Psychiatr Prax 2025; 52(04): 238-239
DOI: 10.1055/a-2564-0445
Mitteilungen ackpa
Chefärztinnen von Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern in Deutschland (ackpa)

Psychiatrie trotzt Politik: Entwicklung 50 Jahre nach der Psychiatrie-Enquête

Bericht von der ackpa-Jahrestagung am 13. und 14.03.2025 in Troisdorf
 

    Nach Begrüßungen durch Bettina Wilms, Querfurt, Sprecherin von ackpa, und Sarah Wallpott, Kaufmännische Direktorin an den GFO Kliniken Troisdorf, spricht Dyrk Zedlick, Chefarzt des Verbundes Gemeindenahe Psychiatrie Leipzig und Mitglied des Vorstandes der Aktion Psychisch Kranke (APK), zum Thema „Von Rodewisch über Bonn nach Berlin… Bewegung trotz Stillstand?“, indem er Meilensteine der Geschichte der ost- und auch westdeutschen Psychiatrie skizziert und einige sich in den beiden Teilen Deutschlands in unterschiedlichen Dynamiken entwickelnde zentrale gemeindepsychiatrische Positionen benennt: Hinreichend qualifizierte und besetzte interdisziplinäre therapeutische Teams, Verzahnung von therapeutischen und sozialen Aspekten sowie von Forschung und Lehre, Prinzip der therapeutischen Gemeinschaft und der offenen Türen, Entstigmatisierung, regionale Versorgungsverpflichtung, Etablierung „extramuraler“ Strukturen, Personen- anstatt Institutionsbezogenheit. Die damaligen Universitätskliniken hatten demgegenüber mehrheitlich ein mehr medizinisch-naturwissenschaftliches Verständnis von psychischen Erkrankungen. 1970 wurde die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) gegründet, 1971 die APK, der „Bericht über die Lage der Psychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland“ der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages wurde 1975 publiziert (Picard, Kulenkampff, Häfner et al.). Hierzu spricht auch online zugeschaltet Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo Isar-Amper-Klinikums in München, zugleich stellv. Vorsitzender der APK, über deren Geschichte und Tätigkeitsschwerpunkte er berichtet. Hierzu sollen insbesondere die unmittelbare Förderung durch das / Verbindung zum Bundesministerium für Gesundheit (BMG), die Entwicklung der Psych-PV (Kunze et al. 1990) und die derzeit laufenden Dialogforen mit unterschiedlichen Schwerpunkten Erwähnung finden. Im Anschluss wird ein wegen einer kurzfristig anberaumten Abstimmung im Bundestag vorab aufgezeichnetes Grußwort von Dr. Kirsten Kappert-Gonther, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), die auch stellv. Vorsitzende des Gesundheitsausschusses sowie Vorsitzende der APK ist, eingespielt. Sie benennt als wichtige Errungenschaft der geplanten Krankenhausreform insbesondere die auch aus unserer Sicht begrüßenswerte Option sog. Globalbudgets für alle Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie.

    Als nächstes referiert Rechtsanwalt Hubert Klein, Köln, unter dem Titel „Freiheit trotzt Fürsorge“ zum mittlerweile sehr komplexen Ehegattenvertretungsrecht: Er gibt in seinem sehr unterhaltsamen Vortrag u. a. zu bedenken, dass der Aufgabenkreis, in dem Ehegattenvertretung erfolgen kann, auf das unmittelbare medizinische Procedere begrenzt ist und sich beispielsweise nicht auf Aspekte der Vermögenssorge bezieht - insofern sei also hinsichtlich aller anderen Aspekte die Schweigepflicht uneingeschränkt zu beachten. Potenziell gefahrvolle Maßnahmen oder Zwangsmaßnahmen müssen vollumfänglich betreuungsrichterlich genehmigt werden. Im letzten Vortrag des Vormittags „Gemeindenähe trotz Krankenhausreform“ stellen Tina Lindemann, Geschäftsführerin Dachverband Gemeindepsychiatrie, Köln, und Petra Schmitz, Peerberaterin bei „Die Kette e.V.“ in Bergisch Gladbach, ihr Tätigkeitsfeld vor: Lebensweltorientiert, partizipativ und trialogisch, sektor- und rechtskreisübergreifend sowie neuerdings auch online. Sie konstatieren hierbei hohe regionale Unterschiedlichkeiten hinsichtlich der Verbindlichkeit gemeindepsychiatrischer Verbundstrukturen.

    Am Nachmittag findet die ackpa-Mitgliederversammlung statt, in der guter Tradition folgend zunächst die „Neuen“ begrüßt wurden: Andrea Erdmann, Herdecke, und Christian Gerstenberg, Dinslaken. Zum letzten Mal bei uns waren Volker Knapczyk, Bad Driburg, Michael Putzke, Bad Nauheim und Friedberg sowie Martin Zinkler, Bremen-Ost. Es folgten der Tätigkeitsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses (GA, [Abb. 1]) durch Bettina Wilms und der Bericht der Kassenführerin Sylvia Lorenz. Wichtige Termine: StäB-Tagung Potsdam 14.05., ackpa-BDK PIA-Tagung Hamburg-Ochsenzoll 23.05., 50 Jahre Psychiatrie-Enquête Leipzig 02./03.06., NFEP Berlin 30.06./01.07., Netzwerk Steuerungs- und Anreizsysteme Wannsee Oktober 2025, DGPPN-Kongress Berlin 26.-29.11., ackpa-Jahrestagung Hanau 12./13.03.2026, ackpa-BDK Tagung Essen 24./25.09.2026.

