CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(06): 686-693
DOI: 10.1055/a-2073-9534
GebFra Science
Review

Brustimplantatassoziierte Tumoren

Article in several languages: English | deutsch
1   Department of Plastic- and Aesthetic Surgery, Helios Klinik Emil von Behring, Berlin, Germany
,
Thomas Kremer
2   Klinik für Plastische und Handchirurgie mit Schwerbrandverletztenzentrum, Klinikum St. Georg, Dresden, Germany
,
Lukas Prantl
3   Abteilung für Plastische-, Hand- und Rekonstruktive Chirurgie, Universität Regensburg, Regensburg, Germany (Ringgold ID: RIN9147)
,
Alba Fricke
1   Department of Plastic- and Aesthetic Surgery, Helios Klinik Emil von Behring, Berlin, Germany
4   Department of Plastic and Hand Surgery, University of Freiburg Medical Centre, Medical Faculty of the University of Freiburg, Freiburg, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Zusätzlich zu dem anaplastischen großzelligen T-Zell-Lymphom (BIA-ALCL) werden seit einigen Jahren weitere Tumoren im Zusammenhang mit Implantaten beschrieben. Sehr selten traten Plattenepithelkarzinome (SSC) und B-Zell-Lymphome auf. Die ungeklärte Pathogenese sowie das unklare individuelle Risikoprofil bringen eine anhaltende Verunsicherung von Patienten und Ärzten mit sich. Während das BIA-ALCL gehäuft im Zusammenhang mit texturierten Brustimplantaten auftritt, wurden die anderen Tumoren auch bei glattwandiger Textur und anderen Implantatlokalisationen beobachtet. Multiple potenzielle Mechanismen werden diskutiert. Eine vermutlich multifaktorielle Genese, die zu einer chronischen Entzündungsreaktion mit konsekutiver Immunstimulation führt, scheint eine Schlüsselrolle bei der malignen Transformation zu spielen. Für eine spezifische Risikobewertung liegen bisher keine ausreichend validen Daten vor, weshalb diese zurückhaltend erfolgen muss. Dargestellt werden Inzidenz, Pathogenese und Evidenzlevel des aktuellen Wissensstands sowie eine Bewertung und Diskussion der aktuellen Literatur.


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Einleitung

Der mit weitem Abstand häufigste Tumor dieses Formenkreises ist das brustimplantatassoziierte anaplastische großzellige Lymphom (BIA-ALCL), ein sehr seltener Subtyp der Non-Hodgkin-Lymphome. Im Gegensatz zum primären, sporadischen ALCL der Brust handelt es sich nicht um einen Tumor des Brustgewebes. Es tritt ganz überwiegend nach der Implantation von texturierten Silikonimplantaten innerhalb der Implantatkapsel auf.

Die genaue Anzahl der weltweiten Fälle ist schwierig zu bewerten, da die unstrukturierten Meldungen zum Teil unvollständig oder redundant in unterschiedlichen Datenbanken sind [1]. Zudem fehlen häufig Angaben zur Implantathistorie, zum klinischen Verlauf und zur Histologie. Neben unverlässlichen Daten zur Inzidenz liegen auch keine belastbaren Verkaufs- bzw. Implantationsdaten vor. Es bestehen erhebliche Unterschiede gemeldeter Fälle im Ländervergleich, deren Grund bisher nicht geklärt werden konnte (vgl. [Tab. 1]) [2].

Tab. 1 Registrierte BIA-ALCL-Fälle der PROFILE-Datenbank.

Einwohner Mio.

Fälle

verstorben

Modifiziert nach https://www.plasticsurgery.org/documents/Health-Policy/ALCL/PROFILE-Data-Summaries_Sept22.pdf

Die hier registrierten Fälle entsprechen nicht den Meldungen an die FDA [1].

