Handchir Mikrochir Plast Chir 2024; 56(04): 308-315
DOI: 10.1055/a-2322-1414
Originalarbeit

Verbot von Feuerwerkskörpern reduziert schwere Handverletzungen an Silvester: Eine deutschlandweite Multicenter-Studie des Pyrotechnikverbots im Rahmen der Covid-19-Maßnahmen

Ban on New yearʼs Fireworks Reduces Severe Hand Injuries: A Nationwide Multicentre Study On The Prohibition Of Pyrotechnics Due To Covid-19 Restrictions

Authors

  • Wolfram Demmer

    1   Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Germany
  • Irene Mesas Aranda

    1   Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Germany
  • Marcela Jimenez-Frohn

    2   Handchirurgie, Plastische Chirurgie & Zentrum für Schwerbrandverletzte, BG Klinikum Duisburg, Duisburg, Germany
  • Tobias Esser

    3   Plastische Chirurgie, BG Klinikum Bergmannstrost Halle, Halle, Germany
  • Simon Oeckenpöhler

    4   Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Münster, Münster, Germany
  • Henrik Lauer

    5   Hand-, Plastische, Rekonstruktive und Verbrennungschirurgie, BG Klinik Tübingen, Tübingen, Germany
  • Riccardo E Giunta

    1   Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Germany
  • Elisabeth Maria Haas-Lützenberger

    1   Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Germany
 

Zusammenfassung

Hintergrund Verletzungen durch Explosionen oder pyrotechnische Ereignisse können zu schwerwiegenden Handverletzungen führen, die teilweise langfristige Auswirkungen sowohl für den Betroffenen als auch das Gesundheitssystem haben. Bislang konnte die Einführung eines landesweiten Verbots von Feuerwerkskörpern zum Jahreswechsel lediglich vorübergehend im Rahmen der Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie umgesetzt werden. Diese zwei Ausnahmejahre konnten im Sinne eines Modellversuchs ausgewertet werden, um aufzuzeigen, welchen Effekt ein Verbot von Feuerwerk hinsichtlich Verletzungshäufigkeit von Explosionsverletzungen bedeutet.

Material und Methoden Im Rahmen einer Multicenter-Studie haben fünf deutsche Hand Traumazentren alle durch Feuerwerks- oder Knallkörper entstandenen Verletzungen, die in einem Zeitraum von sieben Tagen um den Jahreswechsel operativ versorgt wurden, retrospektiv erhoben und ausgewertet. Hierbei wurden die Jahre 2017–2023 eingeschlossen.

Ergebnisse Schwere Handverletzungen durch Explosionen kamen während geltender Covid-19 Schutzmaßnahmen signifikant seltener vor verglichen mit den übrigen erhobenen Jahreswechseln. Nach Rückkehr zu regulären Verkaufsgesetzen und Feierlichkeiten im Jahr 2022 konnte flächendeckend ein signifikanter Wiederanstieg der Verletzungszahlen aufgezeigt werden, die sogar den Vor-Covid-19-Zeitraum überstiegen. Die epidemiologischen Daten bestätigten einen hohen Anteil an Minderjährigen und männlichen Patienten. Es kam zu einer Häufung von schweren Verletzungen in der Neujahrsnacht und dem ersten Januar, wobei Erwachsene sich vor allem zum Zeitpunkt der Feierlichkeiten, Kinder und Jugendliche jedoch erst sekundär in den ersten Januartagen verletzten.

Schlussfolgerungen Nationale Verbote stellen eine effektive Methode dar, um schwere Handverletzungen, ausgelöst durch Explosionskörper, und deren lebenslange Folgen zu verhindern. Die in dieser Multicenter-Studie gewonnenen Daten können als Bestandteil einer Grundlage für politisches Handeln dienen.


Abstract

Background Injuries caused by explosions or pyrotechnic devices can lead to severe hand injuries with potential long-term consequences for both the affected individual and the healthcare system. The implementation of a nationwide ban on fireworks during the New Year festivities was only temporarily enforced as part of the protective measures during the Covid-19 pandemic. These two exceptional years provide an opportunity for evaluation as a model experiment to demonstrate the impact of a fireworks ban on the frequency of explosion-related hand injuries.

Materials and Methods In a multicentre study, five German hand trauma centres retrospectively collected and analysed all pyrotechnic-related injuries that occurred within seven days around the New Year celebration between 2017 and 2023.

