Nervenheilkunde 2023; 42(10): 685-694
DOI: 10.1055/a-2131-9884
Schwerpunkt

Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten

Direkte und indirekte Auswirkungen und ihre PräventionChild and adolescent mental health in times of crisisDirect and indirect effects and their prevention
Emily Gossmann
‡   Beide Autorinnen haben zu gleichen Teilen beigetragen.
1   Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Ulm
2   Kompetenzbereich Prävention Psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk Präventivmedizin Baden-Württemberg, Ulm
,
Katrin Erlewein
‡   Beide Autorinnen haben zu gleichen Teilen beigetragen.
1   Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Ulm
2   Kompetenzbereich Prävention Psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk Präventivmedizin Baden-Württemberg, Ulm
,
Jörg M. Fegert
1   Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Ulm
2   Kompetenzbereich Prävention Psychische Gesundheit im Kompetenznetzwerk Präventivmedizin Baden-Württemberg, Ulm
› Author Affiliations
 

ZUSAMMENFASSUNG

Gegenstand und Ziel Das Ziel dieses Artikels ist es, die direkten und indirekten Folgen verschiedener Krisen für die psychische Gesundheit und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aufzuzeigen, Risikogruppen zu identifizieren und Präventionsstrategien für den Erhalt der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Krisen darzustellen.

Material und Methoden Bei dem vorliegenden Artikel handelt es sich um eine Übersicht wissenschaftlicher Literatur.

Ergebnisse Auswirkungen von Krisen sind vielfältig und lassen sich auf finanzieller, sozialer, edukativer, gesundheitlicher und ökonomischer Ebene einordnen, die Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nehmen können. Besonders gefährdet sind vorbelastete Kinder und Jugendliche.

Schlussfolgerung(en) Da Krisen auch zukünftig auftreten werden, sind geeignete Präventionsmaßnahmen von besonderer Bedeutung. Informationsveranstaltungen und Beratungsangebote können auf bestehende Strukturen, wie Schulen und Kindergärten, aufgebaut werden. Digitale Angebote bieten außerdem eine moderne Ergänzung zu klassischen Angeboten, die mit Niederschwelligkeit und Flexibilität einhergehen.


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ABSTRACT

Objective The aim of this article is to highlight the direct and indirect consequences of various crises for the mental health and social participation of children and adolescents, to identify risk groups, and to present prevention strategies for maintaining the mental health of children and adolescents in crises.

Material and methods This article is an overview of scientific literatur.

Results Impacts of crisis are multifaceted and can be categorized at a financial, social, educational, physical health and economic-related level and can affect the mental health of children and adolescents. Children and adolescents who are already predisposed are particularly at risk in times of crises.

Conclusion(s) As crises will continue to occur, appropriate prevention are of particular importance. Information campaigns and counseling services can be built on existing structures, such as schools and kindergartens. In addition, digital offers provide a modern supplement to traditional services, which are associated with low-threshold access and flexibility.


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Einleitung

Akute Krisen, die oft unerwartet auftreten und weitreichende Folgen haben, haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Mit der Corona-Pandemie wurde der Diskurs über die zunehmende Verbreitung von Viren, bedingt durch die Globalisierung und voranschreitende weltweite Mobilität, angeheizt [1]. Aber mehr denn je werden durch die Zunahmen von Naturkatastrophen die Auswirkungen des Klimawandels vor Augen geführt [2], [3]. Ereignisse wie die Wirtschaftskrise 2008/2009, die Katastrophe in Fukushima 2011, die Flüchtlingskrise 2015 und der Krieg Russlands in der Ukraine sowie die dadurch ausgelöste Energie- und Wirtschaftskrise, verdeutlichen auch, dass Krisen schon seit geraumer Zeit das gesellschaftliche Leben in Deutschland prägen [4].

Auf politischer Ebene wurde bereits erkannt, dass es eine „gemeinsame Kultur der Vorsorge gegen unvorhersehbare Risiken und Krisen“ [2] braucht. Auch im Verlauf der Corona-Pandemie wurde schon immer stärker die Notwendigkeit diskutiert, auf künftige Pandemien vorbereitet zu sein [5], indem z. B. Pläne und Strategien durch die Weltgesundheitsorganisation vorgelegt wurden [6], [7]. Allerdings berücksichtigen diese Strategien und Konzepte des Vorbereitetseins und schnellen Reagierens auf Krisen und Katastrophen oftmals noch zu ungenügend die psychischen Belastungen für die Bevölkerung, die mit diesen herausfordernden Zeiten einhergehen können [7], [8]. Der Fokus liegt meistens noch auf den Auswirkungen für die physische Gesundheit.