Argentinien

45,8

17

0

Australien

25,7

112

4

Österreich

9

6

0

Belgien/Luxembourg

12,2

26

0

Brasilien

214

31

1

Kanada

28,3

38

1

Chile

19,6

2

0

China

1412

1

0

Dänemark

5,9

13

0

Frankreich

67,7

99

4

Deutschland

84

46

0

Griechenland

10,6

1

0

Ungarn

9,7

1

0

Israel

9,4

9

0

Italien

59,1

73

2

Japan

125,7

4

0

Mexiko

126,7

14

0

Holland

17,5

70

2

Neuseeland

5,1

20

1

Norwegen

5,4

13

0

Polen

37,7

10

0

Russland

144,7

8

0

Spanien

47,6

74

3

Schweiz

8,7

11

0

Schweden

10,6

8

2

Vereinigtes Königreich

67,5

78

1

Vereinigte Staaten

332

402

8

andere

60

2

Total

1233

31

Bei den gemeldeten Fällen gab es eine auffällige Häufung von makrotexturierten Implantaten zum Zeitpunkt der Explantation. Trotz unbefriedigender Datenlage wurden daraufhin im April 2019 sämtliche makrotexturierten Implantate vom Markt genommen. Mikrotexturierte Implantate sind deutlich weniger häufig betroffen, glattwandige, soweit bekannt, gar nicht.

Um zu einem besseren Verständnis der Erkrankung zu gelangen, aber auch um zukünftige implantatbasierte Probleme frühzeitiger zu detektieren, sind die bestehenden passiven Vigilanzsysteme nicht ausreichend. Vielmehr muss international eine verbindliche Datenkollektion mit Vernetzung der Auswertung aller Registerdaten erfolgen [3]. In Deutschland wird dies durch das Implantateregistergesetz als weltweiter Vorreiter derzeit realisiert [4].


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Epidemiologie des BIA-ALCL

Das sporadische ALCL der Brust ist eine sehr seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von ca. 0,037 je 1 Mio. Frauen. Zudem sind diese meistens vom B-Zell-Typ. Die T-Zell-Typen betreffen weniger als 6 % [5] [6]. Das Auftreten von implantatkorreliertem ALCL ist im Vergleich hierzu immer noch sehr selten, aber häufiger, als es von den sporadischen Formen zu erwarten wäre [7] [8]. Die retrospektiven Untersuchungen hierzu unterliegen Limitationen. Erst seit 2013 ist diese Form als eigenständige Entität gelistet. Bisher sind beide selbst durch immunhistochemische oder genetische Analysen schwierig zu unterscheiden. Aufgrund besserer Diskriminierungstechniken ist die vorläufige Einstufung verlassen worden [9] [10] [11].

Die Anzahl der weltweit durchgeführten Eingriffe mit Brustimplantaten ist unbekannt. Nach konservativen Schätzungen sind etwa 35 Mio. Patientinnen Träger von Brustimplantaten. Laut der globalen Umfrage der ISAPS (International Society of Aesthetic Plastic Surgery), werden jährlich etwa 1,68 Mio. Implantationen durchgeführt [12].

Der Food and Drug Administration (FDA) wurden bis April 2022 insgesamt 1130 Fälle gemeldet, davon 59 Todesfälle [13]. Kanada hat bisher 64 bestätigte Fälle und 25 Verdachtsfälle gemeldet; hiervon 3 Todesfälle (Stand: 6. April 2022) [14]. Australische Behörden erhielten bis September 2022 Meldungen über 112 Fälle. In der EU hat die Task Force on BIA-ALCL, die sich aus regulatorischen Behörden zusammensetzt, 398 Fälle gemeldet bekommen, wovon 345 konfirmiert werden konnten [15]. In Deutschland ist die Erkrankung meldepflichtig. Aktuell sind 46 BIA-ALCL-Fälle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) registriert, darunter kein Todesfall (Update vom 06.03.2023) [16].

Die Meldungen in der EU sind im Vergleich zu Australien und Neuseeland sehr niedrig. Dies spiegelt sich auch in den wenigen epidemiologischen Studien. Zusammengefasst variieren die Angaben zum Lebenszeitrisiko zwischen 1,65 und 35 Fällen je 100000 Frauen mit Implantaten [5] [17] [18] [19] [20]. Bei der Schätzung der erforderlichen Anzahl von Implantaten, um ein BIA-ALCL zu induzieren, berichten Cordeiro et al. über 10 eigene Fälle aus einer Kohorte von 3546 Frauen. Dies entspricht einer kumulierten Inzidenz von 1 : 355 Patientinnen [19]. Demgegenüber gehen Doren et al. von einem absoluten kumulativen Risiko von 29/1 Mio. Frauen bis 50 Jahre und einem Anstieg auf 82/1 Mio. im Alter von 75 Jahren aus. Die geschätzte Rate liegt zwischen 1 : 6600 und 1 : 53300, abhängig vom verwendeten Implantattyp [17]. Für Australien und Neuseeland wird das Risiko mit 1 : 2832 für Polyurethan-, 1 : 3345 für Biocell- (BIOCELL, Allergan, Dublin, Ireland) und 1 : 86029 für Siltex-Oberflächen (Siltex, Mentor, Deutschland) angegeben [21].