Results Severe hand injuries from explosions were significantly less frequent at New Year celebrations during the pandemic period compared with data collected in the years before and after Covid-19. After the return to regular sales laws and celebrations in December 2022, a significant increase in injuries was observed, surpassing even the pre-Covid period. Epidemiological data confirmed a high proportion of minors and male victims. The highest number of injuries was observed on New Year's Eve and the first day of January, with adults mainly being injured during the festivities, while children and adolescents were mainly injured during the first days of January.

Conclusions A national ban proved to be an effective method to prevent severe hand injuries caused by explosive devices and their lifelong consequences. The data obtained in this multicentre study can serve as a basis for informed policy action.


Einleitung

Explosionsverletzungen der Hand kommen im Verhältnis zu allen akuten Handverletzungen eher selten vor. In Deutschland machen sie unter 1% der jährlichen Handtraumata aus [1]. Am häufigsten ereignen sich Explosionsverletzungen durch Feuerwerkskörper und andere pyrotechnische Artikel in den Tagen um den Jahreswechsel. Die Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie (DGH) warnt regelmäßig vor den Gefahren von Pyrotechnik im Rahmen der traditionellen Silvesterfeierlichkeiten [2].

Die obere Extremität und hier vorrangig die Hände sind am häufigsten von Explosionsverletzungen betroffen, gefolgt von Verletzungen des Kopfes inklusive des Gesichtes und des Gehörs, sowie der unteren Extremität und der Augen [3] [4]. Mehr als zwei Drittel der Verletzten sind männlich. Betroffen sind vor allem jüngere Menschen, etwa die Hälfte ist unter 24 Jahre und ein Drittel der Verletzten ist unter 14 Jahre alt [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11]. Verbrennungen stellen mit 40–59% die häufigste Verletzungsart dar [6] [12]. Bei schweren Sprengverletzungen der Hand sind diese jedoch in der Regel kombiniert mit Avulsionsverletzungen, Frakturen oder Dislokationen und können bis zur Amputation von Fingern oder der gesamten Hand und des Arms reichen [6] [12] [13]. Die Mehrzahl der Verletzungen wird durch legale pyrotechnische Artikel verursacht. Schwere Verletzungen, welche eine operative Versorgung erfordern, sind jedoch oft auf illegale Feuerwerkskörper zurückzuführen [12]. Bei den operationsbedürftigen Handverletzungen durch Pyrotechnik kommen am häufigsten Frakturen des Daumens, Verletzungen des Daumensattelgelenks und tiefe Schäden im Bereich der ersten Zwischenfingerfalte vor [6] ([Abb.1]). Solche schwere Sprengverletzungen der Hand bedürfen meist Folgeoperationen, einen längeren Krankenhausaufenthalt und können zu langfristigen Schäden und erheblichen Einbußen in Funktion der Hand führen [14].

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Abb. 1 a) Sprengverletzung mit illegalem Knallkörper: Proximaler Amputationsstumpf und b) multiple inkomplette Amputate. c) Sprengverletzung mit einem legalen Knallkörper: Tiefe Verletzung im Bereich des Thenars der rechten Hand bei einem Kind. Anamnestisch wurde eine abgebrannte Zündschnur wiederentzündet.

In vielen Ländern ist der der Verkauf von Pyrotechnik eingeschränkt. In Deutschland ist der allgemeine Verkauf von Feuerwerk und Knallkörpern nur im Zeitraum vom 29.12. bis zum 31.12. jeden Jahres gestattet [15]. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland rund 122 Mio. € für Silvesterfeuerwerk ausgegeben. In den Jahren 2020 und 2021 gingen die Verkaufszahlen auf 20 Mio. € zurück [16] [17]. Grund hierfür war das durch die Bundesregierung verhängte Verkaufsverbot für Pyrotechnik im Rahmen der Covid-19-Pandemie. Ebenfalls wurden Kontaktbeschränkungen bei privaten Treffen mit dem Ziel Krankenhäuser während der Pandemie vor Überlastung zu schützen [18] erlassen. Im Jahr 2022 wurden die Beschränkungen für den Verkauf sowie das Abbrennen von Pyrotechnik an Silvester aufgehoben. Der Verband der pyrotechnischen Industrie verzeichnete 2022 einen Umsatz von 180 Mio. Euro, was einem Zuwachs von 50% im Vergleich zu 2019 entspricht [19].

