Ultraschall Med 2023; 44(03): 233-239
DOI: 10.1055/a-2055-6712
Editorial

Endometriose, Ultraschall und #Enzian-Klassifikation: Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache für die nicht invasive Diagnostik

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Authors

  • Jörg Keckstein

  • Markus Hoopmann

 

Endometriose, Ultraschall und #Enzian-Klassifikation: Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sprache für die nicht invasive Diagnostik

Die Endometriose ist eine benigne Erkrankung mit vielfältigen Erscheinungsformen und Symptomen. Sie betrifft vor allem Frauen im gebärfähigen Alter und kann in einigen Fällen die Lebensqualität der Frauen grundlegend und dauerhaft beeinträchtigen. Denn obwohl die Ursache dieser Erkrankung trotz vielfältiger Erklärungsmodelle noch nicht geklärt ist, so weiß man, dass sie einen progressiven Verlauf haben kann und die Diagnose häufig viel zu spät gestellt wird. Das kann verheerende Folgen für die Frau haben. Der Mechanismus, der diesem Problem zugrunde liegt, ist multifaktoriell, am wahrscheinlichsten ist jedoch die hartnäckige Überzeugung, die Diagnose könne nur durch eine Operation gestellt werden.

Die transvaginale Ultraschalluntersuchung (TVUS) ist die Standard-Diagnostik der Gynäkologen. Während bislang klar war, dass damit eine ovarielle Endometriose genau darstellbar war, wird nun zunehmend erkannt, dass TVUS auch die tief infiltrierende Endometriose (TIE) zuverlässig diagnostizieren kann [1] [2] [3] [4] [5]. Dies schließt alle wichtigen Strukturen des inneren Genitaltraktes mit ein (Vagina, Uterus, Ovar, Eileiter, Ligamente) [1] [6] [7], und insbesondere die Darstellung der Adenomyose [8] [9] [10]. Darüber hinaus können alle anderen anatomischen Strukturen des Beckens mit den verschiedenen Kompartimenten, einschließlich der extragenitalen Organe (Harnblase, Darm, Ureter) [11] [12] [13] und der bindegewebsartigen Stützstrukturen, sonografisch gut dargestellt werden und erlauben so eine Differenzierung ihrer Infiltration durch Endometriose. Ein strukturiertes System, wie die IDEA- [14] oder MUSA-Kriterien [15], ist für die Beurteilung des Beckens und die Dokumentation, einschließlich der Klassifikation, sehr hilfreich. Die mitunter sehr hohe Sensitivität und Spezifität hängt zum einen von den zu untersuchenden Organen und dem Ausmaß des Befundes und zum anderen vom Untersuchungssetting (der Expertise des Untersuchers sowie den technischen Voraussetzungen) ab.

Extrapelvin lokalisierte Endometrioseherde können zusätzlich durch transabdominalen Ultraschall und ggf. durch eine MRT als weitere wichtige nicht invasive Methoden dargestellt werden.

Über die Frage, ob TVUS oder MRT vorrangig eingesetzt werden sollte, gibt es derzeit verschiedene Ansichten [16]. Dies hängt nicht nur vom Verfahren selbst ab, sondern liegt auch an den unterschiedlichen Gewohnheiten und Gepflogenheiten der gynäkologischen Diagnostik in den verschiedenen Fachgesellschaften und Ländern – und nicht zuletzt an der Expertise des behandelnden Arztes.

Der Vorteil des TVUS liegt eindeutig in der Einfachheit der Methode und der universellen Anwendbarkeit (Praxis, Operationssaal usw.) sowie in der Tatsache, dass sie vom Gynäkologen oder vom Chirurgen selbst durchgeführt werden kann. Die Möglichkeit einer dynamischen Untersuchung („sliding sign“, „tenderness“ usw.) [17] [18] in Verbindung mit der Kenntnis der individuellen Symptomatik ist sehr informativ und äußerst hilfreich für die Diagnosestellung und weitere therapeutische Entscheidungen. Bestimmte sonografisch schwer zugängliche Regionen (Zwerchfell, Lunge, seitliche Beckenwand), können mittels MRT besser dargestellt werden [19] [20].

Neben den offensichtlichen klinischen Vorteilen der transvaginalen Sonografie gegenüber der MRT sind auch die deutlich geringeren Kosten und – in Zeiten der Klimakrise – die Umweltbelastung zu berücksichtigen. Ultraschall weist die niedrigsten Werte auf, während die Magnetresonanztomografie (MRT) aufgrund ihres hohen Energieverbrauchs den größten CO2-Fußabdruck aufweist [21].