Da weder verlässliche Verkaufs- noch Implantationsdaten vorliegen, haben alle Autoren unterschiedliche Ansätze verfolgt. So extrapolierten De Boer et al. die Prävalenz von Implantaten aus 3000 zufällig ausgewählten Röntgenuntersuchungen und haben daraus die Prävalenz von Implantatträgerinnen in Holland von 3,3 % zugrunde gelegt. Die Angaben zu den Implantattypen resultieren aus Angaben der Hersteller zu den landesweiten Verkaufszahlen, nicht jedoch den tatsächlich verwendeten Produkten [5].

Auch unvollständige Angaben zur Implantathistorie verhindern eine zuverlässige Bewertung. In den meisten Ländern werden vorwiegend texturierte Implantate verwendet. Daher ist es nachvollziehbar, weshalb Meldungen überwiegend diesen Oberflächentyp betreffen. Im Gegensatz hierzu werden in den USA fast ausschließlich glattwandige Produkte verwendet. Dennoch wiesen von den 1130 gemeldeten Fälle der FDA 798 zum Zeitpunkt der Explantation texturierte Implantate auf, nur bei 37 Fällen glattwandige Oberflächen (vergl. [Tab. 2]).

Tab. 2 Angaben zur Oberflächentextur der FDA gemeldeten Fälle zum Zeitpunkt der Explantation [12].

Angabe zur Oberflächentextur

n = 1130

keine Angabe

295 (26%)

texturiert

798 (71%)

glattwandig

37 (3%)

davon:

8

mindestens 1 texturiertes Implantat in Vorgeschichte

10

vorausgegangenes Implantat, ohne Angaben zur Oberfläche

18

keine Angaben zur Vorgeschichte

1

1 glattwandiges Implantat und kein bekanntes texturiertes in Vorgeschichte

Angaben zur Inzidenz, insbesondere zur Bewertung spezifischer Implantate müssen somit zurückhaltend bewertet werden. In der Zusammenschau muss ein kausaler Zusammenhang mit makrotexturierten Implantaten angenommen werden. Das Fehlen eines verlässlichen Denominators (Anzahl der insgesamt eingebrachten Implantate) erlaubt bisher keine Risikokalkulation für andere Implantattypen. Die verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass Patientinnen mit Brustimplantaten ein niedriges absolutes, aber hohes relatives Risiko für die Entwicklung eines BIA-ALCL haben.

In diesem Zusammenhang muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass der ganz überwiegende Anteil der Erkrankungen bei makrotexturierten Implantaten aufgetreten ist. Diese Implantate sind inzwischen vom Markt, sodass eine prospektive Risikobewertung kaum möglich ist. Zudem ist unklar, ob wir uns aufgrund des hohen Verwendungsgrades dieser Produkte erst am Anfang eines Problems befinden und wie Operateure im Fall von Revisionseingriffen mit der Kapsel dieser Implantate verfahren sollen.


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Ursachen

Die Pathogenese des Tumors konnte bisher nicht geklärt werden. Es werden verschiedene Hypothesen diskutiert, die auf eine multifaktorielle Genese hindeuten. In jedem Fall scheint eine Immunstimulation durch eine subklinische chronische Entzündungsreaktion eine relevante Rolle zu spielen. Es wird vermutet, dass diese anhaltende Stimulation der T-Zellen ihre deregulierte klonale Expansion triggert. Auslöser könnten implantatbezogen sein, also eine Entzündungsreaktion durch die Implantathülle selber, ein Abrieb von Silikonpartikeln oder eine allergische Hypersensibilität, aber auch eingriffsbezogen, etwa eine bakterielle Kontamination mit bestimmten Keimen und Ausbildung eines Biofilms. Zudem könnte eine alterierte Immunantwort durch genetische Charakteristika der Patientin eine Rolle spielen [22] [23]. Für keine dieser Hypothesen liegen derzeit ausreichende wissenschaftliche Belege vor.

