Schlüsselwörter
Ösophagusatresie - Transition - Erwachsenenmedizin - chronische Erkrankung - ganzheitliche
Versorgung
Einleitung
Die Ösophagusatresie (ÖA) wird traditionell als kinderchirurgische Diagnose verstanden.
Eltern erhalten oft den Eindruck, dass die Erkrankung mit der Operation und dem Kindesalter
abgeschlossen sei. Doch die Realität ist komplexer: Die Patient Journey endet weder
mit der chirurgischen Korrektur noch mit dem Erwachsenwerden. Während manche Familien
mit den anhaltenden medizinischen Problemen ein hohes Maß an Akzeptanz entwickeln,
bleiben dadurch relevante Komplikationen häufig unerkannt oder unbehandelt. Besonders
herausfordernd ist der Übergang von der pädiatrischen in die erwachsenenmedizinische
Versorgung. Hier bestehen in Deutschland noch große Versorgungslücken, da spezialisierte
multidisziplinäre Behandlungsteams für Erwachsene bislang kaum etabliert sind. Dieser
Beitrag stellt die zentralen medizinischen, psychosozialen und strukturellen Aspekte
des Übergangs in die Erwachsenenmedizin dar.
Transition in der Medizin – Definition, aktueller Stand und Bedeutung bei Ösophagusatresie
Transition in der Medizin – Definition, aktueller Stand und Bedeutung bei Ösophagusatresie
Begriffsklärung: Transition vs. Transfer
Transition (lat. transitio = Übergang) bezeichnet den geplanten, mehrjährigen Prozess
des Übergangs von der pädiatrischen in die Erwachsenenmedizin. Ziel ist die Förderung
von Selbstmanagement, psychosozialer Reife und gesundheitsbezogener Autonomie [1], [2].
Davon abzugrenzen ist der Transfer, also der konkrete Moment des Wechsels, z. B. die
Überweisung zu einer Erwachsenenklinik [3]. Ohne vorbereitende Transition führt dieser oft zu Versorgungsabbrüchen und schlechteren
Gesundheitsoutcomes [1], [2], [3]. Nationale und internationale Leitlinien betonen daher strukturierte Vorbereitung,
individuelle Pläne und interprofessionelle Abstimmung [4], [5], [6]. Die deutsche S3-Leitlinie fordert explizit den Einbezug von Jugendlichen, Eltern
und der Erwachsenenmedizin [6].
Aktuelle Situation in Deutschland
In Deutschland fehlt bislang eine flächendeckend implementierte Transitionsstrategie
[7], [9]. Modellprojekte wie TRANSLATE-NAMSE haben wertvolle Ansätze entwickelt, blieben
aber lokal begrenzt [7], [12]. Erhebungen zeigen, dass die meisten pädiatrischen Fachabteilungen keine formalen
Konzepte etabliert haben [8], [9]. Zudem erzwingt die Altersgrenze von 18 Jahren häufig einen abrupten Wechsel – ohne
ausreichende Vorbereitung oder psychosoziale Begleitung.
Eine Umfrage aus der pädiatrischen Nephrologie zeigt: Über 80% der Kliniken hatten
keine schriftlichen Vereinbarungen, betonten aber die Notwendigkeit strukturierter
Übergänge [8]. Auch Patient:innen mit Ösophagusatresie sind im Erwachsenenalter oft nicht mehr
adäquat allgemeinmedizinisch angebunden [15] ([Tab. 1]).
Tab. 1 Versorgungslücken in Deutschland – Ist vs. Soll.
