Fortschr Neurol Psychiatr 2024; 92(07/08): 277-282
DOI: 10.1055/a-2276-2239
Übersichtsarbeit

Anti-CGRP basierte Migränemedikamente – eine Übersicht der Studienlage

Anti-CGRP-based Migraine Medications: A Comprehensive Overview
Paul Triller
1   Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN14903)
,
Bianca Raffaelli
1   Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN14903)
2   Berlin Institute of Health at Charité, Berlin, Germany (Ringgold ID: RIN522475)
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Seit Anfang der 1990er Jahre ist bekannt, dass das Neuropeptid Calcitonin Gene-Related Peptid (CGRP) eine Schlüsselrolle in der Pathophysiologie der Migräne spielt. Mit dieser Entdeckung ergaben sich in der Migränetherapie neue Angriffspunkte für Medikamente, die in den letzten Jahren unser therapeutisches Arsenal revolutioniert haben. Während bisherige Prophylaktika relativ unspezifisch wirkten und mit oft nicht tolerablen Nebenwirkungen einhergingen, entstanden mit CGRP als Zielstruktur in der Migräneprophylaxe gut verträgliche und hocheffektive neue Therapieoptionen. Die zwei Hauptklassen der CGRP-spezifischen Migränetherapie sind monoklonale Antikörper, die CGRP oder den CGRP-Rezeptor binden und Gepante, CGRP-Rezeptor Antagonisten, die aufgrund ihrer molekularen Eigenschaften die intrazelluläre Signaltransmission blockieren. In großen Zulassungsstudien konnte die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit von monoklonalen CGRP-Antikörpern in der prophylaktischen Therapie der episodischen und chronischen Migräne nachgewiesen werden. Gleiches gilt für den Einsatz verschiedener Gepante, die sich in der Akuttherapie als Alternative zu Triptanen und bei kontinuierlicher Einnahme als Prophylaktika in klinischen Studien als effektiv und sicher herausstellten. In dieser Übersichtsarbeit möchten wir den aktuellen Stand der Forschung zur CGRP-spezifischen Migränetherapie und Erkenntnisse aus ersten Anwendungsdaten darlegen.


Abstract

In the early 1990s, the neuropeptide calcitonin gene-related peptide (CGRP) was identified as a key messenger in the pathophysiology of migraine and emerged as a treatment target, fundamentally transforming our approach to migraine therapy. While previous prophylactic drugs were non-specific and often caused intolerable side effects, the discovery of CGRP marked the advent of a new era in migraine treatment. The two main classes of CGRP-specific migraine treatments are monoclonal antibodies that bind to CGRP or the CGRP receptor, and CGRP receptor antagonists, the so-called gepants. Extensive clinical trials have conclusively demonstrated the safety, tolerability, and efficacy of monoclonal CGRP(-receptor) antibodies in the prophylactic treatment of both episodic and chronic migraine. The same positive results apply to the use of various gepants. They have proven to be not only an effective alternative to triptans in acute migraine therapy but also promising options for continuous use as prophylactic treatments. In this review, we aim to present the current state of research on CGRP-specific migraine therapy and insights in real-world data from the first years after their launch in clinical practice.


Einleitung

Migräne betrifft als komplexe neurologische Erkrankung bis zu 15% der Weltbevölkerung. In der Akuttherapie der Migräne gibt es bereits seit den 1990er mit Triptanen und zuletzt Ditanen Möglichkeiten, spezifisch im trigeminovaskulären System an Serotoninrezeptoren anzusetzen und so die Migräneattacke zu unterbrechen. Im Gegensatz dazu zeichnen sich traditionelle Medikamente zur Migräneprophylaxe dadurch aus, dass sie initial mit anderen Indikationen entwickelt wurden, unspezifisch wirken und häufig mit schlechter Adhärenz assoziiert sind [1].

In der Entwicklung einer neuen, spezifischen Migränetherapie stellten sich das Calcitonin Gene-Related Peptid (CGRP) und dessen Rezeptor bereits früh als aussichtsreiche Kandidaten heraus. CGRP ist ein 37-Aminosäuren langes Peptidhormon mit vasodilatatorischen und nozizeptiven Eigenschaften, das im peripheren und zentralen Nervensystems (ZNS) produziert wird [1]. Es konnte gezeigt werden, dass die CGRP Konzentrationen im Blut von Migränepatient:innen während Migräneattacken erhöht und nach der Therapie mit Sumatriptan wieder normwertig waren. Die Infusion von humanem CGRP führte in Migränepatient:innen ohne Aura zu migräneartigen Kopfschmerzen. Die Erkenntnis, wie relevant CGRP in der Migräneentstehung ist, resultierte in verschiedenen Ansätzen, die die neu gewonnenen Erkenntnisse in therapeutische Konsequenzen umsetzten [1].


