Schlüsselwörter
Forensische Altersbestimmung - MRT - Knochenalter - Ossifikationsstadien
Einleitung
Neben der klinischen Anwendung bei endokrinologischen und pädiatrischen Fragestellungen
kommt der Skelettaltersbestimmung eine große Bedeutung im Rahmen der forensischen
Altersdiagnostik zu [1]. Für zahlreiche juristische Entscheidungen ist die Über- oder Unterschreitung gesetzlich
definierter Altersgrenzen entscheidend. Zu diesen Altersgrenzen zählen das 14., 18.
und 21. Lebensjahr. Eine Person unter 14 Jahren gilt in Deutschland als Kind und ist
nicht strafmündig. Im Alter von 14 bis 17 Jahren gilt das Jugendstrafrecht. Ist eine
Person zwischen 18 und 21 Jahre alt, so wird individuell entschieden, ob Jugend- oder
Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt. Überschreitet eine Person das 21. Lebensjahr,
wird sie nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres
ist zudem die Volljährigkeit erreicht, die mit rechtlichen und gesellschaftlichen
Verantwortlichkeiten einhergeht [2]. Bei fehlenden gültigen Ausweispapieren und zweifelhaften Altersangaben können Behörden
und Gerichte Gutachten zur forensischen Altersdiagnostik anfordern [3]
[4]. Soweit erfasst, ist eine Zunahme solcher Gutachten zu verzeichnen [4]. Anlässlich der steigenden Nachfrage forensischer Altersbestimmungen und der damit
einhergehenden Diskussion um das korrekte Vorgehen wurde 2001 von der Deutschen Gesellschaft
für Rechtsmedizin (DGRM) die Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik
(AGFAD) gegründet [5]
[6]
[7]. Diese empfiehlt ein standardisiertes Vorgehen zur forensischen Altersdiagnostik.
Die Empfehlung beinhaltet zunächst eine Anamnese und die körperliche Untersuchung.
Als bildgebende Verfahren kommen eine Röntgenaufnahme der linken Hand und ein Röntgenbild
der Zähne zum Einsatz [8]
[9]
[10]. Sollte die Skelettreife der Hand bereits abgeschlossen sein, wird die ergänzende
Untersuchung der medialen Claviculaepiphyse mittels Computertomografie (CT) empfohlen
[11]. Mit diesem Ansatz soll eine hohe Genauigkeit der Altersschätzung erreicht werden.
Mit dem bei der forensischen Altersbestimmung häufig verwendeten Mindestalterkonzept
soll sichergestellt werden, dass die Altersschätzung aufgrund möglicher statistischer
Abweichungen zugunsten der zu untersuchenden Person ausfällt. Das minimale Alter ist
das jüngste Alter einer Person in der Referenzpopulation einer Studie, welche die
ermittelten Merkmalsausprägungen hatte. Damit wird sichergestellt, dass das forensische
Alter der Person nicht überschätzt wird, sondern unter dem tatsächlichen Alter liegt
[4]. In diesem Zusammenhang ist allerdings kritisch zu konstatieren, dass die Aussagekraft
der aktuell angewandten Altersbestimmung im Zweifelsfall mit der Größe und Qualität
der Referenzpopulation korreliert. Insbesondere bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
gibt es aktuell keine oder nur sehr unzureichende Vergleichsdaten.
Der Einsatz von bildgebenden Verfahren (Röntgen und CT) zur forensischen Altersdiagnostik
wird aufgrund der damit einhergehenden Strahlenbelastung ohne medizinische Indikation
kontrovers diskutiert [12]. Wünschenswert sind deshalb bildgebende Verfahren ohne den Einsatz von Röntgenstrahlen.
Neben der ultraschallgestützten Diagnostik wurde in mehreren Studien bereits die Magnetresonanztomografie
(MRT) als mögliche Alternative zu den konventionellen Röntgenbildern untersucht und
als vielversprechende Methode beschrieben [13]
[14]
[15]. Neben der MRT der Hand wurde auch die MRT des Kniegelenks als mögliches Instrument
zur forensischen Altersbestimmung vorgeschlagen. Es existieren nur wenige Studien
zur forensischen Altersdiagnostik, für die MRT-Datensätze des Sprunggelenks verwendet
werden [16]
[17]
[18]
[19]
[20], wobei juristisch relevante Altersgrenzen nur teilweise bestimmt werden konnten.
Die Klassifikation von Vieth et al. wurde ebenso wie die Klassifikation von Ottow
et al anhand einer Kohorte von 694 MRT-Aufnahmen des Kniegelenks entwickelt [21]
[22]. Ottow et al. konnten anhand dieser Kohorte das 14. und 16. Lebensjahr bei beiden
Geschlechtern bestimmen, wohingegen mit der Klassifikation nach Vieth et al. die Vollendung
des 18. Lebensjahres bestimmt werden konnte. Im Gegensatz zum Kniegelenk ist das obere
Sprunggelenk [23] als distales Gelenk einer Untersuchung leicht zugänglich, ohne dass ein Patient
vollständig in das MRT-Gerät verbracht werden muss und bietet damit Vorteile im Vergleich
zu weiter proximal gelegenen Gelenken. Auch die Verwendung portabler MR-Scanner –
wie in der Studie von Terada et al. für die Knochenalterbestimmung an der Hand verwendet
– wäre denkbar [24]
[25].
Das Ziel der vorliegenden Studie war es zu prüfen, ob die Klassifikationssysteme zur
Forensischen Altersdiagnostik von Ottow et al. und Vieth et al. auf MRT-Aufnahmen
des Sprunggelenks übertragen werden können. Im Fokus stand die Bestimmung juristisch
relevanter Altersgrenzen, wie die Vollendung des 14. und 18. Lebensjahres, die mit
diesen beiden Klassifikationen adressiert werden konnten. Zusätzlich sollte auch die
Möglichkeit der Bestimmung des 21. Lebensjahres als weitere wichtige Altersgrenze
untersucht werden.
Material und Methoden
Die Zustimmung der lokalen Ethikkommission zur Durchführung der Studie lag vor (Nr.
175/20).
