Rofo 2025; 197(01): 78-79
DOI: 10.1055/a-2328-7708
The Interesting Case

Transiente jejunale Invagination als inzidenteller Befund im MRT

Transient jejunal intussusception as an incidental finding on MRI
1   Department of Radiology, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Hamburg, Germany (Ringgold ID: RIN74924)
,
Robert Ritzel
1   Department of Radiology, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg, Hamburg, Germany (Ringgold ID: RIN74924)
› Author Affiliations
 

Einleitung

Die Invagination ist eine teleskopartige Einstülpung eines oralen Darmsegmentes in das Lumen des nachfolgenden Segmentes durch Änderung der normalen Darmperistaltik [Marsicovetere et al. Clin Colon Rectal Surg 2017; 30–39]. Sie kann im gesamten Darmtrakt lokalisiert sein und eine benigne, maligne oder idiopathische Genese aufweisen.


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Die Invagination des Erwachsenen ist ein insgesamt seltener Befund. In 90% der Fälle ist die Invagination des Erwachsenen induziert durch einen pathologischen „lead point“ [Marinis et al.Worl J Gastroenterol 2009 January 28; 15(04): 407–411]. In zwei Dritteln der Fälle handelt es sich dabei um eine benigne oder maligne Neoplasie [Marsicovetere et al. Clin Colon Rectal Surg 2017; 30–39]. Die Diagnose wird erschwert durch ein variables und unspezifisches klinisches Erscheinungsbild. Die klinische Präsentation der Invagination kann in chronischen oder subakuten Verläufen symptomarm bzw. -frei sein sowie im akuten Verlauf zum Vollbild eines mechanischen Ileus führen mit der Gefahr einer Ischämie mit Nekrosebildung und Perforation. Die manifeste Invagination des Erwachsenen erfordert meist ein operatives Therapieregime.

Im Zeitalter steigender CT- und MRT-Untersuchungszahlen werden insbesondere im Dünndarm vermehrt auch subklinische bzw. symptomfreie Invaginationen beobachtet, ohne sicheres klinisches Korrelat, wie im folgenden Fallbeispiel [Wessling et al. Radiologe 2022, 62: 167–178].

Fallbeschreibung

a. Anamnese und klinischer Befund

Ein 51-jähriger Patient stellte sich vor mit intermittierenden linksseitigen Unterbauchschmerzen seit mehreren Jahren. Es bestanden keine weiteren Beschwerden wie Stuhlunregelmäßigkeiten, Übelkeit oder Erbrechen.

Mittels Koloskopie erfolgte vor zwei Jahren der Nachweis einer Divertikulose. Seit einem Jahr traten rezidivierende, konservativ therapierte Divertikulitiden auf.

Es zeigten sich in der körperlichen Untersuchung bis auf einen leichten Druckschmerz im linken Unterbauch keine Auffälligkeiten, insbesondere keine palpablen Resistenzen. Der Patient war abdominell nicht voroperiert. Es fanden sich auch laborchemisch keine relevanten Auffälligkeiten.

Zum Ausschluss entzündlicher Darmveränderungen oder struktureller Bauchwandveränderungen wurde ein MRT-Abdomen durchgeführt.


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b. Bildgebung

Es zeigt sich in der initialen coronalen T2w-HASTE-Sequenz im linken Oberbauch eine beginnende Einstülpung einer jejunalen Darmschlinge in das aboral nachfolgende Segment mit angedeuteter Übereinanderlagerung mehrerer Darmwandschichten ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Es zeigt sich in der coronalen T2w-HASTE-Sequenz eine beginnende Übereinanderlagerung mehrerer Darmwandschichten im linken Oberbauch (mit Pfeil markiert).

5 Minuten später stellt sich in der axialen T2w-HASTE-Sequenz eine nun vollständige jejunojejunale kurzstreckige Invagination mit klassischem „target-sign“ dar ([Abb. 2]). Dieses auch als Darm-in-Darm-Zeichen bekannte Phänomen entsteht durch den Prolaps einer Darmschlinge zusammen mit den umgebenden mesenterialen Strukturen in das Lumen des nachfolgenden Darmsegmentes mit pathognomonischem Nachweis mesenterialen Fettgewebes intraluminal.

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Abb. 2 In der axialen T2w-HASTE-Sequenz präsentiert sich ein Vollbild einer jejunojejunalen Invagination mit einem klassischen „target sign“ (mit Pfeil markiert).

Nach der diffusionsgewichteten Sequenz im Zeitraum von 11 bis 18 Minuten nach Beginn der Invagination war diese nicht mehr nachzuweisen ([Abb. 3]).

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Abb. 3 In der DWI wird eine Auflösung der Darmeinstülpung im Sinne einer spontanen Desinvagination beobachtet (mit Pfeil markiert).

Dies bestätigte sich in der T1w-VIBE-DIXON-Sequenz mit Kontrastmittel 25 Minuten nach Untersuchungsbeginn ([Abb. 4]).

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Abb. 4 In der axialen T1w-VIBE-DIXON-Sequenz mit Kontrastmittel zeigt sich eine vollständige Regredienz der jejunojejunalen Invagination (mit Pfeil markiert).

