Schlüsselwörter Stellvertretung (in Gesundheitsangelegenheiten) - Gesundheitsvollmacht - Ehegatten
- ärztliche Bescheinigung
Keywords Representation (in health care matters) - health care proxy - spouses - medical attestation
Juristische Einordnung
Einwilligungsunfähige Patienten können bislang nur durch Gesundheitsbevollmächtigte
oder gerichtlich bestellte Betreuer vertreten werden. Diese Rechtslage ändert sich
mit Wirkung zum 01.01.2023: Seitdem sind Ehegatten (und eingetragene Lebenspartner)
kraft Gesetzes automatisch (also ohne gesonderten Bestellungsakt) in sämtlichen Angelegenheiten
der Gesundheitssorge vertretungsberechtigt [1 ]. Ziel des Ehegattennotvertretungsrechts ist die Stärkung der Autonomie der Patienten,
die Angleichung der gesetzlichen Regelung an das Verständnis der Rechte von Ehegatten
in der breiten Bevölkerung sowie eine Entlastung der Betreuungsgerichte.
Zum einen wirft dies allerdings die Frage auf, wie sich diese Neuerung in das bisherige
System von Bevollmächtigten und Betreuern einfügt [2 ].
Zum anderen sieht das neue Gesetz (§ 1358 BGB) eine Pflicht der behandelnden Ärzte
vor, die Voraussetzungen dieses Ehegattennotvertretungsrechts im jeweiligen Einzelfall
zu prüfen und eine dahingehende Bescheinigung auszustellen (s. Online-Supplement ).
Die nachfolgenden Hinweise sollen dazu dienen, diese praktisch-organisatorischen Herausforderungen
zu bewältigen ([Abb. 1 ]). Einbezogen sind Empfehlungen der Bundesärztekammer; unter dem Link [3 ] findet sich auch das auszufüllende Formular „Ehegattennotvertretung“.
Abb. 1 Gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge: Vorgehen
im Betreuungsrechtsfall.
Medizinische Voraussetzungen für den Vertretungsfall
Medizinische Voraussetzungen für den Vertretungsfall
Kritisch Kranke sind sowohl im Rahmen einer notfallmedizinisch-präklinischen Versorgung
als auch einer Behandlung in einer Notaufnahme oder auf einer Intensivstation häufig
nicht mehr oder vorübergehend nicht in der Lage, ihre Angelegenheiten der Gesundheitssorge
selbst zu besorgen. Sobald sich eine solche Situation ergibt, tritt der Betreuungsfall
für gesundheitliche Angelegenheiten ein. Der behandelnde Arzt muss bescheinigen, ob
und ab wann spätestens der Patient aufgrund einer Erkrankung oder Bewusstlosigkeit
nicht mehr einwilligungsfähig ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Arzt
grundsätzlich den Angaben des Ehegatten vertrauen, ab wann genau der Patient wegen
Erkrankung oder Bewusstlosigkeit seine gesundheitsbezogenen Angelegenheiten nicht
mehr besorgen konnte. Im Regelfall ist dieser Umstand wohl auf den Beginn der ärztlichen
Behandlung zu datieren [4 ].
Prozedurale Voraussetzungen für den Vertretungsfall
Prozedurale Voraussetzungen für den Vertretungsfall
Das Gesetz gilt nur für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner. Ausgeschlossen von
der Vertretung sind Ehegatten oder eingetragene Partner, die – analog zum sogenannten
„Trennungsjahr“ im Scheidungsrecht – nur noch formal verheiratet sind, jedoch inzwischen
in der Absicht der dauerhaften Trennung leben. Ausgeschlossen sind weiterhin Kinder
oder unverheiratete Lebensgefährten bzw. Verlobte.
Die behandelnden Ärzte sollten sich beispielsweise im Gespräch durch zielführendes
Nachfragen davon überzeugen, dass die Ehe bzw. eingetragene Partnerschaft noch Bestand
hat.