Patienten
Grundlage der Studie bildete die retrospektive Betrachtung der MRT-Untersuchungen
des Sprunggelenks im Alter von 10 bis 28 Jahren, die zwischen Oktober 2011 und März
2020 angefertigt wurden.
Die primäre Indikation und Fragestellung der MRT-Untersuchungen wurden in 10 verschiedene
Kategorien unterteilt. Diese sind in [Tab. 1] dargestellt. Sobald eine Pathologie die Beurteilung der Epiphysenfugen beeinträchtigte,
wurde die Untersuchung ausgeschlossen. Weitere Ausschlusskriterien waren Implantate
im Bereich der Epiphysenfuge sowie unvollständige Untersuchungen, mangelnde Bildqualität
oder abweichende MRT-Sequenzen, die nicht mit denen von Ottow et al. bzw. Vieth et
al. vergleichbar waren. Voraussetzung war eine Zustimmung der Patienten bzw. der Erziehungsberechtigten
für eine nachträgliche pseudonymisierte Auswertung.
Tab. 1 Indikation und Fragestellung für die MRT-Untersuchungen.
|
Häufigkeit
|
Prozent
|
|
Distorsion/Trauma
|
209
|
62,8
|
|
Osteomyelitis
|
38
|
11,4
|
|
Osteochondrosis dissecans
|
41
|
12,3
|
|
Gutartige Knochentumore
|
19
|
5,7
|
|
Torsionswinkel
|
7
|
2,1
|
|
Arthritis
|
7
|
2,1
|
|
Achillodynie
|
5
|
1,5
|
|
Bösartige Knochentumore
|
3
|
,9
|
|
Tendinopathie
|
3
|
,9
|
|
Studie
|
1
|
,3
|
|
Gesamt
|
333
|
100,0
|
Die MRT-Untersuchungen wurden an einem 1,5 Tesla Scanner (Magnetom Avanto, Siemens
Healthcare, Erlangen, Germany) oder einem 3 Tesla Scanner (Magnetom Skyra, Siemens
Healthcare, Erlangen, Germany) durchgeführt. Das Bildmaterial wurde zur Auswertung
im klinikeigenen Picture-Archieving and Communicaton System (PACS, IMPAX EE R20 XVIII
SU1 AGFA, Healthcare N.V.; Mortsel, Belgien) archiviert.
Die Untersuchungen wurden unabhängig voneinander anhand der Klassifikationssysteme
zur forensischen Altersbestimmung von Ottow et al. und Vieth et al. ausgewertet. Für
die Klassifikation nach Ottow et al. wurden T1-gewichtete Turbo-Spin-Echo-Sequenzen
(TSE) verwendet. Für die Auswertung anhand der Klassifikation nach Vieth et al. wurde
neben der T1 TSE auch T2-gewichtete Sequenzen mit Fettunterdrückung in Form einer
T2 Turbo Inversion Recovery Magnitude (TIRM) analysiert. Die Sequenzparameter zur
Akquisition der MRT-Bilder sind in [Tab. 2] dargestellt.
Tab. 2 Sequenzparameter zur Akquisition der MRT-Bilder. TSE: Turbo Spin Echo, TIRM: Turbo
Inversion Recovery Magnitude.
|
T1 TSE
|
T2 TIRM
|
|
Matrix
|
484 × 235
|
384 × 2016
|
|
Voxelgröße
|
0,4 × 0,4 × 3,0mm
|
0,3 × 0,3 × 3,0mm
|
|
Field of view (FOV)
|
180mm
|
200mm
|
|
Schichtorientierung
|
coronar
|
coronar
|
|
Schichtdicke
|
3mm
|
3mm
|
|
Repetitionszeit (TR)
|
514ms
|
5320ms
|
|
Echozeit (TE)
|
10ms
|
42ms
|
|
Flipwinkel
|
163°
|
180°
|
|
Inversionszeit
|
|
202ms
|
|
Aquisitionszeit
|
2:08min
|
1:58min
|
Klassifikationen
Ottow et al. nutzten eine Klassifikation, die aus 5 Hauptstadien mit jeweils 3 Substadien
in den Stadien 2 und 3 besteht [26]
[27]. Anhand von T1-gewichteten Bildern wird die Ossifikation der Epiphysenfuge und die
gegebenenfalls noch abgrenzbare Epiphysennarbe beurteilt. Die Beschreibung der verschiedenen
Ossifikationststadien dieser Klassifikation zeigt [Tab. 3]. [Abb. 1] zeigt Bildbeispiele aus der vorliegenden Studie zur Beurteilung der Ossifikation
der Epiphysenfugen am oberen Sprunggelenk nach der Klassifikation von Ottow et al.
Aufgrund der Altersspanne der eingeschlossenen Patienten beginnt die Einteilung in
Stadium 2c.
Tab. 3 Ossifikationsstadien nach der Klassifikation von Schmeling et al. und ergänzende Substadien
nach Kellinghaus et al.
|
Stadium
|
Beschreibung
|
|
I
|
Die Epiphyse ist noch nicht verknöchert.
|
|
II
|
Die Epiphyse ist teilweise verknöchert. Die Epiphysenfuge ist nicht verknöchert.
|
|
IIa
|
Die Längsabmessung des verknöcherten Anteils der Epiphyse beträgt ein Drittel oder weniger im Vergleich zur Breite des metaphysären Endes.
|
|
IIb
|
Die Längsabmessung des verknöcherten Anteils der Epiphyse beträgt mehr als ein Drittel bis maximal zwei Drittel im Vergleich zur Breite des
metaphysären Endes.
|
|
IIc
|
Die Längsabmessung des verknöcherten Anteils der Epiphyse beträgt mehr als zwei Drittel im Vergleich zur Breite des metaphysären Endes.
|
|
III
|
Die Epiphyse ist verknöchert. Die Epiphysenfuge ist teilweise verknöchert.
|
|
IIIa
|
Die Verknöcherung der Epiphysenfuge beträgt ein Drittel oder weniger der initialen Länge.
|
|
IIIb
|
Die Verknöcherung der Epiphysenfuge beträgt mehr als ein Drittel bis maximal zwei Drittel der initialen Länge.
|
|
IIIc
|
Die Verknöcherung der Epiphysenfuge beträgt mehr als zwei Drittel der initialen Länge.
|
|
IV
|
Die Epiphysenfuge ist vollständig verknöchert. Eine Fugennarbe ist sichtbar.
|
|
V
|
Die Epiphysenfuge ist vollständig verknöchert. Eine Fugennarbe ist nicht mehr sichtbar.
|
Abb. 1 Ottow et al. Stadien. T1 Turbo Spin Echo-Sequenzen (TSE) aus der vorliegenden Studie.
