Kinder- und Jugendmedizin 2025; 25(S 01): S26-S28
DOI: 10.1055/a-2377-2885
Übersicht

Von Schluckreflex bis Familientisch

Herausforderungen erkennen und sicher begleiten bei Kindern mit Ösophagusatresie Article in several languages: deutsch | English

Authors

  • Sandra Bergmann

    1   Kinderchirurgische Klinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, LMU Klinikum München, Deutschland
  • Diana Di Dio

    2   Pädiatrische HNO und Otologie, Klinikum Stuttgart – Olgahospital, Deutschland
 

Zusammenfassung

Kinder mit Ösophagusatresie (ÖA) können nach der Geburt nicht trinken und benötigen eine chirurgische Behandlung. Der verspätete Einstieg in die orale Nahrungsaufnahme sowie (wieder) auftretende strukturelle Probleme können zu Akzeptanzproblemen und Herausforderungen in der Essentwicklung führen. Neben der Diagnostik des Ösophagus müssen unbedingt auch der Larynx und die unteren Atemwege untersucht werden. Bei Schluckproblemen sind Logopädie/Kinderschlucktherapie und ggf. eine bildgebende Schluckuntersuchung (z. B. FEES) wichtig, besonders bei Verdacht auf Aspiration. Eine kindzentrierte, signalorientierte Haltung ist bei allen Interventionen zentral. Kinder sollen selbstbestimmt essen lernen. Bei Steckenbleibern hilft individuelles Ausprobieren – z. B. Nachtrinken, Bewegung – solange keine akute Gefahr besteht. Bei einer guten oralmotorischen Entwicklung ist oft keine Therapie im engeren Sinne notwendig. Wichtig ist eine gründliche Evaluation der Entwicklungsschritte und Meilensteine der Essentwicklung und eine kontinuierliche und bedarfsorientierte (logopädische) Beratung der Familien – im Idealfall von Geburt an.


Schluckprobleme bei Kindern mit operierter Ösophagusatresie

Kinder, die mit einer unterbrochenen Speiseröhre geboren werden, können zu Beginn ihres Lebens nicht trinken, das heißt eine Ernährung über Stillen oder ein Trinkfläschchen ist nicht möglich. Zudem besteht bei vielen Kindern eine nicht gewünschte Verbindung, eine Fistel zwischen Trachea und Speiseröhre, die oft zusätzlich das Risiko einer Aspiration mit sich bringt, d. h. eines Übertritts von Sekret, Speichel und Milch in die tiefen Atemwege. Der Zeitpunkt des ersten Trinkens ist abhängig von der medizinischen Behandlung; v. a. vom Zeitpunkt der Verbindung der beiden Speiseröhrenteile, der Anastomose des Ösophagus. Ist diese erst nach einigen Wochen oder gar Monaten möglich, starten die betroffenen Kinder verzögert in den Prozess des Trinkens. Ein später Start kann mit vermehrten Schwierigkeiten bei der Akzeptanz einhergehen. Die geringere Erfahrung beim Verarbeiten von Milch oder Lebensmitteln macht den Schluckablauf anfälliger für oralmotorische Probleme oder Verschlucken. Zudem kann es im Verlauf zu erneuten Engstellen der Speiseröhre kommen, die sich wiederum in sog. „Steckenbleibern“ bemerkbar machen. Die gesamte Essentwicklung ist damit vulnerabler als bei Kindern ohne ÖA, und die engsten Bezugspersonen sind zudem oft ängstlich hinsichtlich des Schluckens ihrer Kinder.


Was abgeklärt werden sollte

Neben der genauen Diagnostik der Ösophagusatresie selbst, ist schon bei der initialen Untersuchung in der operierenden Fachklinik eine genaue Abklärung des Larynx und der Trachea mittels starrer Endoskopie essenziell. Insbesondere muss das simultane Bestehen einer Larynxspalte ausgeschlossen werden. Hierbei handelt es sich um eine Spaltbildung zwischen Larynx/Trachea und Ösophagus. Bleibt diese unerkannt, führt sie zu chronischen Aspirationen. Leider gehört es auch heute nicht in allen operierenden Kliniken zum Standard, eine solche Endoskopie zu Beginn der Behandlung, z. B. durch die Kollegen der HNO, durchzuführen. Daneben ist es sinnvoll, nach möglichen übersehenen oder rezidivierenden Fisteln zu schauen.