Die gesetzliche Notvertretung ist nachrangig gegenüber einer anwendbaren Vorsorgevollmacht
oder Betreuung und greift außerdem nur dann, wenn keine Ausschlussgründe vorliegen
(s. Formular [3 ], [Abb. 1 ]). Neben der Verwirklichung der medizinischen Voraussetzung muss der behandelnde
Arzt auch das Nichtvorliegen dieser Ausschlussgründe bescheinigen. Nach dem Willen
des Gesetzgebers kommt ihm allerdings keine eigene Nachforschungspflicht zu; vielmehr
darf er sich auf die Selbsterklärungen des (künftigen) Vertreters grundsätzlich verlassen
[2 ]. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Ehegatten möglicherweise
unzutreffend sind, z.B. divergierende Aussagen von Zugehörigen, dem Notarzt oder dem
Hausarzt, sollte der behandelnde Arzt die Voraussetzungen für den Vertretungsfall
für nicht gegeben erklären und unmittelbar das zuständige Betreuungsgericht zur Einrichtung
einer Eilbetreuung anrufen. Insofern findet sich auf dem Formular [3 ] auch eine Möglichkeit, diese Zweifel zu dokumentieren.
Der behandelnde Arzt sollte den künftigen Vertreter über die Aufgaben der Gesundheitsfürsorge,
einschließlich Entscheidungen, die möglicherweise erhebliche Schäden, Langzeitfolgen
oder den Tod zur Folge haben könnten (s.o.), wenigstens in wesentlichen Zügen aufklären.
Eine Hilfestellung und schriftliche Aufklärung hierzu findet sich auf der Seite der
Bundesärztekammer [3 ].
Der behandelnde Arzt übergibt dem vertretenden Ehegatten abschließend die Bescheinigung
über die medizinische Voraussetzung für den Vertretungsfall sowie die Bescheinigung
über das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe im Original. Eine Kopie dieser Dokumente
verbleibt in der Patientenakte.
Umfang und Gültigkeitsdauer
Umfang und Gültigkeitsdauer
Die Notvertretung gilt nur vorübergehend und solange, bis der Patient wieder über
seine Gesundheitsangelegenheiten eigenverantwortlich entscheiden kann, längstens allerdings
für 6 Monate. Gibt es bereits einen Vorsorgebevollmächtigten oder Betreuer, so hat
dieser vorrangig vor einer Notvertretung durch den Ehegatten den mutmaßlichen Patientenwillen
(ggf. auf Basis einer Patientenverfügung) geltend zu machen. Die Gesundheitsfürsorge
umfasst die in § 1358 Abs. 1 BGB abschließend aufgezählten Angelegenheiten, die nach
Meinung des Gesetzgebers in der Akutphase einer medizinischen Versorgung üblicherweise
zu regeln sind. Die Inhalte der Notvertretung umfassen auch Entscheidungen, die absehbar
schwere oder dauerhafte Gesundheitsschäden oder den Tod zur Folge haben können (und
in einer Gesundheitsvollmacht ausdrücklich erwähnt werden müssten: § 1829 Abs. 5 i.V.m.
§ 1820 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Sind solche Entscheidungen dringlich zu fällen, muss eine
bereits bestehende Vorsorgevollmacht oder Betreuung diese Dimension ausdrücklich umfassen.
Ist dies nicht der Fall, kommt die gesetzliche Notvertretung des Ehegatten in Betracht.
Kommt es nicht zu einer Ehegattennotvertretung, ist eine Eilbetreuung beim zuständigen
Betreuungsgericht anzuregen. Auch nach Übernahme einer Notvertretung empfiehlt es
sich, so bald wie möglich eine Betreuung anzustreben.
Sobald der Patient in der Lage ist, seine Gesundheitsangelegenheiten wieder eigenverantwortlich
zu regeln, entfallen die Voraussetzungen für eine Ehegattennotvertretung und diese
erlischt.
Kommt es nach einem Zustand „stabiler Handlungsfähigkeit“ zu einer erneuten Zustandsverschlechterung
mit Betreuungsbedürftigkeit des Patienten, muss diese formal erneut bescheinigt werden,
der Ehegatte wiederum die Abwesenheit von Ausschlussgründen versichern und damit beginnt
die 6-Monatsfrist aufs Neue.