    Unter fachkundiger Leitung von Michael Putzke fanden nun die (Wieder-)Wahlen der Sprecherin (Bettina Wilms), der Stellvertreter (Andreas Bechdolf, Berlin und Karel Frasch, Donauwörth) und weiterer Mitglieder des GA (Barbara Florange, Olpe, Christian Kieser, Potsdam, Sylvia Lorenz, Bad Salzungen, und (erstmalig, Glück auf!) Thomas Jochum, Weimar) statt. Aktuelle Themen sind - neben dem Umgang mit den Psychotherapie-„Direkt“student:innen/-absolvent:innen (der offenbar zwischen den Häusern und Regionen sehr unterschiedlich ist; hierzu interne Abfrage in Planung), natürlich vor allem die Krankenhausreform, über deren mögliche differenzielle Effekte auf die Kliniken an Allgemeinkrankenhäusern ausgiebig diskutiert wird. Eine kleine Arbeitsgruppe (Organisation Christian Kieser) wird unsere Haltung im Hinblick auf die Krankenhausreform weiter präzisieren und formulieren. Das neue ackpa-Positionspapier, das auch diesbezüglich Orientierung bieten wird, befindet sich im Prozess der Finalisierung. Am Ende von Tag 1 überraschte uns unsere Gastgeberin Barbara Florange mit einem überaus gelungenen kabarettistischen Auftritt von „Mister Entertainer“ Christoph Brüske höchstpersönlich, bevor es zum gemeinsamen Abendessen ins Eventsteakhouse gegenüber unserem Hotel ging.

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    Abb. 1 Der GA bei der Arbeit: v.l.n.r. Bettina Wilms, Sylvia Lorenz, Andreas Bechdolf, Barbara Florange, Christian Kieser, Olaf Hardt (Foto: Karel Frasch).

    Am zweiten Tag, der traditionell unter dem Motto „Was braucht die Region?“ stand (Moderation: Sylvia Lorenz), stellte zunächst Joanna Smerd, komm. Chefärztin an der gastgebenden Klinik, ihr Haus vor. Der Rhein-Sieg-Kreis, der die kreisfreie Bundesstadt Bonn umgibt, ist mit 600 000 Einwohnern einer der größten deutschen Landkreise. Hier hat die Klinik mit derzeit 40 Betten und 20 TK-Plätzen seit 2024 die Pflichtversorgung von 80 000 Troisdorfer:innen übernommen. Wilfried Gaul-Canjé, Aachen, Geschäftsführer beim Zweckverband der katholischen psychiatrischen Behandlungs- und Betreuungseinrichtungen, berichtete über seine zumindest teilweise erfolgreichen Deinstitutionalisierungsbemühungen bzw. entsprechende Barrieren (bezahlbarer geeigneter Wohnraum, recoveryorientierte ambulante Betreuung). Zuletzt zeigte Ingmar Steinhart, Greifswald, Lösungswege zum Umgang mit sog. „Langliegern“ auf: In einer von Krankenhausverbänden und DGPPN durchgeführten deutschlandweiten Befragung wurden insgesamt 174 Patienten ohne klare Behandlungsindikation in insgesamt 80 deutschen Kliniken identifiziert (mit Abstand häufigste Diagnose F2 + Aggressivität); insgesamt ließ sich aus den vorliegenden Daten ein Bedarf an geschlossenen „Heim“-Plätzen von etwa 4–6/100 000 Einwohnern hochrechnen. Verbindliche Teilhabekonferenzen („Koalition der Willigen“) könnten aus seiner Sicht kreative Nischenlösungen ermöglichen, z. B. Anmietung einer kliniknahen Wohnung/Container/Tiny Houses, Unterstützung je nach Bedarf durch mobile PIA/StäB, Wohncoach ohne zeitliche Begrenzung. Mit dieser ermutigenden Botschaft endete eine thematisch vollbepackte Tagung – auf Wiedersehen in Hanau 2026 bei Thomas Schillen!

    Meiner Mutter Christa Neuhaus *21.11.1942 in Leipzig † 13.04.2025 in Böblingen gewidmet.


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    Korrespondenzadresse

    PD Dr. med. Karel Frasch, IDFAPA
    Stellv. Sprecher von ackpa
    Ärztlicher Direktor
    Bezirkskrankenhaus Donauwörth
    Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie
    und Psychosomatik an der Donau-Ries Klinik
    Neudegger Allee 6, 86609 Donauwörth, Deutschland

    Publication History

    Article published online:
    14 May 2025

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    Georg Thieme Verlag KG
    Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany

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    Abb. 1 Der GA bei der Arbeit: v.l.n.r. Bettina Wilms, Sylvia Lorenz, Andreas Bechdolf, Barbara Florange, Christian Kieser, Olaf Hardt (Foto: Karel Frasch).