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DOI: 10.1055/a-2593-7456
Die Mannosphäre – Frauenfeindliche Communitys im Internet



Die Mannosphäre (engl. manosphere) ist ein Überbegriff für diverse, lose verbundene Online-Communitys, Aktivisten und Internet-Inhalte, die unterschiedliche Themen behandeln, aber sich in einer frauenfeindlichen und anti-feministischen Grundhaltung ähneln. Zur Mannosphäre gehören beispielsweise Incels (engl. involuntary celebates), junge heterosexuelle Männer, die sich benachteiligt fühlen, weil Frauen angeblich nur noch mit sehr attraktiven und reichen Männern Sex haben. Zur Mannosphäre gehört aber auch MGTOW (engl. men going their own way), eine Bewegung von heterosexuellen Männern mittleren Alters, die sich von Frauen generell übervorteilt sehen und daher in Zukunft lieber allein leben. Hinzuzuzählen sind unter anderem auch die NoFap-Bewegung (engl. to fap = masturbieren), der gemäß Masturbation und Pornografie dem Mann seine Kräfte rauben und daher vermieden werden müssen, sowie diverse rechtsextreme Bewegungen (engl. alt-right), denen gemäß die heutigen Frauen ihre treusorgende Ehe- und Hausfrauen- sowie Mutterrolle nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen. Tenor dieser und weiterer Gesinnungen innerhalb der Mannosphäre ist jeweils die Vorstellung, die heutigen Männer seien Opfer der Frauen und des Feminismus, da ihnen das vorenthalten wird, worauf sie ein Anrecht beanspruchen: Attraktive Frauen, die sich ihnen unterordnen, sie bewundern und begehren und für Sex zur Verfügung stehen.
Das öffentliche und akademische Interesse an der Mannosphäre ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Das liegt daran, dass das in der Mannosphäre kursierende misogyne Gedankengut kein Nischenphänomen ist und zudem mit realen Gewalttaten in Verbindung steht. So tötete oder verletzte der 22-jährige Student Elliot Rodger im Jahr 2014 zwanzig Personen rund um den Campus der University of California Santa Barbara. In einem Manifest beschrieb er sich als Incel, der nie Erfolg bei Frauen hatte und sich daher an ihnen sowie an anderen Männern rächen wollte, um sich durch diesen Gewaltakt als der wahre „Alpha-Mann“ über sie zu stellen. Rodger, der sich im Zuge seines Amoklaufs auch selbst das Leben nahm, wird in Teilen der Incel-Community als Held und Heiliger („Saint Elliot“) gefeiert.
Doch auch der Mainstream hat Helden aus der Mannosphäre: Andrew Tate, ein britisch-amerikanischer ehemaliger Kick-Boxer und millionenschwerer Online-Unternehmer, brüstet sich damit, im Jahr 2022 zum meist gegoogelten Mann der Welt geworden zu sein. Er selbst bezeichnet sich als „Top G“ (engl. top gangster), womit er sich noch über die „Alpha-Männer“ stellt. Er verkauft jungen Männern ein Online-Coaching, mit dem sie angeblich auf einfache Weise reich werden, schnelle Autos (vorzugsweise Bugattis) und schöne, unterwürfige Frauen bekommen können. Seine frauenfeindlichen Aussagen – etwa, dass Frauen das Eigentum des Mannes seien – führten zu Kontroversen und letztlich auch seiner Sperrung auf diversen Social-Media-Plattformen. Anfang 2023 wurde er in seiner Wahlheimat Rumänien mit dem Vorwurf des Menschenhandels und der Vergewaltigung verhaftet. An seiner Popularität hat das wenig geändert. Denn passend zum Opfer-Narrativ der Mannosphäre wurde Tate aus Sicht seiner Anhänger natürlich unrechtmäßig angeklagt, weil er „dem System“ zu mächtig wurde und den Mut hatte, „die Wahrheit“ auszusprechen.