Während die diagnostische Laparoskopie (LSK) bisher der Goldstandard für weitere Therapieentscheidungen war, eröffnet die Ultraschalldiagnostik völlig neue Perspektiven.

Eine frühzeitige exakte Diagnose und kompartimentelle Beschreibung von Ausmaß und Schweregrad der Erkrankung ist für die Patientenberatung und die weitere Behandlungsplanung von großem Vorteil.

Die beschriebenen Symptome lassen sich den sonografisch erhobenen Befunden zuordnen.

Eine tief infiltrierende Endometriose, die in manchen Fällen in der diagnostischen Laparoskopie nicht eindeutig zu identifizieren ist, kann mittels TVUS im Extraperitonealraum vollständig dargestellt werden, ohne dass sie durch eine riskante Operation entfernt werden muss. Dies ist besonders hilfreich, wenn die Läsionen asymptomatisch sind und/oder kein progressives Wachstum zeigen.

Die sonografische Beobachtung (durch regelmäßige Kontrollen) der Läsionen im Rahmen der konservativen Therapie ermöglicht die Überwachung der Krankheitsdynamik und erleichtert die Planung individualisierter therapeutischer Strategien. In einer sonografischen Langzeitstudie der tief infiltrierenden rektalen Endometriose wurde gezeigt, dass diese tiefen Herde ein spezifisches Wachstumsverhalten aufweisen, das sowohl vom Alter als auch von der Hormonbehandlung abhängt und mit einem statistischen Modell berechnet werden kann [22].

Vor einem chirurgischen Eingriff können durch die exakte Lokalisierung und Messung der TIE die Dauer, die Komplexität, aber auch die Risiken der Operation vorhergesagt werden. Ziel ist es, unnötige Operationen zu vermeiden und eine differenzierte Indikationsstellung für den individuellen Eingriff zu geben.

Im Hinblick auf Infertilität, insbesondere bei ovarieller Endometriose und Verwachsungen, unterstützt Ultraschall die Entscheidung zwischen ART und chirurgischer Therapie.

Die transvaginale Sonografie erfordert daher eine spezielle Schulung und Fachkenntnisse bezüglich der Diagnostik der Endometriose [24]. Ziel ist die Förderung von strukturierten, guten Ausbildungsmöglichkeiten und schließlich der Aufbau einer Zertifizierung nach einem definierten Stufenkonzept.

So können Patientinnen, insbesondere solche mit schwerer Endometriose, frühzeitig erkannt und bei Bedarf an Kompetenzzentren mit multidisziplinären Teams (Gynäkologen, Urologen, Chirurgen und Reproduktionsmediziner) überwiesen werden.

Die Beschreibung der Endometriose im Rahmen der nicht invasiven Diagnostik erfolgte bisher hauptsächlich in Form eines narrativen Berichts, teilweise strukturiert durch Empfehlungen von Experten. Eine Kommunikation zwischen den Radiologen, Ultraschallern und Chirurgen wird dadurch eher behindert als gefördert.

Die rASRM-Klassifikation wurde hauptsächlich zur Beschreibung der Endometriose im Zusammenhang mit der diagnostischen Laparoskopie verwendet [24]. Diese Klassifikation ist für die nicht invasive Diagnostik ungeeignet und die tief infiltrierende Endometriose (TIE) wird nicht berücksichtigt. Ein wesentlicher Teil der Pathologie fehlt, was die Beratung der Patientinnen und die klinische Entscheidungsfindung erschwert.

Daher kann man die Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten, die diese Klassifizierung verwenden, eher als ungenau und in einigen Fällen als nicht relevant ansehen. Um eine gemeinsame Ausdrucksweise zur Beschreibung der tiefen Endometriose zu finden, wurde 2003 die Enzian-Klassifikation entwickelt [25]. Im Jahr 2021 wurde diese Klassifikation zur #Enzian-Klassifikation weiterentwickelt und als umfassendes System für den Einsatz in der nicht invasiven und invasiven Diagnostik vorgestellt [26] [27]. Diese neue Klassifikation ist sehr gut geeignet, alle Befunde im Becken, aber auch außerhalb davon, hinsichtlich Lokalisation und Größe zu beschreiben [28].

Die offensichtliche Ungenauigkeit der ASRM-Klassifikation wird durch eine prospektive Studie gestützt, in der die ASRM-Klassifikation mit der #Enzian-Klassifikation verglichen wurde [31]. Die Reduktion sehr komplexer Befunde auf nur 4 Stadien in der ASRM-Klassifikation führt dazu, dass einzelne Befunde nicht reproduzierbar abgebildet werden. Auch bei Patienten mit Stadium 1 fanden sich schwere pathologische Befunde, insbesondere im Extraperitonealraum oder im Rektum. Eine differenzierte und vollständige Befunddokumentation durch einen Code, wie in der #Enzian-Klassifikation, entspricht wesentlich besser der klinischen Realität.

