobe bei 55 Punkten und zeigte somit
eine schwere Beeinträchtigung aufgrund der Kopfschmerzen an. Die Spannbreite der PedMIDAS-Punktzahl
war groß, aber ohne signifikante Unterschiede zwischen den 3 Gruppen (H = 2,6, p =
0,28). Die Kopfschmerzqualität wurde von den meisten Kindern als pulsierend (79 %)
oder drückend (69 %) angegeben, 54 % beschrieben die Kopfschmerzqualität als neuralgiform.
Ein Unterschied zwischen den 3 Gruppen zeigte sich nicht. Die am häufigsten auftretenden
Begleitsymptome stellten Lichtempfindlichkeit (69 %), Geräuschempfindlichkeit (61
%), Übelkeit (60 %), verändertes Denken (55 %) sowie Benommenheit (54 %) dar, ohne
signifikant auftretende Unterschiede zwischen den 3 Kopfschmerzgruppen. Die häufigsten
Kopfschmerztrigger stellten in der gesamten Stichprobe Licht (63 %), Aufstehen (56
%), Geräusche (53 %) und Stress (51 %) dar. 2 der aufgenommenen Kopfschmerztrigger
zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen auf. Lesen als Trigger
wurde in der PTK-Gruppe signifikant häufiger angegeben als in der CM- und NDPH-Gruppe
(χ2 = 12,5, p = 0,002). Licht wurde in der NDPH-Gruppe signifikant weniger als Trigger
angegeben als in derCM- und PTK-Gruppe (χ2 = 12,1, p = 0,002). In der Studie wurden
außerdem Migräneeigenschaften nach der ICHD-3-Klassifikation bei den Patienten mit
PTK und NDPH untersucht. Dabei zeigte sich, dass 72 % der PTK-Gruppe und 64 % der
NDPH-Gruppe alle 4 diagnostischen Kriterien der Migräne (B-D) aufzeigten und fast
alle Patienten (98 %) mindestens 2 Kriterien (B-D) erfüllten.
Kommentar
Diese Studie zeigt mit einem sehr gut gewählten Studiendesign die große Ähnlichkeit
klinischer Symptome bei den untersuchten anhaltenden Kopfschmerzformen Migräne, PTK
und NDPH im Kindes- und Jugendalter. Während zur Diagnosevergabe einer Migräne spezifische
Charakteristika vorhanden sein müssen, werden PTK und NDPH primär nach den Umständen
ihres Einsetzens definiert. Die sehr hohe Schmerzstärke, Frequenz und Beeinträchtigung
durch die Kopfschmerzen in der gesamten Gruppe mit anhaltenden Kopfschmerzen ist sicher
der speziellen Stichprobe am Kopfschmerzzentrum des Philadelphia Children Hospital
geschuldet. Die Tatsache, dass Kopfschmerzeigenschaften, Trigger und Begleitsymptome
der 3 Kopfschmerzarten sich so sehr ähneln, lässt die Autoren vermuten, dass der Großteil
der PTK und NDPH pathophysiologisch als akut einsetzende CM angesehen werden könnte.
Steht zu Beginn des PTK zunächst das Schädeltrauma, so finden sich in der Literatur
jedoch Studien, die auf die Sensitisierung des trigeminalen nozizeptiven Nervensystems
bei der Entstehung des PTK eingehen. Beispielsweise konnten in einer Studie bei Patienten
mit PTK durch die intravenöse Gabe von CGRP migräneähnliche Kopfschmerzen ausgelöst
werden. Wenige Arbeiten findet man zur Pathophysiologie des NDPH. Als Ursachen werden
vor allem virale Erkrankungen z. B. EBV oder besonders stressvolle Ereignisse diskutiert.
Man konnte außerdem bei Patienten mit NDPH erhöhte proinflammatorische Zytokinwerte
im Liquor (TNF-α) nachweisen. Erhöhte Zytokinspiegel finden sich ebenfalls bei Patienten
mit Migräne.
Die pathophysiologischen Grundlagen des PTK und NDPH müssen noch weiter untersucht
werden, doch Studien wie diese könnten dazu beitragen, diese akut einsetzende und
anhaltende Kopfschmerzformen als Sonderform der CM anzusehen. Dies bietet eine Rationale
hypothesengeleitet migränespezifische Behandlungsmöglichkeiten zu untersuchen und
damit die Versorgung der Patienten zu verbessern.
