Einleitung
Der Fachkräftemangel auf Intensivstationen ist eine zunehmende Herausforderung für
das Gesundheitswesen in Deutschland [1]. Neben bekannten Faktoren, wie beispielsweise dem demografischen Wandel und der
Ausbildungslücke, hat die steigende Zahl schwer erkrankter Patient*innen, insbesondere
während der COVID-19-Pandemie, die Nachfrage nach hochqualifiziertem medizinischen
Personal intensiviert [2].
Hierbei zeichnet eine im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung entstandene Studie aus
dem Jahr 2022 ein genaueres Bild der Personalsituation im Bereich der Pflegenden auf
Intensivstationen: Für rund 21 000 belegte Intensivbetten standen 2020 ca. 28 000
Vollkräfte zur Verfügung [3]. Legt man die DIVI-Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen
zugrunde [4], ergibt sich hieraus ein Defizit von ca. 50 000 pflegenden Vollzeitkräften. Obwohl
die ebenfalls defizitäre Besetzung anderer Berufsgruppen, z. B. Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen,
weithin bekannt ist, existieren diesbezüglich bislang keine objektiven Daten aus dem
deutschsprachigen Raum.
Neben der Personalbesetzung und qualifizierten Ausbildung ist die Einarbeitung ein
entscheidender Aspekt, um den hohen fachlichen und ethischen Anforderungen in der
Betreuung kritisch Erkrankter gerecht zu werden. In einer Studie der Jungen DIVI beantworteten
berufsgruppenübergreifend 554 junge Fachkräfte einen Fragebogen zu Art und Umfang
der Einarbeitung und der generellen Arbeitszufriedenheit auf der Intensivstation.
Hier zeigte sich, dass die mediane Einarbeitungszeit bei Pflegefachpersonen bei 30
Tagen, bei Ärzt*innen bei 7 Tagen lag. Lediglich ⅓ der Pflegefachpersonen stimmte
der Aussage zu, ausreichend durch die Einarbeitung auf die intensivmedizinische Tätigkeit
vorbereitet worden zu sein. Ähnliches zeigte sich im ärztlichen Bereich, in dem sich
nur 17 % der Teilnehmenden nach der Einarbeitung ausreichend auf ihren Einsatz vorbereitet
fühlten [5]. Andere Erhebungen bestätigen, dass die gegenwärtige intensivmedizinische Einarbeitung
verbesserungswürdig ist [6].
Zu bedenken ist zudem, dass der aktuell existente Fachkräftemangel und die unzureichende
Einarbeitung auf Intensivstationen eng verknüpft sind [7]. Bereits heute führt das Fehlen qualifizierten Personals auf Intensivstationen dazu,
dass sich Mitarbeitende überlastet fühlen und hierdurch ein weiterer Personalverlust
droht. Gleichzeitig führt die bestehende Personalknappheit zu einer weiteren Reduktion
der Einarbeitungszeit. Mögliche Konsequenzen hiervon sind Unsicherheit und Stress
bei den neuen Mitarbeitenden, was Prädiktoren für erhöhte arbeitsassoziierte Beanspruchung,
psychische Leiden und Fehler sind. Dieser Teufelskreis muss dringend durchbrochen
werden, um gravierende Folgen für Personal und Patient*innen zu vermeiden. Neben zahlreichen
weiteren Maßnahmen zur Mitarbeitenden-Gewinnung und -bindung kann eine strukturierte,
qualitative und umfassende Einarbeitung dazu beitragen, junge Fachkräfte langfristig
für die Intensivmedizin zu begeistern, um die zuvor skizzierte Lücke zwischen Personalbedarf
und -angebot zu reduzieren. In den DIVI-Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung
von Intensivstationen aus dem Jahr 2022 wird eine Einarbeitungszeit von mindestens
3 Monaten für ärztliches und pflegerisches Personal empfohlen [4]. Entsprechende Ausbildungscurricula wurden bisher nicht erstellt.
Fachkräfte, die auf Intensivstationen tätig werden, weisen ein unterschiedliches Hintergrundwissen,
divergente Vorerfahrungen und Motivationslagen auf. Während viele ärztliche Weiterbildungsordnungen
verpflichtende Intensivrotationen vorsehen, existieren beispielsweise in den Ausbildungen
der therapeutischen Gesundheitsfachberufe keine bis wenige intensivmedizinische Inhalte.