In der Literatur finden sich bereits Studien, welche die Auswirkungen der Covid-19 bedingten behördlichen Einschränkungen auf die Häufigkeit von pyrotechnischen Augen – und Gehörverletzungen analysieren. Der Rückgang von Augenverletzung im Zeitraum des Feuerwerkverkaufsverbots lag demnach bei 84% bzw. 61%, der Rückgang von Knalltraumata lag bei etwa 75% [20] [21].

Das temporäre Verbot von Pyrotechnik in den Jahren 2020 und 2021 eröffnet die einmalige Möglichkeit den epidemiologischen Einfluss eines solchen Verbotes auf schwere Handverletzungen in Deutschland zu untersuchen. Ziel der Studie ist es den Rückgang dieser vermeidbaren schweren Handverletzungen durch entsprechende Verbote zu quantifizieren und einen Wiederanstieg von schweren Handverletzungen zum Jahreswechsel 2022/23 zu beurteilen. Hierzu wurde die Prävalenz und Schwere von operationsbedürftigen Sprengverletzungen der Hand in fünf überregionalen Handtraumazentren im Rahmen einer nationalen Multicenter-Studie untersucht.


Material und Methoden

Die vorliegende retrospektive Multicenter-Studie wurde an fünf maximal- bzw. supramaximalversorgenden Handtraumazentren in Deutschland durchgeführt. Die Zentren sind geographisch gleichmäßig in Deutschland verteilt, mit einem Schwerpunkt auf den Metropolregionen bzw. deren Einzugsgebiet ([Abb. 2]).

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Abb. 2 Teilnehmende Handtraumazentren der Multicenterstudie

Die Patienten wurden sowohl Boden- als auch Luftgebunden verlegt. Jedes der teilnehmenden Krankenhäuser hat einen Hubschrauberlandeplatz zur Verfügung.

Teilnehmende Zentren (alphabetisch)

BG Klinikum Duisburg

BG Klinikum Bergmannstrost Halle

Klinikum der Universität München (LMU)

Universitätsklinikum Münster

BG Klinik Tübingen

Es wurde eine retrospektive Datenauswertung der Operationspläne aller teilnehmender Krankenhäuser durchgeführt. Die Daten wurden jeweils manuell aus den entsprechenden Krankenhausinformationssystemen extrahiert und zentral ausgewertet. Untersucht wurde der Zeitraum von 2017–2023. Er wurde unterteilt in die drei Jahre vor der Covid-19-Pandemie (TPrä) welche als Basiswerte dienen, die Periode des Covid-19-bedingten Verkaufsverbots für Pyrotechnik in den Jahren 2020/21 2021/22 (TCov) und dem Jahreswechsel 2022/23 (TPost), in dem der Verkauf und das Abbrennen von Pyrotechnik wieder uneingeschränkt erlaubt war.

Es wurde jeweils ein Zeitraum von insgesamt 7 Tagen (29.12–04.01.) ausgewertet. Dieser Zeitraum wurde aufgrund des Verkaufszeitfensters für Pyrotechnik und der Tatsache, dass es auch in den Tagen nach der Silvesternacht durch verspätetes Abbrennen von Feuerwerkskörpern zu schweren Verletzungen kommt, ausgewählt.

In die Untersuchung eingeschlossen wurden Patienten mit Sprengverletzungen der Hand, die auf Pyrotechnik zurückzuführen waren und einer operativen Behandlung mit OPS-Code bedurften. Eingeschlossen wurden alle Altersklassen. Für die Auswertung wurde in zwei Untergruppen unterteil: Minderjährige (0 bis 17 Jahre) und Erwachsene (18 bis 99 Jahre).

Das Verletzungsausmaß wurde aus den Operationsberichten abgeleitet und anschließend in drei Schweregrade unterteilt: leicht, mittel und schwere Verletzung. Die Einteilung erfolgte gemäß folgenden Kriterien:

  • Leicht: Ein Finger betroffen oder oberflächige Verletzungen der Hand (Schürfwunden, oberflächliche Risswunden, Verbrennung bis Grad 2a und kleinflächige 2b-gradige Verbrennungen)

  • Mittel: Zwei oder mehr Finger betroffen inkl. Endgliedamputationen und Verbrennungen Grad 3 oder großflächige 2b-gradige Verbrennungen)

  • Schwer: Amputation von einem oder mehr Fingern (außer Endgliedamputationen) oder der gesamten Hand, polytraumatische Verletzung der gesamten Hand

Das Verletzungsmuster wurde anhand des ICD-10-Codes analysiert (Weichteilschaden, Verbrennung, Fraktur, Sehnenverletzung, Gefäß-Nerven-Bündel (GNB) isoliert, Amputation). Daneben wurden patientenbezogene epidemiologische Daten wie Alter, Geschlecht, betroffene Seite und versorgungstechnische Daten, wie Unfallzeitpunkt und Operationsdauer, ausgewertet.


