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DOI: 10.1055/a-2345-9765
Weiterbildung Neonatologie: Welche technischen Skills sind essenziell?
Technical Skills Curriculum in Neonatology: A Modified European Delphi Study.
Neonatology 2024;
121: 314-326
DOI: 10.1159/000536286
Von der europäischen Gesellschaft für pädiatrische Forschung (ESPR) wurden vor kurzem schon in der dritten Auflage allgemeine Empfehlungen zur Ausbildung im Bereich der Neonatologie veröffentlicht (ETR – European Training Requirements in Neonatology). Inzwischen scheint aber aufgrund der fortschreitenden Behandlungsoptionen zusätzlich eine Priorisierung manueller Fertigkeiten notwendig. Dies wurde jetzt von einer europäischen Expert:innengruppe im Konsensverfahren umgesetzt.
Die Entscheidungsfindung basierte auf der Delphi-Methode. Hierbei handelt es sich um ein strukturiertes Kommunikationsverfahren, bei dem sich Expert*innen in einem mehrstufigen Prozess anonym zu einem Thema äußern. Die gesammelten Antworten werden als Zusammenfassung allen Teilnehmer*innen wieder vorgelegt und dienen als Grundlage für weitere Runden. Ziel ist das Finden eines Konsens. Meinungsführer*innen im Bereich der Neonatologie und der neonatologischen Ausbildung formierten einen Lenkungsausschuss,nahmen aber an dem eigentlichen Befragungsprozess nicht teil. Jedes Mitglied des Lenkungsausschusses war dafür verantwortlich, mindestens 10 Expert*innen im eigenen Land zu benennen, die für die Teilnahme an der Entscheidungsfindung in Frage kamen. Daneben sollten auch Ärzt*innen nominiert werden, die sich gerade in der neonatologischen Weiterbildung befanden. Insgesamt wurden 91 Expert*innen und 77 Ärzt*innen in Weiterbildung (n = 168) aus 10 europäischen Ländern eingebunden.
Die Datenerfassung erfolgte in dem 3-stufigen Delphi-Prozess durch strukturierte und semi-strukturierte Online-Fragebögen. In der ersten Runde war ein Brainstorming vorgesehen. Dabei wurden die Teilnehmenden aufgefordert, alle technischen Fertigkeiten aufzulisten, die aus ihrer Sicht im Rahmen der neonatologischen Subspezialisierung erlernt werden sollten. In der zweiten Runde wurde den Teilnehmenden eine überarbeitete Gesamtliste vorgelegt und es wurde danach gefragt, wie häufig jedes einzelne technische Verfahren im klinischen Alltag zum Einsatz kam, wie hoch die Wichtigkeit eingeschätzt wurde und ob die Patientensicherheit durch ein Training der jeweiligen Methode verbessert werden kann. Außerdem wurde danach gefragt, welche der technischen Fertigkeiten sich für ein Simulationstraining eignen. Aus den Antworten wurde der sogenannte CAMES-NAF (Copenhagen Academy for Medical Education and Simulation Needs Assessment Formula) -Score berechnet, aus dem sich eine vorläufige Priorisierung ergab. Diese wurde den Teilnehmenden zur kritischen Prüfung erneut vorgelegt. Als Konsens wurde eine Übereinstimmung von > 75 % in der dritten Runde definiert.
In der ersten Delphi-Runde kristallisierten sich insgesamt 81 technische Skills heraus, die den Teilnehmenden in der zweiten Runde zur Priorisierung vorgelegt wurden. Nach dem CAMES-NAF-Score ergab sich folgende Top-5: 1. Reanimation und Stabilisierung des Neugeborenen im Kreißsaal; 2. manuelle, nicht-invasive Beatmung (1-Personen-Methode), 3. Reanimation und Stabilisierung des Neugeborenen auf der neonatologischen Intensivstation, 4. externe Manöver zur Öffnung der Atemwege (von Esmarch-Handgriff, Kopf-Positionierung), 5. Thoraxkompression. In der dritten Delphi-Runde verblieben schließlich 39 essenzielle technische Fertigkeiten, die jeder und jede in der neonatologischen Weiterbildung lernen sollte. Das vorläufige Ranking aus der zweiten Runde wurde beibehalten. Die 10 wichtigsten Skills stammten alle aus dem Bereich des ABCDE-Schemas (Airway, Breathing, Circulation, Disability, Exposure).
Im Rahmen eines dreistufigen Delphi-Prozesses wurde im Konsensverfahren eine Liste erarbeitet, die insgesamt 39 prioritär zu erlernende technische Fertigkeiten im Bereich der Neonatologie umfasst. Die Ergebnisse sollten aus Sicht der Autor*innen in die nächste Auflage der europäischen Ausbildungsempfehlungen ETR eingehen.