Krisen und Katastrophen können die psychische Gesundheit in der Bevölkerung sowohl direkt als auch indirekt beeinflussen [9], [10]. Direkt, aufgrund der unmittelbaren Folgen, wie z. B. dem Erleben einer Naturkatastrophe und indirekt aufgrund der Konsequenzen, die durch eine Krise entstehen, z. B. Flucht aufgrund einer Naturkatstrophe [9]. Schließlich sind jedoch bestimmte Populationsgruppen vulnerabler für die Auswirkungen von Katastrophen und Krisen [2]. Wie insbesondere in der Corona-Pandemie zu beobachten war, sind es vor allem Kinder und Jugendliche, die die Belastungen einer Krise tragen [11]. Bezogen auf das Jahr 2022 gaben 21 % der Befragten aus der Generation Z, also der Menschen, die um die Jahrtausendwende bis ca. 2010 geboren sind, an, dass sich ihre psychische Gesundheit in den letzten Jahren verschlechtert habe [12]. Dies ist doppelt so hoch als bei den Babyboomern [12]. Auch insgesamt bewertet die Generation Z ihre psychische Gesundheit schlechter als die Generationen Y, X und die Babyboomer [12]. Angesichts der kumulierenden Krisen und der wahrscheinlichen, künftigen Krisen ist die Ansicht der jüngsten Generation, dass psychische Erkrankungen durch charakterliche Züge zu Stande kämen und die Inanspruchnahme von Unterstützungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen mit Scham verbunden sei, besorgniserregend [12].

Das Ziel dieses Artikels ist es, die vielfältigen direkten und indirekten Auswirkungen von ausgewählten Krisen und Katastrophen, die einen aktuellen Bezug haben, anhand einer Übersicht wissenschaftlicher Literatur darzustellen und darauf aufbauend deren Konsequenzen für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu verdeutlichen. Damit soll die Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen als wichtigen Resilienzfaktor in der sogenannten Zeitenwende systematisch mitzudenken sowie auf die aus jetzigen und künftigen Krisen resultierenden psychischen Belastungen für die junge Generation vorbereitet zu sein. Darauf aufbauend werden Empfehlungen für Präventionsmaßnahmen ausgesprochen.


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Direkte und indirekte Konsequenzen von krisenhaften Ereignissen und Katastrophen

Ausbreitung von Krankheitserregern

Direkte Konsequenzen

Die unmittelbare Folge einer Krise, die durch die Ausbreitung eines Krankheitserregers zu Stande kommen kann, ist die Ansteckung mit dem Erreger. Um einer Infektion entgegenzuwirken und eine Ausbreitung zu verhindern, werden oftmals verschiedene pharmakologische und nicht pharmakologische Maßnahmen umgesetzt [13], [14]. In Hinblick auf nicht pharmakologische Maßnahmen werden beispielsweise häufig strenge Hygiene- und Distanzierungsmaßnahmen durchgeführt und Isolationen von infizierten Personen vorgenommen [13]–[17]. Aber auch weitere Maßnahmen sind möglich. Der Ausbruch des Corona-Virus hat z. B. auf internationaler Ebene dazu geführt, dass neben den genannten Maßnahmen auch öffentliche Veranstaltungen abgesagt, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie Freizeiteinrichtungen geschlossen und Lockdowns beschlossen wurden [14]–[16].