Datenanalyse und statistische Auswertung

Die Daten wurden mithilfe von Microsoft Excel (Microsoft Corporation, Redmond, Washington, USA) tabelliert. Deskriptive Statistiken und die weitere Datenanalyse wurden unter Verwendung von SPSS Statistics 28 (IBM, Armonk, NY, USA) durchgeführt. Die Daten werden, sofern nicht anders angegeben, als Mittelwerte mit Standardabweichung oder als absolute und relative Werte dargestellt. Die Daten wurden tabellarisch oder in Form von Graphiken dargestellt. Diese wurden mit GraphPad Prism (Version 8.0.2; GraphPad Software, Inc., San Diego, CA, USA) erzeugt. Für die statistische Datenanalyse wurden Kreuztabellen erstellt und diese mit dem Chi-Quadrat-Test oder dem Fischer Exakttest ausgewertet. Zudem wurde die Odds Ratio bestimmt. Die weitere Datenauswertung auf Unterschiede wurde nach Bestimmung der Datenverteilung (Shapiro-Wilk Test auf Normalität) mit dem T-Test oder nicht parametrische Tests für Unterschiede ausgewertet. Ein Wahrscheinlichkeitsniveau von p≤0,05 wurde als statistisch signifikant gewertet.

Die Studie wurde durch die Ethikkommission des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München genehmigt (Projekt Nr. 23-0208).



Ergebnisse

Im Zeitraum der untersuchten sechs Jahreswechsel wurden insgesamt 76 Patienten mit Sprengverletzungen der Hand durch Silvesterfeuerwerk oder -knallkörper an den teilnehmenden Zentren operativ versorgt ([Abb. 3]).

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Abb. 3 Fallzahl sortiert nach Städten. Halle an der Saale und München, gefolgt von Duisburg meldeten signifikant höhere Fallzahlen über den untersuchten Zeitraum..

In TPrä wurden durchschnittlich 15,7±2,05 Explosionsverletzungen der Hand pro Jahr behandelt. In TCov sank die Anzahl auf durchschnittlich 3,5±2,5 schwere Sprengverletzungen der Hand, die operativ versorgt werden mussten. Der Rückgang der gemeldeten Fälle war statistisch signifikant (p=0,0007). Für den Zeitraum TPrä zeigte sich ein Wiederanstieg der Sprengverletzungen auf insgesamt 22 Patienten. Der Wiederanstieg der gemeldeten Fälle war ebenfalls statistisch signifikant (p<0,0001) ([Abb. 4a]). Die Odds-Ratio betrug 4,07 (95% CI 1,68–10,24)

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Abb. 4 a) Anzahl aller gemeldeten Fälle in den Silvesterjahren 2017/18 bis 2022/23. Die Anzahl der Explosionsverletzungen an der Hand in TPrä und TPost ist signifikant höher als in TCov (p=<0,001). Roter Stern symbolisiert den Zeitraum der Pandemie-bedingten Einschränkungen, TCov. (N=76) b) Anzahl der Minderjährigen Verletzten in den Silvesterjahren 2017/18 bis 2022/23 (N=22)

Unter allen gemeldeten Fällen waren 74 Männer und 2 Frauen betroffen. Bei den dokumentierten Sprengverletzungen, die während der Pandemie auftraten (2020/21 und 2021/22), waren ausschließlich Männer beteiligt. In 55% der Fälle war die rechte Hand betroffen, in 34% der Fälle die linke und in 12% der Fälle waren beide Hände betroffen. Informationen zur Händigkeit der Verletzten liegen nicht vor. Das mittlere Alter der Verletzten im Untersuchungszeitraum betrug 26,67±14 Jahre und reichte vom 8. bis zum 75. Lebensjahr. Es konnte kein signifikanter Unterschied bezüglich der Altersverteilung vor bzw. während und nach der Covid-19-Pandemie beobachtet werden. Das Alter der Verletzten im Zeitraum TCov war jedoch tendenziell höher als in nicht Pandemiejahren ([Abb. 5]).

