Die Beiträge konzentrieren sich auf drei relevante Themengebiete der
häuslichen Pflege. Im ersten Abschnitt werden der aktuelle
Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Merkmale der Pflegegrade analysiert. Im
zweiten Abschnitt werden die ambulanten Entlastungsangebote und ihre allgemeine
Inanspruchnahme näher betrachtet. Vertieft werden in diesem Zusammenhang die
Charakteristika der Nutzung des ambulanten Pflegedienstes und der Tagespflege. Im
letzten Abschnitt geht es um die Zusammenhänge zwischen der
häuslichen Pflege und der Erwerbstätigkeit der Pflegenden. Gerade im
Hinblick auf die steigende Zahl der Pflegebedürftigen und den immer
größer werdenden Fachkräftemangel in Deutschland sind
wissenschaftlich fundierte Ergebnisse unerlässlich, um dieser Entwicklung
sozialpolitisch wirksam entgegenwirken zu können.
Keck et al. beschreiben in ihrem Artikel die für die Pflegegrade
charakteristische Angehörigen-, Pflege- und Versorgungssituation. Die
Ergebnisse zeigen, dass der Bedarf von Menschen mit Demenz durch den aktuellen
Pflegebedürftigkeitsbegriff und die Pflegegrade deutlich abgebildet wird.
Gleichzeitig erweist sich der Zeitaufwand für die Unterstützung bei
Aktivitäten des täglichen Lebens als ein ausschlaggebender Faktor
für die Zuweisung des Grades der Pflegebedürftigkeit. Obwohl die
Pflegegrade die steigende Belastung Pflegender abbilden, werden Entlastungsangebote
insgesamt nur minderheitlich genutzt [1].
Scheerbaum et al. vertiefen die Ergebnisse von Keck et al. und vergleichen in einem
ersten Überblick die gegenwärtige und die künftig
beabsichtigte Inanspruchnahme von acht ambulanten Entlastungsangeboten für
Pflegebedürftige und deren Pflegende. Es wird berichtet, dass zwei
Fünftel der Pflegenden gegenwärtig keines der untersuchten
ambulanten Entlastungs- bzw. Unterstützungsangebote nutzen. Jedoch
möchte die Mehrheit dieser bisherigen Nicht-Nutzenden mindestens zwei der
Angebote in Zukunft in Anspruch nehmen. Die Ergebnisse zeigen, dass zwischen der
gegenwärtigen Inanspruchnahme der Nutzenden und der künftig
beabsichtigten Inanspruchnahme der Nicht-Nutzenden bei allen Angeboten, bis auf den
ambulanten Pflegedienst, eine deutliche Diskrepanz vorliegt. Dies legt nahe, dass
in
den nächsten Jahren auf Deutschland eine erhöhte Nachfrage nach
ambulanten Entlastungsleistungen zukommen wird. Die Ergebnisse zeigen ferner, dass
Pflegende von Pflegebedürftigen mit Demenz subjektiv und objektiv
stärker belastet sind [2].
In einem weiteren Beitrag von Scheerbaum et al. werden die Charakteristika
für die Nutzung des ambulanten Pflegedienstes unter die Lupe genommen, denn
der ambulante Pflegedienst ist mit über 1 Mio. Nutzenden das am
häufigsten genutzte Unterstützungs-/Entlastungsangebot in
Deutschland. Es wird berichtet, dass Pflegende, die bisher keine Sachleistungen
erhalten, bereits einen zukünftigen Bedarf nach Unterstützung
seitens des ambulanten Pflegedienstes angeben. Etwa die Hälfte der
Pflegenden, die in Zukunft die Nutzung beabsichtigt, pflegt eine Person ohne
Pflegegrad beziehungsweise mit dem Pflegegrad 1. Dieser künftige Bedarf muss
entsprechend gedeckt werden, indem ausreichend professionelle Pflegekräfte
angeworben und ausgebildet werden [3].
In dem Beitrag von Bösl et al. wird das Nutzungsverhalten eines weiteren
ambulanten Entlastungsangebots – der Tagespflege – genauer
evaluiert. Gemäß der „Maßstäbe und
Grundsätze zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität in
der teilstationären Pflege“ dient auch die Tagespflege der
Förderung und Betreuung pflegebedürftiger Personen sowie der
Entlastung Pflegender. Gemäß dem Pflegestärkungsgesetz I und
II soll die Zahl derjenigen, die eine Tagespflege besuchen, gesteigert werden. In
ihrem Beitrag zeigen Bösl et al. auf, dass Tagespflegeangebote derzeit
häufig von Pflegenden, die einen Menschen mit Demenz oder mit einem hohen
Pflegegrad versorgen, genutzt werden. Zwar schildern etwa ein Viertel der Befragten
einen Wunsch nach zukünftiger Nutzung, insgesamt möchten jedoch zwei
Drittel der Pflegenden weder gegenwärtig noch zukünftig eine
Tagespflege in Anspruch nehmen. Es sollte daher überprüft werden,
inwiefern die bestehenden Tagespflegekonzepte an eine zunehmende bzw.
ausgeprägte Pflegebedürftigkeit der Besucher*innen angepasst
werden müssen und wie die Tagespflegenutzung grundsätzlich weiter
gefördert werden kann [4].
