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DOI: 10.1055/a-2000-9544
Die Bedeutung des Transkriptionsfaktors Brachyury in Chordomen
The Role of the Transcription Factor Brachyury in Chordoma- Zusammenfassung
- Abstract
- Epidemiologie von Chordomen
- Molekulargenetische Grundlagen von Chordomen
- Brachyury während der Embryogenese
- Brachyury in Chordomen
- Brachyury als therapeutische Zielstruktur
- Literatur
Zusammenfassung
Chordome sind seltene, maligne Knochentumoren, die vermutlich embryonalen Überresten der Chorda dorsalis entstammen. Ein wesentliches Argument für diese Annahme ist die gemeinsame Expression des Transkriptionsfaktors Brachyury.
Während Brachyury im Rahmen der Embryonalentwicklung für die Ausbildung der anterior-posterioren Achse von fundamentaler Bedeutung ist, legen neueste Studien nahe, dass Brachyury auch für das Überleben von Chordomen essenziell ist.
Dieser Beitrag liefert eine Übersicht über die physiologischen und onkogenen Funktionen von Brachyury und diskutiert die sich hieraus ableitenden therapeutischen Ansatzpunkte in Chordomen.
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Abstract
Chordomas are rare, malignant bone tumors, which are thought to arise from notochordal remnants. This assumption is based on the shared expression of the transcription factor brachyury.
During embryonic development brachyury plays a crucial role during the formation of the anterior-posterior axis, however, recent studies provide convincing evidence, that brachyury is also essential for survival of chordoma cells.
This article provides an overview of the physiological and oncogenic functions of brachyury and discusses targeted therapeutic approaches in chordoma.
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Epidemiologie von Chordomen
Chordome sind langsam und destruktiv wachsende, maligne Tumoren des Erwachsenen- und eine Rarität des Kindesalters. Sie werden zu den Knochen- und Weichgewebssarkomen gezählt und weisen eine hohe Tendenz zur Ausbildung lokoregionaler Rezidive aus (ICD-O: 9370/3; ICD- 10: C76.7; Bösartige Neubildung sonstiger und ungenau bezeichneter Lokalisation) [1] [2].
Chordome sind insgesamt seltene (Inzidenz 0,08/100.000) Tumoren und treten fast ausschließlich entlang der Wirbelsäule und an der Schädelbasis auf [2] [3]. Extraaxiale Manifestationen, wie beispielsweise am Nasenseptum, der Epiglottis oder dem Handgelenk, stellen ultraseltene Varianten dar [4] [5] [6].
Das mittlere Erkrankungsalter von Chordompatienten beträgt 58 Jahre, wobei clivale Chordome häufig früher diagnostiziert werden als Chordome des Sakrums [3].
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Molekulargenetische Grundlagen von Chordomen
Wie durch Gesamtgenomsequenzierungen (engl. Whole Genome Sequencing, WGS) gezeigt werden konnte, weisen Chordome ein stabiles Genom mit nur wenigen wiederkehrenden Mutationen auf. Es können lediglich einzelne rekurrente chromosomale Aberrationen nachgewiesen werden [7] [8].
Mit einer Frequenz von über 60% stellt der homo- oder heterozygote Verlust des CDKN2A-Gens auf Chromosom 9p21, welches für den Zellzyklusregulator p16 codiert, die häufigste zu beobachtende chromosomale Aberration in Chordomen dar [9]. Auch Deletionen des Tumorsuppressorgens PTEN auf Chromosom 10q23, sowie Amplifikationen von Bereichen des Chromosoms 7, auf welchem die Gene EGFR (Chr. 7p11) und SHH (Chr. 7q36) lokalisiert sind, lassen sich verhältnismäßig häufig detektieren [10] [11] [12] [13].
Weiterhin können in der Mehrheit aller familiärer Chordome Zugewinne von Genkopien des TXBT-Gens auf Chromosomenbande 6q27 in der Keimbahn nachgewiesen werden, welche sich auch in bis zu 27 % aller sporadischer Chordome auf somatischer Ebene finden lassen [14] [15]. Zudem scheint der in der Normalbevölkerung häufig vorkommende, synonyme Einzelnukleotidpolymorphismus (engl: single nucleotide polymorphism, SNP) rs2305089 in Exon 4 des TBXT-Gens mit der Entstehung von Chordomen assoziiert zu sein (Odds Ratio 6,1), da er in über 90% aller Chordome detektiert werden kann. Welchen funktionellen Einfluss diese Variante auf die Entstehung von Chordomen hat, konnte bislang noch nicht abschließend geklärt werden. Es gibt jedoch Hinweise dafür, dass diese Variante zu erhöhten TBXT-Expressionslevel führt [16].
