Vorbemerkung
Das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (Framework Convention
on Tobacco Control, FCTC) fordert die Vertragsstaaten dazu auf, den Einfluss der Tabakindustrie
auf Politik, Gesundheitswesen und Gesellschaft zu minimieren, denn „es besteht ein
grundlegender und unüberbrückbarer Konflikt zwischen den Interessen der Tabakindustrie
und den Interessen der öffentlichen Gesundheitspolitik. Die Tabakindustrie produziert
und fördert ein Produkt, von dem wissenschaftlich erwiesen ist, dass es süchtig macht,
Krankheiten, Tod verursacht und eine Vielzahl sozialer Missstände, einschließlich
zunehmender Armut, verursacht. Daher sollten die Vertragsparteien die Formulierung
und Umsetzung von gesundheitspolitischen Maßnahmen zur Tabakkontrolle von der Tabakindustrie
so weit wie möglich schützen.“ [1]
Vor diesem Hintergrund werden für die medizinischen Fachgesellschaften regulatorische
Empfehlungen zum Umgang mit der Tabakindustrie formuliert. Sie folgen damit der Aufforderung
der WHO, dass Organisationen bei der Bekämpfung des Tabakkonsums weder mit der Tabakindustrie
noch mit Organisationen oder Einzelpersonen, die sich für die Interessen der Tabakindustrie
einsetzen, zusammenarbeiten und keine Gelder von ihr annehmen [2].
Empfehlungen für die medizinischen Fachgesellschaften
Empfehlungen für die medizinischen Fachgesellschaften
Die Fachgesellschaften lehnen Geld- oder Sachzuwendungen der Tabakindustrie sowie
der Hersteller und Vertreiber neuer Nikotinprodukte wie E-Zigaretten, Tabakerhitzer,
Nikotinpouches (im Folgenden zusammengefasst unter dem Begriff Tabakindustrie) ab.
Die Fachgesellschaften lehnen die Kooperation mit Personen und Organisationen, die
sich von der Tabakindustrie fördern lassen oder die deren Interessen befördern, ab.
Die Fachgesellschaften verlangen die Offenlegung gegenwärtiger oder früherer Beziehungen
zu Tabakunternehmen.
Hintergrundinformationen
Erläuterung der Maßnahmen zum Schutz vor Einflussnahme der Tabakindustrie auf die
Wissenschaft
Über 70 Jahre nachdem die Tabakindustrie begann, Einfluss auf die Wissenschaft zu
nehmen, sind die Bemühungen zum Schutz der Wissenschaft vor einer Einmischung nach
wie vor unzureichend [3]
[4]. Daraus folgt die Notwendigkeit, die wissenschaftliche Integrität effektiver zu
schützen [5].
Die Medizinischen Fachgesellschaften stellen sich der Einflussnahme durch die Tabakindustrie
vor dem Hintergrund deren aktueller Strategien. Es bedarf eindeutiger Regelungen zum
Interessenkonflikt mit der Tabak- und Nikotinindustrie, die von allen Akteuren in
der Wissenschaft, dem Gesundheitswesen und der Politik zu beachten sind.
Einige nationale und internationale Fachgesellschaften sowie wissenschaftliche Journale
haben solche Regeln bereits erfolgreich umgesetzt. Hierzu werden im Anhang drei Beispiele
aufgeführt.
Tabakindustrie und pharmazeutische Industrie
Es gibt Hinweise, dass die Tabakindustrie bemüht ist, die Grenze zwischen pharmazeutischer
Nikotinersatztherapie und kommerziellen Tabak-/Nikotinerzeugnissen zu verwischen.
Diese Strategie wird „pharmaceuticalisation“ (im weiteren Text „Pharmazeutisierung“[*]) genannt [6]
[7]
[8]
[9].
Ein aktuelles Beispiel liefert Philip Morris mit dem Kauf der Firma Vectura. Das britische
Unternehmen ist spezialisiert auf Inhalationstechnologie für Lungenkrankheiten. Damit
hat Philip Morris Expertise erworben, um Nikotin-Inhalatoren weiterzuentwickeln [10]. Vectura wurde nach Protesten durch Gesundheitsorganisationen inzwischen von Phillip
Morris wieder verkauft.
