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DOI: 10.1055/a-2542-6959
Kommentar zu: Enhanced Recovery After Surgery (ERAS) bei lumbalen Fusionseingriffen

Diese prospektive Studie untersuchte die Effektivität eines ‚Enhanced recovery after surgery (ERAS)‘ Protokolls an 242 Patienten. Einschlossen wurden im Zeitraum November 2020 – Mai 2023 alle Patienten, die eine lumbale, offene posteriore Fusion aufgrund degenerativer Pathologien erhielten. Die Patienten wählen Ihren Behandlungspfad (ERAS vs. Non-ERAS) in dieser Studie selbst. Es wurden die folgenden Variablen verglichen: Operationsdauer, Blutverlust, PONV, Konsum von Morphin-Äquivalenten, Nutzung von patientenkontrollierter Analgesie, Mobilisation, Beginn der Ernährung, Zeit bis zur Entfernung von Kathetern, Verweildauer, Schmerzlevel (VAS).
Der Effekt von ERAS-Protokollen auf die postoperative Genesung wurde bisher fast ausschließlich retrospektiv untersucht. Dieses Konzept, abgeleitet von der ‚fast track surgery‘, modifziert traditionelle Behandlungsmodalitäten, um die perioperative Belastung zu verringern. Das durch die ERAS-Arbeitsgruppe festgelegte Protokoll umfasst 22 Elemente in der prä-, intra- und postoperativen Versorgung.
Frühere Studien zeigten eine signifikante Reduktion der Verweildauer, des Opiatverbrauchs sowie postoperativer Komplikationen. Diese Studie ist die erste prospektive Untersuchung bezüglich des Effekts eines ERAS-Protokolls auf die postoperative Genesung bei posterioren Fusionen für degenerative Pathologien.
Sie zeigt, dass ERAS-Protokolle zu einer effizienteren und sichereren perioperativen Patientenversorgung führen. Dies zeigt sich durch weniger Opioidverbrauch, geringere postoperative Schmerzen, reduzierten Blutverlust, schnellere Mobilisation, kürzere Verweildauer, rascheren Kostaufbau und schnellere Entfernung von Kathetern. Außerdem war die Operationszeit in der ERAS-Gruppe statistisch signifikant kürzer (202 min vs. 255 min; p<0.001). Interessanterweise profitieren vor allem Patienten mit einer höheren ASA-Klassifikation und einer höheren Anzahl von operierten Segmenten von der Anwendung eines ERAS-Protokolls.
Die Studie ist methodologisch gut durchgeführt. Die Anzahl der inkludierten Patienten (n=242) ist ausreichend, um Aussagen für diese Kohorte zu treffen. Ein Propensity Score Matching beider Gruppen (ERAS vs. Non-ERAS) wurde durchgeführt, um statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht, Anzahl fusionierter Segmente, ASA-Klassifikation und Komorbiditäten auszugleichen.
Es gibt jedoch einige Anmerkungen bezüglich des Studiendesgins.
Daten bezüglich Re-hospitalisierung oder dem Auftreten von Komplikationen werden durch die Autoren nicht präsentiert. Frühere Studien zeigten, dass die Anwendung von ERAS-Protokollen nicht dazu führten, dass eine höhere Inzidenz an Komplikationen oder Revisionen auftrat [1]. Außerdem ist die postoperative Beurteilung der Patienten reduziert auf die VAS. Unseres Erachtens wäre eine umfassende Evaluation der Patienten z.B. mittels Oswestry- Disability Index (ODI), Health-related quality of life (SF-36, EQ-5D) bedeutsam um den ganzheitlichen Nutzen dieser Herangehensweise zu beurteilen.
Die Wahl des Behandlungsprotokolls durch die Studienteilnehmer sollte kritisch evaluiert werden. Durch die Durchführung eines Propensity Score Matchings wurden die statistischen Unterschiede der Gruppen adäquat berücksichtigt. Es ist jedoch möglich, dass ein Selektionsbias auftritt. Motivierte Patienten könnten eher ein ERAS-Protokoll wählen, und diese Motivation könnte zu einer schnelleren Genesung beitragen. Daher haben möglicherweise Patienten mit höherer Motivation – unabhängig vom Behandlungsprotokoll – eine schnellere Genesung, was dazu führen könnte, dass der Effekt von ERAS überschätzt wird.
Außerdem spezifiziert die Studie von Yao nicht die Art der operativen Versorgung. Es wird nur von offenen posterioren Fusionsoperationen gesprochen, ohne Subgruppenanalysen für verschiedene Verfahren wie PLIF, TLIF oder posterolaterale Fusion durchzuführen.
Die Studie ergibt dennoch wichtige Erkenntnisse bezüglich der perioperativen Optimierungsmöglichkeiten für wirbelsäulenchirurgische Eingriffe. In der Summe führte die Implementierung ein ERAS-Protokoll zu besseren postoperativen Ergebnissen, bessere Patientenzufriedenheit und weniger Kosten.
Während die Vorteile für andere chirurgische Disziplinen wie die kolorektale Chirurgie schon lange bekannt sind, wurden sie in der Wirbelsäulenchirurgie erst seit kurzem evaluiert. Dies liegt unter anderem an der Heterogenität der Protokollelemente. Contartese et al. veröffentlichte 2023 ein systematisches Review [1], das die verschiedenen Elemente des ERAS-Protokolls verglich. Feste Bestandteile des ERAS-Protokolls sollten demnach sein:
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Präoperativ: Aufklärung und Beratung, interdisziplinäre Betreuung (Ernährungsberatung, Geriatrie, Psychologie, Physiotherapie), präoperative Analgesie, Vermeidung von Fastenzeiten.
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Intraoperativ: multimodales Schmerzmanagement (Vermeidung von Opioiden), Antibiotikaprophylaxe, Normothermie und -volämie, PONV, Bluttransfusion, Verwendung von Tranexansäure zur intraoperativen Blutungskontrolle, Kohlenhydrataufladung.
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Postoperativ: Multimodales Schmerzmanagement (PCA), frühzeitige Mobilisation und Ernährung, Entfernung von Katheter und Drainagen, Thromboseprophylaxe
Angesichts der alternden Bevölkerung und der damit verbundenen höheren Inzidenz von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen sowie der steigenden Kosten sind Strategien zur optimierten Patientenversorgung essenziell. Gerade deshalb sollte die Bedeutung von ERAS bei Frailty in den kommenden Jahren vermehrt wissenschaftlich untersucht werden [2]. Zusammenfassend bieten ERAS-Protokolle eine innovative Strategie für die optimierte Patientenversorgung.
Publication History
Article published online:
04 August 2025
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Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Contartese D, Salamanna F, Brogini S. et al. Fast-track protocols for patients undergoing spine surgery: a systematic review. BMC Musculoskeletal Disorders 2023; 24
- 2 Wang SK, Wang QJ, Wang P. et al. The impact of frailty on clinical outcomes of older patients undergoing enhanced recovery after lumbar fusion surgery: a prospective cohort study. International Journal of Surgery (London, England) 2024; 110: 4785-4795