Diskutiert wird ebenfalls, ob es sich bei den aktivierten T-Lymphozyten zumindest in einem Teil der Fälle lediglich um eine lymphoproliferative Reaktion handelt, wie sie bei anderen, meist viralen inflammatorischen Prozessen gesehen wird, ohne dass es obligat zu einer malignen Transformation kommt. Dies wäre eine potenzielle Erklärung für die relativ geringe Anzahl von therapiebedürftigen ALCL-Fällen in der Vergangenheit [15] [24] [25].

Implantate

BIA- ALCL treten nicht ausschließlich bei Brustimplantaten auf, sondern wurden auch bei orthopädischen Materialien, Zahnimplantaten, nach bariatrischen Eingriffen sowie bei Verwendung flüssiger Silikonfiller beschrieben. Dies betrifft jedoch nur jeweils wenige Einzelfälle, zudem mit zum Teil anderen Lymphomtypen. Der kausale Zusammenhang muss daher derzeitig sehr vorsichtig interpretiert werden. In jedem Fall besteht bei keinem dieser Implantate eine Häufung, wie wir sie bei Brustimplantaten sehen.

Implantierte Fremdkörper lösen immer eine inflammatorische Reaktion und eine kapsuläre Einscheidung aus. Eine komplexe Wundheilungskaskade führt zu einer Leukozytenstimulation und Differenzierung. Bisher liegen keine Kenntnisse darüber vor, welche spezifischen Aspekte z. B. einer texturierten Oberfläche diesen Ablauf im Vergleich zu anderen Implantatoberflächen ändern und zu einer malignen Entartung führen. Jedoch wird postuliert, dass texturierte Implantatoberflächen im Vergleich zu glatten Oberflächen vermehrt zur Biofilmbildung neigen könnten; zudem ist die Kontaktfläche und die Fläche kontinuierlicher Friktion zwischen Implantat und Implantatkapsel sowie auch die Anzahl freigesetzter Silikonpartikel größer, was die chronische Entzündungsreaktion verstärken könnte [15] [26] [27] [28].

Auch der Einfluss einer unterschiedlichen Beschaffenheit, aber gleich „hohen“ Oberfläche durch unterschiedliche Herstellungsverfahren ist unklar. Beispiele sind das Salt-Loss-Verfahren, bei dem Salzkristalle im Rahmen der Herstellung wieder herausgewaschen werden und scharfkantige Vertiefungen hinterlassen. Eine Gasdiffusion zum Zeitpunkt der Vulkanisation führt zu einer geringeren Tiefe und im Vergleich runderen Poren, die beim Aufdruckverfahren noch einmal verringert werden. Polyurethanschaum schließlich hat eine vollkommen andere Produktionsweise. Dennoch werden viele diese Oberflächen gleich klassifiziert.

Obwohl der Einfluss der Oberfläche nicht abschließend zu bewerten ist, schwankt die Inzidenz bei unterschiedlichen Oberflächen erheblich. Zwar wird im allgemeinen Sprachgebrauch von makro-, mikro- und nanotexturieren Implantaten im Vergleich zu glattwandigen Implantaten gesprochen, jedoch existiert bisher keine allgemein akzeptierte Klassifikation. Daher können Oberflächen von den Herstellern unterschiedlich bewertet und dargestellt werden. Polyurethan-Oberflächen werden als makrotexturiert eingestuft, können mit ihrer schaumartigen Struktur jedoch nur schwerlich mit den vorgegebenen Parametern klassifiziert werden. Am weitesten verbreitet ist die ISO 14607:2018, die eine Einteilung nach der durchschnittlichen Rauigkeit vornimmt. Diese Einteilung ist lediglich deskriptiv und klinisch nicht validiert. Messtechnik und Produktionsabweichungen limitieren zusätzlich die Aussagekraft. Auch die oben angesprochenen Besonderheiten werden nicht adressiert. Derzeit gibt es Ansätze, klinische Aspekte zu integrieren [12].

Die Fokussierung auf die alleinige Oberflächenstruktur erklärt bisher nicht die unterschiedliche Verhaltensweise. Implantate mit derselben Oberflächenklassifikation müssten auch eine vergleichbare Inzidenz von BIA-ALCL aufweisen.


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Bakterielle Kontamination

Trotz größter Achtsamkeit und Bemühungen um ein steriles Arbeitsumfeld ist eine Kontamination mit Keimen nicht immer zu vermeiden. Spätkontaminationen können auf hämatogenem Weg entstehen.