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Indirekte Konsequenzen

In der Corona-Pandemie wurde ersichtlich, dass es neben den durch die Maßnahmen bedingten direkten Folgen auch zu finanziellen Einschränkungen kommen kann. So haben vor allem Arbeitsplatzverluste und Arbeitszeitreduzierungen mit gleichzeitiger Mietpreiserhöhung dazu geführt, dass bei Familien finanzielle Engpässe zu verzeichnen waren [18], welche sowohl von Erwachsenen als auch von den Kindern und Jugendlichen als belastend wahrgenommen werden können [15], [19]. Zudem wurde während der Corona-Pandemie vermehrt auf das Risiko von Anstiegen von Gewalterfahrungen im Haushalt und Kindesmisshandlungen hingewiesen [15], [20], was sich in repräsentativen Umfragen und offiziellen Erhebungsdaten widerspiegelt [21], [22]. Die Schließungen von Bildungs- und Freizeiteinrichtungen sowie die Distanzierungsregelungen führten darüber hinaus zu Einschränkungen in diesen Bereichen für Kinder und Jugendliche und zu einer Reduktion ihres Sozialkontaktes, z. B. mit Gleichaltrigen [15], [18]. Einschränkungen in diesen Lebensbereichen können nicht nur kurzfristige Folgen für Kinder und Jugendliche haben, sondern sich langfristig negativ auf ihre soziale Teilhabe im Erwachsenenalter auswirken. So beeinflusst beispielsweise Bildung die späteren Jobchancen auf dem Arbeitsmarkt einer Person auf verschiedene indirekte Wege und ein niedrigeres Bildungsniveau steht mit schlechteren Jobchancen und einem höheren Risiko der Arbeitslosigkeit in Krisenzeiten in Verbindung [23]. Zudem kann es bei einer Infektion der Eltern mit einem Krankheitserreger dazu kommen, dass Kinder ohne Vorwarnung und der Möglichkeit der Verabschiedung phasenweise von ihren Eltern getrennt werden [17].


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Bewaffnete Konflikte

Direkte Konsequenzen

In erster Linie können bewaffnete Konflikte und Kriege zu Verletzungen und Behinderungen, Krankheiten aufgrund der Exposition von chemischen oder biologischen Waffen, dem Tod oder Folter [24] sowie zu einer Zerstörung von Institutionen, wie Krankenhäusern [25] und Schulen [25], [26] führen. Beim Verbleib im Kriegsgebiet haben bewaffnete Konflikte zudem nicht selten die Rekrutierung von Kindersoldaten zur Folge sowie andere gewaltsame Erfahrungen, wie beispielsweise sexuelle und physische Übergriffe und Ausbeutungen von Kindern und Jugendlichen [24].


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Indirekte Konsequenzen

Resultierend aus den direkten Folgen wird ersichtlich, dass bewaffnete Konflikte sich auch indirekt und in weiterer Folge auf die körperliche Unversehrtheit, soziale Unterstützung, Gesundheitsversorgung, Bildung, finanzielle Lage und das Sicherheitsgefühl von Kindern und Jugendlichen auswirken können [24], [26], [27]. Kinder und Jugendliche, die von bewaffneten Konflikten und Kriegen betroffen sind, machen zwangläufig häufig auch Fluchterfahrungen, wodurch es zur Trennung von den Eltern und der Familie oder Gewalterfahrungen kommen kann [24], [27]. Weitere indirekte Konsequenzen von Kriegen und bewaffneten Konflikten können sich auch in übertragbaren (z. B. Atemwegserkrankungen, Hautkrankheiten) sowie nicht übertragbaren Krankheiten und Beschwerden (z. B. verschlechtere Kontrolle von chronischen Erkrankungen, somatischen Symptomen, Schlafstörungen) äußern [24]. Die Übernahme von zusätzlicher Verantwortung und von Aufgaben zur Versorgung der Familie kann darüber hinaus bedeuten, dass Kinder die Schule abbrechen, arbeiten gehen, auf der Straße leben, Sexarbeit oder andere risikoreiche Aktivitäten ausführen [25].


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Klimaveränderungen und Naturkatastrophen

Direkte Konsequenzen

Klimaveränderungen, z. B. in Folge des Klimawandels, können direkte Folgen für Kinder und Jugendliche haben, indem sie u. a. zu Hitzeanstiegen, Naturkatastrophen und vermehrten Extremwetterereignissen führen können [9], [28]. Die Folgen von Naturkatastrophen können sich für Personen betroffener Regionen unter anderem in Todesfällen äußern sowie zu schwerwiegenden behandlungsbedürftigen Verletzungen, Schäden an oder zur Zerstörung von Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen oder in der Wasserversorgung bzw. zu Lebensmittelknappheiten führen [28], [29]. Das Ausmaß dieser kurzzeitigen Konsequenzen hängt dabei von der Naturkatastrophe ab [29].


