Psychiatr Prax 2025; 52(04): 186-187
DOI: 10.1055/a-2576-4621
Debatte: Pro & Kontra

Anti-Amyloid-Antikörper: Ein Meilenstein in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit: Kontra

Janine Diehl-Schmid
 

Kontra

Meilensteine markieren Etappen. So gesehen sind die positiven Resultate der Phase-3-Studien mit den Amyloid-Antikörpern Lecanemab bzw. Donanemab zweifelsfrei als Meilenstein zu verstehen. Immerhin haben die beiden Antikörper nach über 2 Jahrzehnten erfolgloser Arzneimittelstudien mit Amyloid-Antikörpern zeigen können, dass sie nicht nur effektiv Amyloid aus dem Gehirn entfernen, sondern dass sie zudem eine im Vergleich zu Placebo statistisch signifikante Wirksamkeit haben. Allerdings liegt dieser Meilenstein ziemlich am Anfang eines wohl noch sehr langen Weges.

Tatsächlich ist der klinische Effekt der Antikörper nämlich so gering, dass allenthalben diskutiert wird, ob die Wirksamkeit - wenn auch statistisch signifikant - überhaupt klinisch relevant ist [1] [2].

In den Zulassungsstudien wird beschrieben, dass die Antikörper den kognitiven Abbau in einem 18-monatigen Studienzeitraum im Vergleich zu Placebo zwischen 27% (Lecanemab) und 29% (Donanemab) verzögern. Diese Zahlen wirken zunächst recht überzeugend, versprechen allerdings mehr Wirksamkeit als sie halten können, was am Beispiel von Lecanemab erläutert werden soll:

Als primärer Endpunkt war in der Zulassungsstudie von Lecanemab, Clarity AD [3], das Ausmaß der kognitiven und funktionellen Veränderung, gemessen mit dem Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes Score CDR-SB-Score (CDR-SB-Score) festgelegt worden. Das Clinical Dementia Rating [4] ermöglicht nach einem Interview des Betroffenen und eines Zugehörigen eine Schweregradeinstufung in 6 Domänen (Gedächtnis, Orientierungsvermögen, Urteilsvermögen & Problembewältigung, Leben in der Gemeinschaft, Haushalt & Hobbys, Körperpflege). Für jede Domäne können vom Untersucher 0 (keine Auffälligkeiten) bis 3 Punkte (schwere Beeinträchtigung) vergeben werden. Dementsprechend bedeuten 0 Punkte im CDR-SB kognitiv unauffällig, die maximal erreichbare Punktzahl 18 Punkte bedeutet schwer dement.

In Clarity AD wurden 1795 PatientInnen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung bei Alzheimer-Krankheit und leichtgradiger Alzheimer-Demenz eingeschlossen, 50% erhielten Lecanemab, 50% Placebo. Zu Beginn der Studie erreichten beide Gruppen durchschnittlich 3,2 Punkte im CDR-SB. Nach 18 Monaten nahm die Punktzahl in der Lecanemab-Gruppe um 1,21 Punkte zu (eine höhere Punktzahl im CDR-SB entspricht einer Verschlechterung), in der Placebo-Gruppe um 1,66 Punkte, es ergab sich also ein Unterschied von 0,45 Punkten. Die relative Verzögerung der Verschlechterung wurde berechnet mit 0,45÷1,66 x 100% = 27%.

Eine derartige Ergebnisdarstellung ist legitim. Die korrektere Vorgehensweise wäre allerdings, die prozentuale Änderung unter Berücksichtigung des tatsächlich im CDR-SB erreichten Werts zu berechnen: Der Ausgangswert bei Baseline war 3,2 Punkte, am Ende der Studie hatte die Lecanemab-Gruppe 4,41 Punkte, die Placebo-Gruppe 4,86 Punkte. Die 0,45 Punkte Unterschied entsprechen 9,3%. (0,45÷4,86 x 100%) [5].