Gepante

Der erste CGRP-spezifische Therapieansatz in der Migränetherapie wurde 1999 mit Olcegepant getestet. Olcegepant war der erste Vertreter der Gepante, die als niedermolekulare CGRP-Rezeptorantagonisten den CGRP-Rezeptor und damit die konsekutive intrazelluläre Signaltransduktion und Wirkung von CGRP blockieren. Obwohl die Akuttherapie mit Olcegepant intravenös wirksam war, gelang es nicht, eine orale Form mit ausreichender Bioverfügbarkeit zu entwickeln, so dass der Fokus auf andere Gepante gelenkt wurde. Telcagepant war das erste oral verfügbare Gepant, das in großen Phase 2 und 3 Studien die primären Endpunkte Schmerzfreiheit nach 2 Stunden in der Akuttherapie der Migräne erreichte. Trotz dieser vielversprechenden Ergebnisse gab es in einer Folgestudie Hinweise auf Hepatotoxizität bei täglicher Einnahme, weshalb die weitere Entwicklung eingestellt wurde [2]. Zuletzt konnten mehrere orale Gepante der zweiten und dritten Generation in klinischen Phase 2 und 3 Studien positive Ergebnisse in der akuten und prophylaktischen Behandlung der Migräne vorweisen.

Rimegepant

Nach einer positiven Phase 2 Studie wurde in einer randomisierten, doppelt-verblindeten, plazebokontrollierten Phase 3 Studie die Wirkung von Rimegepant 75mg in der Behandlung einer akuten Migräneattacke untersucht [3]. Hier zeigte sich beim primären Endpunkt Schmerzfreiheit nach 2 Stunden eine Überlegenheit gegenüber Plazebo (20% vs. 12%). Über Schmerzfreiheit nach 24 Stunden berichteten 12% der Teilnehmenden in der Rimegepant- und 7% in der Plazebogruppe [4]. Diese Ergebnisse decken sich mit denen einer weiteren Phase 3 Studie mit 1466 Individuen, die eine Migräneattacke mit Rimegepant 75mg oder Plazebo als Schmelztablette behandelten. Schmerzfreiheit zwei Stunden nach Medikamenteneinnahme konnte in 21% der Teilnehmenden in der Rimegepantgruppe im Vergleich zu 11% in der Plazebogruppe beobachtet werden [4]. Zusätzlich zur Akutbehandlung wurde Rimegepant zur prophylaktischen Behandlung der Migräne getestet. Die umtägige Einnahme von Rimegepant 75 mg führte im Vergleich zur Plazebogruppe in einer Studie mit 747 Individuen zu einer Reduktion der monatlichen Migränetage (MMDs) um 4.3 im Vergleich zu 3.5 in der Plazebogruppe nach 12 Wochen [5]. Zu den häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen zählten in allen Studien Übelkeit und Harnwegsinfekte [3] [4] [5].


Ubrogepant

Nach erfolgreichen Phase 2 Studien wurde Ubrogepant in zwei nachfolgenden Phase 3 Studien untersucht: In der ACHIEVE I Studie wurden Ubrogepant 50mg und 100mg mit einem Plazebo verglichen, während in der ACHIEVE II Studie Ubrogepant in Dosierungen von 25mg und 50mg untersucht wurden. Bei 1436 inkludierten Individuen in der ACHIEVE I Studie zeigte sich Schmerzfreiheit nach 2 Stunden bei 21% in der Ubrogepant 100mg Gruppe, bei 19% in der Ubrogepant 50mg Gruppe und bei 12% in der Plazebogruppe [6]. In der ACHIEVE II Studie, in der 1355 Teilnehmende behandelt wurden, zeigte sich ebenfalls eine signifikante Reduktion des Migräneschmerzes nach 2 Stunden im Vergleich zum Plazebo [7]. Die am häufigsten berichteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen in beiden Studien waren Übelkeit, Mundtrockenheit und Müdigkeit [6] [7].


