Kinder- und Jugendmedizin 2025; 25(S 01): S14-S18
DOI: 10.1055/a-2377-2834
Übersicht

Internationale Empfehlungen zur Versorgung respiratorischer Komplikationen bei Ösophagusatresie – tracheoösophagealer Fistel – NEWS2025

Artikel in mehreren Sprachen: deutsch | English

Authors

    Autor:innen von Esophageal ATresia global support groups (EAT), European Reference Network for rare Inherited and Congenital Anomalies (ERNICA), European Reference Network for rare respiratory diseases (ERN-LUNG), International Network of Esophageal Atresia (INoEA)
 

Zusammenfassung

Dieser Artikel fasst aktuelle Veröffentlichungen, Leitlinien, Stellungnahmen sowie Konsensempfehlungen der Fachgruppen von INoEA, der Europäischen Referenznetzwerke ERN-Lung und ERNICA sowie der European Respiratory Society (ERS) zur Ösophagusatresie (ÖA) – Tracheoösophageale Fistel (TÖF) zusammen.

Die ÖA-TÖF ist häufig mit lebenslangen, teils erheblichen respiratorischen Einschränkungen assoziiert. Zu den typischen Komplikationen zählen Tracheobronchomalazie, Aspirationsrisiken, rezidivierende pulmonale Infektionen, Bronchitiden und Atelektasen, die sowohl vor als auch nach der chirurgischen Korrektur auftreten können. Der Artikel stellt einen strukturierten Ansatz zur Diagnostik, Therapie und Langzeitbehandlung dieser respiratorischen Folgeprobleme vor. Ziel ist die nachhaltige Verbesserung der Gesundheitssituation und Lebensqualität der Betroffenen.


Einleitung

Dieses zusammenfassende Dokument basiert auf einer Veröffentlichung von Koumbourlis et al. [1] und berücksichtigt aktuelle Stellungnahmen und Leitlinien der Europäischen Respiratorischen Gesellschaft (European Respiratory Society) sowie Konsensempfehlungen der Arbeitsgruppen von INoEA, ERNICA und ERN-LUNG.

Ösophagusatresie (ÖA) und tracheoösophageale Fistel (TÖF) können mit lebenslangen erheblichen respiratorischen Herausforderugen einher gehen. Daher wird die Mitbetreuung durch Ärzt:innen mit Expertise in der pneumologischen Versorgung empfohlen, insbesondere im Säuglings- und Vorschulalter. Die Empfehlungen der INoEA-Arbeitsgruppe für respiratorische Komplikationen (Respiratory Complications Working Group, RCWG) [2] bieten einen strukturierten Ansatz für Diagnose, Behandlung und Langzeitversorgung dieser Komplikationen mit dem Ziel, die Patientenergebnisse zu verbessern. Die RCWG identifizierte die primären respiratorischen Erkrankungen, mit denen Betroffene vor und/oder nach der ÖA-TÖF-Korrektur konfrontiert sind, darunter:


Tracheobronchomalazie (TBM)

Die Tracheobronchomalazie ist der teilweise oder vollständige Kollaps der Hauptluftröhre (Trachea und/oder Hauptbronchien) aufgrund einer abnormalen Weichheit der Atemwegswand oder eines schlaffen Knorpels. Sie ist bei fast allen ÖA-TÖF-Betroffenen vorhanden, wobei der Schweregrad je nach Atemwegsverengung variiert ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Normale Trachea während der Bronchoskopie links, schwere Tracheomalazie (> 75% Lumenverengung) rechts. Der Grad der Obstruktion kann bei den Patienten variieren.

Die TBM kann bei Neugeborenen und Säuglingen akute Symptome verursachen, aber auch zu Langzeitkomplikationen führen ([Abb. 2], [Tab. 1]).

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Abb. 2 Akute und langfristige Folgen einer Tracheobronchomalazie.

Tab. 1 Symptome der TBM nach Altersgruppen.

Neugeborene/Säuglinge

Kinder/Jugendliche

Erwachsene

Atemnot

rezidivierendes Giemen

rezidivierendes Giemen

Atemstillstand

„bellender“/„blecherner“ und/oder „feuchter“ Husten

rezidivierender „feuchter“ und/oder „bellender“ Husten

Episoden schweren Sauerstoffmangels (niedrige Sauerstoffsättigung oder „Blue“ bzw. „Dusky“ Spells, Zyanoseanfälle, BRUEs)

heisere Stimme/Stridor

heisere Stimme

rezidivierendes Giemen

geringe Belastbarkeit

geringe Belastbarkeit

„bellender“/„blecherner“ Husten

obstruktive Lungenfunktion, niedriger Spitzenexspirationsfluss (PEF)

obstruktive Lungenfunktion, niedriger Spitzenexspirationsfluss (PEF)

Stridor/„heiseres“ Schreien

rezidivierende Atemwegsinfekte

rezidivierende Atemwegsinfekte

rezidivierende Atemwegsinfekte

Die Symptome der TBM variieren je nach Alter des Betroffenen. Sie sind i. d. R. in der Neonatalperiode am schwersten ausgeprägt und können sich im Allgemeinen mit der Zeit bessern ([Tab. 1]).

