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DOI: 10.1055/a-2536-7159
KI-Systeme für die klinische Versorgung in der Radiologie Anspruchsvolle Adjutanten
Article in several languages: English | deutschAuthors
Entwurf einer Gebrauchsanleitung
Radiomics, die mathematische Analyse radiologischer Daten und Korrelation quantitativer Bildmerkmale mit klinischen Informationen, ist in der bildgebenden Diagnostik angekommen. Die neuen Systeme, die die KI der bildgebenden Diagnostik zur Verfügung stellt, besitzen nun das Potenzial, die bisherige Form der Auswertung der medizinischen Bilddokumente nach und nach zu verdrängen, zu einem fundamentalen Wandel der Interpretationstechnik zu führen und sich damit von Adjutanten zu veritablen Konkurrenten des Radiologen zu entwickeln. Wer grundsätzlich bereit ist, die neuen Geister anzuerkennen und ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen, wird viel Zeit gewinnen, aber womöglich zumindest einen Teil seiner interpretatorischen Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit in Gefahr bringen. Zwar ist die Radiologie seit ihren Anfängen eine genuin technikabhängige und auf die Weiterentwicklung der fotografischen Verfahren angewiesene Disziplin. Die Einführung neuer bildgebender Apparate hat ihren Vertretern aber stets die Möglichkeit zur Entwicklung innovativer Untersuchungsmethoden, also zu eigener schöpferischer Arbeit gegeben. Der Einfluss der dedizierten KI wird indes von einer anderen Dimension sein – siedelt sie sich doch wie eine multifunktionale Prothese im inhaltlichen Herzstück der diagnostischen Radiologie an. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Anerkennung der neuen Applikationen ist dennoch geboten; dauerhafte Auseinandersetzung und kriegerischer Widerstand sind nicht sinnstiftend. Aber bereits die Vorbereitung auf den Umgang mit den intelligenten Partnern zeigt, dass auch der gemeinschaftliche Weg nur dann zum Erfolg führen kann, wenn eine Reihe von Bedingungen dauerhaft erfüllt sind. Sie gilt es zu definieren, sie gilt es einzufordern, sie verlangen sowohl von den Anbietern wie den Benutzern zum Teil beträchtliche Zugeständnisse und Opfer.
Es ist wünschenswert und notwendig, dass die neuen Programme in klinischen Studien geprüft werden, es ist sinnstiftend, dass in den akademischen Einrichtungen der Radiologie mehr oder weniger eigenständige Abteilungen zur Prüfung und Weiterentwicklung der innovativen KI eingerichtet werden. Aber es ist noch viel wichtiger, dass sich die Nutzer selbst vor dem Einstieg in die Kooperation ein tragfähiges Fundament theoretischer Kenntnisse über den neuen Partner verschaffen. Es sollte undenkbar sein, dass man mit KI arbeitet, ohne deren Potenziale und Limitationen zu kennen. Dieses Verhalten wäre ebenso grotesk, wie wenn man ein neues bildgebendes Verfahren anwendet, ohne dessen physikalische Grundlagen und Funktionsweise eingehend studiert zu haben. Mit anderen Worten: Die Vertrautheit des Radiologen mit den theoretischen Fundamenten und den Modulen der fachbezogenen KI sollte sich im Laufe der Zeit dem Niveau der Kenntnisse annähern, die er von den Techniken der radiologischen Bildgewinnung besitzt. Wer sich entschließt, die neuen Angebote in vollem Umfang zu benutzen, muss deren Mathematik, Physik und Philosophie und die Funktionsweise der darauf basierenden Module im Detail kennen. Die dafür geeigneten Lernmittel kann sich jeder selbst aussuchen; das Spektrum wird von der Autodidaktik bis zum Wochenendseminar reichen.
Die Hersteller der KI-Applikationen müssen aber auch selbst aktiv werden. Es ist von ihnen ausnahmslos zu fordern, dass sie den Modulen Dokumentationen beifügen, die die Nutzer über das Unternehmen und dessen Mitarbeiter im Allgemeinen sowie über mögliche Ansprechpartner informieren. Zum anderen haben sie über die Quellen des zum Vergleich mit den Bildern herangezogenen klinischen Datenmaterials Rechenschaft abzulegen. Die beteiligten Kliniken und Institute, der Zeitraum, aus dem die Berichte stammen, die Organisation der Zusammenarbeit und die Qualitätskriterien, die bei der Auswahl gegolten haben, müssen beschrieben werden. Außerdem ist zu verlangen, dass die zur Korrelation verwendeten klinischen Daten fortlaufend aktualisiert werden. Es darf nicht hingenommen werden, dass Informationen unbekannten Verfallsdatums respektive elektronischer Datenmüll für die Kreation aktueller Assoziationen und Korrelationen der aus den Bildern extrahierten Informationen verwendet werden.