Atogepant

Atogepant ist das erste Gepant, das ausschließlich zur prophylaktischen Migränetherapie entwickelt wurde. In einer klinischen Phase 2b/3 Studie erhielten 795 Patient:innen mit episodischer Migräne einmal täglich Atogepant 10mg, 30mg oder 60mg, zweimal täglich Atogepant 30mg oder 60mg oder Plazebo für 12 Wochen. In dieser Studie zeigte sich eine Reduktion der monatlichen Migränetage zwischen 3.6 und 4.2 in den Atogepantgruppen und um 2.9 in der Plazebogruppe [8]. In der ADVANCE Studie bestätigten sich diese Ergebnisse nach 12 Wochen bei episodischer Migräne mit einer Abnahme der MMDs für Atogepant 10mg, 30mg und 60mg nach 12 Wochen zwischen 3.7 und 4.2 verglichen mit 2.9 in der Plazebogruppe. Erste Behandlungserfolge zeigten sich bereits in der ersten Woche der Therapie [9]. In der PROGRESS Studie erhielten 1489 Teilnehmende, die unter chronischer Migräne litten, zweimal täglich Atogepant 30mg, einmal täglich Atogepant 60mg oder Plazebo. Hier zeigte sich nach 12 Wochen eine Abnahme der MMDs um 7.5 in der Atogepant 30mg zweimal täglich Gruppe, um 6.9 in der Atogepant 60mg Gruppe und um 5.1 in der Plazebogruppe [10]. Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Übelkeit und Fatigue [8] [10].


Zavegepant

Zavegepant steht als einziges Gepant zur intranasalen Anwendung in der Akuttherapie der Migräne zur Verfügung. In einer großen US-Studie mit 1673 Migränepatient:innen zeigten Zavegepant 10mg und 20mg für den primären Endpunkt Schmerzfreiheit nach 2 Stunden eine Überlegenheit gegenüber dem Plazebo. Während in der Plazebogruppe 16% der Patient:innen eine Schmerzfreiheit nach 2 Stunden beschrieben, waren es 23% in der Zavegepant 10mg Gruppe und 23% in der 20mg Gruppe. Schwere Nebenwirkungen traten nicht auf [11].

Die zusammengefassten Studien belegen die Wirksamkeit von Rimegepant, Ubrogepant und Zavegepant in der Akuttherapie und von Rimegepant und Atogepant in der prophylaktischen Therapie der Migräne. Rimegepant, Ubrogepant, Atogepant und Zavegepant sind alle von der FDA zugelassen [2]. In der EU hat die EMA Rimegepant am 25.04.2022 zur Akuttherapie sowie zur prophylaktischen Therapie bei Erwachsenen mit episodischer Migräne und mehr als 4 MMDs zur umtägigen Anwendung mit einer maximalen Einnahme von 18 Dosen pro Monat zugelassen. Am 11.08.2023 wurde Atogepant zur prophylaktischen Therapie der Migräne bei Patient:innen mit mehr als 4 MMDs zur täglichen Einnahme in der EU zugelassen. Im Januar 2024 konnten weder der Hersteller von Rimegepant noch von Atogepant eine Aussage dazu treffen, wann und ob die Medikamente auf den deutschen Markt kommen.



CGRP- und CGRP-Rezeptor-Antikörper

Bisher wurden vier verschiedene monoklonale Antikörper (mAbs) gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor entwickelt. Nachfolgend fokussieren wir uns bis auf wenige Ausnahmen aus Gründen der Übersichtlichkeit auf klinische Phase 3 Studien.

Erenumab

Erenumab ist der einzige mAb, der an den CGRP-Rezeptor bindet. In der STRIVE Studie zeigte sich in einer Population von 955 Patient:innen mit episodischer Migräne eine deutliche Abnahme der MMDs nach Behandlung mit Erenumab 70mg und 140mg für 6 Monate im Vergleich zur Plazebogruppe (−3.2 vs. −3.7 vs. −1.8) [12]. Diese Ergebnisse konnten in ARISE, einer weiteren Phase 3 Studie mit Erenumab 70mg für 3 Monate validiert werden. In dieser Studie litten Individuen in der Verum Gruppe an 2.9 MMDs weniger (vs. 1.8 in der Plazebogruppe) [13].