In den Pflegefachberufen besteht insbesondere in Anbetracht der novellierten Ausbildung
zum Pflegefachmann/zur Pflegefachfrau und den föderal heterogen organisierten Fachweiterbildungen
eine besondere Herausforderung. Demnach empfiehlt die DIVI in den Ende 2023 publizierten
„Interprofessionellen Handlungsfeldern in der Intensivmedizin“ eine klare und einheitliche
Definition von kompetenzangepassten Handlungsfeldern. Gemäß Kernaussage 3 dieses Papiers
ist für deren Anwendbarkeit auch eine strukturierte Einarbeitung erforderlich [8].
Ziel dieses Positionspapiers ist es, klare Empfehlungen für die Einarbeitung auf deutschen
Intensivstationen zu formulieren. Diese sollen dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen
für Fachkräfte zu optimieren, langfristig die Attraktivität der intensivmedizinischen
Tätigkeit zu steigern und somit hochqualifizierte Mitarbeitende dauerhaft in der Intensivmedizin
zu halten. Nachhaltige Einarbeitungskonzepte tragen außerdem dazu bei, eine hochwertige
Versorgung, sowohl von erwachsenen als auch von pädiatrischen Patient*innen, langfristig
sicherzustellen.
Neben allgemeinen Empfehlungen, welche für die intensivmedizinischen Berufsgruppen
Ärzt*innen, Pflegefachpersonen, Logopäd*innen, Ergo-, Atmungs- und Physiotherapeut*innen
sowie Psycholog*innen Gültigkeit besitzen, wurden berufsgruppenspezifische Inhalte
eingebracht und im Rahmen des Anhangs exemplarisch ausgeführt.
Methodik
Basis des Positionspapiers ist eine umfassende, systematische Literaturrecherche.
Diese wurde im Juni 2023 in PubMed durchgeführt (DJ, LK). Unter der Einschränkung
auf deutsch- oder englischsprachige Ergebnisse wurde nach Arbeiten gesucht, die im
Titel oder Abstract ([tiab]) Schlagworte mit Einarbeitungsbezug sowie zusätzlich (Suchoperator
„AND“) einen intensivmedizinischen Fokus aufwiesen. Im Suchstring der beiden Bereiche
wurden alternativ verschiedene Suchbegriffe genutzt, die in [Tab. 1] aufgelistet sind.
Tab. 1
Suchbegriffe für systematische Literaturrecherche.
Bereiche
|
Deutsche Suchbegriffe
|
Englische Suchbegriffe
|
Einarbeitung
|
Einarbeitung, Berufsstart, Anfänger, Nachwuchs, Praxisanleitung, Praxisanleiter, Training,
Curriculum
|
Beginner, Training, junior professionals, young professional, teaching, mentoring,
onboarding, curriculum
|
Intensivstation
|
Intensivstation, Intensivmedizin, ITS, IMC, Intensivpflege, kritisch Kranke
|
ICU, intensive care, intensive care unit, critical care, critical care unit, intensive
care medicine, intensive care nursing
|
Die Suche ergab 120 potenziell relevante Publikationen. Hiervon wurden nach Lektüre
der Abstracts 14 Manuskripte als bedeutsam erachtet und im Volltext analysiert. Auch
Verweise und Literaturreferenzen dieser wissenschaftlichen Arbeiten wurden gesichtet
und hieraus 10 weitere Publikationen identifiziert.
Die Autor*innengruppe, bestehend aus Mitwirkenden der Jungen DIVI, erarbeitete in
3 Online-Konferenzen eine Dokumentenstruktur und gewichtete gemeinsam die zur Verfügung
stehende Evidenz. Es wurden 4 Expert*innen-Arbeitsgruppen (unter der Leitung von DJ,
AS, MD, ABe, PF) gebildet und ein Textentwurf für die verschiedenen Abschnitte sowie
die Anhänge erstellt. In 2 gemeinsamen Redaktionskonferenzen am 24.09.2023 und 12.12.2023
wurde ein Empfehlungsentwurf konsentiert. Dieser wurde vom DIVI-Präsidium ergänzt
und in der vorliegenden Version am 31.05.2024 angenommen.
Empfehlungen
Die Einarbeitung soll einen zeitlichen Umfang von mindestens 3 Monaten umfassen.