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Abb. 5 Altersverteilung aller durch Pyrotechnik verursachten Handverletzungen an Silvester 2017/18 bis 2022/23. Im Jahr 2020/21 wurde lediglich ein einziger Fall eines 9 Jahre alten Patienten dokumentiert. Dies ist aufgrund der Darstellungsform nicht als Keulendiagramm darstellbar.

Über den gesamten Studienzeitraum waren 28% der Verletzten (n=21) minderjährig. In TCov sank die Zahl der verletzten Minderjährigen auf zwei Fälle in 2 Jahren. Mit Aufhebung der Beschränkungen in TPost stieg die Anzahl der minderjährigen Verletzten mit 10 Fällen deutlich an ([Abb. 4b])

Zeit des Unfalls

Die meisten Explosionsverletzungen der Hand traten am Silvesterabend bzw. in der Nacht des ersten Januars auf. Die Mehrheit der Verletzungen ereignete sich unmittelbar nach Mitternacht am Neujahrstag. In den Tagen nach der Silvesternacht wurden weitere Verletzungen durch Spreng- und Feuerwerkskörper dokumentiert ([Abb. 6]).

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Abb. 6 Unfallhäufigkeit bezogen auf Kalendertag und Uhrzeit. Kasten markiert die Silvester-bzw. Neujahrsnacht.

Es zeigt sich eine deutliche Divergenz gegenüber der Verletzungszeiten innerhalb der Altersklassen. Während Erwachsene sich vor allem am 1. Januar in den frühen Morgenstunden verletzten (Median=01:50 Uhr), liegt der Median der Verletzungszeit bei Minderjährigen am Nachmittag des Neujahrstags (Median=15:35 Uhr). Darüber hinaus verletzen sich Minderjährige deutlich häufiger im Zeitraum nach den eigentlichen Silvesterfeierlichkeiten als Erwachsene ([Tab. 1]).

Tab. 1 Medianer Unfallzeitpunkt bezogen auf die untersuchten Tage. Gruppiert nach Erwachsenen und Minderjährigen. Bei sechs Patienten lagen keine Angaben zum Unfallzeitpunkt vor (N=70).

29.

30.

31.

01.

02.

03.

04.

Anzahl Erwachsene

3

0

6

37

3

1

0

Median

16:30

19:50

01:50

02:10

20:00

Anzahl Minderjährige

0

0

0

16

3

0

1

Median

15:35

14:25

15:00


Verletzungsausmaß und Verletzungsmuster

Der Vergleich des Verletzungsausmaßes zwischen TPrä und TPost zeigt einen signifikanten Anstieg schwerer Handverletzungen im Silvesterjahr 2022/23 (N=11) zum Vor-Corona-Zeitraum (N=4). Auch in TCov kam es zu einer relativen Häufung von schweren Handverletzungen, allerdings bei einer deutlich geringen Fallzahl (N=7) ([Abb.7]).

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Abb. 7 Relative Darstellung der Verletzungsschwere von Explosionsverletzungen der Hand zur gesamten Fallzahl in den Jahren vor (TPrä), während (TCov) und nach (TPost) der Covid-19-Pandemie. TPost zeigt einen signifikant höheren Anteil an schweren Handverletzungen auf als TPrä (P=< 0,0001).

Führende Verletzungsmuster waren Haut-Weichteilschäden und Verbrennungen gefolgt von Frakturen der Finger, Mittelhand und Handwurzelknochen. Isolierte Verletzungen von Sehnen, Nerven und Arterien traten seltener auf ([Abb. 8]). Insgesamt 33 Patienten zogen sich eine Amputationsverletzungen zu. Hierunter wurden subtotale und totale Amputationen, sowie Avulsionsverletzungen subsumiert. Über die drei Abschnitte der Studiendauer hinweg zeigte sich eine ähnliche Verteilung der Verletzungsarten, wobei keine statistisch signifikanten Unterschiede festgestellt wurden. (p=0,4).

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Abb. 8 Anzahl der dokumentierten ICD-10 Diagnosen (Weichteilschaden, Verbrennung, Fraktur, Sehnenverletzung, GNB isoliert und Amputation). (p=0,4).

