Schlüsselwörter
Lokomotion - Symmetrie - Druckmesssohle - Walkway
Keywords
locomotion - symmetry - pressure insoles - walkway
Einleitung
Die bipede menschliche Lokomotion hat sich sehr wahrscheinlich vor ca. 3 Millionen
Jahren entwickelt [1]. Dabei waren ganz offensichtlich die Vorteile durch die erhöhte Kopfposition und
das Freiwerden der Arme stärker als die damit ebenso einhergehende Verringerung der
posturalen Stabilität [2], bzw. der ebenfalls erhöhte Aufwand während Lokomotion [3]. Die genannten Nachteile konnten durch weitere evolutionäre Anpassungen wie Verlust
der Körperbehaarung, sowie die Entwicklung Schweißdrüsen am Körper und damit die Möglichkeit
einer verbesserten Wärmeregulation ausgeglichen werden [4]
[5]. Weitere evolutionäre Vorteile der Aufrichtung ergaben sich nicht zuletzt durch
die Verringerung der der Sonne direkt ausgesetzten Körperfläche [4]
[5]. Diese unvollständige Aufzählung zeigt deutlich, dass die Errungenschaft der Bipedie
nicht nur vorteilhaft für die Hominiden war, sondern weitere Anpassungen erforderte.
Jegliche Lokomotion befindet sich immer im Spannungsfeld zwischen Dynamik und Stabilität.
Befunde beim Menschen [6]
[7] konnten zeigen, dass externe Beeinträchtigungen der Standstabilität bereits beim
nächstfolgenden Schritt ausgeglichen werden und danach wieder die ungestörte Situation
erreicht wird. Eine eintretende Störung wird also prompt beantwortet und korrigiert.
Daraus erwächst die Erkenntnis, dass bei permanent auftretenden Störungen also genauso
andauernd Korrekturbedarf besteht, der entsprechend erfüllt werden muss. Entsteht
die Störung aus einer orthopädischen oder anderen permanenten Ursache, führt sie also
bei jedem Schritt zu einer Kompensationsanforderung der Gegenseite. Damit besteht
die Gefahr einer Dekompensation, wenn die funktionellen Reserven der kompensierenden
Seite, beispielsweise aufgrund muskulärer Ermüdung zumindest temporär aufgebraucht
sind. Dadurch kann
sich ebenfalls ein Beschwerdebild entwickeln, welches scheinbar paradoxerweise die
Gegenseite der Störquelle betrifft. Da jedes Individuum mehr oder weniger asymmetrisch
ist, trifft die beschriebene Problematik der Kompensationsanforderung einer Seite
praktisch alle Personen. Unter nicht ermüdeten Bedingungen merken wir im Allgemeinen
nichts davon, aber bereits der Blick auf den Absatz bzw. die Sohle der Lieblingsschuhe
verrät die Wahrheit: hier sieht man so gut wie immer eine mehr und eine weniger abgenutzte
Seite. Dabei ist die kompensierende Seite die stärker abgenutzte Seite, da hier der
Störimpuls beantwortet werden muss.
Demnach sind Bemühungen, hier Belastungen zu Symmetrisieren funktionell sinnvoll und
sollten zu einer Entlastung des lokomotorischen Gesamtsystems führen. Dies gilt neben
Personen mit nachweisbaren Störungen also genauso auch für Personen ohne jegliche
Beschwerden. Deswegen war die Zielstellung der hier vorgestellten Untersuchung, herauszufinden,
ob durch die Verwendung einer Gangjustierhilfe (GJH, Fobagon) eine Symmetrisierung
der Druckverteilung beim Gehen erreicht werden kann. Dabei wurde die GJH jeweils beidseits
appliziert. Durch diese unspezifisch anmutende Applikationsvariante sollten mögliche
Fehlapplikationen bei einseitiger Verwendung durch Fehlidentifikation der zu versorgenden
Seite vermieden und gleichzeitig ermittelt werden, ob diese beidseitige Applikation
das Druckmuster in der Lage ist zu symmetrisieren.
Methode
Für diese Untersuchung wurden insgesamt 16 gesunde freiwillige Probanden (7 Frauen)
im Alter zwischen 19 und 35 Jahren als Teilpopulation einer umfangreicheren Studie
untersucht. Die Studie wurde der zuständigen Ethik-Kommission an der Friedrich-Schiller-Universität
Jena zur Genehmigung vorgelegt und erhielt ein positives Votum (Referenznummer: 2020-1653-BO,
2020-1653_1-BO). Damit erfüllt die Studie die ethischen Standards für Untersuchungen
am Menschen und ist damit konform mit der aktuellen Version der Deklaration von Helsinki.
Die Probanden gingen in jeweils selbst gewählter langsamer, normaler und schneller
Gehgeschwindigkeit auf einem 10-m-Walkway. Als Schuhwerk trugen alle Teilnehmer einen
neuen, ungetragenen Arbeitssicherheitsschuh in ihrer Schuhgröße (CONNEXIS Safety+GTX,
Haix) welcher einmal ohne und dann mit der GJH in der individuell gewichtsadaptierten
Ausführung ausgestattet war ([Abb. 1]). Für die Druckmessung verwendeten wir ebenfalls größenangepasste Drucksohlen (GP
MobilData WiFi, GeBioM mbH, Abtastrate: 200/s), die in die Schuhe eingebracht waren.