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Indirekte Konsequenzen

Die indirekten Konsequenzen von Naturkatastrophen und Klimaveränderungen ergeben sich für Kinder und Jugendliche durch Einschränkungen in vielen Lebensbereichen. So können sie dazu führen, dass ein geregeltes Einkommen unterbrochen wird, wenn ein erwerbstätiges Haushaltsmitglied seine Arbeit aufgrund von Verletzungen oder der Naturkatastrophe folgenden wirtschaftlichen Situationen verliert oder verstirbt [28]. Zudem erhöht sich nach einer Naturkatastrophe häufig das Risiko für übertragbare Krankheiten [28], [29] und Klimaveränderungen können u. a. mit Entzündungen einhergehen [9]. Nicht zuletzt nimmt die eingeschränkte medizinische Versorgung während Naturkatastrophen und Nahrungsunsicherheiten darüber hinaus Einfluss auf die physische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen [9], [28]. Die Zerstörung von Bildungseinrichtungen unterbricht zudem nicht selten den Zugang zu Bildung [28]. Kinder, die während oder nach einer Naturkatastrophe von ihren Eltern getrennt werden, unterliegen darüber hinaus dem Risiko von Misshandlung, Ausbeutung und Vernachlässigung [28] und Klimaveränderungen resultieren oftmals in Landverlusten, Luftverschmutzungen und weniger Grünflächen, weshalb es nicht selten infolgedessen zu größeren Volksbewegungen, Flucht und Migration kommen kann [9], [29].


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Finanz- und Wirtschaftskrisen

Direkte Konsequenzen

Während der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 wurde ersichtlich, dass Rückgänge von ausländischen Exportaufträgen einen direkten Nachfragerückgang von Aufträgen in Deutschland zur Folge hatten [30]. Die Beteiligung von inländischen Banken auf dem amerikanischen Markt trug zudem dazu bei, dass deren Verluste in der deutschen Wirtschaft spürbar waren [30]. Zusammen mit dem Rückgang des Bruttoinlandproduktes (BIP), einem Rückgang auf den Vermögensmärkten und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit [30], wird deutlich, dass sich die direkten Folgen einer Finanz- oder Wirtschaftskrise für Kinder, Jugendliche und Familien primär in einer schlechteren wirtschaftlichen Situation äußern [31].


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Indirekte Konsequenzen

Die indirekten Folgen von Finanz- und Wirtschaftskrisen für Kinder und Jugendliche zeigen sich in vielen Lebensbereichen. Die Ergebnisse einer 2014 durchgeführten Studie zeigen beispielsweise auf, dass ein Teil der Kinder und Jugendlichen davon berichten, dass ihre Familien aufgrund der Finanz- und „Wirtschaftskrisen“ 2008/2009 keine Ausflüge/Urlaube mehr unternehmen konnten, sie nicht mehr in der Lage waren, Essen zu kaufen, in kleinere Häuser oder in andere Gebiete bzw. mit Verwandten zusammenziehen mussten oder sie ihren Nachhilfeunterricht beenden oder von einer Privatschule auf eine öffentliche Schule wechseln mussten [31]. Die damit in Verbindung stehenden veränderten Lebensumstände können unter Umständen dazu führen, dass bekannte Sozialkontakte reduziert werden (müssen) oder abbrechen. Darüber hinaus können Finanz- und Wirtschaftskrisen eine verschlechterte Bildung zur Folge haben, wenn deren Auswirkungen dazu führen, dass Nachhilfestunden nicht mehr wahrgenommen werden können, Investitionen in das Bildungssystem gesenkt werden oder Kinder und Jugendliche zusätzliche Aufgaben im Haushalt übernehmen, um ihre Eltern zu unterstützen [10]. Im Extremfall wird dem Unterrichtsstoff nicht mehr nachgekommen und/oder es kommt zu einem Schulabbruch/-wechsel. Letztlich gehen ökonomische Krisen auch mit einem erhöhten Risiko für Kindesmisshandlung einher [10].


