Rofo 2023; 195(12): 1129-1130
DOI: 10.1055/a-2096-8345
Interventional Radiology

Computed Tomographic Guided Retro-maxillary Approach Drainage for Post Tonsillitis Disseminated Infratemporal Abscess: a case report

Computertomographie-gesteuerte retromaxilläre Drainage eines disseminierten infratemporalen Abszesses nach Tonsillitis: ein Fallbericht
Thomas J. Vogl
1   Department of Diagnostic and Interventional Radiology, University Hospital Frankfurt, Frankfurt, Germany
,
Mohamed Elsayed Elbadawy Mostafa Fouad
1   Department of Diagnostic and Interventional Radiology, University Hospital Frankfurt, Frankfurt, Germany
,
Simon S Martin
1   Department of Diagnostic and Interventional Radiology, University Hospital Frankfurt, Frankfurt, Germany
,
Emad Ali Al Shaya
1   Department of Diagnostic and Interventional Radiology, University Hospital Frankfurt, Frankfurt, Germany
,
2   Diagnostic and Interventional Radiology, Kafrelsheikh University, Kafr el-Sheikh, Egypt (Ringgold ID: RIN289154)
,
Nour-Eldin A. Nour-Eldin
2   Diagnostic and Interventional Radiology, Kafrelsheikh University, Kafr el-Sheikh, Egypt (Ringgold ID: RIN289154)
› Author Affiliations
 

Einleitung

Bei der akuten Tonsillitis handelt es sich in der Regel um eine Entzündung der Gaumenmandeln. Davon sind überwiegend Kinder im Schulalter betroffen, da diese Gruppe von häufigeren bakteriellen Infektionen betroffen ist. Die Komplikationen dieser Erkrankung können sich auch auf tiefe Halsabschnitte ausdehnen und peritonsilläre, submandibuläre und parotideale Abszesse sowie Infektionen des Temporal- und Infratemporalraums verursachen, die jedoch selten sind. Die Diagnose von Abszessen und deren Ausdehnungen wird in der Regel durch die kontrastmittelgestützte Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) gestellt. Eine zeitnahe chirurgische Abszessspaltung mit anschließender Antibiotikatherapie stellt den Goldstandard in der Behandlung von zervikalen Abszessen dar.


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Fallbericht

Ein 14-jähriges Mädchen mit akuter Tonsillitis wurde zunächst in der HNO-Klinik mit Antibiotika behandelt. Nach 3 Tagen verspürte die Patientin eine Schwellung an der linken Schläfe mit Kiefergelenkschmerzen und steigendem Fieber. Angesichts dieser neuen Symptome wurde eine CT-Bildgebung mit Kontrastmittel angefordert, die einen Abszess im linken Mastikatorraum mit Ausdehnung in den Musculus temporalis und enger Lagenbeziehung zum Kiefergelenksköpfchen zeigte. Am selben Tag wurde die Patientin operiert, wobei ein lateraler, infratemporaler Zugangsweg gewählt wurde. Zusätzlich erfolgte die operative Einlage und Annaht von 2 Easyflow-Drainagen. Anschließend wurde die Patientin stationär aufgenommen und eine dedizierte Antibiotikatherapie nach Antibiogramm durchgeführt. Nach 3 weiteren Tagen verschlimmerte sich die Symptomatik der Patientin mit progredientem Fieber, erhöhter Erythrozytensedimentationsrate (ESR) sowie steigendem C-reaktivem Protein (CRP) und Gesamtleukozytenzahl (TLC). Aufgrund dieser Situation wurde die Patientin in unsere Abteilung überwiesen, um die Möglichkeit einer CT-gesteuerten Drainage zu erörtern. Zur Beurteilung des aktuellen Zustands der Patientin wurde eine MRT mit Kontrastmittel durchgeführt, die eine persistierende Abszessformation im Mastikatorraum zeigte. Danach führten wir eine CT-gesteuerte Drainage des Abszesses über einen retromaxillären Zugangsweg unter Lokalanästhesie mittels 8-F Pigtail-Drainage in Seldinger-Technik durch ([Abb. 1]). Über den eingebrachten Katheter wurden ca. 10 ml eitrige Flüssigkeit drainiert. Während der Intervention wurden besonders die anatomischen Verläufe der Arteria maxillaris und deren Ästen sowie des Nervus alveolaris inferior berücksichtigt. Der klinische Zustand der Patientin verbesserte sich nach dem Eingriff und die Entzündungsparameter gingen deutlich zurück. Nach 4 Tagen wurde eine erneute MRT-Untersuchung durchgeführt, die eine suffiziente Drainage des Abszesses mit umgebenen phlegmonösen Veränderungen zeigte ([Abb. 2]). Insgesamt wurde die Drainage für 5 Tage belassen und 2-mal täglich mit 10 ml Kochsalzlösung gespült. Das Dosis-Längen-Produkt (DLP) der CT-Intervention betrug 32 mGycm und das DLP der präoperativen CT-Diagnostik mit Kontrastmittel belief sich auf 206 mGycm.

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Abb. 1 CT-gesteuerte Drainageanlage (Pfeil) über einen retromaxillären Zugangsweg.
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Abb. 2 Die kontrastmittelgestützte T1-gewichtete MRT nach der CT-gesteuerten Drainageanlage zeigt einen deutlichen Rückgang der Abszessformation mit umgebenen phlegmonösen Veränderungen (Pfeil).