Zur Prophylaxe der chronischen Migräne wurde Erenumab 70 mg und 140 mg in einer Phase 2 Studie untersucht. Hier konnte gezeigt werden, dass sich die Kopfschmerzfrequenz in beiden untersuchten Dosierungen um 6.6 MMDs nach 12 Wochen reduzierte (4.2 in der Plazebogruppe) [14]. Ein bereits therapieerfahrenes Patient:innenkollektiv wurde in der LIBERTY Studie untersucht, an der Individuen mit episodischer Migräne und 2–4 frustranen oralen Migränevorprophylaxen teilnahmen. Eine Reduktion der Migränetage um 50% konnte in 30% der Teilnehmenden unter Erenumab 140 mg nach 12 Wochen beobachtet werden (14% in der Plazebogruppe) [15]. Die in allen Studien häufigsten berichteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Obstipation, Irritationen der Injektionsstelle, Übelkeit und vermehrte Infekte der oberen Atemwege. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht häufiger auf als in der Plazebogruppe [13] [14] [15] [16] [17].

Erenumab ist der erste und bisher einzige mAb, welcher im direkten Vergleich mit einer oralen Prophylaxe untersucht wurde. In der HER-MES Studie wurden Verträglichkeit und Wirksamkeit von Erenumab mit Topiramat verglichen. Hierbei zeigte sich ein Studienabbruch aufgrund unerwünschter Arzneimittelwirkungen als primärer Endpunkt in 11% der Patient:innen in der Erenumabgruppe im Vergleich zu 39% in der Topiramatgruppe. Hinsichtlich der Halbierung der monatlichen Migränetage war die Therapie mit Erenumab ebenfalls überlegen (55% vs. 31%) [17].


Fremanezumab

Fremanezumab ist ein humanisierter mAb, der CGRP direkt bindet. Die Applikation erfolgt subkutan entweder mit 225mg monatlich oder 675mg quartalsweise. In zwei randomisierten, plazebokontrollierten Phase 3 Studien (HALO) wurde die Wirksamkeit von Fremanezumab bei Patient:innen mit episodischer und chronischer Migräne untersucht [18] [19]. 857 Patient:innen mit episodischer Migräne erhielten über 12 Wochen entweder Fremanezumab 675mg zu Beginn des Untersuchungszeitraums, Fremanezumab 225mg monatlich oder Plazebo. In dieser Reihenfolge ergab sich eine Reduktion der monatlichen Migränetage um 3.6, 4.0 oder 2.6 Tage [18]. 1130 Patient:innen mit chronischer Migräne erhielten Fremanezumab oder Plazebo nach dem gleichen Schema. Auch hier zeigte sich eine Überlegenheit gegenüber dem Plazebo mit einer Reduktion der MMDs nach 12 Wochen um 4.6 Tage bei monatlicher Anwendung und um 4.3 Tage nach hochdosierter Erstgabe (2.5 Tage in der Plazebogruppe) [19]. Auch für Fremanezumab wurde in einer weiteren Studie untersucht, wie sich bis zu vier frustrane Vorprophylaxen auf den Erfolg der Antikörpertherapie auswirken. In der FOCUS Studie erhielten 838 Individuen mit episodischer und chronischer Migräne Fremanezumab 225mg monatlich oder 675mg quartalsweise. Auch in diesem Patient:innenkollektiv zeigte sich eine signifikante Abnahme der monatlichen Migränetage um 3.1 bzw. 2.8 gegenüber Plazebo [20]. Schwere unerwünschte Nebenwirkungen traten in der in Verum und Plazebogruppen gleichhäufig auf; die häufigsten Nebenwirkungen waren Irritationen der Einstichstelle, Fatigue und Infekte der oberen Atemwege [18] [19] [20].