Die synonyme Variante rs1056048 kann insbesondere in Familien mit TBXT-Duplikation nachgewiesen werden, welche möglicherweise zu einer Veränderung des Spleißverhaltens und der epigenetischen Regulation über den Polycomb Repressor Complex 2 (PRC2) führt [15].
Das Gen TBXT (früher: „T“) codiert für den T-Box-Transkriptionsfaktor Brachyury, welcher über eine Region in seinem N-Terminus, der sogenannten T-Box, an eine spezifische, nahezu palindromische DNA-Sequenz (T(G/C)ACACCTAGGTGTGAAATT) bindet und als Homodimer die Transkriptionssteuerung zahlreicher Zielgene, wie SOX9, FGF9 und FOXA2 reguliert [17] [18].
Hierüber nimmt Brachyury eine essenzielle Rolle während der frühen Embryonalentwicklung ein und gilt als wichtigster diagnostischer Marker für Chordome [19].
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Brachyury während der Embryogenese
Die Erstbeschreibung von Brachyury im Jahr 1927 geht auf die russische Chirurgin und Forscherin Nadine Dobrovolskaïa-Zavadskaïa zurück, welche beobachtete, dass ein Funktionsverlust von Brachyury im Mausmodell zur unvollständigen Ausprägung der Chorda dorsalis und folglich zu einer verkürzten Schwanzstruktur führt. Entsprechend dieses charakteristischen Phänotyps benannte sie das Protein „Brachyury“, welches sich aus dem Griechischen „brachys“ für kurz und „oura“ für Schwanz ableitet [20].
Mittlerweile ist bekannt, dass Brachyury in der Embryogenese bilateraler Organismen nicht nur eine wesentliche Funktion in der Ausbildung der anterior-posterioren Achse einnimmt, sondern darüber hinaus einen frühen Marker des posterioren Mesoderms während der Gastrulation darstellt, in welcher der Transkriptionsfaktor mitunter epithelial-mesenchymale Transitionsprozesse determiniert [21] [22] [23].
In Wirbeltieren wird die Expression von TBXT in späteren Entwicklungsstufen zunehmend auf die sich entwickelnde Chorda dorsalis beschränkt. Diese temporäre embryonale Struktur spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Wirbelkörper und entwickelt sich im Verlauf zum persistierenden Nucleus pulposus, wobei die TBXT-Expression zunehmend abnimmt bis sie schließlich ganz sistiert [24].
Erwartungsgemäß sind insbesondere Missense-Mutationen im TBXT-Gen auch im Menschen mit kongenitalen Wirbelkörpermalformationen und sakraler Agenesie vergesellschaftet.
Eine Übersicht der bislang beschriebenen Mutationen liefert [Tab. 1].
Mutation |
Codon |
Aminosäure |
Phänotyp |
Quelle |
---|---|---|---|---|
Heterozygot |
c.G47T |
p.R16L |
Kongenitale Skoliose, Halswirbelfusion |
[25] |
Heterozygot |
c.C1013T |
p.A338V |
Kongenitale Wirbelkörperfehlbildungen |
[26] |
Homozygot |
c.A796G |
p.H171R |
Sakrale Agenesie, Abnorme Ossifikation der Wirbelkörper |
[27] |
Im postnatalen Nucleus pulposus, sowie der überwiegenden Mehrheit aller nicht-neoplastischen Gewebe findet sich keine TBXT-Expression mehr.
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Brachyury in Chordomen
Wie in Zellen der Chorda dorsalis, dem putativen Ursprung von Chordomen, konnte in großangelegten immunohistochemischen Studien die überwiegend nukleäre Expression von Brachyury in der Mehrheit aller Chordome bestätigt werden [19]. Eine Ausnahme hiervon stellen dedifferenzierte Chordome dar, welche etwa 5 % aller Chordome ausmachen und Brachyury-negativ sein können [2]. Weitere Malignome mit teilweise kernlokalisiertem Brachyury stellen vor allem Keimzelltumoren und kleinzellige Lungenkarzinome dar [28].
Welche Rolle Brachyury in der Entstehung von Chordomen einnimmt, ist bislang noch nicht abschließend beantwortet.
Anhand eines stabilen, shRNA-vermittelten Knockdowns von TBXT konnte jedoch gezeigt werden, dass die Reduktion von Brachyury in vitro durch Induktion eines Wachstumsarrests und apoptotischer Prozesse zu einer signifikanten Reduktion des Zellwachstums führt, und darüber hinaus zellmorphologische Veränderungen bewirkt [29]. Mittels eines genomweiten (CRISPR-Cas9)-basierten Knockout-Screening konnten die überlebenswichtige Funktion auch in weiteren Chordomlinien bestätigt und TBXT erstmals als ein selektiv-essentielles Gen in Chordomen identifiziert werden [30].
