Der Lorbeerstrauch (lat. Laurus) verdankt nach der griechischen Mythologie seine
besondere Bedeutung dem Vater der Nymphe Daphne, der diese in einen ebensolchen
verwandelte. Damit rettete er sie vor den Nachstellungen des Apollo, des Gottes des
Lichts, der Klarheit und Schönheit, dessen heftiger Affekt durch einen
Racheakt des Eros verursacht worden war. Apollo trug als Ausdruck seiner
unglücklichen Liebe und seines Schmerzes fortan einen Kranz aus dessen
Zweigen. Der immergrüne Lorbeerkranz wurde damit zum Symbol der Reinigung
und der Sühne, der Vollkommenheit und Unsterblichkeit, mithin das Zeichen
des Sieges. Lorbeer, Medaillen und Ehrungen gehören bis heute zum vornehmen
gesellschaftlichen Standardrepertoire – im Kleinen der Vereine und
Fachgesellschaften wie auch im Großen der Staatsbühnen. Diese
Auszeichnungen wollen Personen – und manchmal auch Institutionen –
auszeichnen, als Vor-Bild hervorheben und gemeinschaftlichen Dank
gegenüber dem Laureaten ausdrücken. Wobei Dank auch bisweilen eine
geschickte Form der (Weiter-)Verpflichtung sein kann, im Hinblick auf den Geehrten
ebenso wie im Hinblick auf die breitere Audienz. Beispiele für solche
Auszeichnungen reichen von den überkommenen Lorbeerkränzen und
Häuptlingsfedern bis zu den heutigen Medaillen und Verdienstorden,
Ehrennadeln, Pokalen, gelben oder rosafarbenen Trikots. Allerdings gibt es auch
negative Aus-zeichnungen, vom schützenden Kainsmal des biblischen
Brudermörders und von den pflichtigen Klappern der Pestkranken vergangener
Zeiten über die „Zitronen“, „sauren Gurken“,
„goldenen Aluhüte“ und sonstigen Schmähpreise bis zu
den eher informellen sozialen Stigmata unterschiedlichster Art. Eine
ebenfalls mögliche vorauseilende, beflissen vorweggenommene Ehrung bleibt in
der Regel Monarchien und Diktaturen vorbehalten: Durch Benennung von
Plätzen, Straßen und öffentlichen Einrichtungen, durch
Bildgebung auf Geldscheinen und Briefmarken und durch das Aufstellen von Statuen zu
Ehren der noch lebenden Personen. Posthume Ehrungen sind ebenfalls möglich,
wobei hier gerne ein Preis den Namen des (bisweilen sich) die Ehre Gebenden
trägt und so zur Botschaft für den Geehrten wird: Als Karls-,
Leibniz- oder Nobelpreis, Ehrendoktorwürde einer Universität,
Paracelsus-, Johann-Peter-Frank- oder Salomon-Neumann-Medaille. Wurde man
übersehen, kann auch durch eine Preis-Stiftung nachgeholfen werden, wie
beispielsweise der „Preis der Schwedischen Nationalbank in
Wirtschaftswissenschaft in Erinnerung an Alfred Nobel“, der in gleicher
Höhe, zeitgleich und im Rahmen der Nobelpreise vergeben wird und unter
diesem Namen mitläuft.
Wird durch die Auszeichnung das Werk geehrt oder die Person? Wohl beides –
eine Trennung ist im Akt der Auszeichnung auch gar nicht vorgesehen. Vielmehr soll
ja gerade eine Person oder Institution für ihr Werk geehrt werden.