Die notwendige Dauer der Einarbeitung ist individuell unterschiedlich und maßgeblich
abhängig von den bereits bestehenden Erfahrungen der Einzuarbeitenden [9]. Von mindestens 3 Monaten Einarbeitungszeit sollte hierbei ausgegangen werden, wenn
Einzuarbeitende grundsätzlich über Basiskenntnisse im Umgang mit kritisch erkrankten
Patient*innen verfügen. Ärztinnen und Ärzte, die bisher in ihrer Weiterbildung diesbezüglich
weniger Handlungskompetenz erworben haben und Absolvent*innen der generalistischen
Pflegeausbildung benötigen unter Umständen längere Einarbeitungszeiträume. Intensivmedizinische
Inhalte sind in den Ausbildungen der therapeutischen Gesundheitsfachberufe kaum vertreten,
sodass insbesondere Berufsanfänger*innen häufig zu Beginn der Einarbeitung keine ausreichenden
Grundkenntnisse aufweisen. Dies muss entsprechend auch zu einer zeitlichen Anpassung
der Einarbeitung führen. Die Empfehlung impliziert, dass einzuarbeitende Fachkräfte
nicht in die Bemessung der Personalausstattung einfließen dürfen [4]
[10]. Grundsätzlich ist hierzu anzumerken, dass eine gesetzliche Regelung zur spezifischen
und auskömmlichen Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung und zur Berücksichtigung
einer suffizienten Supervision Lernender in der Personalbemessung dringend erforderlich
ist (siehe hierzu auch das im November 2023 veröffentlichte Positionspapier des Bündnisses
Junger Ärztinnen und Ärzte zur ärztlichen Weiterbildung [11]).
Die Einarbeitung soll gemäß einem klinikinternen Einarbeitungskonzept strukturiert
durchgeführt und individuell auf die Einzuarbeitenden angepasst werden.
Konzepte strukturieren den Kompetenzerwerb in der Einarbeitung und tragen zu einer
besseren Mitarbeitenden-Bindung, Zufriedenheit und Sicherung der medizinischen Qualität
bei. Hierbei ist jedoch, analog zum zeitlichen Umfang der Einarbeitung, auch inhaltlich
eine Anpassung in Bezug auf die Vorerfahrungen der Einzuarbeitenden sinnvoll [12].
Der inhaltliche Umfang und Ablauf der Einarbeitung sollen anhand des verschriftlichten
Einarbeitungskonzeptes transparent nachvollzogen werden können. Zusätzlich zu medizinischen
oder pflegerischen Fachinhalten soll insbesondere auf die logistischen, infrastrukturellen
oder konzeptionellen Spezifika der jeweiligen Kliniken eingegangen werden (siehe hierzu
die exemplarischen allgemeinen und berufsgruppenspezifischen Kompetenz-Checklisten
im Anhang – als mögliche Grundlage für klinikspezifische Konzepte). Die Umsetzung
des Einarbeitungskonzeptes muss hohe Priorität haben. Wir empfehlen, das Konzept deutlich
vor dem Beginn der Einarbeitung zur Verfügung zu stellen; spätestens muss es jedoch
zum Beginn der Einarbeitung vorliegen.
Die Einarbeitung soll durch eine fest zugewiesene, geeignete Fachkraft inhaltlich
und strukturell begleitet werden.
Eine fundierte und effiziente Einarbeitung basiert auf einer fachlich wie didaktisch
kompetenten einarbeitenden Person aus dem Stammpersonal (nachfolgend als Mentor*in
bezeichnet). Untersuchungen ergaben, dass Mentor*innen nicht nur über fundiertes Fachwissen
verfügen sollten, sondern eine supportive, motivierende Persönlichkeit und im persönlichen
Umgang Geduld, Ausdauer und organisatorische Qualitäten aufweisen sollten [13]
[14]. Eine feste Zuordnung der Mentorin oder des Mentors zu den neuen Kolleg*innen verbessert
sowohl die fachlich-theoretische wie die praktische Kompetenz und bietet Kontinuität
während der Einarbeitung. Sie trägt aber auch zu einer bedarfsgerechten Vermittlung
strukturell-administrativen Detailwissens bei, welches für eine eigenständige Arbeit
in der Intensivmedizin unerlässlich ist [15]. Mentorship-Programme sind zusätzlich geeignet, die Zufriedenheit und psychologische
Sicherheit der Einzuarbeitenden zu fördern und die Fluktuation von Mitarbeitenden
zu reduzieren [16]. Wir empfehlen, dass der Mentorin/dem Mentor ausreichend zeitliche Ressourcen für
die Betreuung der neuen Kolleginnen zur Verfügung gestellt werden. Eine Freistellung
für diese wichtige Aufgabe ist anzustreben.