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Psychische Gesundheit und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten

Obwohl die dargestellten Krisen und Katastrophen unterschiedlicher Natur sind, wird deutlich, dass sich die daraus resultierenden direkten und indirekten Einschränkungen für Kinder und Jugendliche vor allem finanziell, sozial, edukativ, gesundheitlich und in ihrem Recht auf ein gewaltfreies Aufwachsen äußern ([ Abb. 1 ]). Dass diese Folgen wiederum Einfluss auf die psychische Gesundheit, Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichen haben können, ist damit ersichtlich. So ist beispielsweise mangelnde soziale Unterstützung ein Risikofaktor für psychische Probleme [32], [33] und der Kontakt zu Gleichaltrigen und Freunden spielt für Kinder und Jugendliche eine wichtige Rolle für ihre psychische Gesundheit und Entwicklung [34], [35]. Die Aufrechterhaltung von Bildung in Form des Zugangs zu einer Schule kann Kindern und Jugendlichen in Konfliktzeiten auch Sicherheit und Stabilität bieten, welche essenziell für ihre psychosoziale, kognitive und physische Gesundheit sind [26].

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Abb. 1 Direkte und indirekte Folgen von Krisen und ihr Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (nach Daten aus [9], [13]–[18], [20], [24]–[31], [36]–[46])

Studien, die sich mit den hier demonstrierten Krisen befassten, zeigen Zusammenhänge zwischen dem Erleben einer Krise, ihren Auswirkungen und dem Auftreten von psychischen Belastungen, Diagnosen, psychosomatischen Beschwerden und einer reduzierten Lebensqualität [36]–[38]. Im Vergleich zu Kontrollgruppen konnte demonstriert werden, dass Kinder und Jugendliche, die von Krisen und ihren Auswirkungen betroffen sind, vermehrt Symptome psychischer Störungen und Verhaltensprobleme aufweisen [39]–[44]. Kokkevi et al. [31] beobachteten zudem einen Rückgang der selbstberichteten Lebenszufriedenheit bei Kindern und Jugendlichen nach einer Krise. In Hinblick auf Langzeitfolgen konnte aufzeigt werden, dass nicht alle Kinder und Jugendlichen gegenüber einer Entwicklung von psychischen Symptomen nach einer Krise, wie in dieser Studie anhand von Naturkatastrophen demonstriert wird, resilient sind oder sich von dieser wieder erholen [37]. Erwachsene, die als Kinder eine oder mehrere Naturkatastrophen erlebten, zeigen z. B. ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychiatrischer Störungen [45], [46]. Auch die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen, die nicht direkt durch Krisen betroffen sind, kann sich durch Berichterstattungen im Fernsehen, Zeitungen und den sozialen Medien verschlechtern [27]. Zudem kann die wahrgenommene Ängstlichkeit der Eltern zu einem Verlust des Sicherheitsgefühls und zu verstärkten Ängsten bei Kindern führen [27].

Schließlich können viele der psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten eine Folge der elterlichen Belastung darstellen. Wenn Eltern durch Krisen erhöhtem Stress ausgesetzt und psychisch belastet werden, kann dies zu Herausforderungen in der Alltagsbewältigung von Familien führen [47]. Das Resultat sind vermehrte familiäre Spannungen und Streitigkeiten [31], [48], (häusliche) Gewalt, Gewalt bei der Erziehung von Kindern und Jugendlichen [15], [49]–[52] und Kindesmisshandlungen [10], [15], [53], [54], was langfristige Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter für Betroffene zur Folge haben kann [55], [56].


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Risikogruppen und kumulative Risiken

Kinder und Jugendliche, die frühe Kindheitsbelastungen erfahren haben mit alleinerziehenden Elternteilen, Eltern mit niedriger Bildung oder Eltern, die selbst belastende Kindheitserfahrungen gemacht haben, etc. zählen zu den Risikogruppen, die bei solchen Ereignissen generell eine erhöhte Vulnerabilität für stärkere psychosoziale Belastungen aufweisen [10], [15], [20], [22], [47]. Vorbestehende Vulnerabilitäten, wie ein geringer sozioökonomischer Status, geringe soziale Teilhabe oder psychische bzw. körperliche Vorerkrankungen oder Behinderungen, können durch die Auswirkungen von Krisen zudem verstärkt werden [47]. Durch zusätzliche Hindernisse im Alltag – z. B. dem eingeschränkten Zugang zu Hilfesystemen oder geringen finanziellen Mitteln – haben in Krisenzeiten insbesondere vorbelastete Kinder ein erhöhtes Risiko für eine verminderte psychische Gesundheit [18], [47]. Hierbei kommt erschwerend hinzu, dass sich solche Risikofaktoren nicht nur einzeln auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen auswirken, sondern miteinander interagieren, sich wechselseitig beeinflussen und verstärken können [15]. Die erhöhte Vulnerabilität von vorbelasteten Kindern und Jugendlichen in herausfordernden Zeiten wird vor dem Hintergrund des Vorkommens kumulativer, gleichzeitig auftretender Krisen verdeutlicht [57].