Eine Arbeitsgruppe in Australien fand eine Häufung von spezifischen Keimen in der Kapsel von BIA-ALCL-Patienten im Vergleich zu benignen Kapselfibrosen. Zudem wurde eine höhere Keimzahl nachgewiesen [26]. Die Befunde konnten bisher von anderen Gruppen nicht bestätigt werden [27]. Die klinische Relevanz bleibt ungeklärt, zumindest der Einfluss spezifischer Keime wird inzwischen für unwahrscheinlich gehalten.

Die Kolonisation der Implantatoberfläche führt zur Ausbildung eines Biofilms. Die hierdurch hervorgerufene subklinische Inflammation könnte durch die daraus folgende chronische Stimulation von T-Zellen über mehrere Schritte und unter Beteiligung individueller immunmodulierender Faktoren zu deren maligner Transformation beitragen [29]. Hierbei wird vermutet, dass ein höheres Oberflächenrelief auch eine höhere Bakterienlast bergen kann und hierdurch ein höheres Risiko für die T-Zell-Stimulation resultiert [30].


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Abrieb von Mikropartikeln

Der Abrieb von Silikonpartikeln betrifft mutmaßlich besonders Implantate mit einer rauen Oberfläche. Das Phänomen ist seit Längerem bekannt, zuletzt aber auch im Zusammenhang mit der histologischen Aufarbeitung von BIA-ALCL-betroffenen Kapseln beschrieben [4]. Auch hier wird letztlich über verschiedene Pfade eine Aktivierung des Immunsystems postuliert. Ein ursächlicher Zusammenhang zur Ausbildung eines Tumors konnte bisher nicht belegt werden.

Bei defekten Implantaten geht die Freisetzung von größeren Partikeln mit einer inflammatorischen Reaktion auf den Fremdkörper u. a. mit der Ausbildung von Granulomen einher. Ob dies auch bei Mikropartikeln der Fall ist, lässt sich in der aktuellen Literatur nicht belegen. Die hierdurch aktivierten Makrophagen können Zytokine exprimieren, die eine Proliferation von T-Zellen stimulieren. Auch der Transport in lokale Lymphknoten ist bekannt [6]. Die klinische Relevanz ist bisher nicht geklärt.


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Genetische Disposition

Eine geringe Anzahl von BIA-ALCL-Meldungen trat bei Patientinnen mit einem bekannten familiären Risiko für ein Mammakarzinom auf. Auffallend war die unterdurchschnittliche Zeit nach Implantation [15] [31]. Einige Studien haben sich auch bemüht, die genetischen Alterationen im ursprünglichen Brusttumor mit denen des BIA-ALCL abzugleichen bzw. genetische Auffälligkeiten im Tumormaterial bei Patientinnen ohne vorheriges Mammakarzinom zu finden, die für die Pathogenese eine Rolle spielen könnten. Mehrfach wurde hierbei eine Mutation in Genen gefunden, welche die Aktivität des JAK/STAT-Mechanismus beeinflussen. Dieser ist für die Herabregulierung von immunologischen Reaktionen mitverantwortlich. Eine Störung könnte somit für eine anhaltende Immunstimulation verantwortlich sein [32]. Aktuell wird der Einfluss genetischer Faktoren als wesentlich für die Genese betrachtet [22].


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Hypoxie

Gewebehypoxie wird aktuell als eine der wahrscheinlichsten ursächlichen Faktoren für die Entstehung des BIA-ALCL angesehen. So wurde im Rahmen von RNA-Sequenzierungen eine dramatische Heraufregulierung des hypoxieassoziierten Biomarkers Carboanhydrase 9 (CA-9) in BIA-ALCL-Gewebe im Vergleich zu nicht-BIA ALCL-Gewebe gezeigt [33].


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Klinik und Diagnose

BIA-ALCL entstehen innerhalb der Implantathülle und können entweder in situ, also beschränkt auf ein Serom bzw. adhärent an der Kapsel, oder infiltrativ auftreten. In den meisten Fällen entwickelt sich in kurzer Zeit ein ausgedehntes Serom, das Tumorzellen enthält. Das Auftreten erfolgt mindestens 1 Jahr nach Implantation, durchschnittlich nach 7 bis 10 Jahren, wobei rekonstruktive und ästhetische Implantationen etwa gleich häufig vertreten sind. Kleinere Serome um ein Implantat sind häufig zu sehen und erfordern bei ansonsten unauffälliger Klinik und Bildgebung keine weitere Diagnostik. Etwa 8–24% der Patientinnen haben isoliert oder begleitend einen soliden Tumor. Nur sehr selten finden sich systemische Symptome wie Hautausschlag und Fieber. Die infiltrativen Stadien können eine Lymphknotenbeteiligung aufweisen, unabhängig vom Vorliegen eines soliden Anteils [34].