Gelegentlich gibt es auch Komplikationen, wenn nämlich Ehrungen zu Irrungen
werden und Doktorhüte oder Preise wieder aberkannt werden. Die
Gründe dafür können im unredlichen Zustandekommen des
geehrten Werkes liegen oder aber in bislang unbekannten sonstigen Schattenseiten der
geehrten Person – Werk und Person sind bei der Auszeichnung mit der
Intention des Vorbildlichen eben nicht zu trennen. So ganz zurücknehmen
lässt sich die Auszeichnung allerdings meist gar nicht: Was bleibt, ist das
Stigma der zurückgenommenen Auszeichnung als weiter anhaftende, negative
Zeichnung. Es sind nicht die fachlichen Irrtümer, die stigmatisieren
– Pettenkofers irriges Festhalten an der Miasmentheorie seiner Zeit war kein
Fehlverhalten in diesem Sinn und schmälert seine Verdienste nur wenig. Irren
ist menschlich und illustriert menschliche und zeitgebundene Grenzen, die
für uns alle gelten. Zum Fehlverhalten wird erst die mangelnde Abwendung von
einem zwischenzeitlich offensichtlichen Irrtum, die bewusste
Missachtung moralischer Regeln und insbesondere auch ein ex post offensichtlicher,
andere schädigender Fehltritt – und dessen Ableugnung. Gleichzeitig
ist insbesondere in politischen Kontexten auch diese Wahrheit zu beachten:
Audacter calumniare, semper aliquid haeret –
verleumde nur dreist, irgendetwas bleibt immer hängen, auch bei
eingestellten Verfahren. Kompliziert ist dies alles nicht nur für die
Preisträger, sondern auch für die den Preis zuerkennende
Institution: Aufarbeitung fällt keiner Seite leicht.
Ein Thema auch für das Gesundheitswesen? Wohl ja, sowohl in Hinblick auf
ausgezeichnete Arbeiten als auch in Hinblick auf geehrte Personen. Neben den
diversen zwischenzeitlich vom Wind der Entrüstung verwehten
Doktorhüten und auch Habilitationen wirft noch immer die Zeit der
nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft ihren langen Schatten. Nicht
aufgearbeitete Biografien belasten noch posthum Preisträger und die diese
Preise verleihenden Institutionen. Während für die allgemeine, in
der Krankenversorgung und der Forschung tätige Ärzteschaft vom
Nürnberger Ärzteprozess ein historisch gestaltgebender Impuls
ausging, der sich in einer Weiterentwicklung der medizinischen Ethik in Forschung
und Praxis niederschlug, blieb die Institution des ÖGD zunächst
vergleichsweise unbeachtet. Dieser wegen seiner menschlichen Unmittelbarkeit
verständliche Fokus auf Forschung und Krankenversorgung und die in ihr
Tätigen greift jedoch in der Aufarbeitung zu kurz. Die zum Ende des 19.
Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts international diskutierten Gedanken
der individuellen und insbesondere auch der gruppenbezogenen Eugenik bildeten die
fachlichen Bezugspunkte für die Exzesse der Rassenhygiene
nationalsozialistischer Prägung. A propos: Die Bezeichnung
„Rassenhygiene“ als deutschsprachiges Synonym der Eugenik war
bereits 1895 von dem Arzt Alfred Ploetz eingeführt worden. Ploetz selbst
hatte eine recht bunte Vita, welche neben seinen Arbeiten zur Rassenhygiene auch die
Gründung verschiedener (Geheim-)Organisationen zur Reinhaltung der
nordischen Rasse seit Schülerzeiten beinhaltet, seit 1910 die Mitgliedschaft
im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, eine
Ehrendoktorwürde der Universität München 1930, die Ernennung
zum Professor durch Hitler 1936, den Eintritt in die NSDAP 1937 und im gleichen Jahr
die Aufnahme in die Leopoldina sowie eine Nominierung für den
Friedensnobelpreis – mithin zahlreiche Ehrungen bis zu seinem Tod 1940. Von
besonderer Bedeutung in der Umsetzung der rassenhygienischen Konzepte war die 1935
durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens von 1934 vorbereitete
Übernahme der kommunalen Kreisärzte in flächendeckend
eingerichtete, staatliche und zentral gesteuerte Gesundheitsämter im
Deutschen Reich. Dies ermöglichte die Instrumentalisierung des
Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) für die
nationalsozialistische Rassen- und Vernichtungspolitik [1]
[2]. Angesichts der ideologischen
Exzesse und staatlich angeordneten Verbrechen zog sich nach Ende der
nationalsozialistischen Diktatur der ÖGD nicht nur von diesen, sondern auch
von anderen bevölkerungsmedizinischen praktischen Aufgaben zurück
– ebenso wie die Universitäten in der Forschung, mit Folgen
für die Aufarbeitung.