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Diskussion

Während die in diesem Übersichtsartikel dargestellte wissenschaftliche Literatur keine Vollständigkeit und Kausalität beansprucht, verdeutlicht sie doch, dass die psychosozialen Belastungen, die bei Kindern und Jugendlichen aus den möglichen direkten und indirekten Folgen von Krisen und Katastrophen entstehen können, vielfältig und nicht immer sofort erkennbar sind, sich unterschiedlich äußern und schließlich die Lebensqualität und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beeinflussen können. Aufgrund der Zunahme von akuten und erwartbaren langfristigen Krisen und Katastrophen in Zukunft ist es zentral, bei einer Präventionsstrategie – im Sinne eines Vorbereitetseins auf krisenhafte Entwicklungen – die damit einhergehenden psychosozialen Belastungen der vulnerablen Gruppe von Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen.

Das Institute of Medicine [58] teilt die Prävention von psychischen Erkrankungen und Belastungen in universelle, selektive und indizierte Maßnahmen ein ([ Abb. 2 ]). Auf universeller Ebene gilt es die Gesamtbevölkerung für die Folgen von Krisen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu sensibilisieren und sie zu schulen, psychische Symptome und Anzeichen zu erkennen sowie ein gemeinsames Vorgehen bei der Krisenreaktion zu entwickeln [2]. Erhöhte Aufmerksamkeit für die individuellen Bedarfe der jungen Generation ist vor allem durch die Menschen gefragt, die in alltäglichem Kontakt mit ihnen stehen (Bystander) [57]. Eine grundlegende Voraussetzung ist Wissensaustausch und Edukation sowie auf Fachkräfteebene besonders der interdisziplinäre Austausch und Fort- und Weiterbildungen [11], [12]. Um Kinder, Jugendliche und Fachkräfte auf lokale oder digitale Beratungs- und Versorgungsangebote hinzuweisen sind Informationskampagnen wichtig, die in nicht stigmatisierender Weise und kultursensibel über Beratungs- und sonstige Hilfsangebote aufklären [11]. Um Kinder und Jugendliche und ihre Krisenreaktion selbst zu fördern, sollten niedrigschwellige Angebote psychische Gesundheit und Krankheit psychoedukativ zum Thema machen, Coping-Strategien vermitteln, Resilienz stärken sowie niedrigschwellige Zugänge zu Beratungs- und Hilfsangeboten aufzeigen [11].

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Abb. 2 Beispiele für universelle, selektive und indizierte Präventionsmaßnahmen für den Erhalt der psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten (nach Daten aus [2], [9], [11], [12], [58])

Prävention auf universeller und selektiver Ebene sollte vor allem darauf fokussieren, niedrigschwellige öffentliche Institutionen und Angebote zu stärken, flächendeckend auszubauen und den Zugang zu diesen auch während Krisenzeiten zu ermöglichen [2]. Realisierbar ist dies, indem solche Angebote auf Basis bereits bestehender Strukturen, z. B. in Schulen, Kindertagesstätten, Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe oder Geflüchtetenunterkünften, umgesetzt und etabliert werden [11].

Mit Blick auf selektive Präventionsmaßnahmen ist sowohl die Beachtung bekannter Vulnerabilitäten von Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten zentral wie auch eine stetige Vulnerabilitätsanalyse [2], um beispielsweise noch nicht bekannte oder zu wenig erforschte Risikofaktoren und (Hoch-)Risikogruppen zu identifizieren. Um hier effektiv präventiv vorzugehen, benötigt es daher zuallererst Förderung von wissenschaftlicher Evidenz und Datenerhebungen in Subpopulationen und (Hoch-)Risikogruppen. Darauf aufbauend können Präventionsmaßnahmen passgenau und zielgerichtet ausgestaltet werden. Auch bestehende Hilfsangebote, die sich insbesondere an Kinder in Risikolagen bzw. mit multiplen Problemlagen richten, sollten gestärkt und der Zugang zu ihnen in Krisenzeiten gesichert werden.

