Schlüsselwörter Post-COVID - Long-COVID - Versorgung - Deutschland - Rehabilitation
Keywords post COVID - long COVID - healthcare - Germany - rehabilitation
Einleitung
Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, dass ein relevanter Anteil der Betroffenen
über die akute Krankheitsphase hinaus persistierende oder neu auftretende Beschwerden
entwickelt. Die WHO definiert die Post-COVID-19 Condition (Long-COVID) als Symptome, die 3 Monate nach akuter SARS-CoV-2-Infektion neu auftreten
oder fortbestehen, mindestens 2 Monate andauern und nicht durch eine andere Diagnose
erklärbar sind [1 ]. Systematische Übersichtsarbeiten zeigen jedoch eine erhebliche Heterogenität in
den verwendeten Zeitkriterien, Symptomdefinitionen und diagnostischen Ansätzen [2 ]. Diese Heterogenität erschwert die Vergleichbarkeit von Studien, die Abschätzung
der Prävalenz und die Entwicklung standardisierter Versorgungspfade.
Parallel zu den diagnostischen Unsicherheiten bestehen in der klinischen Versorgung
erhebliche Herausforderungen. Internationale Studien weisen auf eine lückenhafte Versorgung,
lange Wartezeiten und fehlende standardisierte diagnostische Verfahren hin [3 ]. Auch in Deutschland berichten Betroffene und Hausärzte über unklare Zuständigkeiten,
eingeschränkten Zugang zu spezialisierten Versorgungsangeboten sowie Defizite in der
Koordination [4 ]
[5 ].
Ziel der vorliegenden Untersuchung war es daher, auf Grundlage einer bundesweiten
Befragung die Versorgungssituation von Long-COVID-Patienten in Deutschland zu analysieren,
bestehende Defizite zu identifizieren und Ansatzpunkte für eine strukturierte Weiterentwicklung
der Versorgung abzuleiten, wie sie in der aktuellen deutschen S1-Leitlinie Long/Post-COVID
diskutiert wird [6 ].
Methoden
Hierfür erstellten die Autoren eine Liste von 17 Fragen, die soziodemografische Daten,
Symptomatik, Krankheitsverlauf, Versorgungswege, finanzielle Belastung und Auswirkungen
auf Beruf und Alltag von Long-COVID-Betroffenen erfragten (siehe Infobox ). Die Fragen wurden Long-COVID-Patienten vorab zum Test gegeben, um die Verständlichkeit
zu überprüfen und gegebenenfalls weitere relevante Fragen oder Antwortoptionen zu
ergänzen. Die Fragen wurden anhand des Feedbacks der Patienten überarbeitet. Die Befragung
(„LoCoVers“) wurde über die Plattform Unipark programmiert und war für die Teilnehmenden
anonym. Die Befragung wurde über die Long-COVID-Plattform der Bundesarbeitsgemeinschaft
Selbsthilfe sowie das soziale Netzwerk BlueSky veröffentlicht und beworben. Die Programmierung
wurde so konzipiert, dass ein erneutes Ausfüllen der Umfrage vom selben Endgerät ausgeschlossen
war. Das Vorhaben wurde der Ethikkommission der Philipps-Universität Marburg vorgelegt
und positiv bewertet (ID: 25/83 ANZ).
Auflistung aller Fragen der LoCoVers-Umfrage
Leiden Sie unter Long-COVID-Symptomen, und wenn ja welche? (Mehrfachantwort möglich)
Seit wie vielen Monaten bestehen Ihre Long-COVID-Symptome bereits?
Wie hat sich Ihre Long-COVID-Symptomatik im Allgemeinen seit Beginn ihrer Symptomatik
verändert?
Wurde bei Ihnen eine Long-COVID-Erkrankung durch eine Ärzt*in festgestellt (Diagnose
Long-COVID)?
Lag bei Ihnen eine durch einen Test (z.B. Schnelltest oder PCR-Test) gesicherte SARS-CoV-2-Infektion
vor?
Liegt bei Ihnen ein ärztlich gesichertes Post-Vac-Syndrom vor? (Post-VAC bezeichnet
Beschwerden nach einer COVID-19-Impfung, die ärztlich als Long-COVID zugeordnet wurden.)
Wer war Ihre erste Anlaufstelle zur Abklärung Ihrer Long-COVID-Symptome?
Zu wie vielen Ärzten hatten Sie im Rahmen der Behandlung Ihrer Long-COVID-Erkrankung
Kontakt?
Wie lange (in Monaten) mussten Sie auf einen Termin in einem Long-COVID-Zentrum oder
einer Long-COVID-Ambulanz warten?
Wie viel Geld haben Sie privat für Diagnostik und/oder Therapien Ihrer Long-COVID-Erkrankung
ausgegeben (was nicht von der Krankenkasse übernommen wurde)?