Auch im weiteren Verlauf der Entwicklung der betroffenen Kinder kann eine entsprechende Abklärung wieder notwendig werden. Diese Diagnostik sollte im Kindesalter bei entsprechenden Spezialisten mit Erfahrung in der Larynxdiagnostik bei Kindern erfolgen. Bei (erneut) auftretenden Problemen des Schluckens ist oft die behandelnde und nachsorgende Kinderchirurgie der erste Ansprechpartner. Sollte die Abklärung und ggf. Behandlung der Speiseröhre keine Verbesserung bringen oder zeigen sich typische Symptome eines Verschluckens auf laryngealer Ebene, ist eine ergänzende funktionelle Schluckuntersuchung durchzuführen, im Kindesalter ist hier besonders die FEES (fiberendoskopische Evaluation des Schluckens) zu empfehlen. Dabei handelt es sich um eine Schluckuntersuchung mit flexiblem Endoskop, die beim wachen Kind mit allen altersentsprechenden Konsistenzen durchgeführt werden kann. Bei Verdacht auf Aspirationsereignisse oder erhöhtes Aspirationsrisiko durch Verschlucken ist eine weiterführende Abklärung notwendig. Hierbei ist eine starre Endoskopie in Narkose (idealerweise gemeinsam durch Pulmologie, HNO und Kinderchirurgie) mit der Frage nach Re-Fistel oder Larynxspalte zu empfehlen.


Was brauchen ÖA-Kinder, um sicher zu essen und zu schlucken?

Für die gesamte Entwicklung des Essens und Trinkens, vom Saugen bis zum Kauen, hat sich eine signalorientierte, kindzentrierte Haltung bewährt. Das heißt, die Signale des Säuglings und später des Kleinkindes werden beachtet und ernst genommen. Bei größeren Kindern steht neben einer grundsätzlichen Autonomie in Bezug auf das Essen auch eine gute Selbstwahrnehmung bez. möglicher Probleme im Fokus. Es sollte grundsätzlich niemals vergessen werden, dass Schlucken und Essen im Mund und damit in einem Intimraum stattfindet. Je mehr Autonomie Kinder im Bereich des Essens und Trinkens erfahren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich diesbezüglich gut entwickeln.

Vereinzeltes Würgen oder Verschlucken ist beim Selbst-essen-Lernen durchaus normal. Auch kulinarische Vorlieben sind nicht ungewöhnlich. ÖA-Kinder bringen im Bereich der Speiseröhre allerdings eine veränderte Struktur mit, die im Alltag zu Problemen der ösophagealen Phase führen kann. Das sind dann die sog. „Steckenbleiber“. Bei diesen geht es neben einer genauen Beobachtung, ob es Hilfe von extern braucht, auch darum, ein Selbstmanagement zu entwickeln. Hier gilt – sofern keine akute Bedrohung besteht – „Jugend forscht“. Das heißt, die Kinder und Familien sind aufgefordert und eingeladen, auszuprobieren, was die Passage des Speisebreis fördert. Manche Kinder trinken etwas nach, andere springen auf dem Trampolin oder lernen auch aktiv, den Speisebrei wieder nach oben zu bringen. Hier gilt: Was hilft ist gut.

In wenigen Fällen kommt zu den ÖA-bedingten Problemen der Speiseröhre eine Dysphagie der vorhergehenden Schluckphasen. Das heißt, manche Kinder haben Probleme bei der Vorbereitung der Speisen im Mund oder beim sicheren Verschluss der Atemwege während des Schluckreflexes. Dies äußert sich in unterschiedlichen Symptomen. Solche Symptome bedürfen der Abklärung durch die Schlucktherapie (Logopädie) und manchmal einer darauffolgenden bildgebenden Diagnostik des Schluckens (siehe „Was abgeklärt werden sollte“).


Professionelle Begleitung der Essentwicklung

Die Erfahrungswerte zeigen, dass Kinder mit ÖA und ihre Familien von Beginn an von einer professionellen Begleitung des Schluckens und der Essentwicklung profitieren. Dabei geht es um die grundsätzliche Klassifikation der Dysphagie und eine erste Beratung. Die Form der Dysphagie bzw. die betroffene Phase und das klinische Bild ermöglichen auch die Indikation für weiterführende Schlucktherapie. Bei einer guten oralmotorischen Entwicklung ist oft keine Therapie im engeren Sinne notwendig. Gleichzeitig bewährt sich die Evaluation der Entwicklungsschritte und Meilensteine des Essens und eine kontinuierliche und bedarfsorientierte (logopädische) Beratung der Familien. Im Idealfall werden die Kinder schon während des klinischen Aufenthalts logopädisch vorgestellt und die Eltern vor Entlassung entsprechend angeleitet. Damit können Ängste reduziert und Kinder und Familien ermutigt und bestärkt werden sowie die Therapieindikation immer wieder individuell überprüft werden. Die Beratung umfasst Bereiche wie Kostumstellung, Erweiterung des Repertoires, sichere Konsistenzen und Gestaltung der Mahlzeiten oder spielerische Förderung der Oralmotorik im Alltag. Die Schlucktherapie umfasst auch diese Bereiche und kann bei Bedarf und je nach Alter noch spezifischer auf diese Elemente eingehen.

