ergopraxis 2023; 16(07/08): 46-48
DOI: 10.1055/a-2048-3274
Perspektiven

Der bewusste Blick nach innen – Gesunde Selbstführung

Lisa Holtmeier
 

Wer andere führen will, muss sich selbst führen lernen. Handelt es sich bei diesem Satz um eine Phrase oder steckt doch mehr dahinter? Was bedeutet (gesunde) Selbstführung und wie kann sie im stressigen Alltag gelingen? Das und vieles mehr erfahren Sie in diesem Beitrag.


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Treten Sie regelmäßig einen Schritt zurück und betrachten sich selbst: Wie fühlen Sie sich gerade? Und was können Sie für sich tun, damit es Ihnen besser geht? Quelle © S. Schaaf/Thieme

Wie geht es Ihnen? Ich meine jetzt, genau in diesem Moment. Wie fühlen Sie sich? Wie war Ihr Tag bis jetzt? Und wann haben Sie sich diese Fragen das letzte Mal gestellt?

Gesunde Selbstführung, auch als Self-Leadership bekannt, bedeutet, das eigene Handeln, Fühlen und Denken bewusst steuern und verändern zu können. Wichtige Bestandteile der gesunden Selbstführung sind unter anderem Selbstregulation, Selbstreflexion, Selbstverantwortung und Selbstmanagement.

In vielen Führungskräftetrainings oder Weiterentwicklungsprogrammen für Führungspersonen liegt der Schwerpunkt auf der Führung anderer Menschen. Selbstredend handelt es sich hierbei um eine elementare Führungsaufgabe. Gleichzeitig ist die Selbstführung genauso wichtig, wenn nicht sogar noch ein klein wenig wichtiger. Denn die Art und Weise, wie Sie mit sich umgehen und wie Sie sich selbst führen, gestaltet maßgeblich Ihren Stil der Personalführung. Ihre Art, sich selbst zu führen, bildet die Grundlage und damit den Nährboden für die Weiterentwicklung aller. Erfahrungsgemäß sind Führungspersonen sehr rigoros im Umgang mit sich selbst.

Führungspersonen sollen Menschen führen, auch sich selbst!

Führen Sie sich selbst so wie Ihre Mitarbeitenden? Wenn nicht, welche Unterschiede beobachten Sie? Wie würden Sie Ihr Führungsverhalten gegenüber den Mitarbeitenden beschreiben und wie würden Sie Ihr Führungsverhalten sich selbst gegenüber beschreiben?

Warum gesunde Selbstführung so wichtig ist

Wie bereits erwähnt, bildet eine gesunde Selbstführung die Grundlage Ihres Führungsstils. Zudem beeinflussen Sie dadurch maßgeblich Ihre Gesundheit, den Erfolg Ihrer Arbeit und Ihr Wohlbefinden. Gesunde Selbstführung geht nämlich mit einem gesunden Stressmanagement einher. Gleichzeitig zahlen Sie auf das Konto der Motivation, Zufriedenheit, Flexibilität und Effizienz ein. Sie spüren ein größeres Vertrauen sich selbst gegenüber und eine innere Gelassenheit und Zuversicht, für Probleme Lösungen zu finden. Zudem haben Sie in Ihrer Rolle eine Vorbildfunktion, das bedeutet, dass sich Mitarbeitende an Ihrem Verhalten orientieren.


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Zwölf Tipps, wie gesunde Selbstführung gelingen kann und welche Strategien dabei hilfreich sind.

1 Führen bedeutet nicht aufopfern

So lautet das erste Credo. Einige Führungspersonen kümmern sich aufopferungsvoll um Ihre Mitarbeitenden und vernachlässigen sich selbst und die eigenen Bedürfnisse vollends. Sie tun niemandem einen Gefallen damit, Ihre eigenen Vorstellungen, Bedürfnisse und Wünsche hintanzustellen. Irgendwann können Sie diese Disbalance nicht mehr kompensieren. Sie werden zunehmend gestresster, gereizter und belasteter sein. Zudem werden Sie mehr und mehr frustriert sein, da der Anspruch an die Mitarbeitenden systematisch zu dem, was Sie geben, steigt. Geben und Nehmen sind demnach sehr stark in Disbalance.

2 Keine 24/7-Erreichbarkeit

Gesunde Selbstführung bedeutet, auch mal nicht erreichbar zu sein. Achten Sie auf sich. Achten Sie auf freie Zeiten. Es macht Sie nicht automatisch zu einer superzuverlässigen Führungsperson, wenn Sie immerzu erreichbar sind. Sie zahlen mit Ihrer Gesundheit, und das ist es nicht wert. Vereinbaren Sie mit Ihrem Team Zeiten, in denen Sie nicht erreichbar sind. Besprechen Sie gemeinsam Strategien, wie sich die Mitarbeitenden in solchen Fällen verhalten könnten. Zusätzlich können Sie bewusste Zeiten einrichten, in denen Sie verlässlich erreichbar sind. Richten Sie Ihre eigene kleine Sprechstunde ein.

