MSK – Muskuloskelettale Physiotherapie 2025; 29(02): 67-72
DOI: 10.1055/a-2509-2864
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Lumbale Bewegungskontrolle bei unspezifischen chronischen Rückenschmerzen: Auswertung einer richtungsspezifischen Testbatterie mit Hilfe der Item-Response-Theorie

Lumbar Movement Control in Non-Specific Chronic Low Back Pain: Evaluation of a Direction-Specific Battery of Tests using Item Response Theory

Zusammenfassung

Fragestellung

Das Ziel dieser Studie war, die Dimensionalität und psychometrischen Eigenschaften einer Batterie lumbaler Bewegungskontrolltests mit Hilfe der Item Response Theory zu bewerten. Die Studie hatte hierzu 3 Zielsetzungen: 1. Untersuchung, ob die lumbale Bewegungskontrolle (LMC) am besten richtungsspezifisch oder als Gesamtscore gemessen wird, 2. Validierung der Testbatterie zur Messung der LMC und 3. Quantifizierung der Fähigkeit von Patient*innen mit unspezifischem Lendenwirbelsäulenschmerz, die Bewegungen der Lendenwirbelsäule aktiv zu kontrollieren.


Physiotherapeutischer Hintergrund

Ein möglicher Faktor bei unspezifischen, chronischen Rückenschmerzen (LBP) ist eine schlechte LMC [1] [2] [3] [4] [5]. Nach wie vor bestehen jedoch Kontroversen über die Rolle der LMC bei LBP, z. B. ob der Schmerz Ursache oder Folge von unangepassten Kontrollstrategien ist [6].

LMC ist definiert als die Fähigkeit, Bewegungen in der Lendenwirbelsäule aktiv zu kontrollieren, während gleichzeitig Bewegungen in anderen Regionen ausgeführt werden [7] [8]. Eine schlechte LMC ist gekennzeichnet durch übermäßige oder vorzeitige unwillkürliche Bewegung der Lendenwirbelsäule bei funktionellen Aufgaben, typischerweise in eine bestimmte Richtung [9]. Sie steht in Verbindung mit übermäßiger Gewebebelastung und nachfolgenden Verletzungen und kann dadurch die Entwicklung und Persistenz von LBP fördern [9]. Frühere Studien deuten darauf hin, dass LMC-Übungsprogramme LBP langfristig reduzieren könnten [7], was neuere Untersuchungen jedoch widerlegen [8] [10].

Zur Bewertung der LMC wurde eine Reihe verschiedener Tests vorgeschlagen [11] [12] [13]. Die Evidenz für ihre Validität ist jedoch begrenzt. Biele et al. (2019) und Luomajoki et al. (2008) untersuchten, ob Bewegungskontrolltests zwischen Patient*innen mit unspezifischem LBP und Gesunden unterscheiden können [14] [15]. In beiden Studien wurden die Testergebnisse für verschiedene Bewegungsrichtungen zusammengefasst, was im Gegensatz zu der richtungsspezifischen Annahme von anderen Arbeiten steht [11] [12] [13] [16].

Die Bewertung der LMC bei unspezifischem LBP ist komplex, was sich in der großen Anzahl an Tests widerspiegelt, wodurch eine Bewertung durch einen einzigen Test nicht möglich ist [17]. Die einzelnen LMC-Tests sind binär skaliert (richtig oder falsch), die LMC selbst wird jedoch auf einer kontinuierlichen Skala gemessen. Daher wird die Anwendung der Item Response Theory (IRT) erforderlich. IRT ist eine probabilistische Messtheorie und geht davon aus, dass die LMC erfasst werden kann, wenn Antworten auf jeden einzelnen LMC-Test existieren. Dabei schätzt die IRT die Wahrscheinlichkeiten für jede Antwortmöglichkeit für jeden einzelnen Test der LMC und der Item-Parameter. Bei Eignung des IRT-Modells ist es möglich, unterschiedliche Patient*innen mit unterschiedlichen Einzeltests zu beurteilen und dennoch vergleichbare Schätzungen der LMC zu erhalten. Die IRT könnte dazu beitragen, die komplexe Messung und Beurteilung der LMC zu lösen.


Studiendesign

Das Design der Studie ist eine multizentrische Querschnitt-Kohortenstudie.

Einschlusskriterien

  • Alter ≥18 Jahre

  • Fähigkeit, Anweisungen zu verstehen

  • unspezifischer LBP mit oder ohne ausstrahlende Beinschmerzen

  • Symptome ≥3 Monate


Ausschlusskriterien

  • spezifische Wirbelsäulenerkrankungen [18]


Untersucher*innen

  • 21 Physiotherapeut*innen (Durchschnittsalter: 39,5 Jahre; 9w/12m; durchschnittliche Berufserfahrung: 15,5 Jahre)

  • anerkannter Abschluss in Manueller Therapie (oder i.A.)

  • eineinhalbstündige Schulung zu den Tests mit ergänzendem Material


Prozedere

  • Bewertung anhand einer numerischen Ratingskala von: schmerzbedingter Beeinträchtigung bei alltäglichen Aktivitäten, Schmerzintensität, Bewegungsempfinden

  • Fear-Avoidance Beliefs Questionnaire (FABQ): Einschätzung der schmerzbedingten Ängste [19]

  • Fremantle Back Awareness Questionnaire (FreBAQ): Beurteilung der beeinträchtigten Körperwahrnehmung [20]


Lumbale Bewegungskontrolltests

15 Tests wurden ausgewählt:

  1. im Stand nach vorne beugen

  2. im Stand nach hinten strecken

  3. Arme heben im Stand

  4. Einbeinstand

  5. Knieextension im Sitzen

  6. Brust einsinken im Sitzen

  7. einseitige Heel Slide in Rückenlage

  8. beidseitiges Beinheben in Rückenlage

  9. in Rückenlage das gebeugte Knie zur Seite fallen lassen

  10. einseitige Knieflexion in Bauchlage

  11. einseitige Hüftextension in Bauchlage

  12. einseitige Hüftrotation in Bauchlage

  13. Rocking Backward im Vierfüßlerstand

  14. Rocking Forward im Vierfüßlerstand

  15. Hüftaußenrotation in Seitlage

Die Tests wurden mit standardisierter Anweisung und Reihenfolge durchgeführt. Bei „Nichtbestehen“ konnte jeder Test bis zu 3-mal wiederholt werden. „Nichtbestehen“ bedeutete, wenn Bewegungen der Lendenwirbelsäule nach dem subjektiven Urteil mittels Augenmaß der untersuchenden Person zu früh und/oder zu stark in die jeweilige Richtung (Extension, Flexion oder Rotation/Lateralflexion) erfolgten [21].


Proband*innen

  • 277 Teilnehmer*innen (61% w)

  • Durchschnittsalter: 42 Jahre (18–81 Jahre)

  • schmerzbedingte Beeinträchtigung bei alltäglichen Aktivitäten: 3 (Range: 0–10)

  • Schmerzintensität: 3,6 (Range: 0–10)

  • Bewegungsempfinden: 6,5 (Range: 0–10)

  • FABQ: 20,3 (Range: 0–60)

    • Subskala körperliche Aktivität: 9,5 (Range: 0–24)

    • Subskala Arbeit: 9,5 (Range: 0–42)

  • FreBAQ: 7,9 (Range: 0–27)





Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
15. Mai 2025

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