Die Expertise der Schlucktherapeuten im ambulanten Bereich in Bezug auf seltene Erkrankungen ist sehr heterogen. Das betrifft natürlich auch das Krankheitsbild der Ösophagusatresie. Das kann dazu führen, dass Therapierende sich unsicher fühlen. Um die Gesundheitsdienstleister im Bereich der Kinderschlucktherapie vor Ort zu unterstützen, gibt es daher seit 2023 das KEKS NEST, das Netzwerk für Ess- und Schlucktherapeuten. Bei dem Gemeinschaftsprojekt von KEKS e. V. und der Kinderchirurgie des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der LMU München treffen sich Therapeuten 4-mal pro Jahr online um die (heimatnahe) Behandlung der Kinder mit Ösophagusatresie mit Wissens- und Erfahrungsaustausch, aber auch Fallbesprechungen zu stärken. Das Projekt wird von Sandra Bergmann (LMU Klinikum) und Julia Seifried (KEKS e. V.) inhaltlich und organisatorisch geleitet. Interessierte können sich formlos anmelden oder informieren unter: nest@keks.org


Zusammenfassung

Kinder mit ÖA können nach der Geburt nicht trinken und benötigen eine chirurgische Behandlung. Häufig besteht zusätzlich eine Verbindung zwischen Luftröhre und Speiseröhre (Fistel), was das Aspirationsrisiko erhöht. Der verspätete Einstieg ins Trinken kann zu Akzeptanzproblemen und einer erhöhten Anfälligkeit für Schluckstörungen führen. Auch spätere Engstellen („Steckenbleiber“) sind möglich. Wichtig ist, dass bei der Diagnostik auch der Larynx und die Trachea genau untersucht werden, um sicherzustellen, dass keine Spalte zwischen Larynx/Trachea und Ösophagus besteht, da diese zu chronischen Aspirationen führen können. Im Verlauf sind funktionelle Schluckuntersuchungen wie FEES (Flexible Endoskopische Evaluation des Schluckens) sinnvoll, um Aspirationen zu erkennen und zu behandeln.

Eine kindzentrierte, signalorientierte Haltung ist zentral. Kinder sollen selbstbestimmt essen lernen. Bei Steckenbleibern hilft individuelles Ausprobieren – z. B. Nachtrinken, Bewegung – solange keine akute Gefahr besteht. Bei Problemen in den vorangehenden Schluckphasen (z. B. mangelnder Atemwegsschutz) ist eine gezielte logopädische Diagnostik und Therapie notwendig.

Eine professionelle Begleitung durch Fachpersonal wie Logopäden ist essentiell, um die Essentwicklung zu fördern, Ängste zu reduzieren und individuelle Strategien zu entwickeln. Ziel ist es, die Kinder in ihrer Autonomie zu stärken und ihre Fähigkeiten beim Essen und Schlucken bestmöglich zu unterstützen.

Info

Wissenswertes aus den Familienberatungen/Elternperspektive

  • Die Sondenentwöhnung braucht Zeit, oft ähnlich lange wie die Kinder die Sondierung gebraucht haben. Das ist hoch individuell.

  • Es braucht Vertrauen in die Kinder – sie haben i. d. R. einen Grund nicht zu schlucken/zu essen – eine zweite Meinung kann sinnvoll sein.

  • Essen soll Freude bereiten – Essen sollte primär eine positive soziale Interaktion sein, weit mehr als Kalorienaufnahme – wichtig für Gesamtentwicklung

  • Bei bronchialen Infekten sind Rückschritte bei der Menge und in der Konsistenz möglich

  • Nach Dilatationen gibt es vereinzelt Rückschritte und Stagnationen beim Essen(lernen) für einige Tage, besonders die Konsistenz betreffend.



Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse/Correspondence

Sandra Bergmann, MSc M. A.
Kinderchirurgische Klinik und Poliklinik
Dr. von Haunersches Kinderspital der LMU Universitätsklinikum München
Lindwurmstraße 4
80337 München
Deutschland   

Publication History

Article published online:
10 October 2025

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