Stadium 2c: 12 Jahre weiblich, Stadium 3a: 14 Jahre weiblich, Stadium 3b: 15 Jahre
weiblich, Stadium 3c: 15 Jahre männlich, Stadium 4: 19 Jahre männlich, Stadium 5:
25 Jahre weiblich.
Vieth et al. verwendeten ein Klassifikationssystem mit sechs Stadien, welches T1-gewichtete
Bilder und zusätzlich fettsaturierte T2-gewichtete Bilder analysiert [22]. Nach den folgenden Beurteilungskriterien erfolgte die Zuteilung. Stadium 2: Durchgehende
bandförmige Darstellung der Epiphysenfuge. Stadium 3: Diskontinuierliche bandförmige
Morphologie der Epiphysenfuge. Stadium 4: Diskontinuierliche linienförmige Fugennarbe.
Stadium 5: Fugennarbe als kontinuierliche Linie mit zusätzlich hyperintensem Signal
in der T2. Stadium 6: Ebenfalls linienförmige Fugennarbe in der T1 mit jedoch fehlendem
Signal in der T2. Stadium 5 und 6 können also nur mittels der T2-Sequenz voneinander
unterschieden werden. [Abb. 2] zeigt Beispiele aus der vorliegenden Studie zur Beurteilung der Ossifikation der
Epiphysenfugen am oberen Sprunggelenk anhand der Klassifikation von Vieth et al..
Abb. 2 Vieth et al. Stadien. T1 Turbo Spin Echo-Sequenzen (TSE) aus der vorliegenden Studie.
Stadium 2: 12 Jahre weiblich, Stadium 3: 14 Jahre weiblich, Stadium 4: 15 Jahre männlich,
Stadium 5: 19 Jahre männlich und Stadium 6: 25 Jahre weiblich, letztere mit zusätzlicher
fettsaturierter T2 Turbo-Inversion Recovery Magnitude (TIRM)-Sequenz.
Vor der Auswertung durchliefen 3 Untersucher (A, B und C) zunächst ein Training für
die beiden Klassifikationssysteme anhand von 50 MRT-Untersuchungen des Kniegelenks.
Untersucher A und B hatten jeweils 1 Jahr Erfahrung und Untersucher C 10 Jahre Erfahrung
in muskuloskelettaler Radiologie. Am Ende der Trainingsphase wurden die Ergebnisse
im Konsens besprochen.
Die MR-Datensätze des Studienkollektivs wurden unabhängig nach den zwei Klassifikationen
von Untersucher A analysiert. Die beiden Klassifikationssysteme wurden getrennt auf
die distale Tibia und Fibula angewendet. Die Auswertung erfolgte nach Pseudonymisierung
und Verblindung hinsichtlich des chronologischen Alters. Zur Bestimmung der Interobserver-Reliabilität
wurden 74 Patienten (22% des Gesamtkollektivs) mit gleichmäßiger Altersverteilung
über das gesamte Studienkollektiv nach beiden Klassifikationssystemen von allen drei
Untersuchern (A, B und C) beurteilt. Zur Beurteilung der Intraobserver-Reliabilität
wurden die 74 MRT-Datensätze von Untersucher A nach drei Monaten erneut ausgewertet.
Statistik
Die statistische Analyse erfolgte mit der Statistik-Software IBM SPSS Statistics 27.
Minimum, Maximum, Mittelwert ± Standardabweichung und Median mit unteren und oberen
Quartilen wurden definiert. Die Ossifikationsstadien wurden in Relation zum Alter
der Patienten in Boxplot-Diagrammen dargestellt. Geschlechtsspezifische Unterschiede
wurden durch den Mann-Whitney-U-Test analysiert. Die Interobserver- und Intraobserver-Reliabilitäten
wurden mit Cohen’s Kappa berechnet und das Bewertungssystem von Altmann wurde verwendet,
um die Kappa-Werte zu interpretieren.
Ergebnisse
Von den initial 447 MRT-Untersuchungen verblieben nach der Anwendung der beschriebenen
Kriterien insgesamt 333 Datenätze (160 weiblich, 173 männlich). Für die Auswertung
nach Vieth et al. wurden aufgrund von fehlenden passenden fettgesättigten T2-gewichteten
Aufnahmen nur 324 Patienten eingeschlossen ([Abb. 3]). Die Patienten wurden nach dem jeweiligen chronologischen Alter in vier Altersgruppen
eingeteilt (<14 Jahre; 14–17 Jahre; 18–20 Jahre; >21 Jahre). [Tab. 4] zeigt die Häufigkeit der Altersklassen für die 333 Patienten bei beiden Geschlechtern.
Insgesamt wurden 167 MRT-Untersuchungen des linken Sprunggelenks und 166 Untersuchungen
des rechten Sprunggelenks ausgewertet.
Tab. 4 Häufigkeit der Altersklassen bei den männlichen und den weiblichen Patienten.
|
Männlich
|
Weiblich
|
|
Alter
|
Häufigkeit
|
Prozent
|
Kumulierte Prozente
|
Alter
|
Häufigkeit
|
Prozent
|
Kumulierte Prozente
|
|
<14
|
37
|
21,4
|
21,4
|
<14
|
37
|
23,1
|
23,1
|
|
14–17
|
40
|
23,1
|
44,5
|
14–17
|
56
|
35,0
|
58,1
|
|
18–20
|
20
|
11,6
|
56,1
|
18–20
|
12
|
7,5
|
65,6
|
|
>/=21
|
76
|
43,9
|
100,0
|
>/=21
|
55
|
34,4
|
100,0
|
|
Gesamt
|
173
|
100,0
|
|
Gesamt
|
160
|
100,0
|
|
Abb. 3 Flussdiagramm zur Ermittlung des Patientenkollektivs.