Indizierte Präventionsmaßnahmen bzw. frühe Interventionen müssen vor allem so ausgestaltet sein, dass Kinder und Jugendliche schnell und unkompliziert Zugang zu ärztlicher und nichtärztlicher Diagnostik, ambulanter, stationärer und spezialisierter Versorgung erhalten und Versorgungsdefizite behoben werden [11], z. B. etwa durch digitale psychologische oder psychotherapeutische Angebote. Vorhandene Angebote müssen stärker miteinander verknüpft werden [11] und schließlich kulturell adaptiert werden. Dazu ist auch der ländergrenzenüberschreitende Austausch von Wissen und Best Practices, insbesondere bei Fachkräften, von äußerster Relevanz.

Letztlich ist es zentral, dass Berufsgruppen, die die Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen und ihrer Resilienz zum Ziel haben, aber auch die gesamte erwachsene Bevölkerung, Solidarität mit der jungen Generation zeigen und Verantwortung übernehmen, um die Auswirkungen von künftigen Krisen für sie abzuschwächen [9]. Dazu gehört insbesondere, die Anliegen von Kindern und Jugendlichen ernst zu nehmen und ihnen Formen altersgemäßer Partizipation bei der Krisenbewältigung zu ermöglichen [11].

FAZIT FÜR DIE PRAXIS

Krisen beeinträchtigen Kinder und Jugendliche in verschiedenen Lebensbereichen, wobei deren Auswirkungen für die psychische Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe nicht immer sofort erkennbar sind. Fachkräfte und Personen, die im alltäglichen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen stehen, sollten in Krisenzeiten besonders aufmerksam für die psychosozialen Belastungen und Bedarfe der jüngeren Generation sein. Schulungen, Weiterbildungen und fachkräfteübergreifende Austausche ermöglichen nicht nur eine Sensibilisierung gegenüber ihren Bedarfen, sondern können mit Informationskampagnen dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche über niederschwellige Angebote informiert werden und ihre psychische Gesundheit in Krisenzeiten gestärkt wird.


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Wissenschaftlich verantwortlich

Wissenschaftlich verantwortlich gemäß CME-Zertifizierungsbedingungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. med. Jörg Fegert, Ulm.


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Interessenkonflikte

Erklärung zu finanziellen Interessen

Forschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: nein; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht-Sponsor der Veranstaltung): nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein.

Für Jörg M. Fegert liegen für die letzten 5 Jahre folgende Interessenkonflikte vor: Forschungsförderung von EU, BMG, BMBF, BMFSFJ, DFG, G-BA Innovationsfonds, Länderministerien Baden-Württemberg und Saarland, Landesstiftung Baden-Württemberg, Evangelische Landeskirche Baden-Württemberg, Porticus, Reisebeihilfen, Referentenhonorare, Veranstaltungs- und Ausbildungssponsoring von APK, Adenauer- und Ebertstiftung, Deutschlandfunk, DFG, DJI, DKSB, Infectopharm, med update, UNICEF, Fachverbänden, Universitäten sowie Bundes- und Landesministerien, Beratertätigkeit für APK, Bundes- und Landesministerien. Keine Industriegesponserten Vortragsreihen, kein Aktienbesitz, keine Beteiligung an Pharmafirmen. Für die anderen Autoren liegen keine Interessenkonflikte vor.

Erklärung zu nicht finanziellen Interessen

Es liegen keine Interessenkonflikte vor.


Korrespondenzadresse

Emily Gossmann
Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie
Steinhövelstr. 5
89075 Ulm
Deutschland   
Phone: 0173/3490293   

Publication History

Article published online:
09 October 2023

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Abb. 1 Direkte und indirekte Folgen von Krisen und ihr Einfluss auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (nach Daten aus [9], [13]–[18], [20], [24]–[31], [36]–[46])
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Abb. 2 Beispiele für universelle, selektive und indizierte Präventionsmaßnahmen für den Erhalt der psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten (nach Daten aus [2], [9], [11], [12], [58])