Es finden sich in der Untersuchung weder ein potenzieller „lead point“ noch Zeichen einer intestinalen Obstruktion, einer Darmischämie oder Perforation.


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Verlauf

Als führende Pathologie des Patienten ist die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) anzusehen, die mit konservativen, stuhlregulierenden Maßnahmen therapiert wird.

Die detektierte transiente Invagination wird als inzidenteller Befund ohne Krankheitswert eingeordnet und bedarf keiner weiteren Therapie.


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Diskussion

Im ca. 20-minütigen Untersuchungszeitraum konnte der Beginn sowie die spontane vollständige Rückbildung einer jejunalen Invagination dokumentiert werden.

Die Untersuchung beweist so den temporären, selbstlimitierenden Charakter dieser nicht-obstruktiven Invagination und kann somit als Zufallsbefund ohne relevanten Krankheitswert und damit als eine Leave-me-alone-Dünndarminvagination gewertet werden [Wessling et al. Radiologe 2022, 62: 167–178].

Diese Form der Invagination nach unklarer Ätiologie ist häufig asymptomatisch und in unserem Fall nicht als Ursache für die abdominellen Beschwerden des Patienten anzusehen.

Mit steigenden CT- sowie MRT-Untersuchungszahlen werden inzidentelle transiente Invaginationen vermehrt detektiert. Eine Studie von Rea zeigt, dass bei insgesamt 170 im CT nachgewiesenen Invaginationen in etwa 18% der Fälle eine OP-Indikation gestellt wurde, aber nur in 8% der Fälle zeigte sich intraoperativ eine klinische Korrelation zum CT-Befund [Rea JD et al. Am Surg 2007; 73(11): 1098–1105].

In unserem Fall ist die Diagnose einer sich selbst lösenden Invagination durch den Nachweis einer Desinvagination während der Untersuchung eindeutig.

Im klinischen Alltag kann die Unterscheidung einer transienten von einer klinisch relevanten Invagination herausfordernd sein. Zum einen fehlen im CT-Abdomen durch häufig monophasige Bildakquisitionen Informationen über peristaltische Veränderungen und den Verlauf; zum anderen ist auch die klinische Einordnung schwierig durch unspezifische Symptomatik sowie durch fehlende spezifische Laborparameter, sodass die Bildgebung in der Diagnostik zur Differenzierung einer transienten von einer klinisch relevanten Invagination einen hohen Stellenwert hat.

Der nicht vorhandene „lead point“ ist nur bedingt ein Hinweis auf die transiente Invagination, da auch bei der klinisch relevanten Form die auslösende Ursache nicht immer abgrenzbar ist.

Weitere prädiktive Faktoren für die asymptomatische transiente Dünndarminvagination sind die fehlende proximale Obstruktion, der Ausprägungsgrad mit einer Länge unter 3,5 cm sowie die Lokalisation im proximalen Dünndarm [Rea JD et al. Am Surg 2007; 73(11): 1098–1105]. Eine ileocolische Lokalisation hingegen würde für eine pathologische Invagination sprechen, häufig ausgelöst durch ein zökales Adenokarzinom [Marsicovetere et al. Clin Colon Rectal Surg 2017; 30–39].


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Schlussfolgerung

Im Zeitalter steigender Untersuchungszahlen der abdominellen Schnittbilddiagnostik werden vermehrt asymptomatische, nicht-obstruktive Invaginationen ohne „lead point“ beobachtet. Um unnötige chirurgische Interventionen zu vermeiden, ist es wichtig, diese als Zufallsbefund ohne klinische Relevanz zu bewerten. Hierbei sind morphologische Kriterien wie der fehlende „lead point“, die fehlende Obstruktion, eine Länge unter 3,5 cm sowie die Lokalisation im proximalen Dünndarm hilfreich.

Im Zweifelsfall sollte eine kurzfristige, MR-tomografische oder sonografische Verlaufskontrolle mit Überprüfung der Desinvagination erfolgen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Korrespondenzadresse

Charlotte Sophie Wilms
Department of Radiology, Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Lesserstraße 120
22049 Hamburg
Germany   

Publication History

Received: 02 February 2024

Accepted after revision: 14 May 2024

Article published online:
11 June 2024

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Georg Thieme Verlag KG
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Abb. 1 Es zeigt sich in der coronalen T2w-HASTE-Sequenz eine beginnende Übereinanderlagerung mehrerer Darmwandschichten im linken Oberbauch (mit Pfeil markiert).
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Abb. 2 In der axialen T2w-HASTE-Sequenz präsentiert sich ein Vollbild einer jejunojejunalen Invagination mit einem klassischen „target sign“ (mit Pfeil markiert).
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Abb. 3 In der DWI wird eine Auflösung der Darmeinstülpung im Sinne einer spontanen Desinvagination beobachtet (mit Pfeil markiert).
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Abb. 4 In der axialen T1w-VIBE-DIXON-Sequenz mit Kontrastmittel zeigt sich eine vollständige Regredienz der jejunojejunalen Invagination (mit Pfeil markiert).