Diagnose der TBM

Die flexible Bronchoskopie unter unter Spontanatmung in Sedierung und ohne positiven endexspiratorischen Druck (PEEP) ist die aufschlussreichste Methode zur Beurteilung des Vorhandenseins, des Ausmaßes und des Schweregrades der TBM. Dynamische CT-Scans und fortschrittliche MRTs können ebenfalls bei der Beurteilung hilfreich sein. Die Form der Fluss-Volumen-Kurve ([Abb. 3]) aus der Spirometrie kann auf eine TBM hinweisen.

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Abb. 3 Beispiel von Fluss-Volumen-Kurven während forcierter Exspiration vor (pre) und nach (post) Inhalation eines kurzwirksamen Beta-Mimetikums bei einem Betroffenen mit Ösophagusatresie und Tracheobronchomalazie. Hier zeigt sich keine größere Veränderung durch den Bronchodilatator. Der Normalbereich ist im schattierten grauen Bereich dargestellt. In einigen Fällen haben Beta-Mimetika einen negativen Effekt auf den exspiratorischen Fluss. Die Kurven variieren zwischen den Betroffenen.

Management der TBM

Die Interventionen zielen darauf ab, Symptome aufgrund einer TBM zu reduzieren und, bei schwerer Ausprägung, die Schwere der TBM durch eine Operation zu mindern. Bei Neugeborenen ist das primäre Ziel, Atemnot und niedrige Sättigungen zu verhindern. Die Behandlung reicht von der Gabe von zusätzlichem Sauerstoff bis zur nicht invasiven Beatmung. Schwere Fälle können eine Intubation, mechanische Beatmung oder eine Operation (Tracheopexie/Aortopexie) erfordern, im Allgemeinen nach der initialen ÖA-Korrektur. Selten ist eine Tracheostomie notwendig.

Das langfristige Management der TBM konzentriert sich auf die Lösung von Atemwegssekreten und die Verhinderung von Atemwegsinfektionen. Dies kann durch altersgerechte Atemwegs-Clearance-Techniken (bei Erwachsenen: aktive Atemphysiotherapie), Geräte mit positivem Ausatemdruck wie PEP-Masken oder oszillierende Überdruckgeräte [2], [3] erreicht werden. Inhalationen mit hypertoner Kochsalzlösung kann die mukoziliäre Clearance verbessern, inhalative Kortikosteroide können die Atemwegsentzündung bei ausgewählten Betroffenen reduzieren. Infektionen, die oft durch einen feuchten/produktiven Husten oder Fieber gekennzeichnet sind, werden frühzeitig mit Antibiotika behandelt. Bronchodilatatoren sollten vorsichtig eingesetzt werden, da sie den Atemwegskollaps verschlimmern können.


Aspirationsrisiko

Aspirationsrisiko bei ÖA-TÖF

ÖA-TÖF-Betroffene sind aufgrund mehrerer Faktoren stark anfällig für Aspirationsereignisse:

  • Ösophagus-Dysmotilität und/oder Strikturen, die dazu führen, dass Nahrung oder Flüssigkeiten in die Atemwege gelangen.

  • rezidivierende TÖF

  • hohe Prävalenz von gastroösophagealem Reflux (GÖR)

  • in wenigen Fällen eine laryngeale Spalte



Diagnostik

Ein systematisches Vorgehen zur Erfassung aller potenzieller Aspirationsursachen ist unerlässlich. Die Schluckfunktion kann mittels videofluoroskopischer oder modifizierter Kontrastschluckstudien beurteilt werden. Ösophagusverengungen und -funktion werden durch Kontrastschluckstudien und manchmal mit Manometrie diagnostiziert. Ein Rezidiv einer TÖF wird mittels einer „Pull-back“-Kontraststudie, Bronchoskopie und/oder oberer Endoskopie diagnostiziert. Gastroösophagealer Reflux wird klinisch oder durch Kontraststudien, pH-Metrie und Impedanz-Messung oder Endoskopie identifiziert. Chronische bakterielle Infektionen aufgrund von Aspiration können durch wiederholte Sputumkulturen und Röntgenaufnahmen des Thorax nachgewiesen werden. Falls die Symptome trotz optimaler Behandlung anhalten, sollte eine Bronchoskopie mit bronchoalveolärer Lavage (BAL) zur Bestimmung der Erreger eingesetzt werden. Die Zusammenarbeit mit der Gastroenterologie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie, Ernährungsberatung und/oder Atemtherapie, je nach lokaler Praxis, wird empfohlen.