Hierüber wurden Druckmessdaten über jeweils 5–7 verwertbare Schritte (ohne Beschleunigung
oder Verlangsamung: jeweils erste und letzte zwei Schritte wurden verworfen) erfasst,
deren gemittelte Werte in die Analyse eingingen. Die Analyseparameter pro Körperseite
waren der mittlere Druck, der maximale Druck, der Quotient aus Impuls (Fläche unter
der Druckkurve) des Mittelfußes und des
gesamten Fußes, sowie die Kraftrate (entspricht steilstem Anstieg der Druckkurve).
Abb. 1 Abbildung der Gangjustierhilfe an einem Holzmodell.
Für alle Parameter wurde neben der seitengetrennten Auswertung der Symmetrieindex
(SI) als Hauptzielparameter berechnet. Für den SI gibt es mehrere Berechnungsvarianten,
die sich nicht grundsätzlich aber im Detail unterscheiden [8]. Generell werden die Seitendifferenzen im Zähler gegen einen Referenzwert im Nenner
prozentual ins Verhältnis gesetzt. Dabei wird für die etablierten und für die vorliegende
Analyse geeigneten Varianten des SI entweder das Maximum [9], die Differenz zwischen Maximum und Minimum [8], sowie der Mittelwert der beiden Werte als Referenz verwendet [10]. In der hier durchgeführten Analyse haben wir uns für die Verwendung des SI nach
Robinson entschieden, da hier durch den Bezug auf den Mittelwert aus beiden Seiten
Extremwerte weniger stark ins Gewicht fallen. Weiterhin wurde für die
Berechnung die ansonsten fixe Seitenzuordnung, die also zu positiven und negativen
Werten führen kann nicht verwendet. Wir haben hier nur die absoluten Abweichungen
quantifiziert um scheinbar niedrige Werteniveaus durch das Auslöschen von wechselseitigem
linkem und rechtem Überwiegen auszuschließen. Damit kann zwar keine Seitenzuordnung
mehr erfolgen, da es aber bei dem untersuchten Kollektiv keine krankheitsbedingte
Seitenpräferenz gab, war dies analysetechnisch kein Hindernis. Insofern können Niveauänderungen
des berechneten SI direkt mit einer entsprechenden Änderung der Symmetrieverhältnisse
in Beziehung gebracht werden. Generell gilt, dass kleine Werte einer geringen Abweichung
zwischen den Seiten, also einer symmetrischen Verteilung entsprechen. Der SI nach
Robinson kann dabei Werte zwischen 0% und 200% annehmen [10].
Für die statistischen Vergleiche zwischen den Applikationssituationen wurde der Wilcoxon
Test für verbundene Stichproben gewählt, da für den geringen Stichprobenumfang keine
Normalverteilung der Werte nachgewiesen werden konnte. Die korrespondierende Effektstärke
wurde ebenfalls berechnet.
Ergebnisse
Die zeitunabhängigen Parameter mittlerer Druck, maximaler Druck, sowie der Impulsquotient
wiesen für die selbst gewählte langsame und normale Gehgeschwindigkeit jeweils niedrigere
SI Werte bei Verwendung der GJH auf als ohne. Dies war während normaler Gehgeschwindigkeit
für den mittleren Druck und den Impulsquotient statistisch signifikant nachweisbar
([Abb. 2]). Allerdings weisen die ebenfalls berechneten Effektstärken für den mittleren Druck
durchgängig und für den maximalen Druck außer dem schnellen Gehen mindestens mittlere
Effektstärken auf ([Tab. 1]).
Abb. 2 Darstellung der Symmetrieindices für die pedobarographischen Kennwerte ohne und mit
Applikation der Gangjustierhilfe. Die Werte sind als Mediane±Quartilsabstände dargestellt.
Statistische Unterschiede (p<0,05) zwischen den Applikationssituationen sind durch
Sternchen gekennzeichnet.
Tab. 1 Effektstärken der SI Werte für den Vergleich ohne und mit GJH
Parameter
|
Langsam
|
Normal
|
Schnell
|
Mittlerer Druck
|
0,427
|
0,582
|
0,401
|
Maximaler Druck
|
0,465
|
0,052
|
0,013
|
Impulsquotient
|
0,271
|
0,633
|
0,132
|
Kraftrate
|
0,142
|
0,323
|
0,132
|
Beurteilung Effektstärke (ES): ES<0,3: klein, ES 0,3–0,5 mittel, ES>0,5: groß [11]
[12]
Anders stellt sich die Situation für die Kraftrate als zeitabhängiger Parameter dar:
hier gab es eine generelle Tendenz zu höheren Werten des SI bei Verwendung der GJH.
Die berechneten ES wiesen für Gehen mit normaler Gehgeschwindigkeit einen mittleren
Effekt auf.
Diskussion
In der vorliegenden Studie wurde der Einfluss einer in den Schuh eingebrachten Gangjustierhilfe
auf das Symmetrieverhalten ausgewählter pedobarographischer Parameter untersucht.