Auswertung nach Ottow et al.
Altersgrenze 14. Lebensjahr
Bei der Auswertung der Tibiaepiphyse nach der Klassifikation von Ottow et al. waren
die Patienten, die in Stadium 2c eingeteilt wurden, jünger als 14 Jahre. Alle Patienten,
bei der Auswertung der Tibiaepiphyse und der Fibulaepiphyse, die in Stadium 3b oder
höher eingeteilt wurden, waren älter als 14 Jahre ([Abb. 4]). Bei der Auswertung der Fibulaepiphyse waren zum Vergleich mit der Tibiaepiphyse
nicht alle Patienten in Stadium 2c unter 14 Jahre alt. Die restlichen Über- oder Unterschreitungen
der relevanten Altersgrenzen waren ansonsten bei der Auswertung der Fibula sehr ähnlich
([Abb. 4]). Die Spezifität für die Altersgrenze von 14 Jahren lag ab dem Stadium 3b für beide
Epiphysenfugen bei 100%.
Abb. 4 Boxplot: Ossifikationsstadien der distalen Tibia und Fibula in Relation zum Alter
der männlichen Patienten nach der Klassifikation von Ottow et al.
Auch bei den Patientinnen, die in Stadium 2c eingeteilt wurden, waren alle jünger
als 14 Jahre ([Abb. 5]). Auch bei der Auswertung der weiblichen Fibulaepiphyse waren im Vergleich zur Tibiaepiphyse
nicht alle Patientinnen in Stadium 2c jünger als 14 Jahre. Nach der Anwendung des
Mindestalterkonzeptes konnte bei beiden Epiphysenfugen die Vollendung des 14. Lebensjahres
nicht bestimmt werden. ([Abb. 5]). Die Spezifität für das Erreichen des 14. Lebensjahres ab Stadium 4 oder höher
lag an der Fibulaepiphyse bei 98,18% und an der Tibiaepiphyse bei 94,59%.
Abb. 5 Boxplot: Ossifikationsstadien der distalen Tibia und Fibula in Relation zum Alter
der weiblichen Patienten nach der Klassifikation von Ottow et al.
Altersgrenze 18. Lebensjahr
Die Patienten, die an der Tibiaepiphyse in Stadium 2c und 3a eingeteilt wurden, waren
jünger als 18 Jahre ([Abb. 4]). Bis auf einen Ausreißer waren auch alle Patienten in Stadium 3b unter 18 Jahre.
Die Patientinnen, welche in Stadium 2c bis 3b eingeteilt wurden, waren alle unter
18 Jahre alt. In Stadium 5 waren alle Patientinnen – bis auf eine Ausnahme – älter
als 18 Jahre ([Abb. 5]). Sowohl bei den männlichen, als auch bei den weiblichen Patienten konnte unter
Anwendung des Mindestalterkonzeptes bei beiden Epiphysenfugen die Volljährigkeit nicht
bestimmt werden. Bei der Auswertung der Fibulaepiphyse ergaben sich hinsichtlich der
Über- und Unterschreitung des 18. Lebensjahres bei beiden Geschlechtern keine wesentlichen
Unterschiede. Die Spezifität bei den männlichen Patienten lag ab Stadium 5 an der
Tibiaepiphyse bei 98,70% und an der Fibulaepiphyse bei 97,70%. Bei den weiblichen
Patienten lag die Spezifität an der Tibiaepiphyse bei 98,92% und an der Fibulaepiphyse
bei 94,62%.
Altersgrenze 21. Lebensjahr
An der Tibiaepiphyse waren bis auf einen Ausreißer in Stadium 3b alle Patienten, die
in Stadium 2c bis 3c eingeteilt wurden unter 21 Jahre alt ([Abb. 4]). Bei den Patientinnen waren bis auf einen Ausreißer in Stadium 3c ebenfalls alle,
die in Stadium 2c bis 3c eingeteilt wurden, unter 21 Jahre alt ([Abb. 5]). Bei der Auswertung der Fibulaepiphyse ergaben sich hinsichtlich der Über- und
Unterschreitung des 21. Lebensjahres bei beiden Geschlechtern keine wesentlichen Unterschiede.
Die Spezifität für das 21. Lebensjahr war: männlich: Tibiaepiphyse 96,90% und Fibulaepiphyse
89,69%; weiblich: Tibiaepiphyse 99,05% und Fibulaepiphyse 89,52%.
Die Häufigkeiten der jeweiligen Ossifikationsstadien für die Tibia und Fibula sowie
minimales und maximales chronologisches Alter pro Stadium sind für die beiden Geschlechter
in [Tab. 5] und [Tab. 6] dargestellt. Ergänzende Tabellen (Tab. A1 und A2) zeigen für Tibia und Fibula die Häufigkeit der Ossifikationsstadien in den Altersklassen.
Tab. 5 Deskriptive Statistik der Ossifikationsstadien der Tibia und Fibula nach Ottow et
al., männlich.
|
Tibia und Fibula Stadium/Alter (in Jahren) männlich
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Tibia Stadium
|
2c
|
23
|
10,38
|
13,61
|
11,76
|
Fibula Stadium
|
2c
|
28
|
10,61
|
14,58
|
12,17
|
|
3a
|
27
|
12,12
|
16,74
|
13,83
|
3a
|
25
|
10,38
|
16,97
|
14,14
|
|
3b
|
8
|
14,94
|
23,94
|
15,96
|
3b
|
4
|
14,94
|
17,18
|
15,83
|
|
3c
|
11
|
14,53
|
18,60
|
16,38
|
3c
|
14
|
14,53
|
23,94
|
16,89
|
|
4
|
89
|
14,88
|
28,93
|
23,33
|
4
|
42
|
14,88
|
28,44
|
22,22
|
|
5
|
15
|
17,52
|
28,73
|
24,53
|
5
|
60
|
16,25
|
28,93
|
24,73
|
Tab. 6 Deskriptive Statistik der Ossifikationsstadien der Tibia und Fibula nach Ottow et
al., weiblich.