Laura Zaranek, Dresden
Retrospektive Erhebung der Attackenhäufigkeit genauso gut wie sofortige Aufzeichnung
in Clusterkopfschmerz-Patienten
Retrospektive Erhebung der Attackenhäufigkeit genauso gut wie sofortige Aufzeichnung
in Clusterkopfschmerz-Patienten
***Brandt RB, Mulleners W, Wilbrink LA, et al. Intra- and interindividual attack frequency
variability of chronic cluster headache. Cephalalgia 2023; 43(2): 1–8
Die Untersuchung der Clusterkopfschmerzattackenhäufigkeit zeigt auch in chronischen
Clusterkopfschmerz-Patienten Unterschiede.
Hintergrund
Der genaue Verlauf von Clusterkopfschmerzattacken ist weitgehend unbekannt, dies ist
z. B. für die Planung und Durchführung von (Therapie-)Studien schwierig.
Zusammenfassung
Die Daten, die in dieser Studie veröffentlicht werden, wurden im Rahmen der ICON-Studie
erhoben. Die ICON-Studie untersuchte die Wirksamkeit der occipitalen Nervenstimulation
in therapierefraktären, chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten nach den ICHD-II-Kriterien.
Im Verlauf der 12-wöchigen Baseline-Phase wurde die Attackenhäufigkeit mittels eines
internetbasierten Tagebuchs während der ersten 6 Wochen retrospektiv 1-mal pro Woche
erfragt, während der restlichen 6 Wochen wurden die Kopfschmerzattacken sofort eingetragen.
Die erhobenen Daten wurden in Bezug auf die Häufigkeit während dieser Erhebungen sowie
deren Variabilität untersucht.
Kopfschmerzattacken von 142, überwiegend männlichen Patienten (63 %), wurden in die
Auswertung eingeschlossen. Durchschnittlich traten 15,3 Kopfschmerzattacken/Woche
auf und die Mehrheit der Patienten (46 %) berichtete über eine Attackenfrequenz zwischen
0–2/Tag. Die höchste wöchentliche Attackenhäufigkeit wurde während des Frühlings aufgezeichnet.
Die Attackenvariabilität ist in Patienten mit einer Attackenzahl von 0–3 Attacken/Tag
am höchsten, wohingegen Patienten mit ≧ 3 Kopfschmerzattacken weniger Unterschiede
in der Häufigkeit berichten. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen der sofortig
aufgezeichneten und retrospektiven Attackenhäufigkeit (p = 0,20). Die Kopfschmerzintensität
war in den retrospektiv aufgezeichneten Attacken marginal, aber signifikant höher
im Vergleich zu den sofortig aufgezeichneten Attacken (p < 0,01).
Kommentar
Der Verlauf von Clusterkopfschmerzattacken und -episoden sowie deren saisonale oder
tageszeitliche Auftreten ist wenig verstanden und untersucht. Z. B. ist interessant,
dass chronische Clusterpatienten eine saisonale Häufung der Attacken berichten. Insofern
können die veröffentlichten Daten einen Beitrag zur Planung von Studien leisten. Aber
auch für die klinische Routine kann geschlussfolgert werden, dass eine tägliche Erhebung
der Attacken nicht notwendig ist und die einmal wöchentliche Erhebung weniger aufwendig
und dementsprechend die Compliance verbessern kann.
Einschränkend muss erwähnt werden, dass die Daten im Rahmen einer anderen Studie erhoben
wurden und so an Genauigkeit verliert. In dieser Hinsicht wäre die Erhebung weiterer
Parameter, wie tageszeitliche Schwankungen, mögliche Unterschiede in Intensität und
Dauer interessant gewesen. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit die Daten auf
andere Verlaufsformen übertragen werden können.
Katharina Kamm, München
Wer braucht neue Migräne-Akutmedikamente? Die Definition von Triptan-Non-Respondern
der EHF
Wer braucht neue Migräne-Akutmedikamente? Die Definition von Triptan-Non-Respondern
der EHF
*** Sacco S, Lampl C, Amin FM, et al. European Headache Federation (EHF) consensus
on the definition of effective treatment of a migraine attack and of triptan failure.
J Headache Pain 2022; 23(1): 133
Hintergrund
In den letzten Jahren wurden neue Akutmedikamente zur Behandlung der Migräne entwickelt,
insbesondere aus den Klassen der Ditane (5HT-1F-Agonisten) und Gepante (CGRPR-Antagonisten).