Dr. Katharina Franke, Darmstadt
Simulationstrainings sind ein flächendeckend genutztes und beliebtes Mittel zur Schulung medizinischen Personals. Der Stellenwert und die Bedeutung dieser Trainingsform in der Medizin sind mittlerweile unbestritten. Besonders in der Neonatologie eignet sich dieses Training, da seltene Notfälle und die spezielle Anatomie der Patient*innen besondere Herausforderungen bieten. Zum aktuellen Zeitpunkt fehlt jedoch ein Gegenstandskatalog, der das hochspezialisierte Training für angehende Neonatolog*innen systematisch strukturiert. Die vorgestellte Studie zielt darauf ab, eine priorisierte Themenliste für simulationsbasierte Trainings in der Neonatologie zu erstellen, wobei der Fokus auf technischen Fertigkeiten und Prozeduren liegt.
Der Priorisierungsprozess stützte sich auf ein Drei-Runden-Delphi-Verfahren, an dem 168 Expert*innen sowie Auszubildende aus 10 europäischen Ländern teilnahmen. Das Endergebnis zeigt eine Liste der zentralen technischen Fertigkeiten, die für angehende Neonatolog*innen von großer Bedeutung sind. Dazu gehören unter anderem die Reanimation, die Sicherung der Atemwege, das LISA-Verfahren, sowie das Pneumothorax-Management. Ebenso werden typische Handgriffe für die Arbeit auf der Intensivstation genannt, wie etwa die Etablierung von iNO, das Einstellen des Beatmungsgerätes und das Defibrillieren. Die aufgeführten Fertigkeiten sind essenziell für die Arbeit auf einer Intensivstation. Es ist daher sinnvoll, diese Prozeduren regelmäßig in Simulationstrainings zu üben. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich bestätigen, dass viele der genannten Fertigkeiten bereits in den von mir durchgeführten neonatologischen Simulations- und Teamtrainings behandelt und geschult wurden. Die Themenauswahl erfolgte jedoch intuitiv. Die Studie bestätigt nun die vermutete Relevanz dieser Schulungsthemen und erweitert sie.
Interessantes gibt es noch von der zweiten Runde des Delphi-Prozesses zu berichten. In dieser Runde fand noch keine endgültige Priorisierung der Themen statt. Zahlreiche Verfahren, die auf einigen Intensivstationen für die Weiterbildung relevant erscheinen, wurden hier aufgezählt. In einigen Einrichtungen ist es beispielsweise wichtig, dass Neonatolog*innen VP-Shunts legen. Auch Ventrikelpunktionen und Frenotomien wurden als zu erlernende Prozeduren diskutiert. Meiner Meinung nach gehören diese Prozeduren nicht zu den Kernaufgaben der neonatologischen Ausbildung. Folgerichtig fanden sie in der entscheidenden dritten Delphi-Runde keine Berücksichtigung. Dennoch wäre es interessant zu erfahren, wo und in welchem Rahmen solche Fertigkeiten gelehrt werden.
Neben der klinischen Relevanz wurde in der zweiten Runde auch die Umsetzbarkeit für simulationsbasierte Trainings bewertet, also ob bestimmte Techniken sinnvoll geübt werden können. Dennoch sind viele Prozeduren eher aufgrund ihrer hohen klinischen Bedeutung in die finale Liste aufgenommen worden, wie beispielsweise Ultraschalluntersuchungen. Diese lassen sich zwar am Simulator üben, meiner Meinung nach jedoch effektiver und einfacher am lebenden Patienten. Auch ist mir kein Simulator bekannt, an dem das Legen eines PICC-Katheters realistisch und effektiv geübt werden kann.
Das Ziel der Studie war es, die wichtigsten Ausbildungsinhalte zu priorisieren, im europäischen Vergleich zu harmonisieren und schriftlich festzuhalten. Dieses Ziel wurde meiner Meinung nach erfolgreich erreicht. Trotz kleiner Einschränkungen bietet die Liste eine klare Grundlage für zukünftige Simulationstrainings und dient als ‚Kochrezept‘ für die Planung und Durchführung solcher Trainings. Darüber hinaus eignet sich die Zusammenstellung auch als umfassender Ausbildungskatalog für die Schulung von technischen Fähigkeiten in der gesamten neonatologischen Aus- und Weiterbildung. Somit kann allen Lehrenden in der Neonatologie die Berücksichtigung dieser Zusammenstellung empfohlen werden.