Die Nürnberger Ärzteprozesse führten, in Deutschland und
weltweit, zu einer Rückbesinnung der ärztlichen Ethik auf das
Individuum. Die Verfassung der neuen Bundesrepublik stellte als zentrale Richtschnur
jedes staatlichen Handelns im Artikel 1 des Grundgesetzes fest: „Die
Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Die
Aufarbeitung zu den bevölkerungsmedizinischen Themen in der
Zuständigkeit des ÖGD ließ auf sich warten. Das
Vereinheitlichungsgesetz von 1934 blieb zunächst in Form von Landesgesetzen
bis in die 1980er Jahre und teilweise darüber hinaus in Kraft, eine auch
formale juristische Distanzierung von diesem Gesetz und seinen drei
Durchführungsverordnungen erfolgte erst 2006 [2]. Innerhalb des ÖGD wurde die Aufarbeitung mit einem
fachlich-wissenschaftlichen und auch berufspolitischen Anspruch erst spät,
insbesondere durch die Arbeiten des Neuburger Amtsarztes Johannes Donhauser, mit
Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit [3]
[4]
[5] und nachfolgend durch die Initiativen des
Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes (BVÖGD) vorangetrieben [6]
[7]. Johannes Donhauser wurde
für seine Arbeiten 2018 mit der Johann-Peter-Frank-Medaille des
BVÖGD geehrt [8].
Die Bewertung von Schuld und Verantwortung in einem System der Gleichschaltung ist
sicherlich schwierig, wobei den „geistigen Brandstiftern“ als
Steigbügelhaltern dieser Systeme eine besondere Bedeutung zukommt.
„Das Böse ist banal“ (Hannah Arendt [9]) – die Gesetze und Verordnungen zu
Meldewesen und Zwangssterilisationen wurden mit der gleichen Druckschwärze
gedruckt wie die noch heute wahrgenommenen Aufgaben in der Wasser-, Boden- und
Lufthygiene. Von einer pflichtgemäßen flächendeckenden
Umsetzung auch der Rassenhygiene ist auszugehen, trotz einiger Nuancierungen in der
Stringenz. Können diese Nuancen ex post den einzelnen
Amtsärzten/innen zum Vorwurf gemacht werden? Wohl schon –
Nuancen können sehr wohl relevante Unterschiede machen und sollten nicht so
schnell als banal abgetan werden. Auch ist Mitläufertum, eingebunden in die
jeweiligen historischen gesellschaftlichen Kontexte keine Entschuldigung per se,
sondern bleibt ein fortlaufend aktuelles Thema und sollte
generationenübergreifend Anlass zu kritischer Selbst- und auch
gesellschaftlicher Reflexion geben. Dabei gibt es auch viele
Übergänge und Schattierungen zwischen initialer und anhaltender
geistiger Brandstiftung und Mitläufertum, mit nachfolgenden Karrieren in den
staatlichen Hierarchien bis hin zu den hohen und höchsten Beamtenpositionen
[10]. Auch wenn Vergehen und Verbrechen
kollektiv und flächendeckend waren, verlangt gerade die Auszeichnung in
einem Fachgebiet eine besondere Verantwortung des Einzelnen auch im Umgang und in
der Auseinandersetzung mit solchem Versagen: Der „Banalität des
Bösen“ und den auf diese Weise versteckten Mechanismen von
Gouvernementalität, Macht und Missbrauch in staatlichen und sonstigen
Strukturen gestern wie heute [11]. Kollektive und
individuelle Scham sind verständlich, kollektives und individuelles
Schweigen angesichts historisch evidentem Unrecht im gegebenen
Zuständigkeitsbereich in den Führungspositionen keine Option
– nicht in staatlichen und auch nicht in sonstigen Hierarchien. Doch
– ist all dies nicht schon längst Vergangenheit? Hat eine zweite und
