I. Einführung
Freie Terminkapazitäten sind für gesetzlich krankenversicherte Patienten ein rares
Gut. Halten sich die vertragsärztlichen Leistungserbringer an die mit dem Versorgungsauftrag
verbundenen Sprechstunden, müssen gesetzlich krankenversicherte Patienten in der Regel
mit langen Wartezeiten rechnen. Gesetzlich krankenversicherte Patienten sind im gesamten
fachärztlichen Bereich häufig mit der ernüchternden Realität von Wartezeiten von drei
bis sechs Monaten konfrontiert, während es im Bereich privatversicherter Patienten
deutlich mehr freie Kapazitäten und in der Folge kürzere Wartezeiten gibt. Nicht selten
kommt es daher im Rahmen von Terminbuchungen über Online-Plattformen vor, dass gesetzlich
krankenversicherte Patienten als Selbstzahler Termine vereinbaren. Teilweise wird
im Rahmen einer solchen Buchung ein Hinweis eingeblendet, dass die Leistung nur als
Selbstzahlerleistung zu dem früheren Termin stattfinden könne. Ein weiteres Problem
des Patientenmanagements, das in diesem Beitrag nicht weiter vertieft wird, stellt
die Terminuntreue von gesetzlich- und privatversicherten Patienten dar. Es kommt mitunter
vor, dass Termine von GKV-Patienten nicht abgesagt werden, so dass letztlich anderen
GKV-Patienten frühzeitigere Untersuchungsmöglichkeiten vorenthalten werden und es
unter Umständen zu wirtschaftlichen Schäden in der (radiologischen) Praxis durch Vakanzen
kommt.
In einer Entscheidung vom 26.06.2024[
1
] hat das Landgericht (LG) Düsseldorf über die Klage einer Verbraucherzentrale entschieden.
Der beklagte Augenarzt bot in seiner Augenarztpraxis über eine Terminservice-Onlineplattform
Behandlungstermine an, bei denen gesetzlich krankenversicherte Patienten die Kosten
der Behandlung entgegen dem Sachleistungsprinzip gemäß § 2 Abs. 2 SGB V selbst tragen
sollten. Das LG Düsseldorf ordnete dies in dem konkreten Fall als rechtswidrig ein.
Das Urteil bietet Anlass dazu, sich auf Grundlage einer kritischen Auseinandersetzung
mit der wettbewerbsrechtlichen Dimension von früheren Terminen als Selbstzahlerleistung
für gesetzlich Versicherte auseinanderzusetzen sowie die Folgen für die Praxis darzulegen.
Im Laufe der Beurteilung wird sich zeigen, dass die Vergütung für die Möglichkeit
eines früheren Termins rechtlich bedenklich und teilweise auch rechtswidrig ist.
II. Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 26.06.2024, Az.: 24 O 107/22
II. Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 26.06.2024, Az.: 24 O 107/22
1. Sachverhalt
Der beklagte Arzt, ein Augenarzt, bot über eine Internet-Plattform einen Terminservice
an, zu dem die Patienten über die Homepage des Arztes weitergeleitet wurden. Für die
Terminvereinbarung musste der Patient auswählen, ob dieser privat oder gesetzlich
versichert ist. Soweit hier die Auswahl „gesetzlich versichert“ getroffen wurde, erschien
der folgende Hinweis:
„Was Sie noch wissen sollten: Selbstzahlergebühr: Wenn Sie gesetzlich versichert sind,
müssen Sie die Kosten für die Behandlung selbst übernehmen.“
In einem zusätzlichen Pop-Up-Fenster konnte der Patient auf einem Kalenderfeld einen
als verfügbar ausgewiesenen Termin durch Anklicken auswählen. Sofern der gesetzlich
krankenversicherte Partient einen freien Termin in den nächsten Tagen auswählte, erschien
der Hinweis zur Selbstzahlergebühr. Dieser Hinweis erschien auch, wenn der Patient
als Besuchsgrund akute Beschwerden/Schmerzen angab.
Zusätzlich zu der Bestellpraxis hielt der beklagte Arzt täglich für Patienten mit
akuten Beschwerden von 8 bis 9 Uhr eine offene Sprechstunde ohne Terminvereinbarung
ab. Es erfolgte kein Hinweis auf die offenen Sprechstunden im Rahmen der Online-Terminbuchung.