3 Pausen, Auszeiten & Wochenende

Wenn Sie Wochenende haben, dann haben Sie Wochenende. Und wenn Sie Urlaub haben, haben Sie Urlaub. Wenn Sie Pausen haben, dann … – planen Sie sich überhaupt Pausen ein? Und wenn die Zeit offiziell „Pause“ heißt, was machen Sie dann genau?

Gesunde Selbstführung und gesundes Selbstmanagement bedeuten, die Woche und die eigene Zeit so zu managen, dass Sie das Wochenende zur freien Verfügung haben und dieses nicht für Bürotätigkeiten und Steuern nutzen. Es sei denn, diese Tätigkeiten tragen nachhaltig zu ihrem Wohlbefinden und Ihrer Entspannung bei.

4 Erkennen Sie sich selbst an

Das Wort Wertschätzung ist in aller Munde. Wahrscheinlich wird es Ihnen bewusst sein, wie wichtig Wertschätzung in der Führung von Mitarbeitenden ist. Wie wertschätzend sind Sie zu sich selbst? Inwiefern erkennen Sie sich selbst an? Gesunde Selbstführung bedeutet, sich selbst anzuerkennen und sich selbst wertzuschätzen. Damit stärken Sie Ihre Selbstbeziehung und Ihr Selbstvertrauen. Selbstwertschätzung ist ein geeignetes Mittel gegen Stress.

5 Sich selbst reflektieren

Zuverlässig zu sein bedeutet nicht, dass Sie immer erreichbar sind.

Nehmen Sie sich Zeit für Selbstreflexion. Sich selbst zu reflektieren, ist der Schlüssel für Ihre eigene Weiterentwicklung. Ihr Team, Ihre Praxis oder Ihre Abteilung kann sich erst weiterentwickeln, wenn Sie sich immer wieder Zeit zum Reflektieren nehmen. Durch Selbstreflexion lernen Sie sich noch viel besser kennen. Dabei helfen folgende Fragen:

  • Was sind Ihre Stärken als Führungsperson?

  • Was stresst Sie?

  • Was fällt Ihnen in Ihrer Rolle als Führungsperson schwer?

  • Welchen Anteil haben Sie an der Situation XY?

  • Welche Ressourcen sind Ihnen in Ihrem Alltag dienlich?

  • Welche Führungsperson möchten Sie für Ihre Mitarbeitenden und sich selbst sein?

  • Was brauchen Sie, damit es Ihnen in Ihrer Führungsrolle gut geht und Sie diese Aufgabe noch lange ausführen können?

Lassen Sie Selbstreflexion zu einem regelmäßigen Ritual werden: Wie war die Woche für mich? Was ist gut gelaufen und warum? Was ist nicht so gut gelaufen und aus welchen Gründen? Was kann ich tun, damit die nächste Woche gut/stressfreier/strukturierter wird?

6 Stressmanagement

Schaffen Sie sich einen Ausgleich. Das muss nicht eine bestimmte Aktivität sein, es können auch mehrere Aktivitäten sein, beispielsweise das Lesen eines Buches, ein Spaziergang, Sport oder ein Kaffee mit einer Freundin.

Je ausgeglichener Sie sind, desto besser können Sie Ihre Emotionen regulieren und mit Stress umgehen. Mit Ihrer Stimmung beeinflussen Sie die Stimmung im Team. Sie werden die Situation sicherlich kennen: Wenn eine Person im Team sehr schlecht gelaunt ist, werden es andere Teammitglieder spüren, und die Stimmung als Ganzes wird weniger ausgelassen sein. Achten Sie daher gut auf sich. Was könnte ein guter Ausgleich zu Ihrer Führungsrolle sein?

7 Selbstverantwortung

Sie sind für sich und Ihr Wohlbefinden verantwortlich. Fragen Sie sich immer wieder, was Sie für sich tun können. Übernehmen Sie Verantwortung für sich. Zu schnell neigen wir dazu, die Verantwortung im Alltag bei anderen zu suchen. Wenn Sie sich mehr Selbstverantwortung bei Ihren Mitarbeitenden wünschen, dann seien Sie ihnen ein Vorbild. Treffen Sie Entscheidungen, kommunizieren Sie transparent und stehen Sie zu Fehlern.

Durch fehlende Selbstverantwortung fühlen sich Menschen schneller fremdbestimmt und hilflos. Dadurch steigt das Risiko für Ängste, Depressionen und Burn-out. Auch wenn Sie Teil eines Systems sind, fragen Sie sich immer wieder, welchen Unterschied Sie in Ihrem kleinen Kosmos machen können. Sie sind nicht machtlos.