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Bereich
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Ist-Zustand
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Soll-Zustand
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Transitionsprogramme
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nur Pilotprojekte, lokal begrenzt
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flächendeckend implementiert
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Altersgrenze
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abrupt bei 18 Jahren
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flexibel, individuell angepasst
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Erwachsenenstrukturen
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kaum spezialisierte Zentren
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multidisziplinäre Zentren bundesweit
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Nachsorgeplanung
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selten dokumentiert
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standardisierte Pläne mit Übergabegespräch
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Kommunikation Kindermedizin – Erwachsenenmedizin
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fragmentiert
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klare Schnittstellen, feste Ansprechpartner
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psychosoziale Begleitung
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unzureichend
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fester Bestandteil im Transitionskonzept
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Die Ösophagusatresie – Beispiel für komplexe Nachsorge
Die Ösophagusatresie (ÖA) ist eine Fehlbildung von Luft- und Speiseröhre, die durch
eine Anastomosenoperation allein nicht vollständig geheilt werden kann [33], [34]. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines lebenslangen Monitorings. In der Nachsorge
müssen sowohl medizinische als auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt werden –
einschl. zusätzlicher Fehlbildungen im Rahmen der VACTERL-Assoziation sowie der Langzeitfolgen
der operativen Versorgung. Dies unterstreicht die Bedeutung einer kontinuierlichen,
interdisziplinären Betreuung, die körperliche und psychische Dimensionen gleichermaßen
einschließt und auch die Familiensysteme einbezieht.
Gastroösophageale Langzeitprobleme
Gastroösophageale Langzeitprobleme
Aktuelle Übersichtsarbeiten weisen auf eine zunehmende Evidenz für die lebenslange
gastrointestinale Vulnerabilität von Patient:innen mit ÖA hin [10]. Zwar wird durch die operative Rekonstruktion die anatomische Kontinuität wiederhergestellt,
doch ersetzt sie die komplexe neuromuskuläre Steuerung des Ösophagus nur unvollständig.
Dies führt häufig zu persistierenden, motilitätsassoziierten Beschwerden. Eine personalisierte
Nachsorge, die sich an funktionellen Symptomen sowie endoskopischen und manometrischen
Befunden orientiert, wird daher zunehmend gefordert [10].
Motilitätsstörungen und nervale Steuerung
Viele Betroffene leiden an Störungen der oralen Phase, des Bolustransports und der
unteren Sphinkterkontrolle. Vermutlich spielt dabei eine Schädigung des N. vagus und
seiner Äste – insbesondere des N. laryngeus recurrens – eine Rolle [28], [29]. Da diese Bahnen für Motilität, Schluck- und Stimmfunktion essenziell sind, können
Funktionsstörungen nicht nur Dysphagie, sondern auch Heiserkeit, Stimmbandparesen
und eine erhöhte Aspirationsgefahr verursachen. Solche Probleme treten häufiger erst
im Kindes- oder Jugendalter auf und erfordern eine interdisziplinäre Nachsorge (u. a.
Gastroenterologie, Logopädie, HNO).
Gastroösophageale Refluxkrankheit (GÖRK)
Die gastroösophageale Refluxkrankheit gehört zu den häufigsten Langzeitkomplikationen:
Sie betrifft etwa die Hälfte der Jugendlichen und nahezu alle Erwachsenen [18], [19]. Die Symptomatik ist dabei oft unspezifisch; auch asymptomatische Patient:innen
können relevante Schäden entwickeln. Mögliche Komplikationen sind Strikturen, eosinophile
Ösophagitis, Dumping-Syndrom, Barrett-Metaplasie bis hin zum Karzinom [18]. Daher sind regelmäßige Kontrollendoskopien (ÖGD), idealerweise alle 5 – 10 Jahre,
obligat [18], [19].
Ernährung und Gedeihen
Schon Kinder mit ÖA entwickeln häufig Aversionen gegen bestimmte Nahrungsmittel oder
Ängste vor dem Verschlucken [16]. Dies kann zu Essstörungen und Gedeihstörungen führen. Im Erwachsenenalter zeigen
sich deutliche Unterschiede zur Allgemeinbevölkerung: 21% der Betroffenen sind untergewichtig,
nur 2% adipös [15]. Logopädische und ernährungstherapeutische Unterstützung bleibt daher auch über
Kindheit und Jugend hinaus wichtig, um Mangelernährung und Folgeprobleme zu verhindern
[15], [17]. Dies gilt insbesondere, wenn die primäre Versorgung ausschließlich chirurgisch
erfolgte und über Jahre keine strukturierte Nachsorge stattfand.