Der Klage der Verbraucherzentrale lagen folgende Geschehnisse zugrunde: Anfang Juni
2022 rief die Ehefrau des Patienten die Homepage des Beklagten auf und stellte jeweils
für sich und ihren Ehemann für Mitte Juli 2022 eine Terminanfrage. Hierfür wurde sie
von der Homepage des Beklagten automatisch auf die Seite des Online-Terminservices
weitergeleitet. Mitte Juli 2022 waren nach Angaben auf der Plattform zahlreiche Termine
frei. Als Besuchsgrund für den Arztbesuch gab die Ehefrau des Patienten jeweils „Makula-Netzhautdiagnostik/OCT“
an. Die hierbei in Betracht kommenden Leistungen werden im Einzelfall in einem bestimmten
Umfang von der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt; im Übrigen handelt es sich
um eine sog. Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL). Die Ehefrau des Patienten selbst
war privat und der Patient gesetzlich krankenversichert. Den Hinweis auf der Homepage,
dass Selbstzahler die Kosten für die Behandlung selbst übernehmen müssen, verstand
die Ehefrau des Patienten dahin, dass er sich auf die sogenannten IGeL-Leistungen
beziehe. Am Tag nach der Terminbuchung rief eine Mitarbeiterin der Praxis des beklagten
Arztes bei dem Patienten an, um den Termin zu bestätigen und die Einzelheiten zu besprechen.
Die Ehefrau des Patienten gab an, dass ihr gesagt worden sei, dass ihr Ehemann als
gesetzlich krankenversicherter Patient für den frühen Termin 150,00 Euro zu zahlen
habe, weil die Praxis bis weit in den September ausgebucht sei und frühere Termine
für Nottermine reserviert seien. Tatsächlich seien aber in dem System über der Online-Plattform
täglich ab dem 20.06.2022 freie Termine verfügbar gewesen. Die Verbraucherzentrale
machte geltend, der beklagte Arzt habe ausdrücklich von gesetzlich Versicherten für
die Vergabe eines frühen Termins verlangt, dass diese die Leistungen selbst bezahlen.
Es handele sich damit um eine privatärztliche Versorgung, die statt der den Patienten
an sich zustehenden Sachleistung angeboten wurde. Der beklagte Arzt verlange für die
Terminvergabe den gesetzlich Versicherten Patienten ab, eine Leistung, die zumindest
in Teilen von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden würde, selbst
zu bezahlen. Zudem machte die Verbraucherzentrale geltend, dass ein solches Terminangebot
insbesondere für Patienten mit akuten Beschwerden/Schmerzen nicht rechtmäßig sein
könne und es sich hierbei um unlauteres Verhalten im Wettbewerb handle.
2. Entscheidungsgründe
Das LG entschied, dass ein solches Verhalten durch den beklagten Arzt zukünftig zu
unterlassen sei, da sowohl das Anbieten früherer Termine als auch das Anbieten solcher
Termine bei akuten Schmerzen/Beschwerden nicht im Einklang mit dem Wettbewerbsrecht,
insbesondere § 3a und § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
(UWG) stehe.
Zunächst ordnete das LG das Bereitstellen der Termine auf der Online-Plattform als
eine geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Nr. 2 UWG ein. Eine geschäftliche Handlung
ist jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens,
bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des
Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung
eines Vertrages über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar zusammenhängt. Das Anbieten
von Terminen auf der Online-Plattform stellt das Anbieten eigener Dienstleistungen
dar, die unmittelbar den Absatz steigern sollen. Nach dem UWG, aber auch anderen Gesetzen,
wie dem Bürgerlichen Gesetzbuch, werden vertragsärztliche Praxen als Unternehmen behandelt.
Die besonderen Regelungen des (Vertrags-)Arztrechts zog das LG im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen
Betrachtungsweise heran. Durch die Einordnung der Terminabsprache als geschäftliche
Handlung nach § 2 Nr. 2 UWG war der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts für den
Rechtsstreit eröffnet.
Wettbewerbswidriges Verhalten bestimmt sich nach den weiteren Regelungen des UWG,
wobei das Gericht für das Anbieten früherer Termine als Selbstzahlerleistung § 3a
Abs. 1 S. 1 UWG heranzog. Dieser bestimmt:
„Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu
bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der
Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern
oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.“
Das Merkmal „wettbewerbswidrig“ wird an „unlauterer“ Verhaltensweise festgemacht.