Waren Sie aufgrund Ihrer Long-COVID-Symptome in einer ambulanten oder stationären
Rehabilitation?
Waren Sie aufgrund Ihrer Long-COVID-Symptome krankgeschrieben, und wenn ja wie lange
insgesamt? (Falls es mehrere Krankschreibungen waren, bitte zusammenfassen)
Sind Sie aktuell trotz Ihrer Long-COVID-Symptome arbeitsfähig (unabhängig davon, ob
Sie aktuell eine Arbeitsanstellung haben)?
Erhalten Sie aufgrund Ihrer Long-COVID-Symptome eine Rente?
Wie würden Sie die Versorgungssituation von Long-COVID-Betroffenen in Deutschland
ganz allgemein beschreiben?
Bitte teilen Sie uns noch ihr Alter mit.
Bitte teilen Sie uns noch ihr Geschlecht mit.
Ergebnisse
Die Umfrage war vom 13.03.2025 bis 23.04.2025 aktiv. In diesem Zeitraum haben 3345
Personen (Alter: 49 ± 13 Jahre; 81,5% weiblich) den Fragebogen vollständig ausgefüllt
(durchschnittliche Bearbeitungszeit: 5,3 Minuten). Da alle Fragen als Pflichtfelder
definiert waren, gab es keine fehlenden Werte.
Belastungen durch Long-COVID
Bei 89,7% der Befragten lag ein testdiagnostisch bestätigter Nachweis einer SARS-CoV-2-Infektion
vor ([Abb. 1 ]). 83,8% berichteten über eine ärztlich gestellte Long-COVID-Diagnose und 12,2% über
ein ärztlich bestätigtes Post-Vac-Syndrom. Beide Patientengruppen gaben vergleichbare
Antworten bei der Befragung. Die mittlere Dauer der Symptomatik betrug 2,8 ± 1,1 Jahre.
Am häufigsten wurden Leistungsminderung (96,1%), Fatigue (94,7%), Konzentrationsstörungen
(87,0%), post-exertionelle Malaise (PEM; 85,9%), Muskelschmerzen (77,7%), Kopfschmerzen
(58,9%) und Dyspnoe (49,7%) genannt. Nur 36,4% berichteten über eine Besserung ihrer
Beschwerden. Bei der Mehrheit stagnierten (14,5%) die Symptome oder verschlechterten
(49,1%) sich im Verlauf. Entsprechend hoch waren die Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit:
89,1% der Betroffenen waren längerfristig krankgeschrieben (durchschnittlich 1,8 ±
1,3 Jahre), 70,8% gaben eine vollständige oder teilweise Arbeitsunfähigkeit an, und
46,4% hatten einen Rentenantrag gestellt (in 28,3% der Fälle bereits bewilligt) ([Abb. 2 ]).
Abb. 1 Häufigkeitsverteilung der Antworten auf die Fragen nach Long-COVID-Symptomen und deren
Veränderung, das Vorliegen einer ärztlichen Post-COVID-Diagnose und Krankschreibungen
von 3345 befragten Long-COVID-Patienten.
Abb. 2 Häufigkeitsverteilung der Antworten auf die Fragen nach Arbeitsfähigkeit,
Reha-Teilnahme, Erhalt einer Rente und der allgemeinen Zufriedenheit mit der
Versorgungssituation von 3345 befragten Long-COVID-Patienten.
Versorgungswege
Die erste medizinische Anlaufstelle war in 75,7% der Fälle die hausärztliche Versorgung,
gefolgt von anderen Fachärzten (7,0%) und Long-COVID-Zentren (4,5%) ([Abb. 3 ]). Rund 93% suchten im Verlauf ihrer Erkrankung mehr als 3 verschiedene Ärzte auf;
21,5% hatten Kontakt zu mehr als 10 Ärzten. Etwa die Hälfte der Befragten erhielt
einen Termin in einem Long-COVID-Zentrum, die durchschnittliche Wartezeit betrug 8,2
± 6,9 Monate. 59,9% haben eine Rehabilitationsmaßnahme erhalten, während nur 4,5%
von einer Ablehnung ihres Reha-Antrags berichteten.
Abb. 3 Häufigkeitsverteilung der Antworten auf die Fragen nach ärztlichen Versorgungswegen
und Kosten-Eigenbeteiligungen für Diagnostik und Therapie bei 3345 befragten
Long-COVID-Patienten.
Die gewählte medizinische Versorgung ging häufig mit erheblichen finanziellen Eigenleistungen
einher: 41,4% der Befragten gaben an, mehr als 1000 € privat für Diagnostik oder Therapie
ausgegeben zu haben, 11,3% sogar mehr als 10.000 €.