Respiratorische Langzeitkomplikationen
Respiratorische Langzeitkomplikationen
Respiratorische Probleme gehören zu den zentralen Langzeitfolgen der Ösophagusatresie
[11], [13], [14]. Besonders häufig ist die Tracheomalazie, die bei bis zu einem Drittel der Betroffenen
auftritt [11]. Durch die Instabilität der Luftröhre kommt es zu chronischem Husten, rezidivierenden
Infekten, Atelektasen und im Verlauf sogar zu Bronchiektasen. Symptome wie Stridor,
Giemen oder Atemnot werden im Kindesalter oft fälschlich als Asthma oder Krupphusten
gedeutet. Auch mikroaspirationsbedingte Bronchitiden sind häufig.
Diagnostik
Die Abklärung erfolgt interdisziplinär und umfasst Lungenfunktionstests, flexible
und starre Bronchoskopien sowie bildgebende Verfahren. Low-Dose-CT- oder Real-Time-MRT-Untersuchungen
mit dynamischen Atemmanövern ermöglichen die Darstellung von Kollapsphänomenen der
Trachea und Bronchien [13], [14], [35].
Therapie und Management
Therapeutische Optionen reichen von Inhalationen (Kochsalz, N-Acetylcystein) und strukturierter
Atemphysiotherapie (z. B. autogene Drainage, PEP-Systeme) bis hin zu chirurgischen
Verfahren wie der Tracheopexie bei schweren Verläufen [11], [13], [14]. Auch antibiotische Strategien nach dem Vorbild der Mukoviszidosebehandlung sind
etabliert [14]. Dabei ist entscheidend, Eltern und später die Patient:innen selbst zu schulen und
Reserveantibiotika für Akutsituationen bereitzuhalten – auch im Erwachsenenalter.
Strukturierte Langzeitbetreuung
Eine kontinuierliche Atemphysiotherapie sollte als fester Bestandteil der Nachsorge
verordnet werden [13]. Bei rezidivierenden Infekten und Zeichen chronischer Lungenschädigung empfiehlt
sich der Übergang in spezialisierte Bronchiektasenambulanzen (pädiatrisch oder pneumologisch),
um regelmäßige Verlaufskontrollen und Frühinterventionen sicherzustellen [14]. Für vertiefende Aspekte sei auf den Beitrag „Pneumologische Probleme bei Kindern
mit operierter Ösophagusatresie“ verwiesen.
Muskuloskelettale Folgen und Skoliose
Muskuloskelettale Folgen und Skoliose
Nach offenen Thorakotomien entwickeln viele Patient:innen mit Ösophagusatresie muskuloskelettale
Spätfolgen, darunter Rippenfusionen, Thoraxasymmetrien und Skoliosen [17], [32]. Minimalinvasive, thorakoskopische Operationstechniken senken dieses Risiko deutlich
[20].
Eine aktuelle prospektive MRT-Studie aus Leipzig konnte diese Beobachtungen erstmals
morphologisch und funktionell in Echtzeit belegen: Kinder nach offener ÖA-Operation
zeigten signifikant häufiger Rippenfusionen und Adhäsionen (78%) sowie Skoliosen (15%)
im Vergleich zu minimalinvasiv operierten Kindern oder gesunden Kontrollen [32]. Zudem war die thorakale Entwicklung eingeschränkt, mit verminderten rechtsseitigen
Lungenvolumina und asymmetrischen Thoraxbewegungen. Besonders die Zahl der durchgeführten
Thorakotomien erwies sich als Risikofaktor für reduzierte Thoraxvolumina.
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass muskuloskelettale und pulmonale Langzeitprobleme
nach Thorakotomien häufig unterschätzt werden und eine gezielte Nachsorge erfordern.
