NOTARZT 2025; 41(03): 126-127
DOI: 10.1055/a-2602-8906
Journal Club

Prähospitale Notfallthorakotomie – lebensrettend für ausgewählte Patienten

Rezensent(en):
Frank Weilbacher
,
Stephan Katzenschlager
,
Erik Popp
Perkins ZB. et al.
Prehospital Resuscitative Thoracotomy for Traumatic Cardiac Arrest.

JAMA Surg 2025;
160: 432-440
DOI: 10.1001/jamasurg.2024.7245
 

Die Notfallthorakotomie stellt eine etablierte, leitliniengerechte Therapieoption zur Behebung reversibler Ursachen im traumatischen Kreislaufstillstand (TCA) dar. Die Kollegen der London Air Ambulance führen diese Maßnahme seit über 20 Jahren prähospital durch und haben nun eine retrospektive Analyse ihrer umfassenden Datenbank veröffentlicht, aus welcher sich wichtige Erkenntnisse zum sinnvollen Einsatz des Verfahrens gewinnen lassen.


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Studiendesign und Ergebnisse

Die kürzlich erschienene Arbeit analysierte retrospektiv die Datenbank der London Air Ambulance (LAA) über einen Zeitraum von 21 Jahren. Die LAA behandelt ca. 2000 Traumapatienten pro Jahr, hiervon ⅓ mit penetrierenden Traumata. Im Berichtszeitraum wurden 601 prähospitale Notfallthorakotomien bei TCA durchgeführt.

In der weit überwiegenden Zahl der Fälle erfolgte die Notfallthorakotomie bei jungen Männern (89,5%, medianes Alter 25 Jahre) mit penetrierendem Trauma (88%), meist Stichverletzungen (73,5%). Stumpfe Traumata waren selten (12%), sodass die Aussagekraft für diese Patienten limitiert bleibt.

Die Studie untersuchte verschiedene Faktoren hinsichtlich ihres Einflusses auf das Überleben bis Krankenhausentlassung. Hierbei zeigte sich, dass eine ursächliche Perikardtamponade günstiger ist als die Exsanguination oder die Kombination beider Ursachen. Weiterhin war ein Intervall von ≤ 5 Minuten von Eintritt des TCA bis zur Thorakotomie ein unabhängiger Überlebensfaktor. Es gab keine Überlebenden bei Perikardtamponade und TCA > 15 Minuten sowie bei Hämorrhagie und TCA > 5 Minuten. Günstig war außerdem das Vorliegen einer pulslosen elektrischen Aktivität (PEA) im Vergleich zu Asystolie bzw. agonalem Rhythmus. Es überlebten jedoch auch 12% der Patienten mit Asystolie/agonalem Rhythmus, sodass dies nicht als alleiniges Kriterium akzeptiert werden kann. Von den 72 Patienten mit stumpfem Trauma überlebte eine Person mit einer Perikardtamponade.


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Kommentar

Patienten im TCA, bei denen alle anderen reversiblen Ursachen behoben wurden, haben ohne Thorakotomie oder alternative erweiterte Maßnahmen eine nahezu hundertprozentige Mortalität. Die vorliegende Publikation zeigt, dass eine Thorakotomie bei einem Teil dieser Patienten lebensrettend ist. Die Auswahl geeigneter Kandidaten bleibt herausfordernd. So ist davon auszugehen, dass die Perikardtamponade in einem wesentlichen Teil der Fälle erst nach der Thorakotomie klinisch festgestellt wurde, was den Stellenwert als Indikationskriterium einschränkt. Alternativ müsste vor Thorakotomie weitere Diagnostik, z. B. mittels Ultraschall, erfolgen. Der eindrücklich gezeigte Einfluss des Intervalls zwischen TCA und Thorakotomie unterstreicht jedoch, dass neben Indikationsstellung und Expertise in der Technik insbesondere die Geschwindigkeit entscheidend ist. Die einzuhaltenden Zeitintervalle lassen sich im TCA nicht durch Thoraxkompression verlängern und werden regelhaft bis zum Eintreffen in einem Schockraum abgelaufen sein. Vielmehr müssen geschulte Behandler geeignete Patienten bereits in der Präklinik erreichen.

Die Notfallthorakotomie ermöglicht neben der sicheren Entlastung einer Perikardtamponade auch Maßnahmen zur intrathorakalen Blutungskontrolle sowie die hocheffektive Aortenkompression. Da die Thorakotomie teils als sehr invasiv und komplex wahrgenommen wird, werden weniger invasive und vermeintlich technisch einfachere Alternativen diskutiert.

Statt des im Studienkollektiv verwendeten Clamshell-Zugangs wäre auch eine links laterale Thorakotomie leitliniengerecht. Durch den kleineren Zugang entstehen jedoch mehrere Nachteile. Es besteht weniger Übersicht, wodurch sich die Zeit bis zur Versorgung der Verletzung signifikant verlängert [1]. Weiterhin können während manueller Aortenkompression wichtige Maßnahmen wie Perikardiotomie oder offene/geschlossene kardiale Kompression nicht parallel erfolgen.