Selbstverständlich sind die 0,45 Punkte bzw. 9% Unterschied nur ein Durchschnittswert. Aus dem Supplement von Clarity AD geht hervor, dass PatientInnen über 75 Jahre, Männer und ApoE4 non-carrier mehr von Lecanemab profitieren. Im Gegensatz dazu scheint der Effekt insbesondere bei Frauen und sehr jungen Betroffenen leider ausgesprochen gering.

Es gibt bislang keine sicheren Hinweise dafür, dass die Verzögerung der Symptomprogression im Behandlungsverlauf weiter zunimmt. Bislang vorgestellte Ergebnisse, wie. „7,5 Monate time saved in 30 Monaten“ oder „Verlangsamung der Krankheitsprogression um 2,5 bis 3.1 Jahre“ basieren auf extrapolierten Daten, statistischer Modellierung oder auf Vergleichen mit einer unbehandelten Patientenkohorte aus der Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative (ADNI). Offen weist Eisai in seinen diesbezüglichen Pressemitteilungen [6] [7] hin: „Sie sollten sich nicht in unangemessener Weise auf diese Aussagen oder die vorgelegten wissenschaftlichen Daten verlassen“ (übersetzt mit www.deepl.com).

Zusammengefasst ist die Wirksamkeit – auch wenn die Pharmafirmen zusammen mit vielen, leider teils unkritischen, teils sich als wohlmeinende Advokaten der PatientInnen verstehenden Keyplayern aus Wissenschaft und Versorgung (mit und ohne Interessenkonflikten) etwas anderes behaupten – sehr gering, die klinische Relevanz mehr als fraglich. Der individuelle Patient wird eine Wirksamkeit (die im individuellen Fall nur spürbar wäre, wenn eine Verbesserung auftreten würde) nicht bemerken. Folglich werden die geplanten Registerstudien zur Langzeitbeobachtung mit Sicherheit keine Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Antikörper erbringen können. Die Verzögerung einer Verschlechterung kann (anders als eine Verbesserung) nur im Vergleich mit einer Placebo-behandelten Gruppe objektiviert werden.

In den USA wurde der Einführungspreis von Lecanemab/ Leqembi® mit 26500 USD-Dollar pro Jahr und Patient angegeben. Selbst bei sehr (!) konservativer Schätzung würden in Deutschland aktuell mindestens mehrere 10000 PatientInnen neu für eine Behandlung mit Antikörpern infrage kommen (für genauere Zahlen siehe [8]). Zu den jeweils neu behandelten PatientInnen kommen nach 18 Monaten die PatientInnen in der zumindest für Lecanemab notwendigen „Erhaltungstherapie“ hinzu. Damit würde die Lecanemab-Therapie alleine für die Arzneimittel – ohne ärztliche Therapiekosten und Kosten für die erforderlichen Magnetresonanztomografien –jährliche Kosten im Milliardenbereich verursachen.

Dürfen Medikamente mit minimaler Wirkung und im Einzelfall schweren Nebenwirkungen (auf die hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen wird), den PatientInnen, die sich ja auch große Hoffnungen machen, zugemutet werden? Dürfen sie das Gesundheitssystem durch hohen Aufwand und – in Anbetracht der zahlreichen für die Therapie in Frage kommenden PatientInnen – extremen Kosten belasten?

Ich glaube, nein. Wir dürfen uns auf keinen Fall zufriedengeben mit dem eben passierten Meilenstein, sondern müssen das Ende der nächsten Etappe unbedingt und mit allen Mitteln anvisieren: eine Alzheimer-Therapie, die zweifelsfrei eine klinisch bedeutsame Wirkung hat.


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Janine Diehl-Schmid

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Interessenkonflikte

Die Autorin ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Sie hat Vortragshonorare von Janssen, Novartis und Eisai erhalten.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Janine Diehl-Schmid
kbo-Inn-Salzach-Klinikum, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Geriatrie und Neurologie
Wasserburg/Inn

Publication History

Article published online:
14 May 2025

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