Die Arbeitshypothese war, dass es durch die Anwendung der GJH zu einer Symmetrisierung
der Druckwerte kommt, die aus funktioneller Sicht erstrebenswert ist. Die Anwendung
der GJH erfolgte beidseits, obwohl praktisch immer eine stärker und eine schwächer
beanspruchte Seite identifizierbar war. Dies erfolgte, um eine Falschapplikation durch
entgegengesetzte Seitenzuordnung auszuschließen. Dies erscheint allerdings zunächst
widersprüchlich wenn man der Hypothese folgt, dass es immer eine funktionelle Asymmetrie
gibt die es gilt, so effizient wie möglich auszugleichen. Das würde die einseitige
Applikation auf der der Kompensation (stärker beanspruchte Seite) gegenüberliegenden
Seite nahelegen. Bereits in einer vorangegangenen Studie konnten wir anhand von Oberflächen-EMG
Daten der Beinmuskeln
Hinweise darauf erhalten, dass auch dort die beidseitige Applikation der GJH keinen
Nachteil gegenüber der einseitigen Applikation aufwies [13]. Das kann am ehesten an der Applikation und der sich daraus ableitbaren Wirkungsweise
der GJH liegen. Sie wird im medial- ventralen Bereich der Ferse appliziert und ist
so konstruiert, dass sie lediglich einen Korrekturimpuls auf den Calcaneus ausübt.
Damit wird dieser minimal aufgerichtet und lateral rotiert. Dieses Moment soll zu
einer optimierten lokomotionsphysiologischen Orientierung des gesamten Fußes führen
und verringert damit den Lokomotionsaufwand. Das konnte in der Studie von Sievers
eindeutig anhand von muskulären Aufwandsparametern nachgewiesen werden [13]. Ebenso konnte eine Veränderung der Oberkörperbewegung im Sinne einer verstärkten
Aufrichtung nachgewiesen werden [14]. Am ehesten
ist also auch auf der der kompensierenden Seite gegenüberliegenden Körperseite dieser
Effekt vorhanden. Gleichzeitig sollte die Wirkung auf der gegenüberliegenden Seite
stärker ausgeprägt sein, was sich in einer Symmetrisierung assoziierter Parameter
zeigen sollte.
Diese Symmetrisierung konnte teilweise signifikant und mehrfach relevant für die ermittelten
Druckwerte, sowie die Fläche unter der Druckkurve (Impulsquotient) nachgewiesen werden:
bei Applikation der GJH verringerte sich der Wert des SI, es erfolgte also eine Symmetrisierung
dieser Werte. Diese Ergebnisse sind insofern bemerkenswert, weil damit neben der bereits
nachgewiesenen Aufwandsverringerung durch die Applikation der GJH nunmehr auch eine
Angleichung der Druckprofile nachgewiesen werden konnte. In diesem Sinn ist es auch
nicht verwunderlich, dass die Kraftrate, also die größte Anstiegssteilheit der Druckwerte
bei Applikation der GJH Tendenzen hin zu weniger symmetrischen Werten aufwies: damit
gelingt indirekt ein quasi funktioneller Nachweis der differenzierten Wirkungsentfaltung
der GJH pro Seite.
Da anhand der vorgestellten Daten ein grundsätzlicher Wirknachweis der GJH in Hinblick
auf eine Gangsymmetrisierung vorgenommen werden konnte, sollten weiterführende Untersuchungen
an Patienten mit bekannten Symmetrieproblemen während der Lokomotion, beispielsweise
an Patienten mit Hüft- oder Knieendoprothese, oder auch an Patienten mit neurologischen
Krankheitsbildern durchgeführt werden, um den Wirknachweis auch für dafür zu erbringen.
Entsprechende Untersuchungen sind in Vorbereitung.
Auswertungstechnische Überlegungen
Die Anwendung des SI als seitenunabhängiger Parameter bietet gegenüber der seitenbezogenen
Verwendung, wie sie standardmäßig verwendet wird gleichzeitig Einschränkungen und
Vorteile. Als Einschränkung ist zu erwähnen, dass dadurch keine Seitenzuordnung der
Seitendifferenzen vorgenommen werden kann. Da es sich hier aber um beschwerdefreie
gesunde Probanden handelte, ist auch keine Seitenpräferenz anzunehmen. Bei der Mittelung
von positiven und negativen Differenzwerten besteht immer die Gefahr, dass eine Mittelung
scheinverbesserte Ergebnisse erbringt, weil sich die positiven und die negativen Differenzen
zumindest teilweise neutralisieren und allein dadurch niedrigere Werte zustande kommen.
Dieses Problem besteht bei Verwendung absoluter Differenzen nicht. Damit ist eine
Niveauänderung eindeutig einer richtungsgleichen Änderung der Symmetriemaße zuzuordnen.
Weiterhin gilt, dass in der Analyse lediglich die Symmetriemaße der jeweiligen Parameter
ausgewertet
wurden. Aussagen zu deren Niveaus sind damit nicht möglich. Allerdings war dies auch
nicht intendiert.