NOTARZT 2025; 41(03): 127-129
DOI: 10.1055/a-2561-2279
Journal Club

Don’t Judge a Book by its Cover: Clamshell-Thorakotomie beim traumatischen Kreislaufstillstand

Contributor(s):
Jacqueline Amian
,
Sebastian Wirtz
,
Christian Friedrich Weber
 

Der traumatische Herz-Kreislauf-Stillstand (THKS) gehört zu den gravierendsten medizinischen Notfällen und ist mit einer alarmierenden Mortalität von über 96% verbunden [1]. Diese hohe Sterblichkeit hat multifaktorielle Ursachen, wobei Hypovolämie (Exsanguination), Spannungspneumothorax und Herzbeuteltamponade zu den Hauptfaktoren zählen. Eine sofortige und effektive Notfallversorgung ist dringend geboten [1] [2] [3].

Die Pathophysiologie des THKS unterscheidet sich grundlegend von anderen Ursachen des Herz-Kreislauf-Stillstands [2] [4]. Diese Erkenntnis hat nicht nur Auswirkungen auf die Priorisierung der notfallmedizinischen Maßnahmen, sondern auch auf die Invasivität der erforderlichen Eingriffe [4] [5]. So empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie Polytrauma (2023) bei Patienten mit beobachtetem Herz-Kreislauf-Stillstand und vermuteter Herzbeuteltamponade binnen 15 Minuten die Durchführung einer prähospitalen Notfallthorakotomie, die über einen sogenannten Clamshell- oder links-anterolateralen Zugang realisiert wird [4] [5].

Bei der Clamshell-Thorakotomie handelt es sich um ein komplexes chirurgisches Verfahren, bei dem bilaterale Thorakostomien im 5. Interkostalraum (ICR) in der mittleren Axillarlinie durchgeführt werden. Danach folgt ein tiefer Hautschnitt entlang des 5. ICR, um die Thorakostomien zu verbinden. Es wird ein Zugang nach intrathorakal geschaffen, indem die Lunge mit 2 Fingern zurückgehalten wird, während die interkostalen Muskeln, die Pleura und das Sternum oder das Xiphoid durchtrennt werden. Die Thoraxöffnung wird dann mit selbsthaltenden Retraktoren oder manuell durch Assistenten gehalten, um eine adäquate Sicht auf die Brusthöhle zu gewährleisten. Schließlich wird das Perikard mit einer Klemme angehoben und ein großer longitudinaler Schnitt vorgenommen, um den Zugang zum Herzen zu ermöglichen [6]. Dann kann beispielsweise eine Ventrikelnaht erfolgen.

Wegen der Komplexität und Invasivität dieser Maßnahme gibt es gemäß ERC-Leitlinie elementare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Notfallthorakotomie, die mit der 4-E-Regel zusammengefasst werden: Expertise (Erfahrung), Equipment (Ausrüstung), Environment (Umgebung, idealerweise Operationssaal) und Elapsed Time (Zeitverzögerung, die nicht mehr als 10 Minuten betragen sollte) [5]. Diese Rahmenbedingungen sind prähospital nur in den seltensten Fällen erfüllt.

Das wissenschaftliche Niveau der Evidenz zur Analyse des therapeutischen/prognostischen Stellenwertes der Clamshell-Thorakotomie hat sich seit der Erstpublikation eines Fallberichtes im Jahr 1966 von Beall et al. kaum weiterentwickelt [7]. Die bisher publizierten Studien sind fast ausnahmslos retrospektive Mono-Center-Studien, die über einen jeweils mehrjährigen Zeitraum einzelne Clamshell-Anwendungen in einem inhomogenen Kollektiv zusammenfassen und das Outcome der jeweiligen Betroffenen analysieren [7] [8] [9] [10]. Exemplarisch sei hier auf eine deutsche Studie aus Berlin verwiesen, die in einem Zeitraum von 11 Jahren 15 Patienten einschloss (mithin 1,37 Patienten pro Jahr) und als Hauptergebnis zeigte, dass 3 der 15 Patienten die ersten 24 Stunden und einer davon bis zur Klinikentlassung überlebte. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass bei Patienten mit Herzstillstand nach stumpfem Trauma die Notfallthorakotomie nur als letztes Mittel eingesetzt werden solle und angesichts der zwangsläufig eingeschränkten fachlichen Expertise und des kurzen Zeitfensters für eine potenziell erfolgreiche Anwendung der Maßnahme keine generelle Empfehlung für deren Einsatz ausgesprochen werden könne [11]. Keine der bisher publizierten Studien konnte demonstrieren, dass sich Patienten nach Clamshell-Thorakotomie in irgendeinem Ergebnisparameter besser präsentierten als Patienten aus einem Vergleichskollektiv ohne diese oder mit einer anderen Intervention.

