Ultraschall Med 2025; 46(01): 8-13
DOI: 10.1055/a-2464-5428
Editorial

MPUS ist ein großer Schritt nach vorne für kleine Organe

Eine Einführung in die neuen EFSUMB-Leitlinien für multiparametrischen Ultraschall von „Small Parts“ Article in several languages: English | deutsch
V. Cantisani
,
C. F. Dietrich
,
C. Jenssen
,
M. Bertolotto
,
B. Brkljačić
,
A. De Silvestri
,
V. Scotti
 

Die multiparametrische Bildgebung kombiniert die Informationen aus verschiedenen funktionellen Bildgebungssequenzen oder -techniken und ist am besten bekannt durch die multiparametrische MRT, bei der die Informationen mehrerer verschiedener Sequenzen zur Untersuchung von Läsionen verwendet werden. Durch die kombinierte Analyse mehrerer struktureller und funktioneller Gewebeeigenschaften ist die Charakterisierung von Läsionen viel präziser als bei ausschließlicher Verwendung einer einzigen Sequenz oder Technik. Tatsächlich führte die Kombination der verschiedenen MRT-Bildgebungsverfahren und -sequenzen als „One-stop-shop“-Methode zur Bezeichnung „multiparametrisch“. Die multiparametrische MRT wird in der täglichen klinischen Praxis unter anderem in der Bildgebung der Nerven, der Leber, des Bewegungsapparates, der Brust und der Prostata eingesetzt. Der Begriff „multiparametrisch“ lässt sich auch auf die Computertomografie (CT) anwenden, da diese eine funktionelle Bildgebung, eine 3D-Rekonstruktion und die Darstellung verschiedener Phasen nach Kontrastmittelgabe ermöglicht. Die CT hat die Visualisierung von Brustkorb, Pleura- und Bauchhöhle verbessert und das Trauma-Management revolutioniert. Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Diagnose des akuten Abdomens. Trotz der unbestrittenen Stärken von MRT und CT sind deren Nachteile offensichtlich: Strahlenbelastung, Fremdkörper mit Kontraindikation für MRT, Patientenbewegungen mit und ohne Kontrastmittel-Injektion, hohe Kosten und eine beschränkte Verfügbarkeit – sowie weitere entscheidende Punkte wie die Nichtverfügbarkeit von CT und MRT am Krankenbett bzw. direkt „am Bedarfsort“, eine belastende Klaustrophobie in Bezug auf die Untersuchung bei einem erheblichen Teil der Patienten, Sedierung bei pädiatrischer Anwendung und vieles mehr [1] [2]. In den letzten Jahrzehnten hat die Ultraschall-Bildgebung auch die Eindimensionalität des A-Modus und die frequenzabhängige hochauflösende Visualisierung morphologischer Details im B-Modus in mehrfacher Hinsicht überwunden: Funktionelle Prozesse können in Echtzeit abgebildet werden und strukturelle Details in 4 D dargestellt werden. Zudem kann die Interaktion von Strukturen mit den Ausbreitungseigenschaften von Schallwellen verwendet werden für die qualitative und quantitative Analyse der Gewebeelastizität bei der Strain- und Scherwellen-Elastografie, der Fettinfiltration beim Attenuation Imaging und möglicherweise der Nekro-Inflammation durch Einsatz der Scherwellendispersion. Doppler-Techniken und kontrastverstärkte Techniken erfassen Blutfluss, Gefäßdichte und die Vaskularisierungsmuster in Läsionen und deren Umgebung quantitativ in Echtzeit, mit höchster zeitlicher und räumlicher Auflösung [3] [4] [5] [6]. Diese Vielzahl von Informationen über die Gewebeeigenschaften wird mit geringeren Kosten und einer niedrigeren Patientenmorbidität erreicht als bei jedem anderen bildgebenden Verfahren. Seit der Begriff „multiparametrischer Ultraschall“ (MPUS) [7] erstmals verwendet wurde, ist er in der Literatur und unter wissenschaftlichen Gesellschaften, die auf dem Gebiet der medizinischen Bildgebung tätig sind, von Jahr zu Jahr beliebter geworden. Er dient der Beschreibung moderner Ultraschall-Bildgebung, bei der verschiedene Technologien kombiniert werden, um fokale Läsionen und ihre Interaktion mit dem umgebenden Parenchym präzise zu charakterisieren, wobei eine Vielzahl struktureller und funktioneller Gewebemerkmale kombiniert werden, die möglicherweise der in der MRT verwendeten Terminologie ähneln [8]. Seit ihrer Gründung hat die EFSUMB (European Federation of Societies for Ultrasound in Medicine and Biology) eine starke Tradition der Unterstützung guter klinischer Praxis und der Förderung evidenzbasierter Medizin aufzuweisen [9] [10]. Angesichts des hohen klinischen Nutzens dieser neueren Ultraschalltechniken hat die EFSUMB mehrere klinische Leitlinien, technische Übersichten und Positionspapiere zu vielen Bereichen des medizinischen Ultraschalls veröffentlicht, darunter auch zum CEUS [11] [12] [13] [14], einschließlich der Analyse von Zeit-Intensitäts-Kurven [15], zu den elastografischen Techniken [5] [6], sowie zum interventionellen Ultraschall [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23] [24] und zum gastrointestinalen Ultraschall [25] [26] [27] [28] [29] [30]. Angesichts der zunehmenden Zahl an Veröffentlichungen und der Notwendigkeit, Vorteile und Limitationen zu analysieren sowie die Verwendung des multiparametrischen Ultraschalls (MPUS) zu standardisieren, hat die EFSUMB beschlossen, die ersten MPUS-Leitlinien für „Small Parts“ (Schilddrüse, Hoden, Brust) zu veröffentlichen und mit der Erstellung von Leitlinien für die Anwendung von MPUS des Pankreas fortzufahren. Leitlinien zur Anwendung von MPUS der Leber wurden bereits von der WFUMB (World Federation for Ultrasound in Medicine and Biology) in enger Zusammenarbeit mit der EFSUMB veröffentlicht [31] [32].