2 dieser Medikamente wurden durch die EMA zugelassen (Lasmiditan, Rimegepant). Eine
Einordnung in den Therapiealgorithmus ist also notwendig.
Zusammenfassung
Die European Headache Federation hat ein Consensus-Paper zur Definition der Refraktärität
auf Triptane veröffentlicht. Die Response auf ein Triptan wird wie folgt definiert:
Die Non-Response auf ein bestimmtes Triptan wird definiert als Nichtzutreffen dieser
Kriterien und kann entsprechend der „3-von-4-Attacken“-Regel frühestens festgestellt
werden, wenn 2 Attacken erfolgslos behandelt wurden.
Als triptanresistent werden Patienten definiert, die Non-Responder auf 2 oder mehr
Triptane sind. Als triptanrefraktär werden Patienten definiert, die Non-Responder
auf 3 oder mehr Triptane sind, davon mindestens 1 subkutanes Triptan (also Sumatriptan
s. c.). Als ungeeignet für Triptane werden Patienten mit Kontraindikationen gegen
Triptane bezeichnet. Die Autoren schreiben „individuals who are triptan resistant
or refractory are highly in need of novel drug classes to manage the acute attack”,
dies könnte man also so interpretieren, dass bei Versagen von 2 Triptanen eines der
neuen Akutmedikamente eingesetzt werden könnte.
Kommentar
Der Artikel ist lesenswert, schon weil er eine gute Zusammenfassung der Literatur
zur Wirksamkeit der Triptane in grafischer Darstellung enthält. Davon abgesehen sind
Definitionen immer ein Stück weit willkürlich. Die vorgeschlagenen Definitionen finde
ich aber gelungen, weil: Hervorgehoben wird, dass evtl. nicht jede Attacke auf ein
an sich wirksames Triptan anspricht, aber trotzdem eine hohe Verlässlichkeit mit Response
in 3 von 4 Attacken gefordert wird, bzw. ein Versuch in 2 Attacken, bevor eine Non-Response
festgestellt werden kann. Praktisch wird diese „3-aus-4“-Regel allerdings manchmal
schwierig anzuwenden sein.
Ein Versuch von mindestens 2 Triptanen gefordert wird, bevor eine Triptanresistenz
festgestellt wird. Es ist in der Tat oft so, dass mehrere Triptane versucht werden
müssen, bis das individuell am besten wirksame und verträgliche gefunden wird. Es
ist andererseits aber naheliegend, nach Versagen von 2 Substanzen einer Klasse zu
einer anderen Klasse überzugehen. Es wird nicht gefordert, alle Patienten zunächst
auf Sumatriptan s. c. einzustellen, bevor zu einem der neuen Medikamente übergegangen
werden kann. Sumatriptan s. c. ist zwar stark und schnell wirksam, hat aber auch Nachteile
(eher mehr Nebenwirkungen, hoher Preis, Notwendigkeit einer Injektion).
Die neue deutsche Leitlinie zur Migränetherapie schlägt vor, dass die neuen Substanzen
bei Patienten eingesetzt werden können, bei denen Analgetika und Triptane nicht wirksam
sind oder nicht vertragen werden [1]. Man könnte also als Kombination beider Empfehlungen ableiten, dass nach Versagen
eines Analgetikums und von 2 Triptanen ein Wechsel auf eine der neuen Substanzen in
Frage kommt. Wie der GBA diese Empfehlungen interpretieren wird, bleibt allerdings
abzuwarten. Weitere Kandidaten für die neuen Substanzen sind Patienten mit (vaskulären)
Kontraindikationen gegen Triptane. Sowohl Lasmiditan als auch Gepante haben keine
vasokonstriktive Wirkung, und in den Studien gab es keine vaskulären Sicherheitssignale.
Die Leitlinie weist allerdings darauf hin, dass die Blockade des CGRP-Pathways durch
Gepante ebenso wie durch CGRP-Antikörper in vaskulären Notfallsituationen, z. B. einer
zerebralen Ischämie, ungünstig sein könnte [1].
Ruth Ruscheweyh, München
INFORMATION
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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete
Übersicht bietet
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Gute experimentelle oder klinische Studie
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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
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**
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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen
Mängeln
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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln
|
Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert
Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer
Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz
bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie
und Kopfschmerz).
Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie,
Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815,
robert.fleischmann@uni-greifswald.de
Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen
Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.