Wenn man sich mit der neuen Technik sowohl in der Theorie als auch in der Praxis ausreichend vertraut gemacht hat und sie dann in den Arbeitsalltag aufnehmen will, tun sich drei grundsätzliche Fragen auf. Die erste lautet: Soll das KI-Modul generell oder nur gelegentlich zum Einsatz kommen? Diese Festlegung ist so fundamental, dass sie – gleichgültig, ob sie von einer Einzelperson oder den Mitgliedern einer Institution getroffen wird – auf Dauer angelegt sein sollte. Ausnahmen oder Alleingänge sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Bei der Entscheidung spielen die zu erwartenden langfristigen Konsequenzen der Zulassung des Ko-Interpreten auf jeden Fall die entscheidende Rolle. Die zweite Frage ist nicht weniger grundsätzlich: Soll man das KI-Modul vor der eigenen Betrachtung des Bildmaterials zu Rate ziehen oder erst danach? Anders gefragt: Soll man zuerst den Fremdbefund einsehen und auf der Basis dieser Information die eigene Interpretation durchführen oder soll man den persönlichen Bericht erst dann mit der Aussage der KI vergleichen, sobald er abgeschlossen ist? Diese Entscheidung kann ungeachtet der grundsätzlichen Verantwortung des Radiologen für den Befundbericht vom Stand der fachärztlichen Ausbildung, aber auch von äußeren Umständen wie der aktuellen Arbeitsbelastung abhängen. Die dritte Frage ist eigentlich eine rhetorische und dennoch bedeutsam: Wie soll man die Aussagen der KI im Befundbericht dokumentieren? Darauf kann es nur eine Antwort geben: Ausnahmslos komplett, das heißt im Wortlaut und unter lückenloser Angabe der Quellen. Jede Abweichung von dieser Regelung würde die Glaubwürdigkeit der KI ebenso wie die des Nutzers schwer beschädigen. Außerdem muss der Radiologe in seinem Befundbericht auf intrinsische Mängel der KI-Interpretationen wie Verzerrungen bei der Auswahl der Stichproben, Differenzen der technischen und methodischen Untersuchungsstandards sowie Defizite der klinischen Datensätze hinweisen.
Die Verwendung der KI-Module kann in keinem Fall als Begründung bzw. Entschuldigung für den auch nur partiellen Verzicht auf die eigene unabhängige Beurteilung des Bildmaterials verwendet werden – auch nicht in sogenannten Routinefällen. Die generative KI ist nicht dazu da, dass der Radiologe von seiner intellektuellen Leistung Abstriche macht. Die Entwickler der revolutionären Module haben sich auch darauf einzustellen, dass man von ihnen die Bereitschaft zu einem Probebetrieb von mehreren Monaten verlangt. Bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit und Praxistauglichkeit der Methode ist aber auch über diesen Zeitraum hinaus jegliche Form von Konzessionsbereitschaft unangebracht, und zwar nicht nur deshalb, weil die Übernahme von eigener Verantwortung im Portfolio der KI nicht vorgesehen ist.
Die grafische Nachverarbeitung der medizinischen Bildgebung ist im Laufe der Jahre so selbstverständlich geworden, dass man sie gar nicht mehr als intelligente Produkte, sondern lediglich als digitale Instrumente wahrnimmt und anwendet. Mit der neuen Variante hat die KI aber von drei weiteren Bereichen Besitz ergriffen und diese unter dem Aspekt der Steigerung der Qualität ihrer Aussagen zu Diagnose und Differenzialdiagnose erfolgreich kombiniert: Die multimodale Bildgebung (z.B. PET-CT), die multimodale Parametrisierung (z.B. mit Hilfe der Trias aus Perfusion, Diffusion und Spektroskopie) und die multimodale Evaluation der Bilder (z.B. mittels Fingerprinting). Aus dieser mächtigen Position heraus sieht sie sich dazu befähigt und autorisiert, die verschiedenen Parameter in so überlegener Weise miteinander zu korrelieren, dass sie nicht nur Diagnosen und Differenzialdiagnosen stellt, sondern auch histologische Subtypen (z.B. des Leberzellkarzinoms) identifiziert und eine mehr oder weniger umfangreiche molekulare Typisierung (z.B. des nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms) erstellt. Die Übertragung der Daten auf den Einzelfall ist jedoch mit großen Unsicherheiten behaftet. Auf die Durchführung der entsprechenden dedizierten Untersuchungen kann also auch bei in Studien bestätigter relativ hoher Vorhersagewahrscheinlichkeit (80 – 90%) der diagnostischen Botschaften der KI niemals verzichtet werden – handelt es sich bei Letzteren doch nur um aus der Summe gewonnene Angaben und nicht um individuell belastbare Aussagen.