Insgesamt fiel die allgemeine Bewertung der erfahrenen Versorgungssituation überwiegend
negativ aus: 97,2% der Befragten bezeichneten sie als „schlecht“ oder „sehr schlecht“
([Abb. 3 ]).
Diskussion
Diese bundesweite Befragung gibt einen deutlichen Hinweis auf bestehende Defizite
in der medizinischen Versorgung von Long-COVID-Betroffenen in Deutschland. Die meisten
Teilnehmenden berichteten von einer langwierigen und vielfach als unzureichend empfundenen
Versorgung. Eine ähnliche Befragung von Long-COVID-Betroffenen, die im Jahr 2023 durchgeführt
wurde, deckte vergleichbare Defizite auf [7 ]. Die Bewertung der Versorgungssituation fiel mit über 97% negativer Rückmeldungen
außerordentlich kritisch aus – ein Ergebnis, das in dieser Eindeutigkeit kaum Interpretationsspielraum
lässt. Dieses Bild deckt sich mit internationalen Analysen, die heterogene und bislang
nur partiell etablierte Versorgungspfade dokumentieren. Eine Scoping Review von Wolf
et al. identifizierte weltweit verschiedene vorgeschlagene Long-COVID-Versorgungsmodelle,
stellte jedoch fest, dass deren Evidenzbasis schwach ist und ein international einheitlicher
Standard fehlt [8 ].
Long-COVID-Patienten nennen als Probleme in der medizinischen Versorgung u.a. unklare
Zuständigkeiten, mangelndes Ernstgenommenwerden oder fehlende Therapieoptionen und
wünschen
sich v.a. eine koordinierte, interdisziplinäre Versorgung [9 ]
[10 ]. Von zentraler Bedeutung ist die Rolle der Primärversorgung. Auch international
wird
benannt, dass Hausärzte die erste Anlaufstelle darstellen und ein systematisches Screening,
Symptommanagement und gezielte Weiterleitung übernehmen sollten [11 ]. Eine britische Analyse unterstreicht, dass ein erheblicher Anteil der Patienten
ausschließlich im hausärztlichen Setting versorgt wird, wodurch die dort vorhandene
Expertise
maßgeblich für den Krankheitsverlauf ist [12 ]. Auch in der aktuellen Befragung waren Hausärzte meist die erste und zentrale
Anlaufstelle. Diese benötigen dafür jedoch spezifische Kompetenzen. Eine Studie aus
Baden-Württemberg verdeutlicht jedoch strukturelle Defizite und Unsicherheiten im
hausärztlichen Umgang mit Long-COVID (z.B. durch schlecht fassbare Beschwerden) [13 ]. Die Vielzahl der Arztkontakte und die langen Wartezeiten in Long-COVID-Zentren
deuten
auf mangelnde Koordination, unklare Zuweisungswege und zu geringe Ressourcen in den
Ambulanzen
hin. Die Ergebnisse zeigen ein strukturelles Versorgungsdefizit auf, trotz G-BA-Richtlinie
2024, die genau diese koordinierte, sektorenübergreifende Versorgung empfiehlt [14 ].
Gravierend sind auch die persönlichen, sozioökonomischen Folgen. Eine aktuelle Metaanalyse
(n=21.155) zeigt, dass nur 61% der Long-COVID-Patienten nach ≥12 Wochen erfolgreich
an den Arbeitsplatz zurückkehren, häufig mit Anpassungen der Arbeitsbedingungen [15 ]. Die Ergebnisse der aktuellen Befragung zeigen, dass bei längerer Krankheitsphase
fast 75% der Befragten dauerhaft oder vorübergehend arbeitsunfähig waren, was die
Bedeutung gezielter Reha- und/oder Unterstützungsmaßnahmen für den erfolgreichen Arbeitswiedereinstig
unterstreicht.
