Es ist eine schöne Tradition, regelmäßig wissenschaftliche Beiträge aus der Psychiatrischen
Universitätsklinik in Ulm in einem Themenheft zusammenzutragen. Dieses Jahr gibt es
hierzu Besonderes zu vermelden: Es wird 2 aufeinanderfolgende Themenhefte geben, und
sie stehen im Zeichen des Abschieds. Unser Klinikchef, Prof. Manfred Spitzer wird
Ende des Jahres in den Ruhestand wechseln. Daher werden diese Ulmer Themenhefte die
letzten ihrer Art sein. So möchte ich an dieser Stelle dem Thieme Verlag und insbesondere
Dr. Anja Borchers danken für die unkomplizierte und immer konstruktive Kooperation,
die wir über die Jahrzehnte der Zusammenarbeit erleben durften. Wir konnten in der
Zusammenarbeit immer auf Verständnis und Geduld bauen, auch beim Herannahen der Einreichungsfristen,
die immer überraschend schnell erreicht war… Zu viele Änderungen auf einmal sind aber
ungesund: Manfred Spitzer bleibt der Nervenheilkunde als Herausgeber erhalten.
Was erwartet Sie in diesem Heft?
Die Abkürzung EMDR (Eye movement desensitization and reprocessing) steht für ein etabliertes
Verfahren in der Traumatherapie, dessen Wirksamkeit in mehreren klinischen Studien
eindrucksvoll unter Beweis gestellt wurde. Jennifer Spohrs und Mitarbeiter befassen
sich in ihrem Beitrag mit den neurophysiologischen Korrelaten von EMDR. Mit einer
Vielzahl von Messmethoden sind sowohl bei gesunden Probanden als auch bei Patientinnen
und Patienten funktionelle und strukturelle Veränderungen im Gehirn und im autonomen
Nervensystem dargestellt worden, die durch EMDR ausgelöst wurden.
In der Kognitionspsychologie gibt es schon lange eine Kontroverse bezüglich der Repräsentation
von abstrakten Begriffen im Gehirn. Lange Zeit wurde postuliert, dass sich begriffliches
Denken losgelöst von konkreten, sinnlichen Erfahrungen oder motorischen Abläufen amodal
als symbolische Kognition entfaltet. Das Konzept der verkörperten Kognition stellt
das genaue Gegenteil dar. Hier wird argumentiert, dass alle abstrakten Begriffe auf
sinnlicher und motorischer Erfahrung beruht, und somit beim abstrakten Denken immer
die verkörperten Spuren im Gehirn mitaktiviert werden. Markus Kiefer zeigt in seinem
Beitrag jüngere Forschungsergebnisse, die das Konzept der verkörperten Kognition stützen,
und skizziert Implikationen dieses Konzeptes für psychopathologische Forschung.
Ein besonderer Beitrag kommt nicht aus Ulm, sondern aus Oregon, USA, sowie aus Teheran.
Michael Posner und Mitarbeiter beschäftigen sich mit dem Problem der Digital-Sucht
und möglichen Behandlungsstrategien aus neurowissenschaftlicher Sicht. Sie würdigen
damit zum anstehenden Ruhestand von Manfred Spitzer dessen Beiträge zu diesem Feld.
Verordnete Medikamente werden nach der Einnahme im Körper verstoffwechselt und Abbauprodukte
werden wieder ausgeschieden. Alternativ gelangen verordnete Präparate bereits vor
der Einnahme im Müll. Auf beiden Wegen können sie sich im Abwasser wiederfinden. Tatsächlich
ist die kontinuierliche Belastung von Oberflächenwasser durch Medikamente ein Problem
für die Fauna, auch für den Menschen selbst. In ihrem Beitrag stellen René Zeiss und
Mitarbeiter die Ökopharmakovigilanz als Zweig der Wissenschaft vor, der sich mit den
unerwünschten Wirkungen von Medikamenten auf Umwelt und Natur beschäftigt.
Auch ein weiterer Beitrag von René Zeiss und Mitarbeitern beschäftigt sich mit Pharmakovigilanz.
Im Zusammenspiel mit Pharmakodynamik und Epidemiologie unter Pharmaka lassen sich
Nebenwirkungsprofile von Medikamenten präzisieren und spezifische Risiken herausarbeiten,
die bei der Verordnung berücksichtigt werden sollten. Zu diesem Beitrag gibt es CME-Fragen.
Das Heft wird abgerundet mit einem Editorial von Manfred Spitzer. Die Anzahl der Menschen,
die zurzeit die Erde bevölkern, hat Ende 2022 den Wert von 8 Milliarden erreicht,
und wächst seitdem weiter. Dieses Wachstum wird von Vielen als Bedrohung der Spezies
Mensch betrachtet. Neuere Prognosen zeigen jedoch, dass sich die Anstiegsdynamik bereits
jetzt deutlich ändert und mittelfristig kein weiterer Zuwachs mehr zu befürchten ist,
sondern günstigstenfalls sogar ein Rückgang der Weltbevölkerung eintreten kann.
Ich wünsche eine anregende Lektüre.
Thomas Kammer, Ulm