Eine Korrelation zwischen den Befunden und der Symptomatik ist in der ASRM-Klassifikation nicht gegeben, während sie bei der Verwendung der Enzian-Klassifikation durch die Studie von Montanari et al. nachgewiesen wurde [30].

Mit der differenzierten sonografischen Darstellung und detaillierten Beschreibung mittels #Enzian-Klassifikation können mathematische multifaktorielle Modelle entwickelt werden, um Korrelationen und Rückschlüsse auf Befunde und Symptome herzustellen. Hierfür sind prospektive Studien erforderlich.

Ähnliches gilt für die Vorhersage der Fertilität bei verschiedenen Endometriose-Befunden [29]. Die Bewertung relevanter Endometriose-Befunde, in Kombination mit anderen fertilitätsrelevanten biografischen Informationen (Alter, Fertilitätsanamnese) und anatomischen (Tubenstatus etc.) könnte – analog zum EFI („Endometriosis Fertility Index“) – berechnet werden [28]. Entsprechende Studien sind in Planung.

Des Weiteren wurden mehrere Studien durchgeführt, die den Vorteil der Verwendung der #Enzian-Klassifikation in der sonografischen Diagnostik belegen. In dieser Ausgabe des „European Journal of Ultrasound“ ist die retrospektive Studie von Di Giovanni publiziert [32]. Diese italienische Studie mit hoher sonografischer und chirurgischer Expertise demonstriert die Genauigkeit der Klassifikation und die Übereinstimmung der sonografisch klassifizierten Befunde mit den intraoperativen Befunden. Die prospektive Multicenterstudie von Montanari et al. [42] konnte die Befunde von Di Giovanni bei 745 Patienten bestätigen.

Die Ergebnisse dieser Studien zeigen auch, dass die neue Klassifikation ebenso gut anwendbar ist wie die nicht invasive Diagnosemethode selbst. Der Nachweis einer tiefen Endometriose im Ligamentum sacrouterinum oder in den oberen Darmsegmenten war sowohl von der Anatomie als auch vom Untersucher abhängig und zeigte, dass eine gewisse Fachkenntnis erforderlich war. Die Darstellung pathologischer Befunde in der seitlichen Beckenwand, möglicherweise unter Beteiligung von Nerven wie dem Plexus sacralis, befindet sich noch in der wissenschaftlichen und klinischen Erprobung.

Die inzwischen gängige Sprache von #Enzian wurde auch von Radiologen evaluiert und hat sich als nützliches Hilfsmittel zur Beschreibung von Befunden erwiesen [33] [34] [35].

Die #Enzian-Klassifikation wird von einigen Kollegen zunächst als schwer verständlich angesehen. Natürlich ist es einfacher, einen Befund nur mit den Stadien 1–4 zu versehen, als einen komplexen Code zu erstellen. Die ASRM-Klassifizierung erfolgt häufiger durch Abschätzung als durch exakte Bewertung. Eine Studie von Metzemaeker zeigt, dass die Anwendung der ASRM-Klassifikation ohne Unterstützung durch ein digitales Erfassungssystem in den meisten Fällen zu einem falschen Ergebnis führt. In einem Vergleich zwischen ASRM, Enzian und EFI wurde festgestellt, dass die Enzian-Klassifikation die höchste Genauigkeit aufweist [36]. Diese war sogar noch besser, wenn die Klassifizierung mit einem webbasierten Programm wie EQUSUM durchgeführt wurde.

Mit der #Enzian-Klassifikation können pathologische Befunde aller Kompartimente detailliert bewertet, kodiert und dokumentiert werden, was die klinische Entscheidungsfindung und auch die chirurgischen Strategien erheblich vereinfacht.

Patientinnen wollen oft wissen, in welchem Stadium sich ihre Krankheit befindet. Es wäre einfach, ein Stadium 1–4 anzugeben, aber das entspricht nicht dem Charakter der Krankheit oder der Prognose für die Patientin. Eine sehr detaillierte Darstellung und Dokumentation der Erkrankung (Code) erleichtert sowohl die Kommunikation mit der Patientin als auch ihr Verständnis für die verschiedenen Lokalisationen der pathologischen Befunde. Gerade bei Patientinnen mit geringer Symptomatik kann eine differenziertere Beschreibung daher auch hilfreich sein, um Ängste und Unsicherheiten über das Ausmaß der Erkrankung und einer möglichen Progression auszuräumen.