Unter unlauterer Verhaltensweise wird Verhalten verstanden, welches entgegen den guten
Sitten ist. Zur Bestimmung dessen sind die Umstände des und die Auslegung im Einzelfall
maßgeblich, da ein konkreter Maßstab nicht existiert.
a. Unerlaubte Zuwendung nach § 32 Abs. 1 Satz 1 M-BOÄ
In der Entscheidung liegt der Schwerpunkt auf der Einordnung unlauteren Verhaltens
durch Verstoß gegen eine gesetzliche Vorschrift, die geeignet und dazu bestimmt ist
auch die Interessen der Marktteilnehmer zu schützen. Konkret stellte das LG in dem
Rechtsstreit auf die in Nordrhein geltende Vorschrift des § 32 Abs. 1 S. 1 der Berufsordnung
für Ärztinnen und Ärzte[
2
] ab. Die Berufsordnung einer Kammer, wie hier der Ärztekammer Nordrhein, ist eine
Satzung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, die Rechtsnormcharakter gegenüber
den Kammermitgliedern hat. § 32 Abs. 1 S. 1 der Berufsordnung ist somit eine gesetzliche
Vorschrift im Sinne des Art. 2 EGBGB. Der Wortlaut des § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrhein
ist identisch mit dem Wortlaut der Muster-Berufsordnung (M-BOÄ). Da der Wortlaut der
Berufsordnungen der übrigen Ärztekammern in der Regel mit dem der M-BOÄ gleichlautend
ist, können die folgenden Ausführungen grundsätzlich auf die Berufsordnungen anderer
Ärztekammern übertragen werden. Gemäß § 32 Abs. 1 S.1 BO-Ä Nordrhein ist es Ärzten
nicht gestattet, von Patienten oder Anderen Geschenke für sich oder Dritte zu fordern
oder sich oder Dritten versprechen zu lassen oder anzunehmen, wenn hierdurch der Eindruck
entsteht, dass die Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird.
Der § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrhein bezweckt einerseits die Stärkung der Unabhängigkeit
des Arztes. Andererseits dient die Norm dem Schutz des Patienten, indem einer unsachlichen
Beeinflussung der ärztlichen Behandlung entgegengewirkt werde soll.[
3
] Die Norm wird weit ausgelegt, die Rechtsprechung stellt überwiegend auf die Wirkung
nach außen ab; insofern ist das objektive Erscheinungsbild der betreffenden Handlungen
relevant. Im Kern kommt es darauf an, welcher Eindruck durch das Verhalten eines Arztes
entsteht. Das LG Düsseldorf stellte fest, dass die Norm das Marktverhalten des Arztes
regelt. Weiter verweist das LG darauf, dass diese Grundsätze auch gegenüber den anderen
Markteilnehmern – hier also den anderen Ärzten – eine Ausstrahlungswirkung haben.
Ausschlaggebend ist hier systemgerechtes, also compliantes Verhalten. Der Mitbewerber
werde durch die Norm davor geschützt, dass der Andere sich nonkonform verhalte. Im
Kontext dessen wird aus der Norm ein Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten
Wettbewerb auf dem Gebiet der Gesundheitsversorgung hergeleitet. Das LG ist der Ansicht,
der beklagte Arzt habe durch die Selbstzahler-Termine einen Vorteil von einem gesetzlich
krankenversicherten Patienten erlangt. Im Gegenzug erhielt der Patient einen früheren
Termin. Der objektive Tatbestand des § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrheins lag also nach
Ansicht des Gerichts vor. In den Entscheidungsgründen wird indes nicht darauf eingegangen,
wie aus der reinen Selbstzahlerleistung, die gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 2 Bundesmantelvertrag
für Ärzte (BMV-Ä) rechtmäßig abgerechnet werden darf, ein Vorteil im Sinne des § 32
Abs. 1 S. 1 M-BOÄ abgeleitet werden kann. Zunächst wäre klärungsbedürftig, für welche
Leistung die Selbstzahlergebühr tatsächlich abgerechnet werden sollte – für die frühere
Vereinbarung des Termins oder die innerhalb des Termins voraussichtlich vorzunehmenden
Behandlungen. Erst nach dieser Festlegung hätte das LG der Frage nachgehen können,
ob es sich um eine Selbstzahlerleistung im Sinne des § 18 Abs. 8 BMV-Ä handelt.