Der Zeitraum zwischen Ankündigung der Leitstelle im versorgenden Krankenhaus und Beginn der operativen Versorgung der Patienten lag bei durchschnittlich 5 Stunden und 36 Minuten (95% CI 4:19, 6:52 h). Zwischen den drei Zeiträumen (TPrä, TCov und TPost) wurde kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt.



Diskussion

Explosionsverletzungen sind akute Handverletzungen, die im Laufe des Jahres selten vorkommen [1]. Eine Häufung dieses Verletzungsbildes in der allgemeinen Bevölkerung tritt jährlich im Rahmen der Silvesterfeierlichkeiten auf. Nicht alle Verletzungen bedürfen einer operativen Versorgung. Oberflächliche Verletzungen können zum Teil konservativ in der Notaufnahme versorgt werden und heilen meist ohne dauerhafte Einschränkungen oder Folgen ab. Sollte es allerdings zu einer schweren Verletzung durch Feuerwerk oder Sprengkörper kommen, sind die Folgen trotz handchirurgischer Versorgung nicht zu unterschätzen. Neben den handchirurgisch zu versorgenden Verletzungen haben die Unfälle auch Auswirkungen auf das Berufs- und Sozialleben. Unmittelbar postoperativ kommt es zu einer längeren Arbeitsunfähigkeit und je nach Verletzungsausmaß und -muster auch zu lebenslangen Folgen, wie z. B. dem dauerhaften Verlust eines Fingers nach Amputationsverletzung. Diese Konsequenzen treffen nicht nur den Patienten, sondern haben zudem eine sozioökonomische Bedeutung. Ein gesetzliches Verbot könnte hier Hilfe leisten, um diese schweren Schicksalsverläufe zu vermeiden. Die Covid-19-Pandemie ermöglichte ideale Voraussetzungen um gleichsam als Modellversuch wissenschaftlich aufzuzeigen, dass ein Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern zu einem signifikanten Rückgang bis hin zum Wegfall dieser Verletzungen führt. Die dargestellten Ergebnisse dieser Multicenter-Studie weisen dies für Deutschland flächendeckend nach.

Limitationen dieser Studie sind vor allem die relativ geringe Fallzahl insgesamt. Daneben werden nur fünf Handtraumazentren untersucht. Eine Untersuchung aller Explosionsverletzungen zum Jahreswechsel, z. B. über das Hand-Trauma-Verzeichnis der DGH könnte unsere Daten verifizieren.

Interessanterweise lässt sich keine Korrelation zwischen der Anzahl der durch Pyrotechnik Verletzten und der Einwohnerzahl der Standorte der teilnehmenden Kliniken ableiten [p=0,4111]. Dies kann zum einen an der Größe des Einzugsgebiet mit Einschluss z.T. großer ländlicher Regionen der einzelnen Handtraumazentren liegen, zum anderen aber auch am gut ausgebauten überregionalen Traumanetzwerk in Deutschland, das die Möglichkeit des luftgebundenen Transports von Verletzten bietet.

Die Geschlechterverteilung mit vorrangig männlichen Patienten jungen und mittleren Alters, die sich an Silvester mit Feuerwerks- und Knallkörpern verletzen, geht einher mit den Daten der rezenten Literatur [3] [4]. Die Mehrzahl der operativ versorgten Verletzungen waren von Verletzungsausmaß her den schweren Handverletzungen zuzuordnen. Man kann sie auch als „Polytraumata“ der Hand bezeichnen, da hier mehr als ein Finger bzw. die ganze Hand betroffen war mit gleichzeitiger Verletzung mehrere funktionsrelevanten Strukturen. Das Verletzungsmuster von Explosionsverletzungen der Hand besteht in der Regel aus einer Kombination von Verbrennung und Barotrauma [6] [12] [13]. Diese in der Literatur beschriebene Häufigkeit konnten unsere Daten belegen.