Management

Durch vorsichtiges (z. B. kleine Bissen, gut gekaut, Wasser zwischen Bissen fester Speisen nippen) oder posturales Füttern, Dilatation bei symptomatischen Ösophagusstrikturen, GÖR-Behandlung und chirurgische Korrektur von rezidivierender TÖF oder laryngealer Spalte werden Aspirationsrisiken adressiert.



Rezidivierende Infektionen und Bronchitis

Komplikationen

Patienten mit ÖA-TÖF sind anfällig für rezidivierende untere Atemwegsinfektionen (Pneumonien) und chronische Bronchitis aufgrund einer beeinträchtigten Atemwegsreinigung, verursacht durch Tracheomalazie und rezidivierende Aspirationen.


Diagnostik

Die Diagnose einer Bronchitis erfolgt primär symptomatisch. Ein Verdacht auf Pneumonie oder Atelektase sollte mit Röntgenaufnahmen des Thorax und/oder Ultraschall untersucht werden. Wenn eine rezidivierende Pneumonie dokumentiert ist, wird eine CT-Aufnahme empfohlen, um Bronchiektasen zu identifizieren und alternative Diagnosen auszuschließen. Sputum oder BAL können helfen, eine Kolonisation der Atemwege durch Bakterien nachzuweisen.


Behandlung

Beginn mit altersgerechten Atemwegs-Clearance-Techniken, um die Schleimlösung zu unterstützen (bei Jugendlichen/Erwachsenen: aktive Atemphysiotherapie) wie z. B. Geräte mit positivem Ausatemdruck wie PEP-Masken oder oszillierende Überdruckgeräte [2], [3]. Orale Antibiotika – i. d. R. für 10 – 14 Tage – werden empfohlen, wenn eine Infektion vermutet oder bestätigt wird. Azithromycin kann aufgrund seiner entzündungshemmenden und antibiotischen Eigenschaften präventiv als dauerhaftes Antibiotikum eingesetzt werden.



Atelektasen

Pathogenese

Endobronchiale Sekrete und/oder Aspiration können zu Atelektasen (Bereiche der Lunge ohne Belüftung) führen. Dies tritt bei der TBM gehäuft auf, da die mukoziliäre Clearance beeinträchtigt ist. Atelektasen können auch nach einer Operation auftreten.


Diagnostik

Bei neuen, sich verschlimmernden oder rezidivierenden respiratorischen Symptomen sollten Atelektasen vermutet und eine Bildgebung (Lungenultraschall, Röntgen des Brustkorbs, thorakales MRT und/oder CT-Scan) durchgeführt werden, um die Diagnose auszuschließen oder zu bestätigen.


Behandlung

Die konservative Therapie kann Atemwegs-Clearance-Techniken (aktive und intensive Athemphysiotherapie), positive Atemwegsdruckgeräte und/oder High-Flow- oder CPAP-Unterstützung, die Anwendung von hypertoner Kochsalzlösung zur Vernebelung, mukolytische Mittel und schließlich systemische Steroide und systemische Antibiotika umfassen. Bei persistierenden Atelektasen kann eine Bronchoskopie – vorzugsweise innerhalb von 4 – 6 Wochen – erforderlich sein, um die Lunge wieder zu öffnen und dauerhafte Vernarbungen und Bronchiektasen zu verhindern. Eine Kontrollbildgebung ist erforderlich, um zu bestätigen, dass die Atelektase abgeklungen ist.



Bronchiektasen Monitoring

Definition

Bronchiektasen, eine schwerwiegende und potenziell dauerhafte Komplikation, umfassen die Schlaffheit und Dilatation der Atemwege, verursacht durch wiederkehrende und/oder persistierende bakterielle Infektionen und Aspiration, die zu chronischen bakteriellen Infektionen führen.


Diagnostik

Bei Verdacht auf Bronchiektasen sollte dies mit einem CT-Scan oder MRT des Brustkorbs bestätigt werden. Je nach klinischem Verlauf können jährliche Röntgenaufnahmen des Brustkorbs zur Überwachung der Bronchiektasen sowie regelmäßige Lungenfunktionstests in Betracht gezogen werden.