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Die Veröffentlichung von Bay et al. erarbeitete eine Liste von 39 “technical skills”, die in ein simulationsbasiertes Training (SBT) als Curriculum für die Neonatologie aufgenommen werden sollten. Das Thema ist von Belang, da es den Autoren unpraktisch erschien, ohne Priorisierung bei erheblich erforderlichen Ressourcen alle Fähigkeiten in gleichem Maße zu trainieren. Die Konsensusempfehlung sollte in die nächste Auflage der europäischen Ausbildungsempfehlung ETR aufgenommen werden. Die Top 5 beziehen sich hauptsächlich auf die Reanimation im Kreißsaal oder auf der neonatologischen Intensivstation. Das vorgeschlagene Ranking ist im Hinblick auf die neuen ERC-Leitlinien [1] außergewöhnlich. Die suffiziente Reanimation mit den entscheidenden Maßnahmen, um das Einsetzen der spontanen Atmung zu unterstützen, kann nur erfolgreich sein, wenn der Atemweg gesichert ist. Weshalb hier immer noch die 1-Helfermethode präferiert wird und die anderen Manöver erst auf Position 4 bzw. die 2-Helfermethode der Maskenbeatmung gar erst an 6. Stelle erscheint, sollte kritisch überdacht werden. In Kursen, die sich mit der Versorgung des kritisch kranken Neugeborenen befassen (u. a. ERC Newborn Life Support; DIVI Notfalltraining Neonatologie) liegt daher ein Schwerpunkt in der Vermittlung von Maßnahmen zur Optimierung einer nicht-invasiven Beatmung, die häufig insbesondere Ärzt*innen in der Weiterbildung beschäftigt. Schwierigkeiten bei der Maskenbeatmung sollten strukturiert und zielgerichtet überwunden werden [2, 3]. Unbestritten bleibt, dass die durch neonatologische Expert*innen und Ärzt*innen in Weiterbildung erstellten Items wichtig und wünschenswert sind.
Hingegen wird die praktische Umsetzung in einem SBT nur mit viel Power an Personal, Material und Erfindungsreichtum sowie “enormen” Kosten möglich sein. Diese Schwierigkeiten veranlassten die Konsensusgruppe zur Priorisierung. Trotzdem sollten bei der Einarbeitung in die europäischen Ausbildungsempfehlungen Möglichkeiten genannt werden, wie das Training erfolgreich durchgeführt werden kann. Eine Simulation soll möglichst realitätsnah die Wirklichkeit nachbilden. Inwieweit die technische Ausstattung der Simulationsräume (Low- bzw. High-Fidelity-Räumlichkeiten) tatsächlich den Lernerfolg beeinflusst, ist derzeit noch nicht abschließend analysiert [4, 5]. Darüber hinaus ist letztlich das Realitätsempfinden abhängig von den jeweiligen Fähigkeiten der Teilnehmer, sich auf die simulierten Szenarien einzulassen. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass zur erfolgreichen Reanimation des Neu- bzw. Frühgeborenen auch das non-technical Skilltraining notwendig ist. Indem sowohl Kommunikation und Interaktion als auch Entscheidungen im Team regelmäßig geübt werden, können technische Fertigkeiten korrekt indiziert und adäquat umgesetzt werden.
In Deutschland gibt es die Möglichkeit, SBT im Rahmen des DIVI-Curriculums „Notfalltraining Neonatologie“, des ERC „Newborn Life Support“-Kurses bzw. der GNPI-Qualifikation „Neugeborenen-Notarzt“ zu absolvieren. Die Verantwortlichen sollten diese 39 technischen Fähigkeiten hinsichtlich der praktischen Umsetzbarkeit in Betracht ziehen.
Literatur
[1] Madar J, Roehr CC, Ainsworth S et al. European Resuscitation Council Guidelines 2021: Newborn resuscitation and support of transition of infants at birth. Resuscitation 2021; 161: 291–326
[2] Mileder L, Schwaberger B, Urlesberger B. “MR SOPA” — A German adaption of the acronym to optimize non-invasive ventilation in preterm and term neonates. Klin Padiatr 2022; 234: 248–249
[3] Schwindt JC, Schäfer S, Grass B et al. Wenn die Maskenbeatmung beim Neugeborenen schwierig ist. Monatsschr Kinderheilkd 2022; 170: 1016–1022
[4] Flentje M, Eismann H, Sieg L et al. Simulation als Fortbildungsmethode zur Professionalisierung von Teams. AINS 2018; 53: 20–33
[5] Neustädter I, Blatt S, Schroth M. Der Früh- und Neugeborenen-Notfall—Update praxisrelevanter Fortbildungskonzepte. Neonatol Scan 2022; 11: 53–64
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Publication History
Article published online:
03 December 2024
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