Z Geburtshilfe Neonatol 2025; 229(05): 313
DOI: 10.1055/a-2660-1258
Editorial

Neugeborenenversorgung zwischen Verantwortungsbewusstsein und Vorgabentreue

Authors

  • Dominique Singer

    1   Zentrum für Geburtshilfe, Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE)

Liebe Leserinnen und Leser,

die Situation dürfte in jedem Perinatalzentrum (Level 1) bekannt sein: Es ist Sonntagnachmittag. Im Kreißsaal meldet sich eine junge Frau in der 25. Gestationswoche mit unstillbarer Wehentätigkeit. Ein „intrauteriner Transport“ des zu erwartenden sehr kleinen Frühgeborenen ist nicht mehr möglich, außerdem befindet sich die Schwangere ja an der „richtigen Adresse“. Allein: Wenn das Kind auf die neonatologische Intensivstation kommt, wird dort die Schichterfüllungsquote „gerissen“, d. h. der verpflichtende Schlüssel von Fachpflegekräften zu Patienten temporär unterschritten. Was also soll geschehen: Das Frühgeborene dennoch aufnehmen, ggf. unter Inkaufnahme administrativer Sanktionen? Oder es extrauterin verlegen, unter Inkaufnahme medizinischer Risiken? Zu diesem Zielkonflikt findet sich in der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift für Geburtshilfe und Neonatologie (ZGN) eine epidemiologische Studie, in der die akribisch dokumentierte Personalbesetzung deutscher Perinatalzentren Level 1 zu der Mortalität und dem „Überleben ohne schwere Erkrankung“ bei sehr kleinen Frühgeborenen in Beziehung gesetzt wurde – mit dem Resultat, dass sich zwischen Ergebnisqualität und Schichterfüllungsquote kein Zusammenhang nachweisen ließ. Dieses Resultat sollte, wie in einem Gastkommentar und einem Leserbrief herausgestellt wird, nun sicherlich nicht so verstanden werden, dass Frühgeborenenmedizin unbesorgt auch mit weniger Personal zu gewährleisten wäre. Immerhin sind die quantitativen Vorgaben ursprünglich dazu da, eine qualitativ hochwertige Versorgung gegen wirtschaftliche Begehrlichkeiten durchzusetzen. Das Resultat zeigt aber auch, dass es im Einzelfall keine harten Argumente gibt, das Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Patienten der formalen Vorgabentreue unterzuordnen.



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Article published online:
13 October 2025

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