Zusammengefasst liegt nach Ansicht des LG durch das Anbieten früherer Termine gegen
eine Selbstzahlergebühr wettbewerbswidriges Verhalten vor und der Arzt hat ein solches
Verhalten zukünftig zu unterlassen.
b. Behandlung von Patienten mit akuten Schmerzen oder Beschwerden
Gegenstand der Entscheidung war darüber hinaus die Terminvergabe für Patienten mit
akuten Beschwerden/Schmerzen, welche ebenfalls mit dem Hinweis auf Selbstzahlergebühren
versehen wurde. Die Rechtswidrigkeit dessen wird ebenfalls an das Wettbewerbsrecht
angeknüpft, entscheidend ist dabei der § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG, da es sich um eine geschäftlich
irreführende Handlung handelt. Irreführend ist eine Handlung in der Regel dann, wenn
sie unwahre Angaben enthält oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über die
wesentlichen Merkmale der Ware oder Dienstleistung enthält. Hierbei werden nähere
Kategorien zur Einordnung aufgelistet. Unter anderem gehört hierzu die Verfügbarkeit
oder auch die Erbringung der Leistungen. Die Behandlung von gesetzlichen Versicherten
mit akuten Beschwerden/Schmerzen kann und wird rein tatsächlich nicht als Selbstzahler-Leistung
erbracht.
Der Arzt gab an, dass Patienten mit akuten Beschwerden/Schmerzen frühere Termin unabhängig
ihres Versicherungsstatus erhalten würde, ohne dass eine Selbstzahlergebühr zu entrichten
sei. Jedoch entsteht aufgrund der Anzeige des oben genannten Hinweistextes zu Selbstzahlerleistungen
bei der Terminbuchung selbst für den Fall der Auswahl des Termines aufgrund akuter
Beschwerden/Schmerzen fehlerhaft und insofern unwahr der Eindruck, dass dieser Termin
selbst zu zahlen sei. Das Gericht führte an, dass der Patient vor der Buchung den
Hinweis zur Selbstzahlergebühr bestätigen müsse, bevor er einen Termin auswählen könne.
Er kann dem Onlinebuchungssystem daher nicht entnehmen, dass die Behandlung aufgrund
akuter Beschwerden/Schmerzen nicht an eine Selbstzahlergebühr gekoppelt sei. Diese
Irreführung ist nach Ansicht des LG dazu geeignet, den Patienten zu einer geschäftlichen
Handlung zu veranlassen, die er ansonsten nicht getroffen hätte, da er sich bereit
erklärt, die Leistung als Selbstzahlerleistung wahrzunehmen. Diese Betrachtung ist
unabhängig davon, ob sich die Marktteilnehmer entschließen, tätig zu werden. Ebenfalls
kommt es in diesem Kontext nicht darauf an, ob der Vertrag zivilrechtlich wirksam
ist, da als geschäftliche Entscheidung bereits solche Entscheidungen angesehen werden,
die im unmittelbaren Zusammenhang der eigentlichen Erwerbsentscheidung vorgelagert
sind. Insofern knüpft das Gericht zur rechtlichen Bewertung in diesem Fall an die
subjektive Wahrnehmung des Verbrauchers, hier also des Patienten, an. Es kommt daneben
rechtlich nicht darauf an, ob der Arzt, wenn er bei dem Patientenkontakt bemerkt hätte,
dass der Patient wegen akuter Beschwerden/Schmerzen vorstellig geworden wäre, keine
Rechnung nach der GOÄ erstellt hätte.
c. Zusammenfassung
Im Ergebnis hat der beklagte Arzt es zukünftig zu unterlassen, für die Vergabe von
Termine zur Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Patienten die Übernahme
der Behandlungskosten als Selbstzahler zu fordern und gesetzlich krankenversicherte
Patienten mit akuten Beschwerden/Schmerzen Behandlungstermine anzubieten, für die
diese die Kosten der Behandlung selbst übernehmen müssen.
Im Rahmen der Entscheidung nahm das Gericht außerdem an, dass der beklagte Arzt für
die Behandlung eine Pauschale für die Behandlung von dem gesetzlichen Versicherten
verlangt habe. Da hier die Details des Gespräches zwischen der Ehefrau und der Mitarbeiterin
des beklagten Arztes nicht genauer aufgeklärt werden konnten, ließ das Landgericht
diesen Punkt offen, wobei der Hinweis erfolgte, dass ein pauschaler Betrag allein
deshalb schon rechtswidrig wäre, weil Teile der Leistung dem Patienten im Rahmen des
Sachleistungsprinzips zuständen.
III. Kritische Würdigung
Im Wettbewerbsrecht kommt es häufig auf die Frage der Irreführung von Dritten an.