Neben regelmäßigen klinischen und bildgebenden Kontrollen sollten insbesondere Physiotherapie,
Atemübungen und sportliche Aktivitäten gefördert werden. Geeignete Sportarten stärken
nicht nur die körperliche Entwicklung, sondern unterstützen auch die psychosoziale
Stabilität der Betroffenen. Hierzu sei auf den Beitrag „Verbesserung der Physical
Literacy bei Kindern und Jugendlichen mit Ösophagusatresie“ verwiesen.
Psychosoziale Aspekte und Lebensqualität
Psychosoziale Aspekte und Lebensqualität
Trotz erheblicher medizinischer Fortschritte berichten viele Betroffene weiterhin
von Einschränkungen im Alltag. Dazu zählen reduzierte körperliche Belastbarkeit, Beeinträchtigungen
in Schule, Ausbildung oder Beruf sowie eine eingeschränkte Partnerschafts- und Lebensqualität
[15], [21], [22], [23]. Besonders belastend sind dysphagiebedingte Probleme in sozialen Situationen, etwa
beim gemeinsamen Essen, sowie Schulabsentismus infolge rezidivierender respiratorischer
Infekte. Beides trägt zu emotionalem Stress und reduzierter Lebensqualität bei [21], [22], [31].
Darüber hinaus zeigen Studien eine erhöhte Prävalenz psychischer Erkrankungen wie
Depressionen, ADHS und Autismus bei Patient:innen mit Ösophagusatresie [24]. Deshalb sollte die psychische Gesundheit in der Nachsorge regelmäßig überprüft
werden. Neben medizinischer Betreuung sind die Einbindung von Selbsthilfeorganisationen
(z. B. KEKS, SoMA) sowie eine empathische, offen geführte Arzt-Patienten-Kommunikation
entscheidende Faktoren für eine langfristig stabile Lebensqualität ([Tab. 1]).
Aus der ÖA-Vorgeschichte ergibt sich ein klarer Handlungsrahmen.
Empfehlungen für die ambulante Betreuung (vgl. [Tab. 2])
Empfehlungen für die ambulante Betreuung (vgl. [Tab. 2])
Tab. 2 Empfehlungen für die ambulante Nachsorge bei Ösophagusatresie.
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Bereich
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Empfohlene Maßnahme
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Frequenz/Kommentar
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gastrointestinal
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ÖGD mit Biopsien (Stenosen, GÖRK, Barrett, EoE)
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alle 5 – 10 Jahre oder symptomorientiert
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respiratorisch
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Lungenfunktion, ggf. Bronchoskopie, Atemtherapie
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alle 1 – 2 Jahre, bei Infekten sofort
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Ernährung
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Gewicht, BMI, Essverhalten
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jährlich
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muskuloskelettal
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Inspektion auf Haltung, Skoliose
|
jährlich
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psychosozial
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EA-QoL, Screening auf Depression/ADHS/Autismus
|
regelmäßig
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Impfungen
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Pneumokokken, Influenza, Pertussis, Haemophilus influenzae (Hib), ggf. RSV (Respiratory
Syncytial Virus) + COVID-19
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Impfstatus regelmäßig prüfen
|
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Vernetzung
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KEKS/NEKS-Gesundheitsordner, Selbsthilfeanbindung
|
kontinuierlich
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Der Übergang in die Erwachsenenmedizin ist besonders kritisch, da in Deutschland spezialisierte
multidisziplinäre Teams bislang kaum etabliert sind. Vor diesem Hintergrund ergeben
sich für die ambulante Betreuung klare Handlungsempfehlungen:
-
gastrointestinale Nachsorge: Regelmäßige Endoskopien (ÖGD) mit Biopsien, auch bei
fehlender Symptomatik, um Komplikationen wie Stenosen, Refluxkrankheit, Barrett-Metaplasie
oder eosinophile Ösophagitis frühzeitig zu erkennen.