Anwendung in der notfallmedizinischen Versorgung
Anwendung in der notfallmedizinischen Versorgung
Das Notvertretungsrecht dürfte auch im Rahmen einer notfallmedizinisch-prähospitalen
Versorgung greifen. Die medizinische Situation des Patienten als erstes Kriterium
für den Betreuungsfall erschließt sich dem Notarzt regelhaft zügig. Anders als der
Arzt in der Klinik kann der Notarzt in Abhängigkeit vom Einsatzort zudem einen Einblick
in die Lebensumstände des Patienten gewinnen, sodass die Frage des ehelichen bzw.
lebenspartnerschaftlichen Zusammenlebens als das zweite Kriterium der Vertretungsberechtigung
in aller Regel zu klären ist. Bei einer Klinikeinweisung des Patienten gehört es zu
den wichtigen Übergabeinformationen, zu klären, ob dem Ehegatten bereits eine Bestätigung
der Notvertretung ausgestellt und eine schriftliche Erklärung eingeholt wurde.
Eine erstmalige Ausübung des Notvertretungsrechts gegenüber nichtärztlichen Rettungsdienstmitarbeitern
ist ohne vorherigen (Not-)Arztkontakt nicht möglich. Die Feststellung der Voraussetzung für das Eintreten des Betreuungsfalls ist nicht nur nach § 1358 BGB ausdrücklich
„ärztlich“ zu bestätigen, sondern fällt im Sinne einer Diagnosestellung auch in den
nicht delegierbaren Kernbereich ärztlicher Tätigkeit . Heilkundliche Tätigkeiten dürfen nach § 2a NotSanG von Notfallsanitätern daneben
ausschließlich zur Abwendung von Lebensgefahr oder wesentlichen gesundheitlichen Folgeschäden
übernommen werden, sofern diese Tätigkeiten keinen zeitlichen Aufschub dulden. Auch
in Abwesenheit des Notarztes ist jedoch der mutmaßliche oder vorausverfügte Patientenwille
für die Durchführung oder Begrenzung jedweder notfallmedizinischen Maßnahme, z.B.
auch im Gespräch mit dem Ehegatten, zu ermitteln und zu beachten.
Im Falle eines Dissenses zwischen Notfallsanitätern und Ehegatten bzw. Lebenspartnern
in der Ermittlung des Patientenwillens empfehlen wir, zur rechtssicheren Indikationsstellung
sowie ärztlichen Aufklärung der Ehegatten bzw. Lebenspartner auf den Notarzt zu verweisen.
Auf die Bedeutung einer Strukturierung des Vorgehens innerhalb der Zuständigkeitsbereiche,
z.B. durch Handlungsleitfäden und durch vorgefertigte Formblätter, sowie auf eine
sorgfältige Schulung der Rettungsdienstmitarbeiter wird dennoch abermals hingewiesen.
Zusammenfassung
Ehegatten sind seit dem 01.01.2023 dazu berechtigt, sich im Falle der Einwilligungsunfähigkeit
des jeweils anderen gegenseitig in Angelegenheiten der Gesundheitssorge zu vertreten.
Hierzu hat der behandelnde Arzt (auch der Notarzt im präklinischen Bereich) zu bestätigen,
dass der Patient seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge nicht selbst besorgen
kann, und sich vom Ehegatten versichern zu lassen, dass keine Ausschlussgründe vorliegen.
Ehegatten nehmen damit die Aufgabe der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens
und der anschließenden rechtswirksamen Zustimmung zu oder Ablehnung von medizinischer
Diagnostik und Therapie wahr, die sonst Vorsorgebevollmächtigten und Betreuern obliegt.
Das Verfassen einer vorrangig zu beachtenden Vorsorgevollmacht mit mitunter größerem
Ermächtigungsumfang sowie einer Patientenverfügung bleiben ungeachtet der neuen Gesetzgebung
die vorzugsweise Form der Vorausverfügung.
Anmerkung
Zur besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet; die Handreichung
ist selbstverständlich an die Beteiligten aller Geschlechter adressiert.