Daher ist die Entscheidung vor dem Hintergrund des Wettbewerbsrechts zu verstehen
und trifft nicht per se absolute Aussagen über die berufs- und abrechnungsrechtliche
(Un-)Zulässigkeit von Selbstzahlerleistungen in der in Streit stehenden Fallkonstellation.
Da das LG sich primär auf die Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit
beschränkte und der Inhalt des Telefonats zwischen dem Praxispersonal und der Ehefrau
des Klägers unklar blieb, blieb offen, ob es sich bei der in Streit stehenden Selbstzahlergebühr
um eine solche Gebühr handelte, die für den Termin als solchen entrichtet werden sollte
oder für die voraussichtlich im Rahmen des Behandlungstermins zu erbringenden und
abzurechnenden Leistungen, sprich eine Kostenschätzung für eine voraussichtlich zu
erbringende augenärztliche Leistung.
Ärzte müssen nach den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (vgl. § 630c Abs. 3
BGB) zum Behandlungsvertrag bei Selbstzahlerleistungen und individuellen Gesundheitsleistungen
(„IGeL“) die Patienten in Textform wirtschaftlich dahingehend aufklären, dass es sich
bei den Selbstzahlerleistungen, wenn diese zugleich Teil der GKV-Versorgung sind,
um Leistungen handelt, für die die gesetzliche Krankenversicherung grundsätzlich aufkommen
würde oder um solche Leistungen, für die die gesetzliche Krankenversicherung nicht
aufkommt.
Bei Selbstzahlerleistungen, in diesem Fall hier Leistungen, die von der gesetzlichen
Krankenversicherung grundsätzlich getragen würden, haben Vertragsärzte unbedingt § 128
Abs. 5a SGB V zu beachten. Danach verstoßen Vertragsärzte, die unzulässige Zuwendungen
fordern oder annehmen oder Versicherte zur Inanspruchnahme einer privatärztlichen
Versorgung anstelle der ihnen zustehenden Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
beeinflussen, gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten. Die Folge eines solchen Verstoßes
können eine Disziplinarmaßnahme der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung sein
oder die Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung.
Das LG nahm § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrhein als Schutznorm an, die nicht nur den Schutz
von Patienten, sondern auch anderer Marktteilnehmer bezwecke. Bei genauerer Betrachtung
des Vorteils, ist der einzige Vorteil gegenüber anderen Arztpraxen, dass der Patient
einen früheren Termin in der Arztpraxis erhält, in welcher er die Gebühr entrichtet.
Fordert der Arzt für seine ärztliche Leistung dasjenige, was nach der Gebührenordnung
für Ärzte (GOÄ) tatsächlich zu fordern ist, lässt sich der Gebühr kein Vorteil entnehmen.
Für eine echte Termingebühr, also eine ohne ärztliche Gegenleistung, findet sich andererseits
kein rechtfertigender Rechtsgrund. Das LG hätte in diesem Aspekt die Feststellung
treffen müssen, dass mit einer solchen zeitnahen Terminvergabe bei systemkonformen
Verhalten kein echter, ungestörter Wettbewerb mit den anderen Praxen möglich wäre.
Ebenfalls im Rahmen der Entscheidung außer Acht gelassen hat das LG die Auseinandersetzung
mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Der beklagte Arzt
hatte seine Sprechzeiten, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung vorgeschrieben
sind, angeboten und nachgewiesen. Die vertragsärztlichen Kapazitäten sind, wie sich
an den nur zu späteren Zeitpunkten anbietbaren Terminen zeigt, ausgelastet. Über diese
Kapazitäten hinaus zu verlangen, weitere Patienten – unabhängig davon, wie diese versichert
sind – zu behandeln, stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Arztes aus Art. 12
Abs. 1 GG dar. Ausgeschlossen sind hier Notfallbehandlungen oder Behandlungen aufgrund
akuter Beschwerden/Schmerzen.
Selbstzahlerleistungen können selbstverständlich auch weiterhin erbracht werden. Offen
bleibt, ob es sich bei der zu zahlenden Leistung um eine feste Gebühr handelt oder,
wie es realitätsnäher wäre, um einen ersten Kostenvoranschlag für die Inanspruchnahme
der IGeL. Zur wirksamen Vereinbarung einer IGeL ist eine wirtschaftliche Aufklärung
über die zu erwartenden Kosten im Voraus notwendig. Geht man aber nun, wie es das
LG ausführt, davon aus, dass die Kosten nicht hätten beziffert werden können, da noch
unklar war, welche Leistungen im Rahmen des Sachleistungsprinzips von der gesetzlichen
Krankenversicherung übernommen worden wären, so hätte keine wirtschaftliche Aufklärung
erfolgen können.
