Psychother Psychosom Med Psychol 2024; 74(11): 460-462
DOI: 10.1055/a-2403-9379
Fragen aus der Forschungspraxis

Ein Bias kommt selten allein: Wie (auch) Forschung Panik schürt

Authors

  • Uwe Berger

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Was wird erklärt?

In der Forschung gibt es verschiedene Arten von Verzerrungen (Biases), die mehr oder weniger in Forschungsarbeiten transparent gemacht werden. Hierbei spielt der sog. Aggravation-Bias eine besondere Rolle.

Wissenschaftliche Publikationen stehen – im Gegensatz zu weiten Teilen medialer Berichterstattung – im Ruf eher sachlich, nüchtern, objektiv zu sein. Dazu trägt unter anderem bei, in seriösen Fachpublikationen nach Theorie-, Methoden- und Ergebnisteil mögliche Faktoren zu benennen und zu diskutieren, die zu Ergebnisverzerrungen geführt haben könnten. Diese möglichen Verzerrungen (engl. Biases) sind sehr vielfältig und hängen mit der Auswahl der untersuchten Stichprobe, der verwendeten Methoden zur Datenerfassung und Ergebnisberechnung, dem Studientyp (z. B. randomisiert kontrollierte Studie - RCT, Metaanalyse, Fall-Kontroll-Studie) zusammen [1] [2]. Sehr häufig werden in wissenschaftlichen Studien folgende mögliche Biases berichtet und diskutiert:

  • Selection-Bias: tritt bereits bei der Wahl der Stichprobe auf und ist hier größer bei einer systematischen als bei einer zufälligen Stichprobenziehung (z. B. Anfalls-Stichprobe „Wer grade da ist macht mit“ vs. RCT-Stichprobe mit randomisiert zugewiesener Interventions- und Kontrollgruppe)

  • Tendenz der sozialen Erwünschtheit, Aquiesenz (Neigung, eher „ja“ als „nein“ zu sagen) und Tendenz zur Mitte bei Befragungsstudien, wobei die Verzerrungsgefahr i. d. R. bei mündlichen Face-to-Face-Befragungen größer ist als bei anonymisierten schriftlichen Befragungen

  • Publication- und Reporting-Bias: Neigung von Publikationsorganen und Forschenden, eher Studien zu publizieren, bei denen die Alternativ-Hypothese (ein Unterschied ist signifikant) bestätigt und die Nullhypothese (die Unterschiede liegen im Zufallsbereich) abgelehnt wurde; dadurch kann bereits die Studienauswahl im Theorieteil bzw. zur Theoriebildung verzerrt sein, aber insbesondere betrifft dies auch die mediale Berichterstattung zu einem Forschungsbereich

  • Attrition-Bias: unterschiedliche Anzahl von Studien-Abbrechern in Interventions- und Kontrollgruppe, z. B. wenn sich der Behandlungserfolg bzw. -misserfolg oder auch unerwünschte Wirkungen in der Wahrnehmung der Teilnehmenden deutlich erkennbar unterscheiden

  • Performance- und Observer-Bias: Unterschiedliche Behandlung und Beobachtungsqualität bei Interventions- und Kontrollgruppe durch das Studienpersonal, insbesondere bei fehlender oder mangelhafter Verblindung (ideal ist doppelte Verblindung: weder die Studienteilnehmenden noch das Studienpersonal kennen die Zuordnung zu den beiden Gruppen)

Es gibt jedoch weitere Verzerrungsfaktoren, die in der Regel nicht offen diskutiert werden, zum einen weil ihre Wirkmächtigkeit generellerer Natur ist und weniger von methodischen Details einer Studie abhängt und zum anderen weil sie als ethisch bedenklich gelten.



Publication History

Article published online:
13 November 2024

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