Die therapeutischen Empfehlungen und prognostischen Botschaften der innovativen KI sind mit noch mehr und vor allem gravierenderen Unwägbarkeiten verbunden als das diagnostische Bulletin. Die konventionelle Radiologie hat den Aussagen der bildbasierten Theranostik zwar nichts Vergleichbares entgegenzusetzen und den Alleinvertretungsanspruch, den die KI darauf erhebt, zu respektieren. Freilich handelt es sich dabei um fachfremde Zusatzinformationen, die auch die KI nicht selbst gewinnt, sondern sich nur beschafft. Und der Beitrag zur individualisierten Präzisionsmedizin ist aus naheliegenden Gründen ebenso fragwürdig wie der Alleinvertretungsanspruch, den die KI darauf erhebt. Es mag beispielsweise nahe liegen, den klinischen Nutzen radiologischer Interventionen an der Leber (z.B. TACE, TARE) mit in den Bildern erkennbaren Eigenschaften des Tumors (z.B. Vaskularisation, Heterogenität) zu korrelieren und diese Erkenntnisse in die individuelle differenzialtherapeutische Entscheidung einzubeziehen. Weitaus wichtiger für die Beurteilung der Machbarkeits- und Erfolgsaussichten sind aber der Allgemeinzustand des Patienten, mögliche Begleiterkrankungen, die individuelle Verträglichkeit der therapeutisch wirksamen Substanzen sowie die Erfahrung und das Geschick des intervenierenden Radiologen und seines Teams. Wenn dann aus den Bilddaten nicht nur auf die Indikation und die Chancen einer einzelnen Maßnahme, sondern auch die einer sequenziellen multimodalen Therapie geschlossen wird, sind noch mehr Zweifel angebracht, da eine Reihe weiterer Faktoren wie Verfügbarkeit, Anwendungsbeschränkungen, Verträglichkeit und Wechselwirkungen eine im Einzelfall beträchtliche Rolle spielen. Es ist unrealistisch, aus zu einem bestimmten Zeitpunkt gewonnenen bildbasierten Daten, und seien sie noch so vielfältig, die Fortentwicklung eines Symptoms oder sogar den Verlauf der Erkrankung vorherzusagen. Der kürzlich unternommene Versuch, aus der computerassistierten Analyse der body composition die Mortalität einer chronischen Erkrankung wie der Leberzirrhose vorherzusagen, kann daher nur als abwegig bezeichnet werden. Derart unsinnige Offerten der KI müssen publik gemacht und gegenüber der Klientel kritisch erläutert werden. Freilich ist dabei möglichst zu vermeiden, dass das immerhin bei manchen Patenten zumindest ansatzweise erkennbare Vertrauen in die Aussagen der fachbezogenen KI beschädigt wird.
Künstliche Intelligenz verspricht den Übergang von der Semi- zur Vollautomatisierung der Bildinterpretation. Liefert sie derzeit noch überwiegend isolierte Supplemente, so sollen daraus in Bälde mächtige Konstrukte entstehen, in denen Klassifikationen und Entwicklungsprofile gebündelt werden, also eine sozusagen allumfassende Botschaft vermittelt wird. Das Modul informiert dann bei der koronaren Herzkrankheit nicht nur über die Morphologie, sondern auch die funktionelle Relevanz der Stenosen und Verschlüsse und legt ein Supplement über die Behandlungsalternativen und deren Prognose bei. Wenn es das kolorektale Karzinom analysiert, werden nicht nur der Primärtumor und die Fernmetastasen beschrieben und bewertet, sondern auch die Art und Natur nodulärer Läsionen des angrenzenden mesenterialen Fettgewebes prognostiziert. Außerdem gibt die KI die Erfolgswahrscheinlichkeit operativer Interventionen und adjuvanter Behandlungsmaßnahmen sowie die Dauer des progressionsfreien Überlebens bzw. die Wahrscheinlichkeit für ein Lokalrezidiv bekannt. Die Onkologie dominiert bei den prognostischen Zusatzinformationen mit großem Abstand. Aber auch für eine Reihe anderer Erkrankungen, die charakteristische radiologische Befunde aufweisen, etwa die interstitiellen Pneumopathien, werden inzwischen ähnliche Informationspakete angeboten.