Aus dem Berufsrecht lässt sich weder eine Bevorzugung oder Benachteiligung von privat
oder gesetzlich krankenversicherten Patienten ableiten. Die zur Verfügung stehenden
oder zur Verfügung gestellten Kapazitäten sind hiervon unabhängig zu betrachten. Dem
Arzt bzw. der Praxis kann man nicht die fehlenden Kapazitäten vorwerfen, wenn dieser
den Anforderungen in der GKV nachkommt bzw. nachgekommen ist.
Im hiesigen Fall war entscheidend, ob der beklagte Arzt während der regulären vertragsärztlichen
Sprechzeiten der Praxis die Behandlung durchführen sollte oder außerhalb. So stellte
das Landgericht fest, dass es dem beklagten Arzt freistehe, über die verpflichtenden
Sprechstunden in der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus bestimmte Zeiten für
Privatpatienten zu reservieren oder die Praxis ganz zu schließen, soweit er das für
Vertragsärzte vorgeschriebene Stundenkontingent für gesetzlich krankenversicherte
Patienten im Übrigen erfülle. Es wird nichts gegen die Erbringung von Selbstzahlerleistungen
per se vorgebracht. Diese müssen eben innerhalb der privatärztlichen Sprechstunden
und außerhalb der vertragsärztlichen Sprechstunden durchgeführt werden.
Auf die Pauschalisierung der Behandlungskosten ging das Landgericht nicht weiter ein,
jedoch ist an dieser Stelle anzumerken, dass eine Pauschale rechtlich in der Radiologie
nicht zulässig ist. Der Radiologe kann nur ungefähre und vorläufige Werte aufgrund
der Anknüpfung an die GOÄ nennen und auf deren Vorgaben zur Bestimmung von z. B. Steigerungsfaktoren
hinweisen. In anderen ärztlichen Fachgebieten gibt es in dieser Frage Möglichkeiten
einer festen Vereinbarung.
Die Kritik gegenüber dem Anbieten früherer Termine für Patienten mit akuten Beschwerden/Schmerzen
ist insofern nachvollziehbar, dass nicht einmal auf die offenen Sprechstunden hingewiesen
wird und bei dem Patienten durchaus der Eindruck entstehen kann, dass er die Kosten
in allen Fällen selbst zu tragen habe oder der Patient für etwas zu zahlen habe, was
von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen würde. Beides ist zumindest wettbewerbsrechtlich
irreführend und wäre undifferenziert inhaltlich unzutreffend. Der Hinweistext selbst
erweist sich bei genauer Betrachtung als widersprüchlich. Der von dem beklagten Arzt
gewählte Begriff einer „Selbstzahlergebühr“ spricht klar für eine zusätzliche Zahlung
und nicht für Leistungen, die nach der GOÄ abgerechnet werden sollen.