In TPrä wurden um den Jahreswechsel im Durchschnitt 15,7 Patienten aufgrund einer schweren Explosionsverletzung der Hand in den teilnehmenden Kliniken behandelt. Im Zeitraum TCov, in dem ein generelles Verkaufsverbot für Pyrotechnik bestand, sank diese Zahl um 77,7% auf 3,5 Patienten pro Jahr. Im Vergleich der Explosionsverletzungen in TPrä und TCov zeigt sich im Zeitraum des Pyrotechnikverbots bei zwar insgesamt wenig Verletzten jedoch ein deutlich schweres Verletzungsausmaß. Eine mögliche Erklärung hierfür kann das vermehrte Abbrennen von illegaler Pyrotechnik sein. Derartige Produkte weisen in der Regel eine deutlich höhere Sprengkraft auf [12].

Bis dato findet sich, unserer Recherche nach, in der Literatur keine vergleichbare Untersuchung zu Handverletzungen durch Feuerwerks- und Knallkörper an Silvester, die den Zeitraum nach den Covid-19-bedingten Einschränkungen mit analysiert. Im Untersuchungszeitraum TPost, Silvester 2022/23, zeigt sich ein deutlicher Wiederanstieg an schweren Sprengverletzungen der Hand auf insgesamt 22 Patienten. Die Zahl der Verletzten in TPost liegt somit sechsmal über dem Wert der Pandemiejahre (TCov). Darüber hinaus entspricht die Zahl einer Steigerung von über 40% im Vergleich zum Jahresdurchschnitt in TPrä, vor der Pandemie. Die Wiederzunahme der Verletzungen korreliert mit dem um 50% erhöhten Absatz an Pyrotechnik im Jahr 2022 im Vergleich zu 2019 [19]. Somit lässt sich schlussfolgern, dass mit einem zunehmendem Verkaufsvolumen von Feuerwerkskörpern an Silvester auch die Gesamtzahl schwerer Handverletzungen steigt.

Auch die Zahl an betroffenen Minderjährigen ging durch die pandemiebedingten Einschränkungen in TCov erfreulich deutlich zurück. Der jährliche Anteil an betroffenen Minderjährigen fiel im Zeitraum der pandemiebedingten Einschränkungen in TCov im Vergleich zu TPrä von 21,3% auf 14,3%. Nachdem das Pyrotechnikverbot aufgehoben wurden zeigte sich ein deutlicher Wiederanstieg an minderjährigen Verletzten. Der Anteil betrug TPost 45,5% (N=10) und lag damit mehr als dreimal höher als der Jahresdurschnitt in TCov mit 14,3% (N=1). Bemerkenswert ist auch, dass die Anzahl der Minderjährigen, die eine Explosionsverletzung der Hand erlitten in TPost (N=10) mehr als dreimal höher lag als der Jahresdurchschnitt in TPrä (N=3) vor der Pandemie. Die verblassten präventiven Warnungen vor Feuerwerks- und Knallkörpern könnten Gründe sein, die Kinder und Jugendliche zu einem leichtsinnigeren Umgang verleitet haben.

Betrachtet man die Verletzungshäufigkeit bezogen auf die Kalendertage, so zeigt sich erwartungsgemäß eine Häufung der Unfälle am Abend des 31. Dezember und der Nacht des 01. Januar. Darüber hinaus stellten sich aber auch in den ersten Tagen des neuen Jahres eine erhebliche Anzahl Patienten mit Explosionsverletzung der Hand vor. Bemerkenswert ist die deutlich höhere Anzahl an Minderjährigen, die sich erst im Verlauf des Neujahrstags und danach eine Explosionsverletzungen der Hand zuziehen. Häufig lag eine ähnliche Anamnese vor: es wurde versucht, einen gefundenen und nicht primär explodierte Feuerwerks- und Knallkörpern nochmals zu entzünden (Vgl. [Abb. 6] und [Tab. 1]). Insbesondere zum Schutz der Jüngsten in unserer Gesellschaft und zur Verhinderung vermeidbarer Verletzungen bedarf es dringend mehr Öffentlichkeitsarbeit zu den Gefahren von Feuerwerks- und Knallkörpern.


Schlussfolgerung

Silvesterfeuerwerk und Knallköper können zu schwersten Verletzungen der Hände mit lebenslangen Folgen führen. Durch das pandemiebedingte Verkaufsverbot von Pyrotechnik zu den Silvesterfeiern der Jahre 2020/21 und 2021/22 sind diese Verletzungen signifikant zurückgegangen. Nachdem Silvesterfeuerwerk und Knallkörper im Jahr 2023 wieder frei verkauft werden konnten, stieg die Zahl der Explosionsverletzungen erneut signifikant an. Die Anzahl an schweren Handverletzungen lag deutlich über dem Durchschnitt der Prä-Pandemiejahre. Zudem wurden Kinder und Jugendliche deutlich häufiger Opfer von Sprengverletzungen im Vergleich zu Zeiten vor der Covid-19-Pandemie.