Den hier umrissenen Erscheinungsformen der Mannosphäre ist die gleichnamige Monografie von Jacob Johanssen gewidmet. Das deutschsprachige Buch ist eine Übersetzung seiner englischsprachigen Monografie „Fantasy, Online Misogyny and the Manosphere: Male Bodies of Dis/Inhibition“ (Routledge 2021). Der Autor hat Kommunikationswissenschaft und Soziologie in Salzburg, Erfurt und London studiert und lehrt an der St. Mary’s University in London (https://www.stmarys.ac.uk/staff-directory/jacob-johanssen). Sein Ansatz ist nicht empirisch-kommunikationswissenschaftlich, sondern eher theoretisch-medienwissenschaftlich einzuordnen. Die Besonderheit seines Zugangs zu Medienphänomenen liegt darin, dass er sie in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang stellt und vor allem psychoanalytisch durchleuchtet. So deutet er die Ideologien der Mannosphäre unter anderem mit dem Konzept der Ent-/Hemmung (engl. dis/inhibition): So gehemmt der Incel-Attentäter Elliot Rodger sich als schüchterner und schmächtiger junger Mann gegenüber Frauen fühlte, so enthemmt sind dann seine Rache-Fantasien und deren gewalttätige Umsetzung beim Amoklauf. Johanssen verarbeitet eine Fülle von theoretischen (vor allem psychoanalytischen) Konzepten, so dass durch die vielschichtigen Deutungen und vielfältigen Referenzen ein komplexer, aber dennoch lesbarer Text entsteht.
Als Materialbeispiele zugrunde gelegt werden unter anderem YouTube-Videos der Alt-Right-Szene, Posts aus Foren zu MGTOW (inzwischen gesperrt: www.reddit.com/r/MGTOW), NoFap (www.reddit.com/r/NoFap/ und www.nofap.com) und Incels (inzwischen gesperrt: www.reddit.com/r/incels sowie www.reddit.com/r/braincels) sowie u. a. das im Internet verfügbare Manifest des Incel-Attentäters Elliot Rodgers. Der Autor betrachtet die Ideologien der Mannosphäre ausdrücklich nicht als neue Internet-Phänomene, sondern sieht sie in historischer Kontinuität sexistischer, rassistischer und faschistischer Ideologien. Dreh- und Angelpunkt sind dabei Fantasien von Körperlichkeit, Geschlecht und Sexualität sowie die Sehnsucht der Männer nach Anerkennung durch Frauen. Die Frustration dieser Sehnsucht sei es, die sowohl eine Opfer-Haltung als auch Dominanz-Gebaren und Gewalt hervorbringe. Die Arbeit stützt sich unter anderem auf Klaus Theweleits „Männerphantasien“. Theweleit selbst hat ein begeistertes Vorwort zum Buch beigetragen. Positiv hervorzuheben ist, dass der Autor seine Herangehensweise kritisch reflektiert, etwa seine Position als Mann, der problematische Männerideologien analysiert, oder auch die Frage, inwiefern das Zitieren und Analysieren misogyner Positionen diese gleichzeitig affirmiert. Insgesamt ist der angebotene psychoanalytische Blick auf die Mannosphäre eine nützliche Ergänzung zur wachsenden Zahl der empirisch-quantitativen und auch computationalen Arbeiten.
Wie das – im Buch noch nicht behandelte – aktuelle Beispiel Andrew Tate zeigt, ist das Gedankengut der Mannosphäre inzwischen im Mainstream angekommen. Somit ist das Buch nicht nur für die Forschung, sondern auch für die medien- und sexualpädagogische Praxis als Hintergrundwissen relevant. Dabei bleiben einzelne Aspekte jedoch unterbeleuchtet, etwa die Frage, inwiefern es sich bei den genannte Online-Communitys wirklich um soziale „Gemeinschaften“ oder „Bewegungen“ handelt. Zudem geht das Buch, das leider keine einzige Tabelle oder Abbildung enthält, auch nicht genauer auf die große Bedeutung von Memes ein, mit denen die behandelten Ideologien bildlich und scheinbar humorvoll im Internet sehr große Kreise ziehen. Weiterhin wäre es spannend zu verfolgen, wohin sich einzelne Communitys der Mannosphäre verlagern (z. B. https://incels.is/) und wie sie sich womöglich verändern, nachdem ihre angestammten Reddit-Foren, wie oben angeführt, gesperrt worden sind.
Nicola Döring (Ilmenau)
Publication History
Article published online:
11 June 2025
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