Management

Frühe Erkennung, regelmäßige Behandlung mit Atemwegs-Clearance-Techniken (Atemphysiotherapie), Vernebelung von hypertoner Kochsalzlösung, langfristige Anwendung von Azithromycin und der sofortige Einsatz von Antibiotika während Exazerbationen können dazu beitragen, das Fortschreiten der Bronchiektasen zu verlangsamen.



Chronische respiratorische Symptome (Giemen, Husten)

Diagnostik

Symptome wie Giemen werden nach TÖF häufig eher durch Atemwegskollaps (TBM) als durch Asthma verursacht. Eine Fehldiagnose kann zu unnötigen Behandlungen führen. Dennoch muss eine Asthmadiagnose ausgeschlossen werden.


Behandlung

Bronchodilatatoren werden im Falle einer TBM im Allgemeinen nicht empfohlen, da sie den Atemwegskollaps verschlimmern können. Sie können aber bei Fällen mit Atemwegshyperreaktivität ausprobiert werden. Bei Säuglingen und Vorschulkindern können Risikofaktoren (z. B. Familienanamnese atopischer Erkrankungen, Ekzeme) und Allergietests Hinweise auf ein gleichzeitig bestehendes Asthma geben. Lungenfunktionstests, einschl. Bronchodilatatorreaktion, könnten zusätzlich bei Betroffenen ab 5 – 6 Jahren eingesetzt werden.



Routinemäßige Gesundheitsvorsorge

Regelmäßige Nachsorge

Betroffene sollten von einem multidisziplinären Team (pädiatrische Pneumologie, Gastroenterologie, Chirurgie und/oder HNO-Chirurgie) mit mindestens jährlichen Evaluierungen überwacht werden.


Impfungen

Zusätzlich zu den Routineimpfungen wird eine jährliche Grippeimpfung dringend empfohlen. Die RSV-Impfung sollte bei Säuglingen gemäß den lokalen Leitlinien durchgeführt werden.


Lebensstil und Pflege

Eltern und Patienten sollten über Atemwegs-Clearance, das Erkennen früher Infektionszeichen, das Erkennen von Veränderungen des Atemstatus, die Überwachung auf Aspirationszeichen und die Bedeutung einer langfristigen Nachsorge aufgeklärt werden.

Hinweis: Dieses Dokument wird von den folgenden Organisationen unterstützt: den weltweiten Selbsthilfegruppen für Ösophagusatresie (Esophageal ATresia global support groups, EAT), dem Europäischen Referenznetzwerk für seltene angeborene und kongenitale Anomalien (European Reference Network for rare Inherited and Congenital Anomalies, ERNICA), dem Europäischen Referenznetzwerk für seltene Atemwegserkrankungen (European Reference Network for rare respiratory diseases, ERN-LUNG) und dem Internationalen Netzwerk für Ösophagusatresie (International Network of Esophageal Atresia, INoEA).




Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse/Correspondence

Anke Widenmann
EAT e. V.
Sommerrainstraße 61
70374 Stuttgart
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
10. Oktober 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Normale Trachea während der Bronchoskopie links, schwere Tracheomalazie (> 75% Lumenverengung) rechts. Der Grad der Obstruktion kann bei den Patienten variieren.
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Abb. 2 Akute und langfristige Folgen einer Tracheobronchomalazie.
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Abb. 3 Beispiel von Fluss-Volumen-Kurven während forcierter Exspiration vor (pre) und nach (post) Inhalation eines kurzwirksamen Beta-Mimetikums bei einem Betroffenen mit Ösophagusatresie und Tracheobronchomalazie. Hier zeigt sich keine größere Veränderung durch den Bronchodilatator. Der Normalbereich ist im schattierten grauen Bereich dargestellt. In einigen Fällen haben Beta-Mimetika einen negativen Effekt auf den exspiratorischen Fluss. Die Kurven variieren zwischen den Betroffenen.
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Fig. 1 Normal trachea during bronchoscopy on the left, severe tracheomalacia (> 75% of lumen narrowing) shown on the right. The degree of obstruction may vary among patients.
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Fig. 2 Acute and long-term consequences of tracheobronchomalacia.
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Fig. 3 Example of flow-volume curves during forced expiration before (pre) and after (post) inhalation of a short acting beta-mimetic in a patient with esophageal atresia and tracheobronchial malacia. In this patient, there was no major change with bronchodilator. Normal range is shown in the shaded grey area. In some cases, beta-mimetics have a negative effect on expiratory flow. Curves vary between patients.