Als ursächlich für die starke TBXT-Expression in Chordomen wird mitunter eine Stimulation der Genexpression durch H3K27ac-assoziierte, regulatorische DNA-Sequenzen, sogenannte Super-Enhancer (SE), sowie die Aufrechterhaltung der Genexpression über eine Bindung an eigene Enhancer-Regionen im Sinne eines positiven autoregulatorischen Feedbacks diskutiert [30]. Zu entsprechenden Histonmodifikationen scheinen die beiden H3K27 Histon-Demethylasen KDM6A (UTX) und KDM6B (JMJD3) beizutragen, deren pharmakologische und genetische Inaktivierung zu einer Minderexpression von TBXT und den Brachyury-Zielgenen führt [31]. Zahlreiche dieser Zielgene konnten bislang identifiziert werden. Sie codieren beispielsweise für die Pluripotenzmarker OCT4 und SOX2, oder die Transkriptionsfaktoren YAP und MYC [32].
Über die Regulation dieser und weiterer Transkriptionsfaktoren setzt Brachyury als sogenannter Master-Transkriptionsfaktor die entsprechenden genetischen Programme in Gang, welche die zelluläre Identität von Chordomzellen festlegen und nimmt dadurch eine zentrale Bedeutung in der Entstehung dieser seltenen Tumoren ein [33].
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Brachyury als therapeutische Zielstruktur
Aufgrund der hohen Selektivität und der Abhängigkeit von Brachyury, repräsentiert dieser Transkriptionsfaktor eine attraktive Zielstruktur in der Therapie von Chordomen. Eine direkte Inhibition erweist sich aufgrund fehlender geeigneter Bindungsstellen als schwierig, sodass bislang keine zielgerichtete Therapie gegen Brachyury Einzug in die klinische Praxis gefunden hat.
Ein bislang rein präklinischer Ansatz nutzt die zielgerichtete Protein-Degradierung mittels „Transcription Factor Targeting Chimeras“ (TRAFTACs). Durch simultane Bindung von Brachyury und des Enzyms dCas9 induzieren diese chimeren Oligonukleotide den proteasomalen Abbau des Transkriptionsfaktors [33].
Auch der Tyrosinkinase-Inhibitor Afatinib, der ursprünglich aufgrund seiner irreversiblen Inhibition von EGFR in Chordomzelllinien und Einzelfallstudien zum Einsatz kam, scheint in höherer Dosierung durch eine direkte Bindung Brachyury zu degradieren [34]. Wenngleich die Kartierung der Bindungsstelle von Afatinib an Brachyury aktuell noch Gegenstand biochemischer Untersuchungen ist, kommt der Inhibitor gegenwärtig in einer klinischen Phase II Studie (NCT03083678) in Patienten mit lokal fortgeschrittenen Chordomen zum Einsatz.
In jüngster Vergangenheit wurden zudem gegen Brachyury gerichteten Immuntherapien in klinischen Phase II Studien mit bislang ausbleibendem Erfolg getestet. Ein Beispiel hierfür stellt der Hefeimpfstoff GI-6301 dar, dessen fehlende Wirksamkeit zum frühzeitigen Abbruch der Studie führte [35].
TBXT [31]
Um auf transkriptioneller Ebene der starken Expression des TBXT-Gens entgegenzuwirken, werden die beiden experimentellen CDK-Inhibitoren THZ1 (CDK7/12/13-Inhibitor) und Dinaciclib (CDK1/2/5/9-Inhibitor) untersucht. In in vitro und in vivo Chordommodellen konnte gezeigt werden, dass beide Substanzen durch Inhibition der CDK-vermittelten Phosphorylierung der RNA-Polymerase II die Expression des Super-Enhancer assoziierten TBXT-Gens reduzieren und hierdurch das Tumorwachstum reduzieren [30]. Eine Übersicht der genannten Substanzen und deren Funktionsweise ist in [Abb. 1] dargestellt.
Trotz aller Bemühungen ist es bislang nicht gelungen, Brachyury in Chordompatienten effektiv therapeutisch zu nutzen. Mit der Brachyury Drug Discovery Initiative der Chordoma Foundation sollen neue Möglichkeiten untersucht werden, um Chordompatienten durch Inhibition des Master-Regulators künftig eine neue therapeutische Perspektive anbieten zu können.
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Brachyury (TBXT) ist für die Ausbildung der Chorda dorsalis und das Überleben von Chordomzellen essenziell.
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Brachyury stellt einen Master-Transkriptionsfaktor dar, der die zelluläre Identität von Chordomzellen definiert.
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Brachyury repräsentiert die vielversprechendste therapeutische Zielstruktur in Chordomen, die jedoch bislang noch nicht effektiv therapeutisch genutzt werden kann.
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Literatur
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Publication History
Article published online:
28 February 2023
© 2023. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
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