Kürzlich erschien im JAMA Surg eine Publikation mit dem Titel „Prehospital Resuscitative Thoracotomy for Traumatic Cardiac Arrest“. Hier wurde im Rahmen einer retrospektiven Analyse von 601 Patientendaten aus den Jahren 1999 bis 2019 der Zusammenhang zwischen der prähospitalen Clamshell-Thorakotomie und dem Überleben untersucht. Die Schlussfolgerung der Autoren, wonach eine Clamshell-Thorakotomie in einer städtischen Rettungsdienststruktur mit einer verbesserten Überlebensrate bei Patienten mit Herzbeuteltamponade-bedingtem THKS assoziiert ist, haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen [3].

Aus verschiedenen über die methodischen Limitationen der Studie hinausgehenden Gründen können wir uns der Interpretation der Ergebnisse nicht vorbehaltlos anschließen. Es zeigte sich, dass insbesondere solche Patienten profitieren, die a) eine Herzbeuteltamponade als Ursache des THKS aufwiesen und bei denen b) die Clamshell-Thorakotomie binnen 10 Minuten durchgeführt wurde. Der Großteil des untersuchten Kollektivs, dessen THKS mittels Clamshell-Thorakotomie behandelt wurde, verstarb, wobei die Exsanguination mit 70% als die am häufigsten identifizierte Todesursache beschrieben wurde.

Aus dem Manuskript geht nicht hervor, warum bei THKS-Patienten mit nachgewiesenem Perikarderguss nicht eine isolierte, bestenfalls ultraschallgesteuerte Perikardpunktion durchgeführt wurde, sondern der wesentlich invasiveren Clamshell-Thorakotomie der Vorzug gegeben wurde. Es ist aus unserer Sicht unklar, wie viele der 418 verbluteten Patienten nicht trotz, sondern wegen der Clamshell-Thorakotomie verstorben sind.

Aufgrund der beschriebenen Argumente wäre es aus unserer Sicht eine Fehlinterpretation, wenn die Studie, zumal aus einem hochgradig spezialisierten und besonders trainierten Umfeld, als Rechtfertigung für die liberale Indikationsstellung zur Clamshell-Thorakotomie bei THKS im deutschen Rettungsdienst dienen würde, da nur in seltensten Einzelfällen die Voraussetzungen (4E) und die rechtfertigende Indikation dafür vorliegen. Ein isolierter Perikarderguss gehört nach unserer Einschätzung sicher nicht dazu, denn auch bei der Behandlung von Patienten mit Herzbeuteltamponade-assoziiertem THKS gilt die Behandlungsmaxime „Do no further harm“.

Fazit

Die Schlussfolgerungen der Arbeit von Perkins et al. könnten zu einer nicht indizierten und zu liberalen Anwendung von Notfallthorakotomien führen – insbesondere bei Patienten mit Herzbeuteltamponade. Aus unserer Sicht ist auch für dieses Kollektiv die viel weniger invasive Minithorakotomie/isolierte Perikardpunktion das Mittel der Wahl. Die hier diskutierte Publikation ist ein gutes Beispiel dafür, dass die im Abstract einer Originalarbeit dargestellte „Conclusion“ kritisch hinterfragt werden muss; Argumente liefern die Manuskripte dem aufmerksamen Leser oftmals selbst – im Methodik- und Ergebnisteil.

Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Christian Friedrich Weber, Hamburg; Dr. med. Sebastian Wirtz, Hamburg; Dr. med. Jacqueline Amian, Hamburg


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Dr. med. Jacqueline Amian


2014–2020 Medizinstudium an der Semmelweis Universität Budapest, Campus Hamburg; 2020 Beginn der Weiterbildung zur Fachärztin für Anästhesiologie an der Asklepios Klinik Wandsbek Hamburg; Zusatzweiterbildung Notfallmedizin; 2023 Beginn des Studiums Master of Health Business Administration (MHBA) an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg; 2024 Promotion an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Dr. med. Sebastian Wirtz


Jahrgang 1959. Chefarzt Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin, Schmerztherapie der Asklepios Klinik Barmbek, Hamburg, Ärztlicher Direktor Studium und Promotion in Hamburg. Facharztweiterbildung Anästhesiologie am AK Altona in Hamburg. 2001–2004 Ärztlicher Leiter Rettungsdienst Hamburg. Leitender Notarzt Hamburg und Leitender Notarzt-See am Havariekommando in Cuxhaven. Vorstand der Arbeitsgemeinschaft in Norddeutschland tätiger Notärztinnen und Notärzte e.V. (AGNN).

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Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Christian Friedrich Weber, MHBA FESAIC


Weiterbildung zum Facharzt für Anästhesiologie, Habilitation und APL-Professur am Universitätsklinikum Frankfurt. Zusatzweiterbildungen: Notfallmedizin, Intensivmedizin, Palliativmedizin, Klinische Akut- und Notfallmedizin. Mitgliedschaft u.a. DIVI, DGAI, BDA, DGINA, ESAIC, GTH, IAKH. Seit 2018 Chefarzt der Abteilung für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin an der Asklepios Klinik Wandsbek. Ärztlicher Direktor der Asklepios Klinik Wandsbek 2018–2022.

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Interessenskonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Jacqueline Amian
Asklepios Klinik Wandsbek, Abteilung für Anästhesiologie, Intensiv- und Notfallmedizin
Alphonsstr. 14
22043 Hamburg
Deutschland

Publication History

Article published online:
02 June 2025

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