Die weiterführende Diagnostik erfolgt mittels Ultraschall. Die Sensitivität und Spezifität zur Detektion eines Ergusses werden mit 84% bzw. 75% angegeben, für solide Anteile mit 46% bzw. 100% [35]. Insbesondere zum Screening ist daher der Ultraschall die geeignete Methode. Gemäß der Konsensusleitlinie sollen hierbei neben dem Flüssigkeitsverhalt bzw. einer Raumforderung die ableitenden Lymphabflusswege auf suspekte Veränderungen untersucht werden. Bei Unklarheiten wird eine NMR-Untersuchung (Nuclear Magnetic Resonance) empfohlen. CT-Untersuchungen spielen eine untergeordnete Rolle. Ein PET-CT wird bei Fragen zur systemischen Ausbreitung empfohlen [36] [37].

Die Diagnose erfolgt durch eine Analyse des Seroms. Hierbei ist wichtig, ausreichend Zellmaterial für eine Flow-Zytometrie zu gewinnen. Mindestens 50 ml sind erforderlich. Serielle Punktionen sollen vermieden werden, da der Dilutionseffekt die Diagnostik erschwert. Zusätzlich sollte eine bakterielle Untersuchung erfolgen [38]. Solide Tumoren werden biopsiert.

Wenn die Zellmorphologie Auffälligkeiten zeigt, wird die Immunhistochemie ergänzt. Diese erfolgt auch, um andere maligne oder benigne Prozesse auszuschließen, die ein ähnliches Bild wie BIA-ALCL aufweisen können. CD30 und ALK sind die bekanntesten Marker, wovon Ersterer konsistent positiv und Letzterer immer negativ ist. Sie sind jedoch für sich betrachtet nicht beweisend für ein BIA-ALCL. Auch andere kutane oder systemische Formen des ALCL können ALK-negativ sein. CD30 ist ein unspezifischer Marker, der auch auf benignen aktivierten T- und B-Zellen zu finden ist, z. B. im Zusammenhang mit viralen Infekten. Auch spärliche CD30-positive Lymphozyten mit unauffälliger Morphologie bedürfen keiner weiteren Abklärung. Die Marker müssen in Zellen nachgewiesen werden, welche die typischen zytologischen Eigenschaften eines ALCL aufweisen. Daher sind ggf. auch andere Marker zu ergänzen [30] [39] [40].

Wesentlich für die weitere Therapie und Prognose ist die Bewertung einer Kapselinfiltration. Nach vollständiger En-bloc-Resektion der Kapsel werden hierfür mindestens 12 Biopsien empfohlen, um die Resektionsränder zu beurteilen [41].


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Therapie des BIA-ALCL

Für die Behandlung liegen Leitlinien und Empfehlungen vor [34]. Im Vordergrund und entscheidend für die Prognose ist die vollständige chirurgische Resektion des Tumors mitsamt der Implantatkapsel (En-bloc-Resektion). Im Falle einer unvollständigen Resektion oder systemischer Beteiligung kann eine adjuvante Therapie erforderlich sein. Diese ist in Ermangelung von erkrankungsspezifischen Erfahrungen bislang weitgehend an die Therapie des systemischen ALCL angelehnt.

Die Entfernung des Sentinellymphknotens wird nicht empfohlen, bei auffälligen Lymphknoten sollte eine Exzisionsbiopsie erfolgen. In bis zu 4,6% trat der Tumor beidseits auf. Es wird daher empfohlen, ein kontralaterales Implantat ebenfalls zu entfernen. Eine Sofortrekonstruktion mit einem glattwandigen Implantat wird ebenso diskutiert wie eine primäre oder sekundäre Rekonstruktion mit Eigengewebe. Hierfür sowie für die Nachsorge liegen bisher keine standardisierten, international konsentierten Empfehlungen vor [34].