Die Pioniere der KI werden immer neue Einsatzgebiete erobern und immer umfangreichere Programme entwickeln. Dies gebieten ihnen das Fortschrittsdenken und der Konkurrenzdruck. Für die Kommunikation und Breitenwirkung der Resultate weitaus wichtiger wird aber der Moment sein, ab dem die KI-Informationen nicht mehr nur den Vertretern der akademischen Disziplinen zur Verfügung stehen, sondern allgemein zugänglich gemacht werden, d.h. wenn die Patienten selbst und deren Angehörige die Stellungnahme der KI im Sinne einer personalisierten Zweit- oder Drittmeinung abrufen können. Jeder, der das Bildmaterial auf CD / DVD oder seinem Computer gespeichert hat und eine gewisse – vielleicht gestaffelte – Gebühr zu entrichten bereit ist, wird auf diese Weise zum selbstständigen und Eigenverantwortung anstrebenden Analytiker seines Bildmaterials aufsteigen. Auch der vergleichende Einsatz mehrerer Module erscheint möglich. In bestimmten Kreisen und Situationen können multiple Nachtragsbefunde sogar zur Routine werden. Je mehr persönliche Daten der Patient über das Bildmaterial hinaus an die Programme weiterzugeben bereit ist, desto höher verspricht die Qualität der Beurteilungen zu werden, weil die Informationen dann mit denen von Subkohorten des von der KI herangezogenen Kollektivs verglichen werden können. Die Konsequenzen für den Radiologen sind absehbar gravierend. Der Kontakt mit den Patienten und deren Angehörigen droht in manchen Fällen zu einer unerfreulichen diplomatischen Mission und einem Zerrbild des vertraulichen Dialogs und der Beratung zu entarten, die als feste Bestandteile der traditionellen Befunderhebung und -vermittlung gepflegt und geschätzt werden.
Die Klientel wird den radiologischen Primärbefund und die nachgeschalteten Stellungnahmen der KI im Detail prüfen und, wenn sie auf diagnose-, behandlungs- und verlaufsrelevante Unstimmigkeiten und Widersprüche stößt, den verantwortlichen Untersucher um Stellungnahme und Aufklärung bitten. Die eigenständig und in Unabhängigkeit von den Erstuntersuchern herbeigeführte Konsultation der KI ermöglicht es den Patienten, zu Qualitätskontrolleuren der praktischen Arbeit einer ganzen medizinischen Disziplin aufzusteigen. Selbst wenn ein Betroffener primär KI-kritisch eingestellt ist, wird er den Radiologen zu einer ausführlichen Erläuterung von deren Urteilen und Schlussfolgerungen drängen. Die Formulierung der Replik, insbesondere die Begründung für mögliche Abweichungen von den Aussagen des KI-Urteils, kann viel Zeit kosten. Die begleitenden mündlichen Erläuterungen sind ähnlich herausfordernd, sollen sie doch weder zaghaft noch streitbar sein. Manche Patienten werden im Laufe des Gesprächs erkennen, in welch unangenehme Situation sie den Radiologen durch ihre post-prozeduralen Recherchen bei einem Informanten, der sich selbst der Rechenschaft und Verantwortung entziehen kann, gebracht haben. Der Arzt aber wird sich jedes Mal von Neuem des vom Urteil der KI induzierten Risikos bewusst, wie rasch man vom unabhängigen Sachverständigen zum Sekundärinterpreten, Datenverwalter und Informationsmakler strittiger Beurteilungen absteigen kann. Vertrauensverluste müssen dabei nahezu immer erwartet werden, selbst wenn die KI schließlich nicht Recht behält. Falls die nachgeschaltete Konsultation der KI aber eine objektiv fehlerhafte Beurteilung des Radiologen aufdeckt, sind auch juristische Konsequenzen eine denkbare Folge.
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Correspondence
Publication History
Received: 15 November 2024
Accepted after revision: 03 February 2025
Article published online:
10 March 2025
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