inzwischen auch schon dritte Generation im 21. Jahrhundert hierzu noch
Bezüge und Verantwortung? Um es mit den Worten eines Preisträgers
der Johann-Peter-Frank-Medaille auszudrücken: „Wir haben keine
Schuld an diesen Untaten, tragen aber eine große Verantwortung
dafür, dass dieses unselige Kapitel in der an sich durchaus
erfolgreichen Geschichte des ÖGDs niemals mehr unter den Teppich gekehrt
wird und dass unsere seit 1949 bestehende rechtsstaatliche Tradition auch
künftig keinen Schaden nimmt und der Artikel 1 des Grundgesetzes
Beachtung findet“
[8]. Teil dieser
Verantwortung ist die anhaltende wissenschaftliche Aufarbeitung, auch in der
Diskussion und Erarbeitung einer bevölkerungsmedizinischen Ethik für
das Handeln im Dienst der Öffentlichen Gesundheit, wie dies z. B. in
der Causa Stralau, auch mit einer Stellungnahme des BVÖGD, geschehen ist
(zur Beteiligung Strahlaus an NS-Verbrechen siehe [10]). Umgekehrt gibt es auch vorbildliches Verhalten in dieser
schwierigen Zeit, siehe die Biografie des Amtsarztes Franz Vonessen [12].
Wissenschaftliches Arbeiten in einer Vielzahl von Handlungsfeldern ist wieder
Gegenstand der vorliegenden Ausgabe: Zu den Auswirkungen des Tragens von
Gesichtsmasken zur Prävention von Infektionskrankheiten auf das Befinden und
Verhalten von Kindern und Jugendlichen, zu geschlechterbezogenen Aspekten einer
akademischen Karriere in der Medizin, zur Stärkung des Öffentlichen
Gesundheitsdienstes in Deutschland durch ÖGD-Quotenauswahlverfahren, zu den
Eliminierungszielen von HIV/HCV unter Drogengebrauchenden in Deutschland, zu
versorgungsnahen Daten für Versorgungsanalysen als Teil 3 des DNVF-Manuals,
zu regionalen Gesundheitsnetzwerke und ihrer Finanzierung am Beispiel regionaler
Demenznetzwerke, zu den psychometrischen Eigenschaften des Qualiskope-A zur Messung
der Patientenzufriedenheit mit der ambulant-ärztlichen Behandlung und zu
Mixed Methods-Studien in der Versorgungsforschung aus der Perspektive qualitativ
Forschender.
Um zum Thema der Auszeichnung zurückzukommen: Was, wenn eine Auszeichnung zum
Kainsmal geworden ist oder zu werden droht – besteht noch Hoffnung? Die
diversen Denkmalstürze, verräumten Medaillen und verwehten
Doktorhüte haben ganz sicher auch ihr Gutes. Sie sind kollektiv wie
individuell eben auch ein wichtiger Schritt der Aufarbeitung bzw. können
dies sein. Eine womöglich unterbliebene Aufarbeitung sollte zunächst
eigene menschliche Schwäche bei den Nicht-Betroffenen in Erinnerung rufen
und ein Impuls sein, ggf. Versäumtes mit Ernst und soweit möglich
Milde gemeinsam nachzuholen. Eine ernsthafte Distanzierung gegenüber
Vergangenheit und eigener Schuld sollte immer mit Respekt entgegengenommen werden.
Der Evangelist Lukas, nach der Überlieferung auch Arzt, hat uns das
Jesus-Wort mitgegeben: „Ebenso wird auch im Himmel mehr Freude herrschen
über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über
neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben
umzukehren“ (Lukas 15,7). Um in diesem Sinne von Reue und Umkehr am Ende
noch einmal den Anfang aufzugreifen: Der Lorbeerkranz des Apollo war das schuldhafte
und schmerzliche Ende einer unglücklichen Liebe – Apollo trug seinen
Lorbeerkranz vor allem als Zeichen der Reinigung und Sühne.