|
Tibia und Fibula Stadium/Alter (in Jahren) weiblich
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Tibia Stadium
|
2c
|
12
|
10,19
|
12,69
|
11,73
|
Fibula Stadium
|
2c
|
21
|
10,19
|
14,16
|
12,03
|
|
3a
|
18
|
10,58
|
14,89
|
13,09
|
3a
|
14
|
12,16
|
16,02
|
14,10
|
|
3b
|
8
|
12,27
|
16,02
|
14,19
|
3b
|
11
|
12,27
|
15,77
|
13,23
|
|
3c
|
21
|
12,73
|
22,09
|
14,62
|
3c
|
21
|
13,04
|
18,36
|
15,39
|
|
4
|
83
|
13,65
|
28,73
|
18,93
|
4
|
46
|
14,44
|
28,57
|
18,15
|
|
5
|
18
|
17,41
|
28,92
|
25,88
|
5
|
47
|
13,74
|
28,92
|
24,11
|
Mittels Mann-Whitney-U-Test ergaben sich für die jeweiligen Stadien beim Vergleich
zwischen den Geschlechtern teilweise signifikante Unterschiede. Bei der Tibia gab
es in den Stadien 3a bis 4 signifikante Unterschiede (3a: p=0,037; 3b: p=0,007; 3c:
p=0,006; 4: p=<0,001), bei der Fibula in den Stadien 3b bis 4 (3b: p=0,01; 3c: p=0,034;
4: p=0,023). Insgesamt lassen sich die Unterschiede so zusammenfassen, dass prozentual
gesehen in den jeweiligen Stadien die männlichen Patienten tendenziell älter sind
als die weiblichen.
Auswertung nach Vieth et al.
Altersgrenze 14. Lebensjahr
Bei der Auswertung der Tibiaepiphyse der Patienten nach der Klassifikation von Vieth
et al. waren die Patienten, die in Stadium 2 eingeteilt wurden, unter 14 Jahre ([Abb. 6]). Alle Patienten, sowohl bei der Auswertung der Tibia- als auch der Fibulaepiphyse,
welche in Stadium 4 oder höher eingeteilt wurden, waren älter als 14 Jahre. Bei der
Auswertung der Fibulaepiphyse waren im Vergleich zur Tibia nicht alle Patienten in
Stadium 2 unter 14 Jahre alt ([Abb. 6]).
Abb. 6 Boxplot: Ossifikationsstadien der distalen Tibia und Fibula in Relation zum Alter
der männlichen Patienten nach der Klassifikation von Vieth et al.
Die Patientinnen, welche an der Tibiaepiphyse in Stadium 2 eingeteilt wurden, waren
noch keine 14 Jahre alt ([Abb. 7]). Im Vergleich zur Tibia waren bei den Auswertungen der Fibula nicht alle Patientinnen
jünger als 14. Alle Patientinnen, bei beiden Epiphysenfugen, die in die Stadien 5
und 6 eingeteilt wurden, waren älter als 14. Die restlichen Einteilungen in die jeweiligen
Stadien ergaben keinen wesentlichen Unterschied in Bezug auf die Altersgrenze des
14. Lebensjahres ([Abb. 7]). Die Spezifität für das Erreichen des 14. Lebensjahres ab Stadium 4 oder höher
betrug bei beiden Geschlechtern 100%.
Abb. 7 Boxplot: Ossifikationsstadien der distalen Tibia und Fibula in Relation zum Alter
der weiblichen Patienten nach der Klassifikation von Vieth et al.
Altersgrenze 18. Lebensjahr
Bei der Beurteilung der Tibiaepiphyse waren alle Patienten, die in Stadium 2 und 3
eingeteilt wurden, noch nicht volljährig. Die Patienten, deren Tibiaepiphyse dem Stadium
6 zugeteilt wurden, waren alle volljährig ([Abb. 6]), bei der Fibulaepiphyse war dies nicht bei allen der Fall, hier waren 95,4% der
Patienten in Stadium 6 älter als 18 Jahre.
Alle Patientinnen, die an der Tibiaepiphyse in Stadium 2 bis 3 eingeteilt wurden,
waren noch nicht volljährig. Bei den Patientinnen gab es kein Stadium, in welchem
alle älter als 18 Jahre waren. ([Abb. 7]). 90,3% der Patientinnen, die an der Tibiaepiphyse in Stadium 6 eingeteilt wurden,
waren Volljährig, an der Fibulaepiphyse waren es 84,2%. Die Spezifität für das 18.
Lebensjahr an der Tibiaepiphyse der männlichen Patienten lag bei 100%, an der Fibulaepiphyse
bei 96,10%. Bei den weiblichen Patienten lag die Spezifität an der Tibiaepiphyse bei
96,67% und an der Fibulaepiphyse bei 90,00%.
Altersgrenze 21. Lebensjahr
Bei der Beurteilung der Tibiaepiphyse waren alle Patienten im Stadium 2 bis 4 jünger
als 21 Jahre ([Abb. 6]). Jedoch konnte nach der Anwendung des Mindestalterkonzeptes bei keinem Stadium
die Vollendung des 21. Lebensjahres bestimmt werden, bei der Tibiaepiphyse waren 92,9%
in Stadium 6 >=21 Jahre, bei der Fibulaepiphyse 83,1%. Alle Patientinnen, die an der
Tibiaepiphyse in Stadium 2 bis 4 eingeteilt wurden, waren noch nicht volljährig und
somit auch jünger als 21 Jahre ([Abb. 7]. Auch bei den weiblichen Patienten konnte nach dem Mindestalterkonzept die Vollendung
des 21. Lebensjahres nicht bestimmt werden, bei der Tibiaepiphyse waren 77,4% in Stadium
6 ≥21 Jahre und bei der Fibulaepipyhse 70,2%. Die Spezifität für das 21. Lebensjahr
war: männlich: Tibiaepiphyse 97,92% und Fibulaepiphyse 88,54%; weiblich: Tibiaepiphyse
93,07% und Fibulaepiphyse 83,17%.
