Laryngorhinootologie 2024; 103(03): 168-169
DOI: 10.1055/a-2118-7595
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu „Zungenrekonstruktion nach Glossektomie: Operationszeit bestimmt Ergebnis“

Contributor(s):
Jonas J.-H. Park

** Die Technik der freien Lappenplastiken ist eine etablierte Methode der plastischen Rekonstruktion nach Tumorresektion im Kopf-Hals-Bereich. Die Studie analysiert, ob die OP-Zeit bei Eingriffen der Glossektomie und anschließender Rekonstruktion einen Einfluss auf postoperative Komplikationen hat. Ein sekundärer Endpunkt ist der Einfluss des Einsatzes von 1 oder 2 OP-Teams auf die OP-Zeit.

Die vorliegende Sekundärdatenanalyse basiert auf Daten des Surgical Quality Improvement Programms (NSQIP) des American College of Surgery (ASC) [11] der Jahre 2015 bis 2018, die zum Zweck der Erstellung risiko- und case-mix-adaptierter Qualitätsprofile für Behandlungseinrichtungen erfasst wurden. Berücksichtigt wurden präoperative Risikoprofile, die durchgeführten Prozeduren und die innerhalb von 30 Tagen aufgetretenen Komplikationen.

Die Autoren haben für die vorliegende Querschnittstudie die de-identifizierten, also anonymisierten, Daten von Patienten zur Analyse eingeschlossen, bei denen eine Glossektomie mit freier Lappenrekonstruktion durch 1 oder 2 Teams durchgeführt wurde.

Eingeschlossen wurden die Datensätze von 839 Patienten, von denen 44,7% durch 1 Team und 55,3% durch 2 Teams operiert wurden. Die durchschnittliche OP-Zeit beider Gruppen betrug 8,95±2,6 Stunden. Beim Einsatz von 2 Teams war diese mit 9,13 Stunden etwas länger als bei 1 Team, allerdings ohne Signifikanz.

In beiden Gruppen wiesen 79,86% eine ASA-Klassifikation von 3 oder höher auf, 38,14% waren Raucher. Die Patienten, die von 2 Teams operiert wurden, wurden allerdings deutlich häufiger als ASA 4 klassifiziert und zeigten einen höheren Fragilitätsindex. Die Gruppen waren diesbezüglich folglich nicht gleich verteilt.

Bei allen eingeschlossenen Patienten traten 297 Komplikationen mit 4 Todesfällen auf. Dabei zeigt die statistische Analyse, dass, unabhängig von Fallkomplexität und Patientenfragilität, die OP-Zeit eine unabhängige Variable in der Vorhersage von stationärer Aufenthaltsdauer, chirurgischer oder medizinischer Komplikationen und der Notwendigkeit der Entlassung in Reha- oder Pflegeeinrichtungen ist. Außerdem zeigte sich, ebenfalls unabhängig von Fallkomplexität und Patientenfragilität, dass Patienten, die von 2 Teams operiert wurden, eine längere Verweildauer und eine höhere Rate medizinischer Komplikationen aufwiesen.

Die Stärke der vorgelegten Studie ist der große Datensatz, dessen retrospektive Analyse auf den Zusammenhang zwischen OP-Dauer und komplikativem postoperativem Verlauf auch für die Eingriffe beim Mundhöhlen-Karzinom hinweist. Insoweit ist das dargestellte Ergebnis nicht erstaunlich. Überraschend ist der fehlende Effekt eines 2. OP-Teams, würde man doch intuitiv davon ausgehen, dass die OP-Dauer kürzer und damit die Komplikationsrate niedriger sei. Aber das Gegenteil scheint der Fall.

Damit zeigt sich auch die Schwäche der vorgelegten Studie als retrospektive Sekundärdatenanalyse mit ihren datenbedingten Unschärfen. Die Datengrundlage ist ein Qualitätssicherungs-Programm der amerikanischen chirurgischen Vereinigung (ACS), das seit 1985 auf nationaler Ebene bis zu 135 verschiedene Variablen erfassen kann und für die teilnehmenden Krankenhäuser zur Auswertung zugänglich macht. Die Daten werden dabei von geschulten Angestellten (Surgical Clinical Reviewer) der teilnehmenden Krankenhäuser stichprobenartig erfasst, wobei sich Anzahl und Art der Daten von Haus zu Haus, je nach Größe und Ausrichtung, unterscheiden. Die Datengrundlage ist also nicht homogen. Um eine unverzerrte Vergleichbarkeit zwischen den teilnehmenden Häusern zu erreichen, wird eine logistische Regressionsanalyse zur validierten Risikoanpassung der Gesamtdaten durchgeführt. Nimmt man einzelne Variablen heraus, sind Bias-Effekte schwer zu erfassen, da die Güte der Datenerfassung nicht transparent ist.

Trotzdem ist die Analyse solcher Datensammlungen sinnvoll. Mit der zunehmenden Digitalisierung des Gesundheitswesens, anwachsender Datensammlungen beispielsweise aus Tumordokumentationssystemen im Rahmen von Zertifizierungen oder von Tumorregistern ergeben sich zukünftig, wahrscheinlich auch KI-basierte, Analysemöglichkeiten zur Beantwortung von Fragen, die beispielsweise für prospektive Studien nicht geeignet sind.

Weiterhin unberücksichtigt durch die Autoren bleibt die Unterscheidung zwischen partieller und totaler Glossektomie, sowie die Inkludierung bzw. Nicht-Inkludierung der Mundbodenresektion in der chirurgischen Behandlung der Mundhöhlen-Karzinome. Der verwendete Suchbegriff in der Studie war alleine ‚glossectomy‘. Ebenfalls wurde nicht in der Art und Wahl der durchgeführten mikrovaskulären Lappentechnik unterschieden. Ein schwierig zu erfassender Parameter ist die chirurgische Erfahrung des Teams. Diese und etablierte Abläufe in der mikrovaskulären Rekonstruktion beeinflussen maßgeblich die Operationsdauer und haben möglicherweise einen entscheidenderen Einfluss als die Anzahl der beteiligten Teams. Dieser schwierig zu quantifizierende Faktor wurde in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt.

Fazit

Die vorliegende Studie zeigt auf, dass die OP-Zeit auf den postoperativen Verlauf der rekonstruktiven Tumorchirurgie der Mundhöhle mittels freier Lappenplastik einen Einfluss hat. Für die Analyse des Effekts der Anzahl der OP-Teams bleibt allerdings die chirurgische Erfahrung der Operateure als wesentlicher Einflussfaktor unberücksichtigt.



Publication History

Article published online:
04 March 2024

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