Stark zu kritisieren ist in dem Urteil die knappe Bejahung des Vorliegens einer unerlaubten
Zuwendung nach § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrhein. Bei der Selbstzahlerleistung handelt
es sich nach § 18 Abs. 8 Nr. 2 BMV-Ä um Leistungen, die unter Anwendung der GOÄ gegenüber
dem Patienten selbst abgerechnet werden. Auch für IGeL nach § 18 Abs. 8 Nr. 3 BMV-Ä
ergibt sich die Abrechnung nach den Maßstäben der GOÄ. Der Arzt ist zur Anwendung
der GOÄ gesetzlich verpflichtet, er erhält daher keinen Vorteil, solange er die ärztliche
Tätigkeit, die er berechnet, tatsächlich erbracht hat und die berechneten Kosten tatsächlich
angefallen sind. Aus einer korrekten Abrechnung und Bezahlung nach der GOÄ kann aus
§ 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrhein keine Zuwendung des Patienten oder eines Dritten an
den Arzt folgen. Durch eine abrechnungsrechtlich zulässige Vergütung nach der GOÄ
kann kein Eindruck der Beeinflussung des Arztes in seiner ärztlichen Entscheidung
entstehen.[
4
] Im Rahmen der Entscheidung schreibt das Landgericht weder darüber, ob die Leistungen
tatsächlich nach der GOÄ als zulässig angesehen worden wären und in der gewünschten
Behandlung tatsächlich erbracht worden wären. An dieser Stelle hätte das Landgericht
darauf eingehen müssen, dass eine Termingebühr, das heißt die Entrichtung eines Betrages
schlicht für die Möglichkeit einer früheren Terminvereinbarung, nicht als Selbstzahlerleistung
eingeordnet werden kann. § 18 Abs. 8 Nr. 3 BMV-Ä setzt voraus, dass es sich überhaupt
um eine ärztliche Leistung handelt, für die der Anwendungsbereich der GOÄ eröffnet
ist. Der Anwendungsbereich ist gemäß § 1 Abs. 1 GOÄ aber auf „berufliche Leistungen“
des Arztes begrenzt. Das heißt in der GOÄ werden lediglich Vergütungsregelungen für
Leistungen getroffen, die typischerweise in Ausübung des ärztlichen Berufes erbracht
werden.[
5
] Erforderlich ist daher die Ausübung der Heilkunde am Menschen. Die Möglichkeit einer
früheren Terminvereinbarung stellt jedoch keine medizinische Leistung oder gar Ausübung
der Heilkunde am Menschen dar, sondern dient allein der Organisation eines Behandlungstermines,
im Rahmen dessen es zu einer „beruflichen Leistung“ des Arztes im Sinne des § 1 Abs. 1
GOÄ kommen kann. Daraus folgt, dass es sich nicht um eine Selbstzahlerleistung im
Sinne des § 18 Abs. 8 Nr. 3 BMV-Ä handelt und zudem mangels Eröffnung des Anwendungsbereiches
keine abrechnungsrechtliche Grundlage in der GOÄ existiert.
Letztlich sollte unabhängig von den vorstehenden Ausführungen nicht außer Acht gelassen
werden, dass zumindest sobald objektiv der Eindruck entsteht, der gesetzlich krankenversicherte
Patient zahle eine zusätzliche Gebühr dafür, einen früheren Termin zu erhalten, objektiv
der Tatbestand der unerlaubten Zuwendung im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 1 BO-Ä Nordrhein
vorliegt. Die Begründung im Rahmen der Entscheidung trägt nur wenig zu einer Klarstellung
bei, sodass letztlich davon ausgegangen werden muss, dass das Gericht von einer solchen
Gebühr ausging.
IV. Einordnung und Folgen für die Praxis
IV. Einordnung und Folgen für die Praxis
Einige wesentlich Aspekte aus der Entscheidung sollten für die radiologische Praxis
mitgenommen werden können. Bei dem beklagten Arzt handelt es sich um einen Augenarzt,
sodass auf die wesentlichen Unterschiede zur Praxis eines Radiologen hinzuweisen ist.
Da es sich in der Regel bei niedergelassenen Radiologen um ausschließliche Bestellpraxen
handelt, ist zumindest, was die Ermöglichung früherer Termine für Patienten mit akuten
Schmerzen/Beschwerden anbelangt, die Entscheidung weniger relevant. Umso mehr jedoch
der Aspekt zu der früheren Terminvergabe für planbare Leistungen. Ohnehin ging das
Landgericht nicht so weit und unterstellte, dass der beklagte Arzt in Akutfällen keine
Termine anböte, das war für den Patienten auf der Online-Plattform allerdings nicht
erkennbar und daher aus Sicht der Patienten und des Wettbewerbes irreführend.
Ein einfacher Hinweistext, so wie bei dem beklagten Augenarzt im Online-Buchungsportal,
ist regelhaft sehr problematisch. Die starke Verkürzung von Hinweistexten schadet
dem Anwender, also regelmäßig dem Arzt. Es sollte beim Anbieten von Selbstzahlerleistungen
auf Online-Buchungsportalen ein ausführlicher Aufklärungstext vorgesehen werden und
strikt auf die Zuordnung in die privatärztliche Tätigkeit geachtet werden.