Die einarbeitenden Personen sollen mit den Einzuarbeitenden Vor-, Antritts-, Zwischen-
und Abschlussgespräche führen.
Um die gegenseitige Erwartungshaltung vor Beginn der Einarbeitung abzugleichen, eventuelle
Vorerfahrungen berücksichtigen und mögliche Anpassungen des Einarbeitungsablaufes
vorab planen zu können, empfehlen wir die Durchführung eines Vorgesprächs. Am ersten
Arbeitstag soll ein Antrittsgespräch erfolgen, welches auch die Vorstellung bei Leitungspersonal
und Akteuren klassischer Schnittstellen sicherstellt. Wir empfehlen, zusätzlich mindestens
ein vorab geplantes und terminiertes Zwischengespräch durchzuführen, um noch während
des Einarbeitungsprozesses strukturiertes Feedback zu geben und/oder zu erhalten und
die Möglichkeit zur Fokussierung und Anpassung der weiteren Einarbeitung zu gewährleisten.
Hierbei soll die individuelle Belastungssituation durch die intensivmedizinische Tätigkeit
explizit eruiert werden. Das Abschlussgespräch bildet das Ende der Einarbeitung und
soll dazu dienen, beiderseitig festzustellen, ob sowohl fachlich als auch organisatorisch,
administrativ und persönlich eine eigenständige Tätigkeit vertretbar erscheint. Es
kann zusätzlich dafür genutzt werden, mittelfristige Perspektiven der beruflichen
Entwicklung aufzuzeigen. In diesem Kontext sei auch darauf hingewiesen, dass mit dem
Ende der Einarbeitung weitere regelmäßige Perspektivgespräche erfolgen sollten, die
zum gegenseitigen Feedback und der Erarbeitung von Zielen und Weiterentwicklungsoptionen
genutzt werden sollten. Die Gespräche sollten in Absprache terminiert und in einem
ruhigen, störungsarmen Umfeld mit ausreichenden Zeitressourcen sowie in einer vertrauensvollen
Gesprächsatmosphäre durchgeführt werden.
Im Rahmen der Einarbeitung soll eine Vermittlung und Vertiefung intensivmedizinischen
Basiswissens erfolgen. Ergänzend sollen ethische sowie rechtliche Aspekte thematisiert
werden.
Die theoretischen Vorkenntnisse der neuen Mitarbeiter*innen in der Intensivmedizin
divergieren. Demnach ist eine individuell angepasste Ergänzung und Unterstützung beim
Erwerb aller zur praktischen Tätigkeit notwendigen theoretischen Hintergründe empfehlenswert
(siehe hierzu auch die exemplarischen berufsgruppenspezifischen Kompetenz-Checklisten
im Anhang). Beispielsweise durch die Generalisierung der pflegerischen Ausbildung
und die stark variierenden Weiterbildungsschwerpunkte und -rotationszeitpunkte in
der fachärztlichen Weiterbildung muss davon ausgegangen werden, dass im Einzelfall
zum Start der intensivmedizinischen Tätigkeit wichtiges Basiswissen noch ergänzt werden
muss. Gleiches gilt für die jungen Fachkräfte der therapeutischen Gesundheitsfachberufe.
Da eine solide theoretische Grundlage entscheidende Voraussetzung für eine hochqualitative
Patient*innen-Versorgung ist, müssen im Vor- und Antrittsgespräch Bedarfe identifiziert
und gemeinsam Maßnahmen und Lehrmittel abgestimmt werden, die eine zeitnahe Ergänzung
des bestehenden theoretischen Wissens gewährleisten. Am Beispiel der pädiatrischen
Intensivmedizin konnten die praktische Umsetzbarkeit eines strukturierten theoretischen
Einarbeitungscurriculums mit Kurzvorträgen und die Vorteile für den individuellen
Wissenszuwachs gezeigt werden [17].