Eine von A. Wattiez (MIS) entwickelte App (Open Access) [37] ermöglicht das Erlernen der #Enzian-Klassifikation auf dem Smartphone, was die Erfassung der Komplexität der Klassifikation und die Dokumentation des erhobenen Codes erleichtert. Eine weitere App der Scientific Endometriosis Foundation (SEF) ist in Entwicklung.

Die #Enzian-Klassifikation ist derzeit das umfassendste System, das sowohl für die nicht invasive als auch für die invasive Diagnose geeignet ist. Die „International Society of Gynecologic Endoscopy“ (ISGE) empfiehlt daher die Verwendung der IDEA-Kriterien in Kombination mit der #Enzian-Klassifikation bei der sonografischen Diagnose der TIE [38].

Die „International Society of Ultrasound in Obstetrics and Gynecology“ (ISUOG) und die „International Deep Endometriosis Analysis Group“ (IDEA), die „European Society for Gynaecological Endoscopy“ (ESGE), die „European Endometriosis League“ (EEL), die „International Society for Gynecologic Endoscopy“ (ISGE), die „European Society of Human Reproduction and Embryology“ (ESHRE), die „European Society of Urogenital Radiology” (ESUR) und die „American Association of Gynecologic Laparoscopists“ (AAGL) erarbeiten derzeit eine gemeinsame Konsenserklärung mit evidenzbasierten Aussagen zum Einsatz nicht invasiver bildgebender Verfahren für die nicht invasive Diagnostik und die Klassifikation der Endometriose.

Die neueste Endometriose-Leitlinie der ESHRE („European Society of Human Reproduction and Embryology“) relativiert die Forderung nach einer histologischen (chirurgischen) Bestätigung der Endometriose-Diagnose [39]. Die Gesellschaft empfiehlt – aufgrund des Fortschritts und der hohen Qualität der bildgebenden Verfahren – eine vollständige Neubewertung der Indikation zur chirurgischen Diagnostik, die auch mit Risiken verbunden ist. So zeigen Goncalves et al., dass die systematische Beurteilung der Endometriose mittels transvaginalem Ultraschall (TVUS) die diagnostische Laparoskopie ersetzen kann, insbesondere bei tiefer und ovarieller Endometriose [40].

Eine Verlagerung von der chirurgischen bzw. läsionsorientierten Diagnostik hin zu einer umfassenderen Diagnose, bei der neben Symptomen und Zeichen auch nicht invasive bildgebende Befunde eine entscheidende Rolle spielen, ermöglicht eine deutliche Verkürzung der Zeit bis zur Diagnosestellung.

Um die Qualität der Methodik und ihre Anwendung im Alltag zu erhöhen, sollen spezielle Ausbildungskurse für den Erwerb der spezifischen sonografischen Kompetenzen eingerichtet werden [41]. Die Zertifizierung von Fachärzten oder Zentren mit hoher sonografischer Qualifikation wird diskutiert, um eine umfassende interdisziplinäre Versorgung von Patientinnen mit schweren Erkrankungen zu gewährleisten.

Zusammenfassung:

Die Ultraschalluntersuchung bei Verdacht auf Endometriose und bei manifester Endometriose ist eine der wichtigsten Säulen im Rahmen der Diagnostik, sowie bei der Wahl der individuellen Therapiekonzepte. Dadurch bekommt die Endometriose ein Gesicht und eine Gestalt; man bekommt eine sehr genaue Vorstellung vom Ausmaß der Erkrankung, ohne sie unbedingt entfernen zu müssen. Die Sonografie hilft, unnötige Operationen zu vermeiden und verbessert die Planung und das Management individueller chirurgischer Eingriffe. Außerdem erleichtert sie die postoperative Nachsorge, insbesondere in schweren Fällen.

Die Anwendung der #Enzian-Klassifikation für die sonografische Untersuchung führt zu einer systematischen Beschreibung und Einordnung der Erkrankung. Diese Klassifizierung ist umfassend und erlaubt sowohl den nicht invasiven als auch den chirurgischen Einsatz. Dadurch wird die Kommunikation zwischen Ärzten und Patientinnen, Ultraschallern und Chirurgen erheblich erleichtert und die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessert.



Prof. Dr. Jörg Keckstein

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Prof. Dr. Markus Hoopmann

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Conflict of Interest

The authors declare that they have no conflict of interest.


Correspondence

Prof. Dr. Jörg Keckstein
Endometriosis Clinic Dres. Keckstein, Villach
Austria   

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Article published online:
06 June 2023

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