Gemäß dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend pflegen circa 2,5 Millionen Pflegende neben ihrer Erwerbstätigkeit
pflegebedürftige An- und Zugehörige. Aufgrund der
Mehrfachbelastungen erfahren die Pflegenden jedoch häufig negative
Auswirkungen auf ihren Erwerbstätigkeitsstatus. Sie sehen sich mit der
Erwerbstätigkeitsaufgabe oder einer Erwerbstätigkeitsreduzierung
konfrontiert.
Scheuermann et al. berichten in ihrem ersten Artikel über das Risikoprofil,
das mit einer pflegebedingten Beendigung der Erwerbstätigkeit assoziiert
ist. Die Ergebnisse zeigen, dass jede*r neunte Pflegende die
Erwerbstätigkeit pflegebedingt beendet hat. Ein für das Risikoprofil
bedeutsamer Faktor war das weibliche Geschlecht der Pflegenden. Hochgerechnet auf
die Gesamtpopulation der Pflegenden in Deutschland haben etwa 370.000
erwerbstätige Frauen ihre Erwerbstätigkeit aufgrund der
häuslichen Pflege eines älteren Menschen beendet. Die Ergebnisse
zeigen, dass ein bedürfnisgerechter Ausbau der Entlastungsangebote –
insbesondere für weibliche erwerbstätige Pflegende –
erforderlich ist, um eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und
häuslicher Pflege zu ermöglichen [5].
In ihrem zweiten Artikel berichten Scheuermann et al. über die mit einer
pflegebedingten Reduktion der Erwerbstätigkeit assoziierten Faktoren und die
arbeitsbezogenen Wünsche erwerbstätiger Pflegender. Die Ergebnisse
zeigen, dass ungefähr ein Viertel der erwerbstätigen Pflegenden den
Umfang ihrer Erwerbstätigkeit pflegebedingt reduziert hat, wobei deskriptiv
eine kritische Schwelle für die pflegebedingte Reduktion bei 30
Arbeitsstunden identifiziert werden konnte. Auf Grundlage dieser Ergebnisse zeigt
sich, dass die Unterstützungsangebote für erwerbstätige
Pflegende vor allem auf eine Entlastung hinsichtlich des Pflegeaufwandes abzielen
sollten. Darüber hinaus sollten wirksame Maßnahmen entwickelt
werden, um in Vollzeit erwerbstätigen Pflegenden eine Reduktion auf 30
Arbeitsstunden – oder weniger – pro Woche zu ermöglichen
[6].
Wie aus den Ergebnissen der Beiträge deutlich wird, war die Weiterentwicklung
des Pflegebedürftigkeitsbegriffs wichtig; dieser wird durch die Pflegegrade
differenzierter als früher abgebildet. In dem Bereich der ambulanten
Entlastungsangebote gibt es jedoch einen akuten Handlungsbedarf. So müssen
diese Angebote in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden, um die
häusliche Pflegesituation aufrecht zu erhalten. Gleichzeitig wird durch die
Beiträge zum Thema Erwerbstätigkeit und Pflege deutlich, wie viele
Pflegende aufgrund der Pflege in die Erwerbstätigkeitsreduzierung oder sogar
zur Aufgabe ihrer Erwerbstätigkeit gezwungen werden. Dies führt
nicht nur bei den direkt betroffenen Pflegenden eventuell zu persönlichen
finanziellen Einbußen, sondern hat auch für den Wirtschaftsstandort
Deutschland negative Auswirkungen, da Fachkräfte wegen der Pflege ihre
Arbeitsstunden reduzieren oder ganz aufgeben.
Die Gastherausgeber bedanken sich ganz herzlich bei der G. u. I. Leifheit-Stiftung,
bei der Reinhard Frank-Stiftung und bei der Universitätsbibliothek der FAU
Erlangen-Nürnberg. Ohne deren finanzielle Unterstützung wäre
das Erscheinen dieses Supplement-Heftes nicht möglich gewesen.
Eine anregende Lektüre wünschen Ihnen
Anna Pendergrass und Elmar Gräßel