Die vergleichsweise hohe Rehabilitationsrate von 60% und geringe Ablehnungsquoten
deuten
darauf hin, dass Rehabilitation als zugänglicher Versorgungsbaustein wahrgenommen
wird. Auch
wenn sich der Stellenwert der Rehabilitation aus dieser Befragung nicht ableiten lässt,
so
zeigen mehrere Studien, dass rehabilitative Interventionen bei Long-COVID-Betroffenen
die
körperliche Belastbarkeit und Lebensqualität verbessern können, wenn sie individualisiert
angeboten werden [16 ]
[17 ]. Es ist hervorzuheben, dass die bisherige Evidenz zu rehabilitativen Interventionen
ausschließlich Long-COVID-Patienten ohne eine manifeste Diagnose einer myalgischen
Enzephalomyelitis/Chronic-Fatigue-Syndrom (ME/CFS) einschließt. Für Patienten mit
diagnostizierter ME/CFS gelten andere Empfehlungen, da bei dieser Subgruppe rehabilitative
Ansätze, insbesondere körperliches Training, kontraindiziert sein können [18 ]. Die Interpretation der positiven Reha-Effekte muss daher auf Patienten ohne ME/CFS
sowie mit leichten bis mittelschweren Long-COVID-Symptomen begrenzt bleiben. Auch
in
Deutschland ist die Reha bei Long-COVID-Patienten (ohne ME/CFS) untersucht worden
[19 ]. Eine große deutsche Multicenterstudie (n=1028) ergab, dass Long-COVID-Patienten
mit
ihrer Rehabilitation überwiegend zufrieden sind [20 ]. Rund 90% bewerteten die Behandlungsqualität als gut bis ausgezeichnet und würden
die
Rehabilitation weiterempfehlen bzw. erneut in Anspruch nehmen [20 ]. Zudem sind mehr als 80% der berufstätigen Long-COVID-Patienten im Median 4 Wochen
nach einer Rehabilitation wieder arbeitsfähig [21 ]. Dies spricht für den weiteren Ausbau von Rehabilitationsangeboten und ihrer
Integration in die Versorgungskette, v.a. für Patienten ohne schwerste Beeinträchtigungen
durch ME/CFS [22 ]
[23 ]. Des Weiteren werfen hohe finanzielle Eigenleistungen, die von Patienten für
Diagnostik und Therapie – teilweise im fünfstelligen Bereich aufgebracht werden, Fragen
nach
nicht evidenzbasierten Therapien auf.
Neben klassischen Versorgungswegen gewinnen auch digitale und telemedizinische Ansätze
an Bedeutung. Eine systematische Übersichtsarbeit hob hervor, dass virtuelle Long-COVID-Kliniken,
telemedizinische Konsile und digitale Monitoring-Tools geeignet sind, Versorgung niederschwellig
zugänglich zu machen und Kapazitätsengpässe zu überbrücken [24 ].
Aus den vorliegenden Ergebnissen lassen sich mehrere Ansatzpunkte für eine strukturierte
Weiterentwicklung der Versorgung ableiten. Zunächst sollte die hausärztliche Versorgung
als primäre Anlaufstelle gestärkt und mit klaren Überweisungspfaden zu spezialisierten
Einrichtungen verknüpft werden. Darüber hinaus erscheinen der Ausbau von Long-COVID-Ambulanzen
sowie die Integration individualisierter rehabilitativer Maßnahmen in die Versorgungskette
sinnvoll. Angesichts der erheblichen sozioökonomischen Belastungen erscheint zudem
eine frühzeitige Einbindung arbeitsmedizinischer und psychosozialer Expertise als
notwendig. Digitale und telemedizinische Angebote könnten als Ergänzung zur Präsenzversorgung
dienen und Versorgungslücken überbrücken. Schließlich sollten Versorgung und Forschung
enger verzahnt werden, um im Sinne eines Learning-Health-Systems die Evidenzlage kontinuierlich
zu verbessern und Versorgungskonzepte dynamisch anzupassen.
Limitationen: Die Befragung basiert auf einer freiwilligen Online-Stichprobe. Die
Angaben zu Diagnose, Symptomen und Verlauf beruhen auf Selbstberichten und konnten
nicht klinisch verifiziert werden. Hierdurch sowie durch eine mögliche Auswahlverzerrung
zugunsten stärker belasteter, unzufriedener oder besonders engagierter Teilnehmender
ist die Generalisierbarkeit der Ergebnisse eingeschränkt. Die große Fallzahl und eine
100%ige Datenvollständigkeit sind hingegen klare Stärken dieser Arbeit.
Schlussfolgerung
Diese bundesweite Befragung (n=3345) zeigt ein hohes und anhaltendes Symptom- und
Belastungsniveau mit erheblichen sozioökonomischen Folgen (lange Krankschreibungen,
Arbeitsunfähigkeit, hohe Eigenkosten) und eine überwiegend negative Bewertung der
Versorgung (97% „schlecht/sehr schlecht“). Charakteristisch sind unkoordinierte Versorgungswege,
viele Arztkontakte sowie lange Wartezeiten trotz häufiger Inanspruchnahme rehabilitativer
Leistungen. Es besteht daher ein dringender Bedarf an strukturierten, niedrigschwelligen,
sektorenübergreifenden Angeboten. Entscheidend erscheinen eine Stärkung der Primärversorgung
sowie klare Überweisungs-/Koordinationspfade zu sein. Darüber hinaus könnte bei geeigneter
Indikation und unter expliziter Abgrenzung gegenüber Patienten mit ME/CFS die Integration
individueller, rehabilitativer Maßnahmen im interdisziplinären Versorgungskonzept
die Versorgungssituation von Long-COVID-Patienten in Deutschland verbessern.