8 Selbstregulation

Wie gehen Sie mit Ihren Emotionen um? Schieben Sie den Ärger und die Wut beiseite oder machen Sie sich richtig Luft? Platzt es manchmal einfach so aus Ihnen heraus oder sind Sie ständig bestrebt, zu funktionieren? Es wird einige Situationen in Ihrem Alltag geben, die Sie frustrieren, wütend machen, verärgern, Ihnen Freude bereiten und sie überraschen. Wie gehen Sie damit um? Je besser Sie sich selbst führen, desto leichter fällt es Ihnen, sich selbst zu regulieren. Sie reduzieren damit die Wahrscheinlichkeit, aus dem Affekt zu reagieren.

Auch hier spielt das Thema Stressmanagement eine große Rolle. Ihre Fähigkeit zur Selbstregulation hängt maßgeblich von Ihrer Ausgeglichenheit ab. Für Ausgeglichenheit braucht es einen Ausgleich. Was ist Ihr Ausgleich?

9 Fürsorgepflicht

Ihnen wird bewusst sein, dass Sie eine Fürsorgepflicht Ihren Mitarbeitenden gegenüber haben. Neben dieser haben Sie auch eine Fürsorgepflicht sich selbst gegenüber. Was tun Sie für sich? Was tun Sie für Ihre Gesundheit? Was tun Sie für gesunde Arbeitsbedingungen?

10 Selbstbelohnung

Wann haben Sie sich das letzte Mal belohnt? Gesunde Selbstführung bedeutet nicht, alles als Selbstverständlichkeit zu betrachten, sondern sich selbst auch mal zu belohnen. Wie belohnen Sie sich im Alltag? Mit welcher Kleinigkeit können Sie sich nach getaner Abrechnung eine Freude bereiten? Was können Sie nach einem langen Arbeitstag für sich tun?

Selbstreflexion ist der Schlüssel für Ihre eigene Weiterentwicklung – und die Ihres Teams.

11 Ziele

Ziele bieten Orientierung und Sicherheit. Es ist leichter, sich selbst zu führen, wenn Sie eine Idee haben, in welche Richtung es gehen soll. Es wird Ihnen leichter fallen, ein Ziel zu erreichen, wenn Sie eine konkrete Adresse in Ihr Navigationssystem eintippen können. Dieses System wird Sie zu Ihrem Ziel führen. Erinnern Sie sich in Ihrem Alltag immer wieder an Ihre Ziele. Das bringt Klarheit und hilft bei der inneren Ausrichtung.

Führung wird durch Ziele erleichtert, sonst kommt es schnell zur Desorientierung. Das gilt für Sie und Ihr Team.

12 Gesunde innere Dialoge

Ein wichtiger Bestandteil gesunder Selbstführung sind gesunde innere Dialoge. Wie reden Sie mit sich? Die Art und Weise des „Self-Talks“ hat erhebliche Auswirkungen auf das Stressempfinden, die Zufriedenheit, die Gesundheit und die Motivation. Welche Sätze würden Ihnen im Alltag guttun? Was könnten Sie sich selbst häufiger sagen?

Beobachten Sie sich gern mal im Alltag, wie Sie die Dinge kommentieren, die sie tun. Würden Sie Ihre inneren Dialoge als liebevoll, nachsichtig und motivierend beschreiben oder sind reden Sie mit sich eher streng, beängstigend und sorgenvoll? Welche Art von inneren Dialogen könnten Ihnen im Alltag dienlich sein?


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Der nächste Schritt

Was könnte Ihr erster oder vielleicht auch nächster Schritt in Richtung gesunde Selbstführung sein? Was können Sie im Alltag bewusst für sich selbst tun? Was hat Sie in diesem Artikel besonders angesprochen?

Selbstführung ist übrigens nicht nur etwas für Menschen in Führungs- und Leitungspositionen. Gesunde Selbstführung betrifft uns alle. Wann fangen Sie an, sich selbst gesund zu führen?

Ich wünsche Ihnen bewusste Blicke nach innen und gesunde Begegnungen mit sich selbst.

Lisa Holtmeier


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Autorin

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de

Publication History

Article published online:
30 June 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Lisa Holtmeier ist Ergotherapeutin BSc., Gründerin von WORDSEED, Kommunikationscoach und Podcasterin. Sie hält Vorträge, gibt Fortbildungen und coacht Praxen im Bereich der internen und externen gesunden Kommunikation. Kommunikation wird in ihrer Arbeit als betriebliche Gesundheitsförderung eingesetzt. WORDSEED: Worte säen – Gesundheit, Zufriedenheit und Motivation ernten. E-Mail: durchstarter@wordseed.de
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Treten Sie regelmäßig einen Schritt zurück und betrachten sich selbst: Wie fühlen Sie sich gerade? Und was können Sie für sich tun, damit es Ihnen besser geht? Quelle © S. Schaaf/Thieme