Galcanezumab

Galcanezumab ist ebenfalls ein direkt gegen CGRP gerichteter monoklonaler Antikörper. Die Applikation erfolgt monatlich subkutan mit einer „loading dose“ von 240mg und einer Erhaltungsdosis von 120mg. Die EVOLVE-1 und EVOLVE-2 Studie waren zwei plazebokontrollierte Studien, in denen die Wirkung von Galcanezumab in Patient:innen mit episodischer Migräne untersucht wurde [21] [22]. In EVOLVE-1 wurden 862 Individuen randomisiert und erhielten monatlich Galcanezumab 120mg, 240mg oder Plazebo. Hier zeigte sich nach 3 Monaten eine Reduktion der MMDs in der 120mg Gruppe um 4.7, in der 240mg Gruppe um 4.6 und in der Plazebogruppe um 2.8 [21]. In EVOLVE-2 zeigten sich bei einem fast identischen Studienaufbau bei 915 Individuen eine Reduktion der MMDs nach 3 Monaten um 4.3 in der Galcanezumab 120mg Gruppe, um 4.2 in der 240mg Gruppe und um 2.3 in der Plazebogruppe [22]. Die REGAIN Studie untersuchte die Wirkung und Sicherheit von Galcanezumab in Patient:innen mit chronischer Migräne. Teilnehmende erhielten initial eine „loading dose“ mit Galcanezumab 240mg gefolgt von monatlichen Galcanezumab 120mg Injektionen, Galcanezumab 240mg monatlich oder ein Plazebo für 3 Monate. In beiden Galcanezumab-Gruppen kam es zu einer deutlichen Reduktion der MMDs um 4.8 in der 120mg Gruppe und 4.6 in der 240mg Gruppe (2.7 in der Plazebogruppe) [23]. Diese Ergebnisse konnten in der CONQUER Studie ebenfalls in einer vorbehandelten Patient:innenpopulation mit episodischer oder chronischer Migräne mit zwei bis vier Vorprophylaxen bestätigt werden. Hier zeigte sich nach dreimonatiger Behandlung mit Galcanezumab 120mg monatlich mit einer loading dose von 240mg eine Abnahme der MMDs um 4.1 (Plazebo −1.0 MMDs) [24]. Schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden in den Verum Gruppen nicht häufiger als in den Plazebogruppen beobachtet [21] [22] [23] [24].


Eptinezumab

Eptinezumab ist der einzige anti-CGRP-mAb, der zur intravenösen Therapie der Migräne zugelassen ist. In zwei großen Phase 3 Studien wurde die Wirkung von Eptinezumab bei episodischer (PROMISE 1) und chronischer Migräne (PROMISE 2) evaluiert. In PROMISE 1 wurden verschiedene Dosierungen von intravenösem Eptinezumab alle 12 Wochen (30mg, 100mg oder 300mg) mit einem Plazebo verglichen. Eptinezumab zeigte in den Dosierungen 100mg und 300mg eine Reduktion der MMDs um 3.9 bzw. 4.3 bei einer Reduktion um 3.2 in der Plazebogruppe [25]. In der PROMISE 2 Studie zeigte sich bei Patient:innen mit chronischer Migräne bei gleichem Studienaufbau eine Reduktion der MMDs um 8.2 in der Eptinezumab 300mg Gruppe, um 7.7 in der 100mg Gruppe und um 5.6 Tage in der Plazebogruppe [26]. In der DELIVER Studie wurde das Ansprechen einer Therapie mit Eptinezumab 100mg und 300mg nach 3 Monaten in Migränepatient:innen untersucht, die von zwei bis vier vorherigen Therapieversuchen nicht profitiert hatten. Hier zeigte sich eine Reduktion der MMDs in der Eptinezumab 100mg Gruppe um 4.8, in der 300mg Gruppe um 5.3 und in der Plazebogruppe um 2.1 [27]. Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirungen in den beschriebenen Studien waren Fatigue und Übelkeit. Während schwere unerwünschte Nebenwirkungen nicht häufiger als in der Plazebogruppe auftraten, kam es in 1% der Patient:innen zu allergischen Reaktionen [25] [26].


Verwendung von CGRP-Antikörpern in der Praxis

Alle monoklonalen CGRP-(R)-Antikörper sind in Deutschland zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen mit vier oder mehr Migränetagen pro Monat zugelassen. Unter pharmakoökonomischen Aspekten hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Nutzenbewertung die Voraussetzung für eine Kostenerstattung definiert. Für Galcanezumab und Fremanezumab ist dies nur für Individuen möglich, bei denen der Einsatz von beta-Blockern (Metoprolol oder Propranolol), Topiramat, Flunarizin, Amitriptylin und bei chronischer Migräne Botulinumtoxin zu keiner signifikanten Reduktion der Kopfschmerzen führte oder aufgrund nicht tolerabler Nebenwirkungen oder Kontraindikationen nicht möglich war. Die Verschreibungsrichtlinien haben sich für Erenumab im Oktober 2022 nach einer Reevaluation unter Berücksichtigung der HER-MES Studie geändert. Aufgrund der Überlegenheit gegenüber Topiramat ist die Verschreibung von Erenumab bereits nach einer frustranen Vorprophylaxe möglich. Für Eptinezumab wurde kein Zusatznutzen belegt.