Alle Anwendungen werden im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren dargestellt, die zur Behandlung der verschiedenen Erkrankungen erforderlich sind. Zusammen mit der kürzlich veröffentlichten PoCUS-Leitlinie [33] sind die multiparametrischen Leitlinien der EFSUMB die ersten, die vollständig mit der 2019 entwickelten EFSUMB-Strategie zur Entwicklung von Leitlinien [34] konform sind und die einem systematischen evidenzbasierten Ansatz folgen. Sie wurden in 3 Phasen erstellt, die vom Lenkungsausschuss des Leitlinien-Expertengremiums geleitet werden:

  • Phase 1: Definition klinisch relevanter Fragestellungen durch das Leitlinien-Expertengremium, Bildung kleiner Arbeitsgruppen aus dem Expertengremium für jede einzelne Fragestellung, systematische Literaturrecherche zu diesen Fragestellungen und Erstellung von Evidenztabellen.

  • Phase 2, durchgeführt in kleinen, für jede einzelne Fragestellung gebildeten Arbeitsgruppen: Kritische Überprüfung der Ergebnisse der systematischen Literaturrecherche anhand von Evidenztabellen, Ausarbeitung von Stellungnahmen/Empfehlungen, Zuweisung von Evidenzgraden und Einstufung der Stärke der Empfehlung, Vorbereitung von erläuternden Kommentaren.

  • Phase 3: Strukturierter Konsensprozess des Expertengremiums, einschließlich Diskussion, Änderung und Genehmigung von Empfehlungen und Stellungnahmen durch Abstimmung.

Eine umfassende und systematische Literaturrecherche nach der PRISMA-Methodik [35] bildete die Grundlage aller MPUS-Leitlinien und bestand aus der Definition spezifischer Suchstrategien in verschiedenen Online-Datenbanken, um geeignete Studien zu finden. Aus diesem Grund wurden 2 wissenschaftliche Bibliothekare in die Expertengruppe aufgenommen. Die Fragestellungen wurden im PICO-Format vorbereitet, und für jede Fragestellung wurde eine Suchstrategie, basierend auf der geeigneten Suchbegriffskombination, entwickelt. Die Datenbanken MEDLINE (PubMed), CENTRAL und EMBASE wurden für die Suche nach Volltextartikeln verwendet, die in den letzten 3 Jahrzehnten in englischer Sprache veröffentlicht wurden (systematischer Review, Metaanalyse, Leitlinie, klinische Studie, klinische Prüfung) und den vordefinierten Suchbegriffskombinationen (PubMed: MeSH-Begriff) entsprachen. Ausgeschlossen wurden Fallstudien (mit weniger als 10 Fällen), Leitartikel, Kommentare, Briefe und Abstracts ohne Volltextartikel.