Pharmazeutisierung der Tabakindustrie[*]
Die Pharmazeutisierung der Tabakindustrie untergräbt die öffentliche Gesundheit in
mehrfacher Hinsicht. Sie lenkt die Regulierungsbehörden davon ab, sich auf den Zigarettenmarkt
zu konzentrieren. Mit der Werbung für eine vermeintliche Schadensminimierung (‚harm
reduction‘) durch neue Nikotinprodukte versucht sie, die wissenschaftliche Gemeinschaft
zu spalten. Mit ihrer Neupositionierung als Partner bei der Herstellung sog. schadensmindernder
Produkte untergräbt sie das WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakkonsums,
das in Artikel 5.3 ausdrücklich Konsultationen oder Partnerschaften zwischen politischen
Entscheidungsträgern und der Tabakindustrie untersagt [1]. Daneben geht es der Tabakindustrie auch um die Beeinflussung im Bereich der öffentlichen
Gesundheit, um soziale Akzeptanz und um Vereinfachung von Zulassungs- und Zertifizierungsprozessen,
jedoch nicht um eine ernsthafte Schadensminimierung.
Einflussnahme auf die Wissenschaft
Die Tabakindustrie bedient sich vielfältiger Maßnahmen, um Einfluss auf die Wissenschaft
zu nehmen [3]
[4]
[5]
[6]
[11]
[12]
[13]
[14]. Bspw. hat Philip Morris die „Foundation for a Smoke free World“ (FSFW) mit vielen
Millionen Dollar ausgestattet. Es handelt sich um eine von der Industrie finanzierte
Lobbygruppe zur Förderung der Interessen der Tabakindustrie [15]
[16]
[17]. Kürzlich wurde der Name der Stiftung in „Global Action to End Smoking“ geändert.
Die Finanzierung erfolgt weiter durch Philip Morris International (PMI).
Die Tabakindustrie beeinflusst erfolgreich den Sprachgebrauch [18]
[19]. Mit eingängigen Begriffen wie ‚harm reduction‘, ‚unsmoke‘ und ‚smoke-free‘ verwischt
sie gezielt Grenzen zwischen Schadensstufen und -arten und trägt dazu bei, das Verständnis
von Schaden zu unterminieren. Trotz eindeutiger Positionen nationaler und internationaler
Fachgesellschaften [20]
[21]
[22] sowie der WHO [23] wird das Harm-Reduction-Narrativ der Tabakindustrie gezielt propagiert. Bspw. wird
die Behauptung, E-Zigaretten seien ungefähr 95 % weniger schädlich als Tabakzigaretten,
in der Werbung gezielt genutzt. Dabei handelt es sich um einen veralteten, lediglich
geschätzten und nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen belegten Wert eines Expertengremiums,
deren Mitglieder teilweise Verbindungen zur Tabakindustrie hatten [24]
[25]
[26]. Die gesundheitsschädlichen Wirkungen von E-Zigaretten lassen sich wegen fehlender
Langzeituntersuchungen noch nicht genau bestimmen. Eine geringere Exposition gegenüber
Schadstoffen in diesen Produkten bedeutet nicht unbedingt ein geringeres Erkrankungsrisiko.
Dies ist auf die nicht lineare Beziehung zwischen Exposition und Auswirkungen zurückzuführen,
bei der die Dauer und die Höhe der Exposition eine wichtige Rolle spielen. Es häufen
sich Hinweise auf negative Auswirkungen auf die Funktion der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems
[20]. Zudem erzeugt der Erhitzungsprozess bei E-Zigaretten krebsauslösende Substanzen
[27]. Auch wenn die Beobachtungszeiträume noch relativ kurz sind, mahnen aktuelle Publikationen
zur Vorsicht. So wurden bei E-Zigaretten-Rauchenden epigenetische Veränderungen an
unterschiedlichen Epithelzellen gefunden, die prädiktiv für die Karzinogenese sind
[28]. Eine aktuelle epidemiologische Untersuchung, die 2024 auf der Jahrestagung der
American Thoracic Society vorgestellt wurde, berichtet einen Zusammenhang zwischen
E-Zigarettenkonsum und Lungenkrebs [29].
Manche Gruppen oder Einzelpersonen, die vermeintliche Vorteile des E-Zigaretten-Konsums
offensiv vertreten, geben nicht an, dass sie finanzielle Unterstützung von Tabakunternehmen
erhalten [30]. Der Nachweis einer Verbindung zur Industrie wird durch eine Vielzahl von Playern
und Umbenennungen (siehe oben Beispiel „Foundation for a Smoke free World“) stark
erschwert [31]. Teilweise wird in Publikationen eine Verbindung zur Tabakindustrie nicht angegeben
[14]. Diese Mechanismen erschweren einen transparenten Umgang mit Informationen und einem
Interessenkonflikt (Conflict of Interest, COI). Eine Metaanalyse aus 94 Studien zeigt,
dass ein finanzieller COI einen starken Einfluss auf die Ergebnisse der Studien zu
E-Zigaretten hat. 95 % der Publikationen ohne und 39 % der Publikationen mit einem
COI haben potenziell schädliche Effekte oder Substanzen bei E-Zigaretten gefunden
[32]. Lediglich 7,7 % der Publikationen mit Tabakindustrie- oder E-Zigarettenhersteller-bezogenem
COI haben potenziell schädliche Effekte gezeigt. Zwei weitere Metaanalysen unterstützen
diese Befunde [33]
[34].