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Diskussion

Grundsätzlich hängt die Behandlung einer akuten Tonsillitis von deren Entität und dem klinischen Befund ab, ob eine symptomatische Behandlung bei viraler Ursache oder eine gezielte Antibiotikabehandlung bei bakterieller Ursache erfolgt. Eine verzögerte Diagnose oder unzureichende Behandlung kann zu einer disseminierten Infektion und Komplikationen wie Sinusitis und Abszessbildung im Kopf-Halsbereich führen [Sidell et al. Infect Disord-Drug Targets, 2012; 12: 271–276]. Darüber hinaus ist die Ausbreitung eines Temporalabszesses in das Kiefergelenk sehr selten mit einer Inzidenz von 0,74 % [Gujrathi et al. World J Otorhinolaryngol-Head Neck Surg 2016; 2: 208–213].

Grundsätzlich wird der Temporalraum in einen oberflächlichen und einen tiefen Anteil unterteilt. Der oberflächliche Temporalraum erstreckt sich nach kranial bis zum Perikranium, nach lateral bis zum Musculus temporalis, nach medial bis zur Fascia temporoparietalis und nach kaudal bis zum Mastikatorraum. Der tiefe Temporalraum erstreckt sich nach kranial bis zum Ansatz des Musculus temporalis, kaudal bis zum Temporalkamm und lateral bis zum Schläfenbein und grenzt kaudal an den Infratemporalraum an [Peterson et al. Peterson LJ. Petersonʼs principles of oral and maxillofacial surgery. PMPH-USA, 2012]. Dies zeigt die anatomisch möglichen Ausbreitungswege der Abszesse innerhalb des Temporalraums.

Laut Hegde et al. sollte ein CT mit Kontrastmittel zur Ausbreitungsdiagnostik durchgeführt werden, da es eine hohe räumlich Auflösung im Kopf- und Halsbereich bietet, während die kontrastverstärkte MRT sowohl zur Beurteilung der Abszessausdehnung als auch zur Beurteilung einer möglichen intrakraniellen Infiltration vorteilhaft ist [Hegde et al. Imaging in infections of the head and neck. Neuroimaging Clin 2012; 22: 727–754].

Die chirurgische Abszessspaltung in Kombination mit einer intravenösen Antibiotikatherapie stellt den Goldstandard bei Abszessen im Kopf- und Halsbereich dar. Es gibt unterschiedliche chirurgische Zugangswege, exemplarisch posterior aurikulär oder temporal [Thakur et al. Posterior Auricular Approach for Decompression and Drainage of Superficial Temporal Space Infections of Odontogenic Origin. J Maxillofac Oral Surg 2015; 14: 119–120]. Das chirurgische Verfahren bedarf einer kurzstreckigen Inzision (zwischen 10 und 20 mm) und der Drainagekatheter wird in der Regel blind eingeführt. Diese Methoden sind zwar hochwirksam, bergen jedoch einige Risiken wie Infektionen, eine verzögerte Heilung, Verletzung anderer Strukturen und eine Fehllage des Drainagekatheters. Dagegen erlaubt die CT-gesteuerte Drainageanlage eine kleinere Inzision (ca. 3–4 mm), eine gezielte Einführung des Drainagekatheters in die entsprechende Verhaltformation sowie ein geringeres Risiko von Verletzungen umgebener Strukturen. Somit könnte die retromaxilläre CT-geführte Drainage bei derartigen Erkrankungen sicherer und effizienter sein als chirurgische Optionen. Die Kombination aus vorheriger chirurgischer Operation und nachfolgender radiologischer Intervention im vorliegenden Fall erschwert allerdings eine scharfe Trennung und Beurteilung beider Verfahren. Darüber hinaus sollte eine CT-gesteuerte Intervention bei Kindern und Jugendlichen aufgrund der Strahlenbelastung immer kritisch hinterfragt werden, insbesondere wenn zusätzlich noch diagnostische CT-Untersuchungen mit Kontrastmittel durchgeführt werden. In unserem Fall erfolgte allerdings die prä- und postinterventionelle Diagnostik jeweils mittels MRT-Technik. Zudem war die benötigte Strahlendosis im Vergleich zu einer durchschnittlichen, kontrastmittelverstärkten CT-Hals Untersuchung geringer.


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Schlussfolgerung

Unser Therapieansatz zur Entlastung eines infratemporalen Abszesses stellt eine neue, vielversprechende und sichere Behandlungsalternative dar, die in Zukunft eine Alternative zu den chirurgischen Ansätzen darstellen könnte. Allerdings sind weitere Studien erforderlich, um zu beweisen, dass es sich um einen effizienten Ansatz handelt.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. Mohamed Elsayed Elbadawy Mostafa Fouad, masters degree radiology/phd student
Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Frankfurt Zentrum der Radiologie
Theodor-Stern-Kai 7
60528 Frankfurt am Main
Germany   

Publication History

Received: 22 April 2022

Accepted after revision: 21 May 2023

Article published online:
19 July 2023

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Abb. 1 CT-gesteuerte Drainageanlage (Pfeil) über einen retromaxillären Zugangsweg.
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Abb. 2 Die kontrastmittelgestützte T1-gewichtete MRT nach der CT-gesteuerten Drainageanlage zeigt einen deutlichen Rückgang der Abszessformation mit umgebenen phlegmonösen Veränderungen (Pfeil).