-
respiratorische Diagnostik: Lungenfunktionstests alle 1 – 2 Jahre, Bronchoskopien
bei rezidivierenden Infekten oder chronischem Husten; ggf. Atemtherapie und Empfehlung
zu altersgerechter körperlicher Aktivität
-
Ernährungsstatus: regelmäßige Erfassung von Gewicht, BMI und Essverhalten; frühzeitige
Einbindung von Ernährungsmedizin und Logopädie bei Auffälligkeiten
-
muskuloskelettales Screening: klinische Untersuchung auf Haltungsschäden und Skoliose,
ggf. bildgebende Abklärung
-
psychosoziale Begleitung: Erhebung der Lebensqualität (z. B. mit dem EA-QoL), bei
Bedarf Anbindung an Psychotherapie oder Sozialberatung
-
Prävention: Überprüfung und Aktualisierung des Impfschutzes, insbesondere gegen Pneumokokken,
Influenza, Pertussis und Haemophilus influenzae (Hib), ggf. RSV (Respiratory Syncytial
Virus) – neue Impfmöglichkeiten: z. B. Nirsevimab (passive Immunisierung im 1. Lebenswinter),
besonders für Säuglinge mit Risikofaktoren. Ferner zu erwägen: COVID-19 (entsprechend
STIKO-Empfehlung für Kinder ab 6 Monaten mit Vorerkrankungen).
-
Selbsthilfe und Vernetzung: Empfehlung zur Nutzung von Patientenorganisationen wie
KEKS oder SoMA sowie des KEKS-Gesundheitsordners als strukturierte Dokumentations-
und Kommunikationshilfe
Diese Empfehlungen unterstreichen, dass die Nachsorge von ÖA-Betroffenen nicht als
abgeschlossener chirurgischer Eingriff, sondern als lebenslange, interdisziplinäre
Aufgabe verstanden werden muss.
Partizipierende in der ganzheitlichen Nachsorge
Partizipierende in der ganzheitlichen Nachsorge
Die bisherigen Handlungsempfehlungen und die weiterhin bestehenden Defizite in den
Transitionsstrukturen verdeutlichen die Notwendigkeit gut informierter, vernetzter
und engagierter Akteur:innen. Sie tragen entscheidend dazu bei, eine kontinuierliche
Nachsorge sicherzustellen und den Übergang in die Erwachsenenmedizin strukturiert
zu gestalten. Im Folgenden werden die wichtigsten Beteiligten sowie Perspektiven für
die Versorgungsentwicklung vorgestellt.
Kinderärzt:innen als Schlüsselakteur:innen
Kinderärzt:innen, die chronisch kranke Kinder oft über viele Jahre begleiten, spielen
eine zentrale Rolle im Transitionsprozess. Durch ihr Wissen über Krankheitsverlauf,
familiäre Dynamiken und psychosoziale Faktoren können sie den Übergang frühzeitig
vorbereiten, altersgerechte Schulungen integrieren und individuelle Pläne entwickeln.
Gezielte Assessments ermöglichen es, Selbstständigkeit, Krankheitsverarbeitung und
psychosoziale Reife einzuschätzen. Darauf aufbauend lassen sich Maßnahmen wie Transitionssprechstunden,
Praktika in Erwachsenenambulanzen oder strukturierte Übergabegespräche planen.
In der Praxis scheitern diese Ansätze jedoch häufig an fehlenden Ressourcen und mangelnder
Vernetzung mit der Erwachsenenmedizin. Fachärzt:innen für Erwachsene sind oft nicht
ausreichend auf die komplexen Bedarfe vorbereitet. Umso wichtiger sind verbindliche
Kommunikationsstrukturen und interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Patientenorganisationen als Brückenbauer
Selbsthilfeorganisationen wie KEKS oder SoMA ergänzen die medizinische Versorgung
durch Information, Peer-Support und Transitionsprogramme. Ihre Angebote reichen von
Workshops und Übergabeheften bis hin zu Mentoring durch ältere Betroffene. Dadurch
fördern sie Gesundheitskompetenz, Adhärenz und Lebensqualität [25], [26].