Anhang
Ethischer Kodex der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP)
zum Verhalten gegenüber der Tabakindustrie
[35]
Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) lehnt jegliche
Geld- oder Sachzuwendungen der Tabakindustrie einschließlich der E-Zigarettenindustrie
und der Hersteller von Tabakerhitzern (im Folgenden zusammengefasst unter dem Begriff
Tabakindustrie) oder Dritter, die von der Tabakindustrie gefördert werden, für Forschungsförderung,
Spenden, Gutachterhonorare, Vortragshonorare, Reisekosten, Wissenschafts- und andere
Preise ab. Zur Tabakindustrie zählen dabei Verbände, Firmen und Einzelpersonen, die
in ihrem Kerngeschäft zu Anbau, Herstellung, Marketing und Vertrieb von Tabakprodukten
einschließlich E-Zigaretten und Tabakerhitzern beitragen, sowie von der Tabakwirtschaft
abhängige Stiftungen, Organisationen und Einzelpersonen.
Der Vorstand sowie die assoziierten Gremien der DGP lehnen die Mitwirkung an Veranstaltungen
der Tabakindustrie oder Dritter, die von der Tabakindustrie unterstützt werden, ab.
Die DGP lehnt die Kooperation mit Personen und Organisationen, die sich von der Tabakindustrie
fördern lassen oder die deren Interessen befördern, ab.
Angestellte der Tabakindustrie sind von einer Mitgliedschaft in der DGP ausgeschlossen.
European Respiratory Society (ERS): Declaration of Conflict of Interest, Article IX
[36]
… 5. Participation in the Society’s activities is not open to faculty with any real
or perceived, direct or indirect, links to the tobacco industry. The Society reserves
the right to fully preserve its interests. The practical application of this rule
is governed by the ERS policy on conflicts of interest and disclosure forms (refer
to the Constitution Art III.3).
… 11. The ERS publications are guided by the ERS conflicts of interests’ policy [1] and will not consider for publication papers reporting work funded, in whole or
in part, by a tobacco company or tobacco industry organisation. The publications will
also not consider for publication papers by authors who accept tobacco industry funding,
or, funding from the industry behind alternative nicotine delivery products such as
e-cigarette and heated tobacco products, including funding for research costs, for
all or part of any author’s salary, or other forms of personal remuneration. The same
applies for publication papers by authors who accept funding from the industry behind
alternative nicotine delivery products such as e-cigarette and heated tobacco products,
including funding for research costs, for all or part of any author’s salary, or other
forms of personal remuneration. For further information, refer to the ERS conflicts
of interest policy. Failure to declare competing interests at submission, or when
an article is commissioned, can result in immediate rejection of the paper. If a competing
interest comes to light after publication, the relevant journal will issue a formal
correction to or retraction of the whole paper, as appropriate.
American Thoracic Society: Policy on involvement of ATS members and others participating
in ATS activities with the Tobacco Industry (with references to policies on involvement with the Cannabis Industry and the Vaping
Industry) [37]
The American Thoracic Society has long-standing policies that prohibit involvement
of the Society and its activities with the tobacco industry in light of the fact that
the inhalation and oral use of tobacco products and byproducts has been proven to
cause and/or aggravate a wide spectrum of diseases and conditions. Highlights of these
policies include that the ATS will not: accept for its journals any research that
has been funded by tobacco entities; accept for its journals any research submitted
by an author that has a relationship with a tobacco entity; will not accept for its
conferences any research that has been funded by tobacco entities; will not accept
as a planner or oral presenter for its conferences, or as a Society leader, anyone
who has a current relationship with a tobacco entity. In addition, the ATS calls upon
its members and non-members who participate in ATS activities not to accept relationships
with tobacco entities, and requires disclosure of present or past relationships with
tobacco entities.
Also note: current ATS policies regarding involvement of the Society and its members,
and others participating in official ATS activities, with the vaping industry (manufacturers
and promoters of e-cigarettes and other nicotine delivery devices) and the cannabis
industry (manufacturers and promoters of cannabis products) are also noted in the
full policy available below. (https://site.thoracic.org/about-us/leadership-governance/ethics-and-coi/policy-on-tobacco-involvement; https://craftprd1.blob.core.windows.net/documents/ats-tobacco-policy.pdf)
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin et al. Kodex zum Umgang
mit der Tabak- und Nikotinindustrie – Handlungsimpuls für wissenschaftliche Fachgesellschaften. Pneumologie 2024; DOI 10.1055/a-2445-4286
Die Deutsche Atemwegsliga e. V. (DAL) und die Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V.
(DGU) wurden ergänzt.