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Prognose

BIA-ALCL haben eine sehr günstige Prognose, wenn sie zeitnah erkannt und konsequent behandelt werden. Nach bisherigem Kenntnisstand sind In-situ-Tumoren durch alleinige Kapselresektion kurativ behandelt. Eine spontane Rückbildung wurde in Einzelfällen beschrieben [24]. Problematisch hierbei ist, dass bisher keine Parameter zur Identifikation benigner Verläufe vorliegen [42]. Infiltrative Stadien, die chirurgisch nicht vollständig saniert werden können, haben eine ungünstigere Prognose mit einer Mortalität von bis zu 40% in 2 Jahren [5] [15].


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Weitere brustimplantatassoziierte Tumoren

Virale Infektionen sind für 15–20% aller menschlicher Tumoren verantwortlich [43]. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) verursacht u. a. B-Zell-Lymphome, Burkitt-Lymphome und diffuse großzellige B-Zell-Lymphome. Auch dass chronische Inflammationen zu einer malignen Transformation und Plattenepithelkarzinomen führen können, ist seit Langem bekannt. Marjolin-Ulzera entstehen auf der Basis von Entzündungen und Ulzera am Bein.

In den letzten Jahren wurden zusätzlich zum BIA-ALCL auch implantatassoziierte, diffus großzellige B-Zell-Lymphome (DLBCL) beschrieben, wie das brustimplantatassoziierte, EBV-positive, diffus großzellige B-Zell-Lymphom [44] [45] [46] [47]. Diese sind meist negativ für ALK, CD2, CD3, und B-Zell-Marker [48], jedoch u. a. CD20- [44] [47] [48] [49], CD5-, BCL-2-, CD21-, CD23-, IgD-, IgM-positiv [49], im Falle von EBV-positiven, diffus großzelligen B-Zell-Lymphomen CD20-, CD30-, CD79a-, MUM1- und PAX-5-positiv [44] [47] [48] und ähnlich zum BIA-ALCL in den meisten Fällen mit texturierten Implantaten assoziiert [45] [47]. In einem Fall wurde ein DLBCL jedoch auch nach Implantation eines glattwandigen Implantats beschrieben [50]. Die Prothesenimplantation erfolgte häufig deutlich über 10 Jahre zuvor [44] [45] [47] [48]. Die FDA hat anhand von Literaturrecherchen weniger als 30 Fälle dokumentiert; 12 Fälle wurden bisher gemeldet (Stand: 08. September 2022) [51].

Ähnlich zu BIA-ALCL soll auch hier die chronische Inflammation eine übergeordnete Rolle in der Pathogenese der DLBCL spielen [52].

Bacon und O’Donoghue argumentieren jedoch, dass in einigen der beschriebenen, vermeintlich implantatassoziierten Lymphome [53] [54] kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Lymphom und Implantat wahrscheinlich ist, insbesondere wenn dieses nur in nächster Nähe [53] oder auf der abluminalen Oberfläche [54] der Implantatkapsel gefunden wurde [55]. Zudem wiesen einige Patientinnen auch ein systemisches Lymphom auf. Im Gegensatz hierzu sehen sie bei den mit chronischer Inflammation assoziierten DLBCL (DLBCL-CI) oder fibrinassoziierten DLBCL (FA-DLBCL) einen potenziellen Zusammenhang [55].

Da DLBCL-CI/FA-DLBCL mit ähnlichen Symptomen wie das BIA-ALCL einhergehen und daher bei Vorliegen eines CD-30-positiven großzelligen Lymphoms auch als ein solches verkannt werden können [48], sollten auch diese Erkrankungen bei Vorliegen eines Spätseroms ausgeschlossen werden. Für die serologische Aufarbeitung sollte bei Verdacht EBER (EBV-encoded RNA) in dem immunohistochemischen Panel ergänzt werden.

Bezüglich der Therapie existiert im Hinblick auf die Seltenheit noch kein globaler Konsens, es wird jedoch analog zum BIA-ALCL [36] eine zeitnahe En-bloc-Resektion empfohlen [49] [56]. Zudem sollte wie auch bei Verdacht auf ein BIA-ALCL bei später als 6 Monate nach Operation aufgetretenem periprothetischem Serom eine Punktion sowie zytologische Untersuchung der oben beschriebenen Marker veranlasst werden [49] [50].