Darüber hinaus können Patientenorganisationen als Mediatoren zwischen Familien und
Versorgungsstrukturen wirken: Sie adressieren Ängste, klären Erwartungen und schaffen
Vertrauen in neue ärztliche Teams. Durch ihre kontinuierliche Begleitung tragen sie
wesentlich dazu bei, Brüche im Transitionsprozess abzufedern [30].
Gestaltung eines „Transfer-Ankunftsbahnhofs“
Ein zentrales Ziel künftiger Versorgungsstrukturen sollte der Aufbau eines „Transfer-Ankunftsbahnhofs“
sein – verstanden als realer oder virtueller Ort, an dem die Übergabe von der Kinder-
in die Erwachsenenmedizin koordiniert und begleitet wird [7], [27].
Elemente eines solchen Ankunftsbahnhofs könnten sein:
-
gemeinsame Übergabesprechstunden von Kinder- und Erwachsenenmediziner:innen
-
strukturierte Übergabepläne mit relevanter Krankheits- und Therapiehistorie
-
Transitionslots:innen oder Koordinator:innen, die den Prozess begleiten
-
psychosoziale Unterstützung durch Sozialarbeit und Psychologie
-
partizipative Nachsorgegespräche zur Evaluation des Übergangs
Ein solcher „Bahnhof“ wäre mehr als eine Übergabestation: Er wäre ein Raum für Empowerment,
Validierung und Zusammenarbeit, der das „schwarze Loch“ zwischen den Versorgungssystemen
schließt und Jugendlichen wie Familien Sicherheit und Orientierung bietet.
Fazit
Die Transition von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen – insbesondere
bei seltenen und komplexen Diagnosen wie der Ösophagusatresie – stellt eine zentrale,
aber weiterhin unzureichend strukturierte Phase in der Versorgung dar. Zwar beendet
die chirurgische Korrektur die akute Krankheitsphase, doch zahlreiche gastrointestinale,
pulmonale, muskuloskelettale und psychosoziale Langzeitfolgen erfordern eine kontinuierliche,
interdisziplinäre Nachsorge.
Derzeit bestehen in Deutschland erhebliche Defizite: fehlende flächendeckende Transitionsprogramme,
starre Altersgrenzen, unzureichende Vernetzung mit der Erwachsenenmedizin und kaum
etablierte multidisziplinäre Strukturen. Daraus resultieren Versorgungslücken, die
nicht nur medizinische Risiken bergen, sondern auch die Lebensqualität und psychosoziale
Stabilität der Betroffenen beeinträchtigen.
Bis zu einer institutionellen Verankerung strukturierter Transitionskonzepte kommt
ambulanten Kinder- und Jugendärzt:innen eine Schlüsselrolle zu. Sie sind zentrale
Lots:innen, die durch ihre kontinuierliche Begleitung, frühzeitige Aufklärung und
individuellen Transitionspläne entscheidend zum Gelingen des Übergangs beitragen.
Ergänzend leisten Selbsthilfeorganisationen wie KEKS und SoMA wertvolle Unterstützung,
indem sie Informationsangebote, Peer-Support und praktische Hilfen bereitstellen.
Langfristig braucht es jedoch verbindliche politische, institutionelle und finanzielle
Rahmenbedingungen: Transitionszentren, interdisziplinäre Netzwerke, feste Übergabestrukturen
und definierte Ankunftsorte („Transfer-Bahnhöfe“), die den Wechsel in die Erwachsenenmedizin
koordinieren und begleiten. Nur durch solche nachhaltigen Strukturen kann der Übergang
gelingen – mit dem Ziel, nicht nur Komplikationen zu vermeiden, sondern jungen Menschen
mit Ösophagusatresie und vergleichbaren Erkrankungen ein stabiles, gesundes und selbstbestimmtes
Leben im Erwachsenenalter zu ermöglichen.