Wir empfehlen die Implementierung eines wiederkehrenden, einarbeitungsbegleitenden,
theoretischen Fortbildungsformates. Erfahrene Lehrende können von der fundierten Beschäftigung
mit einem relevanten Thema für die eigene (Fach-)Weiterbildung zusätzlich profitieren.
Rechtliche und ethische Fragestellungen der Intensivmedizin (beispielsweise in Bezug
auf die gemeinsame Therapieziel-Findung, Ermittlung des Patient*innen-Willens, Begleitung
bei der Therapieziel-Änderung) sollen theoretisch erläutert und in geschütztem Rahmen
diskutiert werden.
Grundsätzlich besteht eine Eigenverantwortung von neuen Mitarbeitenden, eigene Defizite
selbstständig und engagiert auszugleichen sowie arbeitgeberseitige Fort- und Weiterbildungsangebote
motiviert zu nutzen. Einzuarbeitende wünschen sich insbesondere die Darstellung von
konkreten Lernzielen und die Unterstützung durch Mentor*innen bei der Auswahl geeigneter
Literatur bzw. Lehrformate [5]. Aufgrund der zunehmenden Vielfalt multimedialer Ausbildungsangebote empfehlen wir
eine Steuerung beziehungsweise Strukturierung der Wissensvermittlung. Idealerweise
stellt die Klinik oder Station eine aktuelle Sammlung geeigneter Lehrformate zur Verfügung.
Je nach Lerntyp können hier Lehrbücher, Inhalte der „free open access medical education“
(FOAMed), Videos, Podcasts oder interaktive Übungen eingesetzt werden. Je nach Wissensstand
und Fortschritt der Einarbeitung empfiehlt es sich, das Basiswissen im weiteren Verlauf
durch konkrete Tipps und Hinweise zu ergänzenden Quellen anzureichern, um eine evidenzbasierte
Tätigkeit sicherzustellen.
Im Rahmen der Einarbeitung sollen die für die eigenständige Tätigkeit erforderlichen
praktischen Kompetenzen erworben werden.
Während der Einarbeitung soll ein Fokus auf die praktische Durchführung von Tätigkeiten
gelegt werden, die notwendig sind, um kritisch kranke Patient*innen eigenständig zu
betreuen (siehe hierzu auch die exemplarischen berufsgruppenspezifischen Kompetenz-Checklisten
im Anhang). Inwiefern Maßnahmen bereits während der Einarbeitung durch die einzuarbeitende
Person durchgeführt werden können, hängt von den persönlichen Charakteristika der/des
Einzuarbeitenden sowie des Mentors bzw. der Mentorin, der Maßnahme selbst und dem
situativen klinischen Kontext ab [18]. Die permanente und kontinuierliche Professionalisierung der verschiedenen Berufsgruppen
auf Intensivstationen führt dazu, dass basierend auf entsprechenden Weiterbildungen
spezialisierte Kompetenzen existieren, die berücksichtigt werden sollten. Die DIVI
hat zur Definition und den Inhalten interprofessioneller Handlungsfelder im Jahr 2023
eine Empfehlung abgegeben, auf die an dieser Stelle verwiesen wird [8]. Die Wichtigkeit der Einarbeitung – beispielsweise in klinikinterne Standards –
wird hierbei als Grundlage für die erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit
betont. Zur Einschätzung, wie sicher Teilschritte oder ganze Prozeduren beherrscht
werden, sollte eine strukturierte Kompetenzbeschreibung genutzt werden, wie beispielsweise
die 6-stufige Hierarchie nach Berberat et al. [19]. Es ist zwischen dem/der Einzuarbeitenden und dem Mentor/der Mentorin regelmäßig
zu kommunizieren, welches Eigenständigkeitsniveau bei der jeweiligen Handlungskompetenz
erreicht ist. Um gefährlichen Überforderungsgefühlen vorzubeugen, muss ein Mentor
oder eine Mentorin während der Einarbeitungszeit bei allen durchgeführten Handlungen
unmittelbar verfügbar sein.
Die Einarbeitung soll konkrete Arbeits- und Verantwortungsbereiche sowie organisatorische
Abläufe vermitteln.