Zahlreiche Real-World Studien nach Markteinführung der monoklonalen Antikörper konnten die gute Wirksamkeit aus den Zulassungsstudien bestätigen [28]. Alle untersuchten monoklonalen Antikörper zeigten auch in der klinischen Routine eine sehr gute Verträglichkeit. Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen waren über die Wirkstoffklassen verteilt Irritationen der Einstichstelle, vermehrte Infekte der oberen Atemwege und insbesondere bei Erenumab Obstipation. Nach Markteinführung konnte außerdem eine leichte hypertensive Wirkung beobachtet werden, die in seltenen Fällen eine medikamentöse Therapie notwendig machte [29].

Beobachtungsstudien nach Markteinführung ermöglichten es außerdem, therapeutische Fragen aus dem klinischen Alltag zu beantworten, die in großen klinischen Studien nicht adressiert wurden ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Mögliche Therapieschemata mit CGRP(-Rezeptor)-Antikörpern in der klinischen Praxis Created with BioRender.com. [rerif]

Eine dieser offenen Fragen betrifft die optimale Therapiedauer mit monoklonalen CGRP-(Rezeptor)-Antikörpern. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass es nach Absetzen zu einer erneuten Zunahme der Migränefrequenz und konsekutiv dem Bedarf an Akutmedikation kommt [30]. Die aktuelle Migräne-Leitlinie empfiehlt aktuell eine Antikörperpause nach individuellem Ermessen, bei episodischer Migräne nach 9–12 Monaten und bei chronischer Migräne nach 12–24 Monaten. Damit ist ein Auslassversuch nicht mehr obligat und kann an die Lebenssituation der Patient:innen angepasst werden. Sollte es zur Zunahme der Migränefrequenz kommen, wird empfohlen, das zuletzt wirksame Präparat zu wählen.

Eine weitere Herausforderung, mit dem man sich im Alltag konfrontiert sieht, ist der Umgang mit Patient:innen, die nicht auf eine Antikörpertherapie ansprechen. Mittlerweile gibt es valide Daten, die bei fehlendem Therapieansprechen auf einen ersten Antikörper einen Antikörperwechsel nahelegen. So zeigten 35% der Non-Responder auf Erenumab eine mindestens 30% Besserung nach einem Wechsel auf Galcanezumab oder Fremanezumab, und umgekehrt [31].

Eine weitere offene Frage in der klinischen Routine betrifft die optimale Auswahl von Patient:innen für die Therapie. In einer aktuellen Meta-Analyse wurde gezeigt, dass Patient:innen, deren Migränekopfschmerzen durch Einseitigkeit und gutes Ansprechen auf Triptane charakterisiert waren, besonders gut respondierten, während Adipositas, interiktale Allodynie, mehrere frustrane Vorprophylaxen und psychiatrische Komorbiditäten als negative Prädiktoren identifiziert werden konnten [32].

Zusammenfassend ermöglichen CGRP-spezifische monoklonale Antikörper eine gut wirksame und verträgliche Migräneprophylaxe. Die positiven Daten aus den großen Zulassungsstudien konnten in der klinischen Routine in heterogenen Patient:innenkollektiven bestätigt werden.



Fazit für die Praxis

  • CGRP-(Rezeptor)-Antikörper zeigen in klinischen Studien und in der Praxis eine sehr gute Verträglichkeit und Wirksamkeit in der prophylaktischen Therapie der episodischen und chronischen Migräne.

  • Bei Nicht-Ansprechen auf die Therapie mit einem ersten Antikörper kommt es durch einen Antikörperwechsel in ca. 30% der Patient:innen zu einer relevanten Verbesserung der Migränefrequenz.

  • Gepante, CGRP-Rezeptor-Antagonisten, können sowohl in der Akuttherapie als auch in der prophylaktischen Therapie eine Alternative zu den bisherigen Medikamenten der ersten Wahl darstellen.



Interessenkonflikt

P.T. reports personal fees from AbbVie. B.R. reports personal fees from AbbVie, Eli Lilly, Lundbeck, Novartis, and Teva, and research grants from Novartis. B.R. reports serving as junior associate editor of The Journal of Headache and Pain, and associate editor of Frontiers In Neurology.


Korrespondenzadresse

Dr. Bianca Raffaelli, MD
Klinik für Neurologie, Charité Universitätsmedizin Berlin
Berlin
Germany   

Publication History

Received: 04 September 2023

Accepted after revision: 19 February 2024

Article published online:
28 March 2024

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Abb. 1 Mögliche Therapieschemata mit CGRP(-Rezeptor)-Antikörpern in der klinischen Praxis Created with BioRender.com. [rerif]