Das Covid-19-bedingte temporäre Pyrotechnikverbot hat gezeigt, dass ein allgemeines Verkaufsverbot die Anzahl schwerer Explosionsverletzungen der Hand effektiv reduzieren kann. Die in dieser Multicenter-Studie gewonnenen Daten können und sollten als Bestandteil einer Grundlage für politisches Handeln dienen.



Autorinnen/Autoren

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Dr. med. Wolfram Demmer
studierte Medizin an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Ausbildung zum Plastischen Chirurg und die Zusatzweiterbildung Handchirurgie absolvierte er unter anderem im Luisenhospital Aachen, dem BG-Klinikum Duisburg und dem Alfried Krupp Krankenhaus Essen. Seit 2021 ist Dr. Demmer Oberarzt der Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie des LMU Klinikums München. Seine Schwerpunkte sind die Hand- und Mikrochirurgie.

Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Wir danken all denjenigen, die bei der Datensammlung geholfen haben, insbesondere unserem Promotionsstudenten Vincent Hiller.


Korrespondenzadresse

Dr. Wolfram Demmer
Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie
Ziemssenstrasse 5
80336 München
Germany   

Publication History

Received: 13 January 2024

Accepted: 27 April 2024

Article published online:
24 June 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Dr. med. Wolfram Demmer
studierte Medizin an der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Ausbildung zum Plastischen Chirurg und die Zusatzweiterbildung Handchirurgie absolvierte er unter anderem im Luisenhospital Aachen, dem BG-Klinikum Duisburg und dem Alfried Krupp Krankenhaus Essen. Seit 2021 ist Dr. Demmer Oberarzt der Abteilung für Handchirurgie, Plastische und Ästhetische Chirurgie des LMU Klinikums München. Seine Schwerpunkte sind die Hand- und Mikrochirurgie.
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Abb. 1 a) Sprengverletzung mit illegalem Knallkörper: Proximaler Amputationsstumpf und b) multiple inkomplette Amputate. c) Sprengverletzung mit einem legalen Knallkörper: Tiefe Verletzung im Bereich des Thenars der rechten Hand bei einem Kind. Anamnestisch wurde eine abgebrannte Zündschnur wiederentzündet.
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Abb. 2 Teilnehmende Handtraumazentren der Multicenterstudie
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Abb. 3 Fallzahl sortiert nach Städten. Halle an der Saale und München, gefolgt von Duisburg meldeten signifikant höhere Fallzahlen über den untersuchten Zeitraum..
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Abb. 4 a) Anzahl aller gemeldeten Fälle in den Silvesterjahren 2017/18 bis 2022/23. Die Anzahl der Explosionsverletzungen an der Hand in TPrä und TPost ist signifikant höher als in TCov (p=<0,001). Roter Stern symbolisiert den Zeitraum der Pandemie-bedingten Einschränkungen, TCov. (N=76) b) Anzahl der Minderjährigen Verletzten in den Silvesterjahren 2017/18 bis 2022/23 (N=22)
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Abb. 5 Altersverteilung aller durch Pyrotechnik verursachten Handverletzungen an Silvester 2017/18 bis 2022/23. Im Jahr 2020/21 wurde lediglich ein einziger Fall eines 9 Jahre alten Patienten dokumentiert. Dies ist aufgrund der Darstellungsform nicht als Keulendiagramm darstellbar.
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Abb. 6 Unfallhäufigkeit bezogen auf Kalendertag und Uhrzeit. Kasten markiert die Silvester-bzw. Neujahrsnacht.
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Abb. 7 Relative Darstellung der Verletzungsschwere von Explosionsverletzungen der Hand zur gesamten Fallzahl in den Jahren vor (TPrä), während (TCov) und nach (TPost) der Covid-19-Pandemie. TPost zeigt einen signifikant höheren Anteil an schweren Handverletzungen auf als TPrä (P=< 0,0001).
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Abb. 8 Anzahl der dokumentierten ICD-10 Diagnosen (Weichteilschaden, Verbrennung, Fraktur, Sehnenverletzung, GNB isoliert und Amputation). (p=0,4).