Im Sinne einer ganzheitlichen Einarbeitung empfehlen wir, arbeitsorganisatorische
Verhältnisse – wie beispielsweise Dienstplan- und Urlaubsgestaltung, Über- und Unterstellungsverhältnisse
sowie den Zugang zu Räumlichkeiten und Arbeitskleidung – bereits vor Tätigkeitsbeginn
zu kommunizieren. Zusätzlich zur Einweisung in die Räumlichkeiten sowie Standorte
des erforderlichen (Notfall-)Equipments ist es entscheidend, in klinik- und stationsspezifische
Abläufe und Strukturen einzuarbeiten. Im Sinne einer transparenten und vertrauensvollen
interprofessionellen Zusammenarbeit sollte explizit festgelegt werden, welche Tätigkeiten
auf der jeweiligen Station an jeweils andere Berufsgruppen delegierbar oder substituierbar
sind. Das Krankenhaus-Informationssystem, weitere relevante Software sowie die intensivstationsspezifische
Dokumentation müssen am Ende der Einarbeitung eigenständig beherrscht werden. Es muss
vor einer eigenständigen Nutzung sichergestellt werden, dass die erforderlichen Einweisungen
gemäß dem Medizinproduktegesetz in Verbindung mit der Medizinprodukte-Betreiber-Verordnung
erfolgt und dokumentiert sind. Spezifische Arbeitsschutz- und Unfallverhütungsvorschriften
(auch in Bezug auf Strahlenschutz und den Umgang mit gefährlichen Medikamenten und
Substanzen) müssen vorab erläutert und gemäß den gesetzlichen Bestimmungen testiert
werden, um Gefährdungen der neuen Mitarbeitenden vorzubeugen. Wir empfehlen, Einzuarbeitende
mit den genutzten Maßnahmen zur Steigerung der Patient*innen-Sicherheit, wie beispielsweise
standardisierten Spritzenetiketten (gemäß DIVI-Empfehlung), Double-Check-Verfahren
oder Checklisten, vertraut zu machen. Die Aspekte der Fehlerkultur und die klinikinternen
Reportingsysteme für kritische Vorkommnisse (Critical Incident Reporting System, CIRS)
sollen frühzeitig erläutert werden. Darüber hinaus wird für alle Teammitglieder die
Förderung der Aus-, Fort- und Weiterbildung (z. B. Besuch von Kongressen und Fortbildungskursen)
empfohlen.
Bereits während der Einarbeitung soll die interprofessionelle Zusammenarbeit aktiv
gestärkt werden, etwa durch interprofessionelle Simulations- und Notfalltrainings
sowie Hospitationen.
Wir empfehlen regelmäßige interprofessionelle und interdisziplinäre Simulationstrainings
von Notfallsituationen sowie Skilltrainings, nicht nur während der Einarbeitungsphase,
da diese dazu beitragen, dass sicheres Handeln in herausfordernden Situationen gewährleistet
werden kann [20]
[21]. Kommunikation, Handlungsabläufe und Verantwortlichkeiten sollten in einem realistischen
Umfeld im Team geübt werden. Dies kann im Rahmen etablierter Kursformate (z. B. [Pediatric]
Advanced Life Support, (P)ALS; Advanced [Cardiovascular] Life Support, A(C)LS) erfolgen,
sollte aber auch im Setting der eigenen Intensivstation durchgeführt werden.
Im Rahmen der Einarbeitung empfiehlt es sich, die enge interprofessionelle Zusammenarbeit
in der täglichen Patient*innen-Behandlung auch aus anderen Perspektiven zu erleben.
Dies stärkt aus unserer Sicht das bilaterale Verständnis für die Tätigkeit und ist
somit einem wertschätzenden, respektvollen interprofessionellen Austausch zuträglich.
Um dies zu erreichen, empfehlen wir Hospitationen – beispielsweise von ärztlichen
Einzuarbeitenden bei pflegerischen Kolleg*innen und umgekehrt. Gleiches gilt auch
für alle anderen Berufsgruppen, die regelhaft im intensivmedizinischen Kontext aktiv
sind.
Bereits während der Einarbeitung sollen Angebote zur Förderung der psychischen Gesundheit
etabliert werden.