Für die Entlastung einer Perikardtamponade nach Trauma mittels (ultraschallgezielter) Perikardpunktion besteht keine mit den vorliegenden LAA-Daten vergleichbare Datenbank, sodass Erfolgsquote, Risiken oder Überlebensraten unklar sind. Die korrekte Durchführung unter prähospitalen Reanimationsbedingungen ist technisch anspruchsvoll, die Evakuation koagulierter Tamponadenanteile nicht möglich.

Eine temporäre Aortenokklusion kann alternativ zum offenen Vorgehen auch endovaskulär erfolgen (REBOA). Zur prähospitalen Anwendung dieses Verfahrens wurde kürzlich eine kleine Observationsstudie veröffentlicht [2]. Bei erfolgreicher REBOA-Anlage konnte der Blutdruck signifikant gesteigert werden, allerdings schlug die Anlage des arteriellen Zugangs bei 3 von 8 Patienten im TCA fehl, sodass auf offene Aortenokklusion konvertiert werden musste. Intrathorakale Blutungsquellen können mittels REBOA technisch nicht adressiert werden.

Insgesamt ist die verfügbare Evidenz für Perikardpunktion und REBOA geringer als für die Notfallthorakotomie.

Bei allen genannten alternativen Methoden besteht das Risiko, durch den Behandlungsversuch mittels eines vermeintlich weniger invasiven Verfahrens wertvolle Zeit zu verlieren und hierdurch das kurze Zeitfenster für eine erfolgversprechende Clamshell-Thorakotomie zu verpassen.

Fazit

Die Notfallthorakotomie stellt eine leitliniengerechte Therapie im TCA dar, die nachweislich auch prähospital lebensrettend sein kann. Der Stellenwert alternativer Interventionen bleibt unsicher. Geschulte Teams müssen den Patienten rechtzeitig erreichen. Entscheidend für den Erfolg sind frühzeitige Intervention und stringente Patientenselektion.


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Dr. med. Frank Weilbacher, Heidelberg; Dr. med. univ. Stephan Katzenschlager, Heidelberg; Prof. Dr. med. Erik Popp


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Dr. med. Frank Weilbacher


Oberarzt an der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Stv. Leiter der Sektion Notfallmedizin. Projektleiter des Medical Intervention Car. Stv. Leitender Hubschrauberarzt Christoph 53 Mannheim.

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Dr. med. univ. Stephan Katzenschlager


Facharzt an der Klinik für Anästhesiologie des Universitätsklinikums Heidelberg, Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Stellvertretender Forschungsgruppenleiter AG Sektion Notfallmedizin. DGAI Wissenschaftlicher Arbeitskreis Notfallmedizin Schriftführer, ILCOR Pediatric Life Support Task Force Mitglied, ESICM Trauma and Emergency Medicine Section Research Committee Representative. Wissenschaftliche Schwerpunkte: Erweiterte Maßnahmen in der Notfallmedizin, Reanimation, prähospitale Notfallmedizin.

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Prof. Dr. med. Erik Popp


Facharzt für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin und Intensivmedizin. Leitender Notarzt. Studium der Humanmedizin an der Universität Heidelberg. Tätig als Oberarzt und Leiter der Sektion Notfallmedizin der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg. Medizinischer Leiter der Stabsstelle Krisen- und Katastrophenmanagement. Schwerpunkte: Reanimation und invasive Notfalltechniken.

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Interessenskonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Flaris AN, Simms ER, Prat N. et al. Clamshell incision versus left anterolateral thoracotomy. Which one is faster when performing a resuscitative thoracotomy? The tortoise and the hare revisited. World J Surg 2015; 39: 1306-1311
  • 2 Lendrum RA, Perkins Z, Marsden M. et al. Prehospital Partial Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta for Exsanguinating Subdiaphragmatic Hemorrhage. JAMA Surg 2024; 159: 998-1007

Korrespondenzadresse

Dr. med. Frank Weilbacher
Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Heidelberg, Klinik für Anästhesiologie
Im Neuenheimer Feld 420
69120 Heidelberg
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
02. Juni 2025

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  • Literatur

  • 1 Flaris AN, Simms ER, Prat N. et al. Clamshell incision versus left anterolateral thoracotomy. Which one is faster when performing a resuscitative thoracotomy? The tortoise and the hare revisited. World J Surg 2015; 39: 1306-1311
  • 2 Lendrum RA, Perkins Z, Marsden M. et al. Prehospital Partial Resuscitative Endovascular Balloon Occlusion of the Aorta for Exsanguinating Subdiaphragmatic Hemorrhage. JAMA Surg 2024; 159: 998-1007

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