In Phase 2 wurde eine gründliche und systematische Literaturrecherche zu den Themen und den zugehörigen Fragestellungen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden den Arbeitsgruppen zugewiesen, um die ausgewählten Nachweise gemäß der definierten Suchstrategie kritisch auf ihre methodische Qualität zu überprüfen. Für jede Fragestellung wurde der Selektionsprozess der Evidenz mit Ein- und Ausschlüssen gemäß den definierten Kriterien in einem PRISMA-Flussdiagramm und in einer Evidenztabelle dargestellt. Der letzte Schritt bestand darin, auf der Grundlage der Ergebnisse der systematischen Literaturrecherche und der Evidenzbewertung für jede Fragestellung eine Stellungnahme oder Empfehlung zu verfassen. Es wurden Evidenzgrade und Empfehlungsstärken (letztere gelten nur für Empfehlungen) zugewiesen. In den Kommentaren werden die verfügbaren Evidenzdaten und ihre klinische Relevanz und Anwendbarkeit kurz zusammengefasst und kritisch bewertet. Empfehlungen geben spezifische und präzise Ratschläge, welche bestimmten Verfahren oder Techniken unter welchen Umständen angewendet oder nicht angewendet werden sollten. Stellungnahmen beschreiben die Ergebnisse einer Evidenzrecherche im Zusammenhang mit einer bestimmten Fragestellung, ohne Handlungsempfehlungen zu geben. Die Formulierung folgt der „Leitliniensprache“, die im Positionspapier zu den EFSUMB-Leitlinien [34] beschrieben ist. Die Qualität der Evidenz wurde anhand der Evidenzklassen (Levels of Evidence, LoE) des Oxford Centre for Evidence-Based Medicine (OCEBM) von 2011 bewertet, die auf der Bewertung von Art und Qualität des Studiendesigns basieren. Die LoE reichen von 1–5, wobei 1 die höchste Stufe, basierend auf konsistenten Ergebnissen systematischer Reviews, und 5 die niedrigste Stufe ist und auf Expertenkonsens und guter klinischer Praxis basiert. Eine Herabstufung des LoE ist möglich aufgrund von Einschränkungen der Studienqualität oder Inkonsistenz zwischen den Studienergebnissen, indirekter Evidenz hinsichtlich der Fragestellung oder geringer Effektgröße. Umgekehrt ist eine Hochstufung des Evidenzgrades möglich, wenn der klinische Effekt groß ist [34]. Anhand der Festlegung des LoE und der Beurteilung des Nutzens im Verhältnis zum möglichen Schaden einer vorgeschlagenen oder empfohlenen Intervention, der Präferenzen der Patienten, der Auswirkungen auf die Ressourcen, der Durchführbarkeit/Verfügbarkeit und von Fragen der Gerechtigkeit wurde jeder Empfehlung ein starker oder schwacher Empfehlungsgrad (Grade of Recommendation, GoR) zugewiesen, unter Verwendung des GRADE-Ansatzes (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation, GRADE, 2008) [34].

Etwa 4 Wochen vor dem Konsensustreffen wurden die Entwürfe (Empfehlungen/Stellungnahmen und zugehörige Kommentare und Evidenztabellen) jeder Arbeitsgruppe an alle Mitglieder des gesamten Expertengremiums zur kritischen Bewertung versandt. Auf den Konsenssitzungen wurden die vorbereiteten Empfehlungen und Stellungnahmen, die zugrunde liegende Evidenz und ungelöste oder kontroverse Fragen von der Arbeitsgruppe zur Diskussion gestellt. Ein strukturierter Konsensprozess, der von der Lenkungsgruppe moderiert wurde, diente dazu, eine Einigung über die von der jeweiligen Arbeitsgruppe erarbeiteten Empfehlungen und Stellungnahmen oder über alternative Formulierungen, die von anderen Mitgliedern des Expertengremiums vorgeschlagen wurden, zu erzielen. Schließlich stimmte das Expertengremium über jede Empfehlung und Stellungnahme ab. Eine Empfehlung oder Stellungnahme wurde angenommen, wenn > 75 % der stimmberechtigten Mitglieder zustimmten (starker Konsens: ≥ 95 % der Stimmen; Konsens: > 75–95 % der Stimmen). Wenn die primäre oder eine umformulierte oder alternative Empfehlung keine Zustimmung von > 75 % bekommt, so wird das Ergebnis zu dieser bestimmten Fragestellung im Leitlinienreport dokumentiert.

Mit ihrem Leitlinienprojekt zum multiparametrischen Ultraschall (MPUS) möchte die EFSUMB zu einer evidenzbasierten und standardisierten Anwendung des MPUS-Ansatzes bei der Diagnose von Schilddrüsen-, Hoden- und Brusterkrankungen beitragen. Durch die Integration moderner Ultraschalltechniken, die den B-Mode-Ultraschall in Diagnose-Algorithmen ergänzen, und die differenzierte Einbeziehung verschiedener struktureller und funktioneller Merkmale einer bestimmten Läsion in die Diagnose kann die Rate falsch-negativer und falsch-positiver Befunde gesenkt werden – und damit eine unnötige invasive Diagnostik oder Therapie in der klinischen Praxis vermieden werden. Die Berücksichtigung klinischer Vortest-Wahrscheinlichkeiten, das Bewusstsein für die Grenzen der MPUS-Technologien, das Wissen über alternative Bildgebungsverfahren, die für die professionelle Anwendung von MPUS erforderliche Ausbildung, die für die Auswertung der Ergebnisse erforderliche Erfahrung und eine qualitativ hochwertige Dokumentation sind jedoch entscheidende Voraussetzungen für den Erfolg der multiparametrischen Ultraschalldiagnostik [36].


Conflict of Interest

Disclosure Bracco, Mindray, Samsung, Siemens,Canon feed


Correspondence

Prof. Vito Cantisani
Department of Radiology, “Sapienza” University of Rome
Viale Regina Elena 324
00161 Rome
Italy   

Publication History

Article published online:
05 February 2025

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