Das brustimplantatassoziierte Plattenepithelkarzinom (BIA-SCC)

Das Auftreten von brustimplantatassoziierten Plattenepithelkarzinomen (SCC) wurde bereits im Jahre 1994 beschrieben [57]. Bisher dokumentierte die FDA anhand von Literaturrecherchen 19 Fälle (Stand: 08. März 2023) [51]. Diese extrem seltene Erkrankung geht sowohl mit texturierten als auch mit glatten Implantaten einher [51] [58] [59] [60] [61]. Auch ein Fall eines nach Injektion von flüssigem Silikon in die Brust entstandenen SCC wurde dokumentiert [62]. In den meisten Fällen wird eine über 10 Jahre zurückliegende Erst-Prothesenimplantation beschrieben [57] [59] [60] [61] [63] [64] [65].

Die Herkunft des Plattenepithels ist unklar. Möglich wäre die Metaplasie der Kapselzellen durch einen chronischen inflammatorischen Reiz. Es wird aber ebenfalls eine Abriebsimplantation im Rahmen der Implantatinsertion bzw. eine Lazeration der Drüsengänge diskutiert [57].

Ähnlich zum BIA-ALCL geht auch das implantatassoziierte SCC mit einem Spätserom einher; histopathologisch zeigt sich hier jedoch im Vergleich zum BIA-ALCL zusätzlich zum periprothetischen Serom meist ein umschriebener Tumor [57] [58] [64]. Bei der Aufarbeitung sollten Antikörper gegen Cytokeratin ergänzt werden.

Aufgrund der bisher sehr selten beschriebenen Fälle existiert bez. der Therapie auch hier noch kein klarer Konsens. Es handelt sich jedoch um einen hochaggressiven Tumor mit rascher Infiltration über die Kapsel hinaus und schlechter Prognose. Eine zügige und radikale Behandlung ist somit vordringlich. Auch hier wird eine En-bloc- bzw. R0-Resektion empfohlen, die in einigen Fällen durch eine adjuvante Radio- oder Radiochemotherapie ergänzt wurde [61] [64] [66]. In 3 Fällen wurde trotz R0-Resektion mit adjuvanter Radiatio oder Radiochemotherapie eine schnelle Progression mit Metastasierung beschrieben [61] [64]; in mehreren Fällen wurde bez. des Follow-ups keine Angabe gemacht [57] [60]. Einzig Palletta et al. beschrieben nach 1 Jahr Follow-up weder lokale noch systemische Regredienz [65].


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Schlussfolgerung

Das BIA-ALCL (brustimplantatassoziierte anaplastische großzellige Lymphom) ist eine seltene Komplikation, die vorwiegend im Zusammenhang mit makrotexturieren Brustimplantaten auftritt. Die Pathogenese ist bisher weitgehend unbekannt. Es werden mehrere Theorien mit unterschiedlichen Ansätzen diskutiert, die möglicherweise multifaktoriell wirken. Bei allen Hypothesen spielt jedoch eine chronische Entzündungsreaktion die treibende Rolle.

Die Prognose ist bei frühzeitiger Therapie sehr günstig. Da weiter fortgeschrittene Stadien jedoch einen deutlich ungünstigeren Verlauf aufweisen, sind eine umfassende präoperative Risikoabwägung, Aufklärung und dauerhafte Nachsorge der Patienten unumgänglich. Die weiteren im Zusammenhang mit Brustimplantaten beschriebenen Tumoren sind extrem selten. SCC haben jedoch eine wesentlich schlechtere Prognose und müssen frühzeitig detektiert und radikal therapiert werden. Eine prophylaktische Entfernung klinisch und in der Bildgebung unauffälliger Implantate wird nicht empfohlen.


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Conflict of Interest

The authors declare that they have no conflict of interest.

Danksagung

Teile dieses Beitrags wurden unter „Brustimplantat assoziiertes anaplastisches großzelliges Lymphom: Was wir wissen, was wir nicht wissen“ im Journal für Ästhetische Chirurgie, Ausgabe 1/2021, doi:10.1007/s12631-020-00248-4 publiziert. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags. https://www.springermedizin.de/lymphome/brustimplantat-assoziiertes-anaplastisches-grosszelliges-lymphom/18684644?searchResult=4.fritschen&searchBackButton=true


Correspondence

Dr. Uwe von Fritschen
Department of Plastic- and Aesthetic Surgery, Helios Klinik Emil von Behring
Walterhöferstr. 11
14165 Berlin
Germany   

Publication History

Received: 06 February 2023

Accepted after revision: 13 April 2023

Article published online:
06 June 2023

© 2023. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

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