Dtsch Med Wochenschr 2025; 150(12): 675-681
DOI: 10.1055/a-2353-0680
Klinischer Fortschritt
Geriatrie

Geriatrisches Assessment im Krankenhaus – ein Überblick über klinische Leitlinien

Geriatric Assessment in the Hospital – An Overview of Clinical Guidelines
Barbara Kumlehn
1   Institut für Geriatrische Forschung, Universitätsklinik Ulm, Agaplesion Bethesda Klinik Ulm, Ulm, Deutschland
,
Simone Brefka
1   Institut für Geriatrische Forschung, Universitätsklinik Ulm, Agaplesion Bethesda Klinik Ulm, Ulm, Deutschland
,
Filippo Maria Verri
1   Institut für Geriatrische Forschung, Universitätsklinik Ulm, Agaplesion Bethesda Klinik Ulm, Ulm, Deutschland
,
Michael Denkinger
1   Institut für Geriatrische Forschung, Universitätsklinik Ulm, Agaplesion Bethesda Klinik Ulm, Ulm, Deutschland
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Was ist neu?

Stand der Dinge

Die demografische Entwicklung in Deutschland zeigt eine deutliche Zunahme der älteren Bevölkerung. Prognosen zufolge werden 2050 bereits 27 % 65 Jahre oder älter sein. Altersassoziierte Multimorbidität, Funktionseinschränkungen und Pflegebedürftigkeit haben erhebliche Auswirkungen auf das Gesundheitssystem. Ein umfassendes geriatrisches Assessment (Comprehensive Geriatric Assessment, CGA) ist daher essenziell, um Gesundheitsrisiken frühzeitig zu erkennen und gezielte Therapieentscheidungen zu treffen.

Nationale und internationale Leitlinien zum geriatrischen Assessment

Trotz der Relevanz des CGA gibt es bisher nur wenige nationale und internationale Leitlinien. In Deutschland wurde 2024 erstmals eine S3-Leitlinie mit übergeordneten Empfehlungen zum CGA bei hospitalisierten Patient*innen veröffentlicht. Zudem existiert eine S1-Leitlinie mit Empfehlungen zu Assessment-Instrumenten. International haben Großbritannien, die Niederlande und Italien entsprechende Empfehlungen veröffentlicht. In der Onkologie raten zwei Leitlinien zur systematischen Integration des CGA vor Beginn einer Krebstherapie.

Zentrale Empfehlungen aus den Leitlinien

Leitlinien betonen die multidimensionale und interprofessionelle Durchführung eines CGA mit standardisierten, validierten Instrumenten. In der Akutgeriatrie hat sich das CGA als fester Bestandteil der Versorgung etabliert. In der Notaufnahme wird ein fokussiertes Screening empfohlen. Orthogeriatrisches Co-Management ist nachweislich mit einer geringeren Mortalität und verbesserten Behandlungsergebnissen verbunden. In der Onkologie gewinnt das CGA an Bedeutung, um Behandlungskomplikationen zu reduzieren und die Therapie individuell anzupassen. Prognoseinstrumente wie der multidimensionale Prognoseindex (MPI) ermöglichen eine gezielte Risikostratifizierung.

Herausforderungen und Perspektiven

Die Implementierung des CGA wird durch begrenzte zeitliche Ressourcen, Personalmangel und uneinheitliche Abrechnungsmodalitäten erschwert. Klare Empfehlungen zur Auswahl geeigneter Assessment-Instrumente könnten die Nutzung und Integration zukünftig verbessern. Neue Technologien wie künstliche Intelligenz und digitale Anwendungen bieten vielversprechende Ansätze zur Effizienzsteigerung. Die Erstellung einer europäischen Leitlinie kann dazu beitragen, CGA in verschiedenen Versorgungsstrukturen zu etablieren.

Abstract

According to forecasts, 27 % of the German population will be aged 65 or over by 2050. Age-associated multimorbidity, functional impairment and need for care have a considerable impact on the healthcare system. A comprehensive geriatric assessment (CGA) is therefore essential to identify health risks at an early stage and make targeted treatment decisions. Numerous studies prove effectiveness of CGA regarding relevant clinical outcomes. In Germany, an S3 guideline with recommendations on CGA in hospitalised patients was published in 2024. There is also an S1 guideline with recommendations on assessment tools. Internationally, the UK, the Netherlands and Italy have published corresponding recommendations. In oncology, two guidelines recommend the systematic integration of CGA before starting cancer treatment. Guidelines emphasise the multidimensional and interprofessional implementation of CGA using standardised, validated instruments. In acute geriatrics, CGA has established as an integral part of care. Focussed screening is recommended in the emergency department. Orthogeriatric co-management has been shown to be associated with lower mortality and improved treatment outcomes. In oncology, CGA is becoming increasingly important for customising treatment. Prognostic tools such as the multidimensional prognostic index (MPI) enable targeted risk stratification. The implementation of CGA is hampered by limited time resources, staff shortages and inconsistent billing modalities. Clear recommendations on the selection of suitable assessment tools could improve utilisation and integration in the future. New technologies such as artificial intelligence and digital applications offer promising approaches for increasing efficiency. The development of a European guideline could help to establish CGA in various care structures.



Publication History

Article published online:
19 May 2025

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