Mitarbeitende auf Intensivstationen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten
arbeitsplatzassoziierter psychischer Erkrankungen [22]
[23]. Um diesen vorzubeugen und sie frühzeitig zu adressieren, sollten klinikinterne
Strukturen etabliert werden, die dabei helfen, die psychische Gesundheit zu erhalten.
Es empfiehlt sich, bereits im Rahmen der Einarbeitung neuen Fachkräften diese Strukturen
zu präsentieren und sie mit den involvierten Personen bekannt zu machen, um potenzielle
Kontakthemmnisse zu reduzieren und ein niederschwelliges Angebot bei potenziell belastenden
Erlebnissen zu schaffen sowie präventive Maßnahmen proaktiv zu vermitteln. Arbeitspsychologische
Konzepte wie „Moral Distress“ oder „Compassion Fatigue“ sollten proaktiv in der Einarbeitung
erklärt werden. Die Reflektion der eigenen, sich ggf. wandelnden Rolle sollte ebenfalls
thematisiert werden. Um Fachkräfte zu schützen und nachhaltig an die Arbeit mit kritisch
Erkrankten heranzuführen, sollten bereits während der Einarbeitung Strukturen zur
Förderung der psychischen Gesundheit geschaffen werden. Zudem sollten Ansprechpartner*innen
und Unterstützungsmöglichkeiten im Falle akuter Belastungssituationen geschaffen,
erläutert und leicht zugänglich angeboten werden.
Die Qualität der Einarbeitung soll in standardisierter Form kontinuierlich evaluiert
und die Einarbeitungskonzepte und -prozesse sollen – basierend auf den Ergebnissen
– angepasst werden.
Einarbeitung als Teil der Mitarbeitenden-Qualifizierung ist eine entscheidende Maßnahme
zur Qualitätssicherung in der Versorgung. Demnach empfehlen wir, eine kontinuierliche
Evaluation der Einarbeitung zu etablieren und zudem regelmäßig Erkenntnisse aktueller
Evidenz einfließen zu lassen. Dies dient nicht nur zur Sicherstellung einer optimalen
fachlichen Einarbeitung, sondern auch zur stetigen didaktischen und methodischen Weiterentwicklung
bestehender Einarbeitungskonzepte und -curricula. Außerdem sollten sich Änderungen
an stationsspezifischen Abläufen oder räumlichen und strukturellen Gegebenheiten zügig
widerspiegeln, um Unklarheiten zu vermeiden und resultierende potenzielle Gefahrenquellen
zu eliminieren.
Die Gewährleistung eines guten Ankommens in der Intensivmedizin ist ein komplexer
Leitungsprozess, der sowohl für eine hochqualitative und sichere Patient*innen-Versorgung
als auch für die Verbesserung der Mitarbeitenden-Bindung und -sicherheit entscheidend
ist [24]. Wir empfehlen daher, die kontinuierliche Reevaluation und Verbesserung der stationsspezifischen
Einarbeitung auf Leitungsebene mit hoher Priorität vorzunehmen.
Fazit und Zusammenfassung
Die vorliegenden Empfehlungen wurden auf der Basis einer strukturierten Literaturrecherche
erarbeitet. Da eine breite Evidenzbasis zu Struktur und Inhalten intensivmedizinischer
Einarbeitung bisher weitgehend fehlt und der Einfluss auf mitarbeiter*innenbezogene
und patient*innenzentrierte Outcomes häufig nicht erfasst wurde, basieren Teile dieses
Papiers auf Konsens der Beteiligten. Unsere Empfehlungen bilden einen fundierten Rahmen
für die individuelle Ausgestaltung der Einarbeitung neuer Mitarbeitender und sind
auf Intensivstationen unterschiedlicher Größe, Struktur und Fachrichtung übertragbar.
Bei der Anwendbarkeit wurde primär das deutsche Gesundheitssystem fokussiert, sodass
in anderen Ländern aufgrund der teilweise stark divergierenden Bildungswege nur eine
limitierte Übertragungsfähigkeit gewährleistet werden kann.
Die Einarbeitung von Fachkräften auf Intensivstationen ist ein Schlüsselprozess, der
sowohl die Personalausstattung als auch die hochqualitative Versorgung kritisch kranker
Patient*innen in der Zukunft langfristig sichert. Es erscheint daher geboten, die
Einarbeitung anhand der obenstehenden Empfehlungen zu strukturieren, auszugestalten
und zu begleiten.