Die Häufigkeiten der jeweiligen Ossifikationsstadien für die Tibia und Fibula sowie
minimales und maximales chronologisches Alter pro Stadium sind in [Tab. 7] und [Tab. 8] dargestellt. Ergänzende Tabellen (Tab. A3 und A4) zeigen für Tibia und Fibula die Häufigkeit der Ossifikationsstadien in den Altersklassen.
Tab. 7 Deskriptive Statistik der Ossifikationsstadien der Tibia und Fibula nach Vieth et
al., männlich.
|
Tibia und Fibula Stadium/Alter (in Jahren) männlich
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Tibia Stadium
|
2
|
9
|
10,38
|
13,61
|
11,88
|
Fibula Stadium
|
2
|
21
|
10,61
|
14,58
|
12,21
|
|
3
|
48
|
10,61
|
17,18
|
13,68
|
3
|
36
|
10,38
|
17,18
|
14,08
|
|
4
|
8
|
14,53
|
18,08
|
16,66
|
4
|
8
|
14,53
|
23,43
|
16,82
|
|
5
|
78
|
14,88
|
28,75
|
22,67
|
5
|
41
|
14,88
|
28,75
|
20,55
|
|
6
|
28
|
18,37
|
28,93
|
25,54
|
6
|
65
|
16,25
|
28,93
|
24,67
|
Tab. 8 Deskriptive Statistik der Ossifikationsstadien der Tibia und Fibula nach Vieth et
al., weiblich.
|
Tibia und Fibula Stadium/Alter (in Jahren) weiblich
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Anzahl
|
Minimum
|
Maximum
|
Median
|
|
Tibia Stadium
|
2
|
7
|
10,19
|
12,06
|
11,69
|
Fibula Stadium
|
2
|
14
|
10,19
|
14,16
|
11,73
|
|
3
|
29
|
10,36
|
16,02
|
12,76
|
3
|
26
|
11,29
|
16,02
|
13,16
|
|
4
|
17
|
12,73
|
15,77
|
14,09
|
4
|
16
|
12,73
|
16,62
|
14,59
|
|
5
|
69
|
14,44
|
28,73
|
18,11
|
5
|
40
|
14,44
|
27,48
|
17,26
|
|
6
|
31
|
15,73
|
28,92
|
25,06
|
6
|
57
|
15,31
|
28,92
|
23,84
|
Mittels Mann-Whitney-U-Test ergaben sich für die jeweiligen Stadien beim Vergleich
zwischen den Geschlechtern teilweise signifikante Unterschiede. Bei der Tibia gab
es einen signifikanten Unterschied in Stadium 4 (p=0,002) und in Stadium 5 (p=0,001).
Bei der Fibula gab es einen signifikanten Unterschied im Stadium 2 (p=0,037), in Stadium
4 (p=0,013) und in Stadium 5 (p=0,013). Auch hier lassen sich die Unterschiede so
zusammenfassen, dass die weiblichen Patienten in den jeweiligen Stadien jünger waren
als die männlichen.
Intra- und Interobserver-Reliabilität
Der Wert für die Intraobserver-Reliabilität bei der Klassifikation nach Ottow et al.
war sehr gut mit Werten von 0,980 bei der Tibia und 0,927 bei der Fibula. Die Interobserver-Reliabilität
bei der Klassifikation nach Ottow et al. zwischen den Untersuchern lag bei 0,717 und
0,981, was nach der verbalen Bewertung nach Altmann einer Bewertung von gut bis sehr
gut entspricht.
Der Wert für die Intraobserver-Reliabilität bei der Klassifikation nach Vieth et al.
war sowohl bei der Tibia (0,872), als auch bei der Fibula (0,903) sehr gut. Der Wert
für die Interobserver-Reliabilität bei der Klassifikation nach Vieth et al. zwischen
den Untersuchern lag zwischen 0,885 und 0,942, was nach den verbalen Bewertungen nach
Altmann einer sehr guten Übereinstimmung entspricht.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass anhand der Beurteilung der distalen Tibia mit beiden Klassifikationen
das 14. Lebensjahr für beide Geschlechter und das 18. Lebensjahres bei den männlichen
Patienten mit der Klassifikation nach Vieth et al. bestimmt werden kann. Das 18. Lebensjahr
konnte mit beiden Klassifikationssystemen für beide Geschlechter und Knochen (Tibia
und Fibula) ermittelt werden. Das Erreichen des 21. Lebensjahres konnte mit der Klassifikation
nach Vieth et al. männliche Patienten an der Tibia und die Fibula bestimmt werden.
St. Martin et al. entwickelten anhand von 180 MRT-Datensätzen ein Klassifikationssystem
mit 3 Stadien zur Beurteilung der Ossifikation der distalen Tibia und des Calcaneus
[19]. In einer weiteren Studie konnten St. Martin et al. in ihrer Kohorte aus 160 Personen
97,4% der männlichen und 93,4% der weiblichen Teilnehmer, die 18 Jahre oder älter
waren, korrekt klassifizieren [20]. Das 3-stufige System wurde von Lu et al. auf 6 Stadien erweitert und bei 590 Probanden
im Alter von 8 bis 25 Jahren angewendet [17]. Die Klassifikation mit 6 Stadien wurde in einer weiteren Studie von Yavuc et al.
verwendet [28]. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass diese Klassifikation als ergänzende Methode
zur Bestimmung der Altersgrenze des 18. Lebensjahres verwendet werden kann. Neben
der dreistufigen Klassifikation von St. Martin et al. für das Sprunggelenk und der
von Lu et al. auf 6 Stadien erweiterten Klassifikation wendeten Gurses et al. die
Klassifikation von Vieth et al. für MR-Datensätze des Sprunggelenks an [18]
[19]
[20]
[22]. In ihrer Kohorte konnte mit dieser Klassifikation das 18. Lebensjahr bestimmt werden.
Neben der Volljährigkeit wurden die Altersgrenzen des 14. oder des 21. Lebensjahres
in diesen Studien nicht gesondert betrachtet.