Weitere Problematiken ergeben sich insbesondere für IGeL. Bei diesen handelt es sich
grundsätzlich um Leistungen, für die Patient selbst aufkommen muss. IGeL sind solche
individuelle Gesundheitsleistungen, die auf eigenes Bestreben des Patienten insbesondere
für etwaige Vorsorgeuntersuchungen durch den Arzt auf Grundlage der GOÄ erbracht werden,
da die Leistungen nicht Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind. Im Rahmen
solcher IGeL kann sich allerdings recht schnell auch eine medizinisch indizierte Diagnose
ergeben, die in die vertragsärztliche Versorgung fällt und somit nicht mehr als Selbstzahlerleistung
erbracht werden dürfte. Auch hier besteht hohes Konfliktpotential – es kann entweder
die Weiterbehandlung als Selbstzahler erfolgen oder der Patient muss weggeschickt
werden, um sich mit einer Überweisung erneut vorzustellen. Zweiteres wäre wohl das
rechtlich sichere, wobei eine klare Entscheidung hier nicht getroffen werden kann,
und diese stark von dem Einzelfall abhängig wäre.
Der Entscheidung des Landgerichtes kann entnommen werden, wie wichtig die Differenzierung
zwischen vertragsärztlichen und privatärztlichen Sprechstunden zu gestalten ist. Zudem
muss unbedingt aus dem Urteil die Erkenntnis gezogen werden, mit welchem sprachlichen
und sachlichen Fingerspitzengefühl Selbstzahlerleistungen als auch IGeL im Rahmen
der Sprechzeiten zu behandeln sind. Das Potential, hier Fehler zu machen bzw. sich
aufgrund von Ungenauigkeiten, wie sie im vorliegenden Fall bestanden, Probleme aufzuladen,
ist hoch. Die konkreten gesetzlichen Vorgaben sind zudem unklar und die Rechtsprechung
sehr penibel und in der Regel entfernt von der Alltagstauglichkeit. Dies zeigt sich
wohl am eindrücklichsten daran, dass zwar nach höchstrichterlicher Rechtsprechung
zur wirksamen Vereinbarung von IGeL, bzw. Selbstzahlerleistungen allgemein die ungefähr
zu erwartenden Gesamtkosten im Rahmen der wirtschaftlichen Aufklärung zu beziffern
sind, vorliegend das Gericht sich hieran allerdings aufhängt. Das Gericht führt hier
an, dass man die Gesamthöhe nicht hätte im Voraus bestimmen können, da noch unklar
war, welche Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung medizinisch indiziert
wären.
Die Differenzierung zwischen vertragsärztliche und privatärztliche Sprechstunden sollte
klar und sauber erfolgen, wobei das direkte Anbieten von Selbstzahlerleistungen allgemein
sehr umstritten bleibt, auch wenn diese eindeutig privatärztlichen Sprechstunden zugeordnet
werden könnten. Letztlich heißt es in § 18 Abs. 8 Nr. 2 BMV-Ä, dass die Leistung auf
Verlangen des Versicherten erbracht wird.
Gemäß § 18 Abs. 8 S. 3 Nr. 3 BMV-Ä dürfen Ärzte für Leistungen, die nicht Bestandteil
der vertragsärztlichen Versorgung sind, unmittelbar von Patienten eine Vergütung nur
fordern, wenn die dort niedergelegten Voraussetzungen eingehalten worden sind. Gemäß
§ 18 Abs. 8 S. 2 BMV-Ä kann der Vertragsarzt die Versicherten nicht zur Inanspruchnahme
einer privatärztlichen Versorgung an Stelle der ihnen zustehenden Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung beeinflussen. Dies verstoße gegen ihre vertragsärztlichen Pflichten.
Die Inanspruchnahme nach der Leistung als Selbstzahler muss daher ausschließlich auf
Wunsch des Versicherten erfolgen. Unterschieden werden muss hier über den Hinweis,
dass eine Leistung zu dem ausgewählten Zeitpunkt letztlich in die privatärztliche
Sprechstunde fällt. Dieser Hinweis sollte, wie bereits erwähnt, nicht zu knapp ausfallen,
um den gesetzlichen Bestimmungen gerecht zu werden und nicht am Ende irreführend zu
einer fehlerhaften Bewertung des Anbietens als unrechtmäßig führen. Die Kalender zwischen
den Online-Terminbuchungs-Plattformen sollten entsprechend mit dem Kalender der Praxis
synchronisiert sein und wie bereits erwähnt am besten zwischen den vertragsärztlichen
und privatärztlichen Sprechstunden unterscheiden.
Wie sich an diesem Fall deutlich zeigt, ist die gesamte Thematik um Selbstzahlerleistungen,
IGeL und Termingebühren unverändert brisant, da die genauen Parameter für die rechtliche
Einordung je nach Einzelfall sehr unterschiedlich sein können.
René T. Steinhäuser
Rechtsanwalt
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