PiD - Psychotherapie im Dialog 2024; 25(02): 111
DOI: 10.1055/a-2088-5862
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Ein Tag mit Anna

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(Quelle: Bettina Wilms)

Irgendwo in Nordzypern sammelt am Morgen ein Bus eine Reihe von Touristen ein, die sich entschieden haben, auf ihrer Reise auch den Süden des Landes kennenzulernen. Das ist nicht unkompliziert: Andreas, der Busfahrer, Zyperngrieche, fährt den Bus bis an die Grenze, die sogenannte Grüne Linie, in der Stadt Nikosia, die hier zyperntürkisch Lefkosa oder zyperngriechisch Lefkosia heißt. Warum wir von Nikosia reden? Weil die Briten die Stadt so nannten, als sie noch Kolonie war…

Am zyperngriechischen Kontrollpunkt steigt Anna ein. Sie wird mit der Gruppe nach Larnaka fahren und versuchen, den – meist deutschen – Menschen im Bus die komplizierte Geschichte über Ptolemäer, Griechen, Römer, Christen, Byzanz, die Venezianer, Ottomanen, die Engländer und das Drama mit der Teilung nahezubringen. Und sie tut dies mit dem ihr eigenen und liebevoll-deutlichen Humor.

An keinem Haltepunkt versäumt sie es, die Gruppe zuallererst darauf hinzuweisen, wo Toiletten zu finden sind und wann die nächsten erreicht werden. Schließlich sei dies bekanntermaßen die wirklich wichtige Information. Im Kloster der heiligen Thekla spricht sie ausführlich über den Schlamm, den die Nonnen verkaufen. Sie beschreibt, wie er zu erwerben ist (man nehme und bezahle ein Plastikbehältnis, steige in die Grotte, entnehme den Schlamm). Anschließend müsse dieser auf die problematischen Hautareale aufgetragen werden. Glauben müsse man allerdings schon daran, sonst würde es wohl nichts bringen. Ähnlich ist es auch mit den Gebeinen des heiligen Lazarus, die wir am Nachmittag sehen: Ein Reisender fragt, ob man das Alter des Schädelknochens in der Reliquie nicht datieren könne. Anna lächelt und sagt freundlich, dass staatliche Stellen das wohl schon gerne täten, die Kirche allerdings verbiete dies – schließlich sollten die Gläubigen glauben…

Auf dem Rückweg, inmitten einer monströsen Autoschlange, die alte Zeiten an innerdeutschen Grenzübergängen in Erinnerung ruft, schildert Anna, dass die zyperngriechische Verwaltung eigentlich schon verhindern wolle, dass jeden Abend Autos in den Norden zum Tanken fahren würden. Aber wer solle schon ernsthaft dafür sorgen, dass dies auch kontrolliert oder gar bestraft werde?

Irgendwann prognostiziert sie dann, dass der Kontrollpunkt in 5 Minuten erreicht werde. Und vermutlich haben die Insassen des Busses im Laufe des Tages verstanden, dass sie schon daran glauben sollten…

Bettina Wilms, Querfurt



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Article published online:
27 May 2024

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