Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2207-5905
Ulmer Heft


Vor Ihnen liegt Teil 2 des Ulmer Themenheftes 2024. Anlässlich des anstehenden Ruhestands unseres Klinikchefs, Professor Manfred Spitzer, berichten wir zum letzten Mal über Forschungsthemen, die uns in der Ulmer Psychiatrischen Klinik beschäftigen.
Verena Durner und Kollegen behandeln ein Thema, welches bisher in den Grundlagenwissenschaften ein Mauerblümchen-Dasein fristet: Die weibliche Sexualität und ihre neuronalen Korrelate im Gehirn. Tatsächlich sind sexuelle Vorgänge im Gehirn von Männern viel besser untersucht worden als die von Frauen. Ein Grund dafür mag der Aufwand sein, der Studien an Frauen zusätzlich mit sich bringt. Zunächst muss geeignetes Stimulationsmaterial, in der Regel in Form von Bildern gefunden werden. Dieses unterscheidet sich deutlich von Stimuli, die bei Männern eingesetzt werden können. Weiterhin macht es wenig Sinn, weibliche Sexualität ohne präzise Zykluskontrolle zu explorieren, was erhebliche Anforderungen an die praktische Durchführung stellt. Schließlich stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich die Menopause auf das sexuelle Erleben von Frauen auswirkt. Der vorliegende Beitrag fasst die aktuelle Literatur nicht ohne Eigenmotivation zusammen: Frau Durner führt zurzeit eigene Messreihen zum Thema mit Hilfe der Kernspintomografie durch. Wir dürfen gespannt sein auf weitere Aufklärung zu diesem Thema!
In einem Übersichtsartikel gehen Theresa Hanke und Mitarbeiterinnen der elementaren Frage nach, wie eigentlich Psychotherapie wirkt. Schon länger gibt es empirische Befunde, die aufzeigen, dass die schulenspezifische Methodik nicht zu den Hauptfaktoren zählen, die über den Erfolg und das Ausmaß der Wirksamkeit entscheiden. Vielmehr ist die therapeutische Beziehung selbst der größte Einzelfaktor, der das Gelingen von Psychotherapie beeinflusst. Nun kann man fragen, wie groß der Beitrag des Patienten gegenüber dem Beitrag der Therapeutin ist. Natürlich muss auch der Einfluss des gewählten Settings auf die Wirksamkeit erfasst werden. Eine systematische Erschwernis bei der Bearbeitung dieser Forschungsfragen stellt die Tatsache dar, dass es weder Doppelblind-Designs noch eine Placebokontrolle geben kann. Als abhängige Größe dient zunächst die systematische Befragung von Patientin und Therapeuten. Aber es können auch physiologische Parameter als Biomarker erfasst werden.
Schwangerschaft und Stillzeit gehen nicht selten mit depressiven Episoden einher. Tugba Yildiz und Mitarbeiterinnen machen in einer Übersichtsarbeit deutlich, dass Depression in der Schwangerschaft viel zu selten diagnostiziert und adäquat behandelt wird. Die medikamentöse Behandlung muss bei Berücksichtigung der potenziell teratogenen Wirkung der Präparate einer strengen Indikationsstellung folgen. Viel zu wenig eingesetzt werden die vorhandenen therapeutischen Alternativen. Mit den Hirnstimulationsverfahren wie transkranielle Magnetstimulation und Elektrokonvulsionstherapie stehen 2 wirksame Verfahren zur Verfügung, die keine Gefährdung des Fötus oder des Säuglings mit sich bringen.
Am 18. Juni dieses Jahres wurde in Deutschland in der Laienpresse auf ein neues Forschungsergebnis aus den USA hingewiesen: „Mit Bildern vom Gehirn 6 Arten von Depression unterscheiden“. Zusammen mit Georg Grön habe ich die zugrunde liegende Originalarbeit von Tozzi et al. genauer angesehen. Tatsächlich reiht sich diese Arbeit in eine Reihe von neuen Klassifikationsansätzen ein, die meist Veränderungen in Gehirn-Netzwerken aus resting-state MR-Bildgebung als Grundlage wählen. Wir diskutieren die neue Arbeit im Vergleich zu einer Arbeit aus dem Jahre 2017 von Drysdale et al., die als Ergebnis eine Einteilung in 4 Biotypen präsentierte. Nach unserer Ansicht haben beide Arbeiten erkennbare systematische Schwächen, sodass wir wahrscheinlich in Zukunft mit weiteren Klassifikationsansätzen rechnen können.
Ein Beitrag aus dem Ulmer Physiologischen Institut rundet das Heft ab. Der wissenschaftliche Schwerpunkt des Neurophysiologen Dennis Kätzel liegt im Bereich von Tiermodellen, die für psychische Störungen aussagekräftig sind. In seinem Artikel beschäftigt er sich mit den Grundkonzepten von Salienz im Gehirn und dem Zusammenhang von Salienz und Schizophrenie. Er erinnert an einen Beitrag von Manfred Spitzer aus dem Jahre 1995, in dem bereits die wesentlichen Zusammenhänge zwischen einem dopaminerg kontrollierten Salienzsystem und den klinischen Phänomenen sowohl der akuten Psychose als auch chronisch veränderten kognitiven Systemen in der Schizophrenie postuliert wurden. Diese Zusammenhänge und das damit postulierte Modell haben sich als fruchtbare Grundlage für neue experimentelle Zugänge in der Grundlagenforschung zur Schizophrenie herausgestellt. Mir bleibt anzumerken, dass letztes Jahr in unserem Hause ein Seminar zu den aktuellen Tiermodellen mit psychiatrischem Hintergrund zusammen mit Dennis Kätzel und seinen Mitarbeitern stattgefunden hat, welches alle Teilnehmenden sehr inspiriert hat. Der vielbeschworene Weg „From bench to bedside“ ist in diesem Seminar für alle sichtbar geworden, auch mit allen seinen steinigen Passagen.
So wünsche ich allen Lesern eine angeregte Lektüre.
Thomas Kammer, Ulm
#
Publication History
Article published online:
10 October 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