Altersgrenze 14. Lebensjahr
Nach dem minimum age-Konzept war es in unserer Studie möglich, die Vollendung des
14. Lebensjahres für Tibia und Fibula bei den männlichen Patienten mit der Klassifikation
von Ottow et al. mit der Einteilung in Stadium 3b zu bestimmen. Bei den weiblichen
Patienten war dies an der Tibia mit der Einteilung in das Stadium 5 ebenfalls möglich.
Für die Fibula bei weiblichen Patienten und der Auswertung nach Ottow et al. gelang
dies in unserer Studie nicht, hier gab es einen Ausreißer in Stadium 5 mit knapp unter
14 Jahren. Ottow et al. hingegen konnten in ihrer Studie bei der Auswertung von MR-Aufnahmen
des Kniegelenks die Vollendung des 14. Lebensjahres bei weiblichen Patienten mit Stadium
3b für das Femur und mit Stadium 4 für die proximale Tibia bestimmen. In unserem Studienkollektiv
lag die Vollendung des 14. Lebensjahres bei männlichen Patienten ab einem Stadium
4 sowohl an der distalen Tibia als auch an der distalen Fibula vor. Für weibliche
Patientinnen konnte die Vollendung des 14. Lebensjahres ab einem Stadium 5 festgestellt
werden. Die Spezifität hinsichtlich des Mindestalterkonzeptes lag somit für Stadium
4 bei den männlichen Patienten und für Stadium 5 bei den weiblichen Patienten bei
100 %. Mit der Klassifikation nach Ottow et al. wurde eine Spezifität von 100% nur
für Stadium 3b bei den männlichen Patienten erreicht. Auf diese Altersgrenze wird
in der Studie von Vieth et al. nicht explizit eingegangen. Wenn man jedoch rückblickend
die Daten dahingehend betrachtet, sind die Ergebnisse von Vieth et al. im Hinblick
auf die Vollendung des 14. Lebensjahres ähnlich wie in der vorliegenden Studie. Ein
Unterschied besteht darin, dass bei Vieth et al. das 14. Lebensjahr bei Patientinnen
nicht für Femur und Tibia durch die Einteilung in das Stadium 4, sondern bei der proximalen
Tibia durch die Einteilung in Stadium 5 definiert wurde. Gurses et al. haben die Klassifikation
von Vieth et al. ebenfalls auf Knochen des Sprunggelenkes angewandt [18]. Das 14. Lebensjahr kann bei Gurses et al. rückblickend bei beiden Geschlechtern
durch die Einteilung in Stadium 5 bei der Tibia und am Calcaneus durch die Einteilung
in das Stadium 5 bei den Patienten und Stadium 6 bei den Patientinnen definiert werden.
Eine mögliche Erklärung könnten Unterschiede hinsichtlich des ethnischen Hintergrunds
zwischen den Originalpublikationen, der vorliegenden Studie und dem Studienkollektiv
von Gurses et al. sein.
Altersgrenze 18. Lebensjahr
Wie in der Originalpublikation konnte auch in unserer Studie mit der Auswertung nach
Ottow et al. die Vollendung des 18. Lebensjahres nicht bestimmt werden. Bei der Auswertung
nach Vieth et al. konnte in unserer Studie die Volljährigkeit nur bei den männlichen
Patienten an der Tibia bestimmt werden. Im Gegensatz dazu konnte in der Studie von
Vieth et al. bei den Patienten für Femur und Tibia und bei den Patientinnen bei der
Analyse des Femurs die Volljährigkeit bestimmt werden. Im Gegensatz zu Gurses et al.,
bei denen alle Patienten in Stadium 2–4 jünger als 18 Jahre alt waren, traf dies bei
uns nur auf die Patientinnen zu. In unserer Studie konnte des Weiteren das 18. Lebensjahr
bei der Tibia der männlichen Patienten bestimmt werden. Bei Gurses et al. konnte die
Volljährigkeit nicht bestimmt werden. Betrachtet man die Spezifität hinsichtlich des
Mindestalterkonzeptes für die Grenze des 18. Lebensjahres lagen die Werte in unserer
Studie für die Klassifikation nach Ottow et al. zwischen 94,62% und 98,92%, für die
Klassifikation von Vieth et al. zwischen 90,00% und 100%.
Altersgrenze 21. Lebensjahr
Um auch die Grenze des 21. Lebensjahres zu evaluieren, wurde in der vorliegenden Studie
im Vergleich zu den Originalpublikation das maximale Alter für den Studieneinschluss
mit 28 Jahren definiert. Bei der Klassifikation nach Vieth et al. waren sowohl für
die Tibia als auch für die Fibula alle weiblichen und männlichen Patienten in Stadium
2–4 jünger als 21 Jahre. Bei der Klassifikation nach Ottow et al. waren – bis auf
je einen Ausreißer – alle Patienten von Stadium 2c – 3c jünger als 21 Jahre. Aufgrund
der Altersstruktur des Studienkollektivs wurde die Grenze des 21. Lebensjahres in
den Originalpublikationen nicht gesondert betrachtet. Durch die Einschlusskriterien
hinsichtlich des chronologischen Alters erlauben die Ergebnisse der vorliegenden Studie
für beide Klassifikationen somit auch Rückschlüsse auf die Grenze des 21. Lebensjahres.
Insgesamt zeigte sich, dass das Durchschnittsalter in den Stadien 2c bis 5 bei Ottow
et al. und Stadium 2 bis 6 bei Vieth et al. kontinuierlich ansteigt, was annehmen
lässt, dass die Stadien tatsächlich die fortschreitende Ossifikation der Epiphysenfuge
abbilden. Lediglich bei der Fibula der weiblichen Patienten bei der Auswertung nach
Ottow ist das Durchschnittsalter in Stadium 3b unter dem von Stadium 3a. Das könnte
implizieren, dass sich die Substadien 3a bis 3c von Ottow et al. zu wenig voneinander
unterscheiden, was sich durch die Tatsache untermauern lässt, dass das Durchschnittsalter
der drei Stadien für alle Knochen bei beiden Geschlechtern sehr ähnlich ist und sich
größere Sprünge erst von Stadium 2c zu Stadium 3a und vor allem von Stadium 3c zu
Stadium 4 finden.
