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DOI: 10.1055/a-2507-1917
Morbiditätsrisiken bei Leihmüttern und ihren Neugeborenen
Severe Maternal and Neonatal Morbidity Among Gestational Carriers.
Ann Intern Med 2024;
177: 1482-1488
DOI: 10.7326/M24-0417
Nicht überall ist Leihmutterschaft erlaubt. In Ländern, in denen sie legalisiert ist, wird sie zunehmend in Anspruch genommen. Es gibt jedoch wenig verlässliche Statistiken dazu und v.a. wenig fundierte Daten zu Risiken für die Leihmutter und für den Fetus bzw. für das Neugeborene. In Expertenkreisen werden schon länger verbindliche Leitlinien für einen möglichst unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf in dieser Situation gefordert.
In Kanada wird Leihmutterschaft, solange sie nicht kommerziell angeboten wird, akzeptiert. Ein Ärzteteam unter Leitung von M. P. Velez, Department of Obstetrics and Gynecology, Queen’s University, Kingston, Ontario, befasste sich mit dieser Praxis und konnte sich dabei auf Daten in verschiedenen digitalen Archiven des kanadischen Gesundheitssystems stützen. Velez et al. evaluierten in einer retrospektiven Studie die Risiken einer Leihmutter-Schwangerschaft (Gruppe 1) im Vergleich zu Schwangerschaften, die auf einer natürlichen Konzeption beruhten (Gruppe 2) und zu Schwangerschaften, die bei leiblichen Müttern durch In-vitro-Fertilisation (IVF) zustande gekommen waren (Gruppe 3). Die Studie berücksichtigte alle registrierten Einlingsschwangerschaften und alle Geburten>20 Schwangerschaftswochen in Ontario zwischen April 2012 und März 2021. In allen 3 Gruppen überprüften die Forschenden die Rate bedrohlicher Gestationserkrankungen bei den werdenden Müttern (SMM: severe maternal morbidity) sowie die Rate schwerer Erkrankungen bei den Neugeborenen (SNM: severe neonatal morbidity). Der SMM-Katalog des Canadian Perinatal Surveillance System enthält gravierende, auf 41 Indikatoren basierende, meist kombinierte Störungen, darunter Präeklampsie, Eklampsie, HELLP-Syndrom, Hysterektomie, schwere postpartale Hämorrhagie (PPH) und Puerperalsepsis. Der SNM-Katalog besteht aus 19 Indikatoren. Zusätzlich suchte die Forschergruppe nach Risiken, die nicht nur als SMM- bzw. SNM-Komponenten, sondern auch isoliert vorkommen, wie hypertensive Schwangerschaftsstörungen, PPH, Kaiserschnittentbindungen und Frühgeburten.
Die Analysen umfassten u.a. eine Propensity-Score-Gewichtung, um Basismerkmale der Mütter und Leihmütter zu balancieren, sowie Stratifizierungen nach Alter (<35Jahre, >35 Jahre) und Adipositas (ja oder nein).
Ergebnisse
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Von 863017 registrierten Einlingsgeburten waren 806 von einer Leihmutter ausgetragen (Gruppe 1), 846124 (97,6%) waren auf eine natürliche Konzeption zurückzuführen (Gruppe 2), 16057 (1,8%) auf IVF bei der leiblichen Mutter (Gruppe 3).
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Das SMM-Risiko in Gruppe 1 betrug 7,8%, es lag bei 2,3% in Gruppe 2 und bei 4,3% in Gruppe 3. In allen 3 Gruppen waren schwere PPH, Präeklampsie und Puerperalinfektion die häufigsten SMM-Komponenten. PPH lag bei 2,3% der Fälle in Gruppe 1 vor, bei 0,46% in Gruppe 2 und bei 1,36% in Gruppe 3. Präeklampsie kam in 1,86% der Gruppe 1-Fälle, in 0,42% der Gruppe 2-Fälle und in 0,94% der Gruppe 3-Fälle vor. Die Stratifizierungen änderten die Resultate nicht.
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Das relative SMM-Risiko (RR) bei einer Leihmutter-Schwangerschaft betrug im Vergleich zu einer Schwangerschaft, die auf natürlichem Weg zustande gekommen war, 3,30 und im Vergleich zu IVF 1,86. Es gab keine Todesfälle in Gruppe 1, dagegen 58 in Gruppe 2 und 6 in Gruppe 3.
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Das RR war auch für hypertensive Schwangerschaftsstörungen und PPH außerhalb der SMM-Komplexe in Gruppe 1 höher als in den Vergleichsgruppen. Die Rate notfallmäßiger Kaiserschnitte war in allen 3 Gruppen ähnlich.
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Das SNM-Risiko betrug 5,9% nach natürlicher Empfängnis, 8,9% nach IVF bei der leiblichen Mutter und 6,6% nach einer Leihmutter-Schwangerschaft. Das RR für eine Frühgeburt war mit einer Leihmutter zwar höher, der Unterschied neonataler Erkrankungen war aber nicht signifikant.
Im Vergleich zu Schwangerschaften leiblicher Mütter, egal ob sie durch natürliche oder assistierte Konzeption zustande gekommen waren, ergab die Untersuchung ein signifikant höheres Schwangerschaftsrisiko für Leihmütter.
Die v.a. unter gleichgeschlechtlichen männlichen Paaren zunehmende Inanspruchnahme einer Leihmutter zur Familiengründung erfordert dem Autorenteam zufolge die Implementierung entsprechender medizinischer Richtlinien. Leihmütter könnten auf dieser Basis risikobezogen ausgewählt und beraten werden. Wie die Argumentationslinie zeigt, sehen Velez et al. Forschung und Medizin in der Verantwortung für Frauen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, als Leihmutter zur Verfügung stellen.
Dr. med. Dr. phil. R. Maria Clauss, Lappersdorf/Regensburg
Publication History
Article published online:
06 February 2025
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