Die in der vorliegenden Studie für die Klassifikation von Vieth et al. verwendete
TIRM-Sequenz wurde gewählt, um die gleichen Sequenzen wie in der der Originalpublikation
zu nutzen. Gängigere Sequenzen bei MRT-Untersuchungen des Sprunggelenks – wie beispielsweise
fettgesättigte Protonen-gewichtete Sequenzen – wurden in aktuellen Studien bereits
erfolgreich eingesetzt [25]
[29].
In der vorliegenden Studie wurden im Gegensatz zu den Studien von Ottow et al. und
Vieth et al. retrospektiv Datensätze ausgewertet, welche nicht explizit für die Altersschätzung
erstellt wurden. Dabei konnte gezeigt werden, dass man diese beiden Klassifikationssysteme
auch auf MRT-Bilder der distalen Tibia und Fibula, welche mit anderen Fragestellungen
erstellt wurden, mit vergleichbaren Ergebnissen anwenden kann. Eine unproblematische
Anwendbarkeit der Klassifikationen auf ein anderes Gelenk ist dadurch gegeben, dass
die Klassifikationen auf der Untersuchung von allgemeinen Meilensteinen des Ossifikationsprozesses
von Epiphysenfugen basieren und nicht auf Merkmalen von spezifischen Knochen.
Die Untersuchung des OSG als peripheres Gelenk könnte die Belastung im Rahmen einer
forensischen Altersbestimmung verringern, da auf die vollständige Positionierung der
zu untersuchenden Person im MR-Scanner verzichtet werden kann. Auch der Einsatz portabler
MR-Scanner zur Untersuchung des OSG im Gegensatz zu anderen, zentraler gelegenen Körperregionen
zur Altersbestimmung wie dem Kniegelenk oder auch der Clavicula wäre eine weitere
Option. Eine Studie zur Verwendung der Klassifikation von Vieth et al. im Niederfeld-MRT
(0,31 T) existiert bereits [25].
Ausblick
Der Einsatz der MRT als strahlungsfreie Alternative zur forensischen Altersdiagnostik
wurde in zahlreichen Studien untersucht [30]. Aufgrund der aktuell noch nicht ausreichenden Referenzdaten sowie möglicherweise
den mitunter langen Scanzeiten, etwaigen Kontraindikationen, höheren Kosten und der
vermehrt erforderlichen Compliance existiert aktuell noch keine Empfehlung der AGFAD
[2]. Die in der vorliegenden Studie verwendeten Klassifikationen können als vielversprechender
Ansatz angesehen werden. Aktuelle Validierungsstudien auch zur Verbesserung der Anwendbarkeit,
insbesondere im Niederfeld-Bereich zeigen vielversprechende Ergebnisse [25]
[31]. Zur Verbesserung der Referenzdatenlage sind noch weitere Studien mit ausreichend
großen Kollektiven unter Erfassung großer Alterspannen erforderlich.
Limitationen
Bezüglich der Einschränkungen ist zunächst die fehlende Erfassung von systemischen
Erkrankungen und Medikamenten, die sich auf den Ossifikationsprozess auswirken könnte,
zu nennen. Dazu zählen Wachstumsstörungen, Hormontherapie, Steroide und erfolgte Chemotherapie,
die Einfluss auf die Ossifikation der Epiphysenfuge haben können. Bei Pathologien,
welche die Beurteilung der Epiphysenfugen beeinträchtigten, wurden die Untersuchungen
ausgeschlossen.
Zu den Einschränkungen unserer Studie zählen neben dem retrospektiven Studiendesign
auch die ungleiche Altersverteilung in den verschiedenen Gruppen.
Eine weitere Limitation ist, dass nicht alle Datensätze von allen Untersuchern ausgewertet
wurden. Auch die unterschiedlichen Erfahrungen der Untersucher sind dabei zu erwähnen,
wenngleich für die Knochenaltersbestimmung anhand der Greulich/Pyle-Methode die Erfahrung
der Untersucher im direkten Vergleich keinen relevanten Einfluss auf die Genauigkeit
der Auswertung gezeigt hat [32].
Des Weiteren konnten in der vorliegenden Studie die Nationalität der Patienten und
der sozioökonomische Status retrospektiv nicht mehr ermittelt werden. Hierdurch war
die Berücksichtigung möglicherweise vorliegender ethnischer Unterschiede im Knochenwachstum
nicht möglich.
Schlussfolgerung
In der vorliegenden Studie war es möglich, die primär am MRT des Kniegelenks entwickelten
Klassifikationen zur Altersbestimmung nach Ottow et al. und Vieth et al. auch am OSG
anzuwenden und die Vollendung des 14. Lebensjahres für beide Geschlechter und die
Vollendung des 18. Lebensjahres bei den männlichen Patienten mit der Klassifikation
nach Vieth et al. zu bestimmen. Des Weiteren konnte das noch nicht Erreichen der Volljährigkeit
anhand beider Klassifikationssysteme für beide Geschlechter und Knochen (Tibia und
Fibula) bestimmt werden. Auch Rückschlüsse auf das Erreichen des 21. Lebensjahres
waren möglich. Die vorliegende Studie zeigt, dass MRT-Aufnahmen des Sprunggelenks
eine mögliche strahlungsfreie Alternative gegenüber den Röntgenaufnahmen der Hand
oder den CT-Aufnahmen der Clavicula darstellen und möglicherweise als zusätzliches
Beurteilungskriterium in der forensischen Altersdiagnostik eingesetzt werden können.
Klinische Relevanz der Studie
Klinische Relevanz der Studie
-
Die MRT des Sprunggelenks ist eine strahlungsfreie Alternative zur forensischen Altersdiagnostik.
-
Klassifikationen, die primär mit MRT-Aufnahmen des Kniegelenks entwickelt wurden,
lassen sich auch am Sprunggelenk anwenden.
-
Die Beurteilung der Verknöcherung der Epiphysenfugen am Sprunggelenk kann dazu beitragen,
das Erreichen juristischer Altersgrenzen zu bestimmen.