Schlüsselwörter Notfallmedizin - psychiatrischer Notfall - psychiatrische Erkrankung - Notfalltherapie
Keywords emergency medicine - psychiatric emergency - psychiatric disorder - emergency therapy
Einleitung
Nahezu jeder dritte Notarzteinsatz ist mit einer psychiatrischen Erkrankung assoziiert
[1 ]. Dabei steht die Inzidenz dieser Einsätze in starkem Kontrast zur von Notärztinnen
und Notärzten wahrgenommenen Versorgungsqualität dieser speziellen Patientengruppe
[2 ]
[3 ]
[4 ]
[5 ]. Notärzte adressieren nicht nur ein Qualifikationsdefizit im Umgang mit psychiatrischen
Patienten, sondern berichten auch über eine geringere Motivation in deren Versorgung
[4 ]
[6 ]. Für die Gruppe der psychiatrischen
Notfälle wird dabei insbesondere eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung als
unbedingt erforderlich für eine erfolgreiche Behandlung angesehen. Definierte Kernelemente
der Arzt-Patienten-Beziehung sind dabei Vertrauen, Wissen, Respekt und Loyalität [7 ]. Laut Ridd et al. gibt es jedoch keinen einheitlichen konzeptionellen Rahmen, der
allen Kernelementen einer klar definierten Arzt-Patienten-Beziehung das gleiche Gewicht
beimisst [8 ]. In der prähospitalen Notfallmedizin, die von Zeitdruck und schnellen Entscheidungen
geprägt ist, bleibt oft nur die Anwendung des von Szasz und Hollender definierten
„aktiv-passiven“ Modells. In diesem Modell wird dem Patienten nur ein eingeschränktes
Partizipationsrecht eingeräumt [8 ]
[9 ]. Eine solche „nicht-partizipative“ Interaktion beeinflusst zweifellos die Arzt-Patienten-Beziehung
negativ [7 ]
[10 ]. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie das psychische Outcome des psychiatrischen
Notfalls im Kontext der Notfallmedizin objektiviert werden kann. Das psychische Outcome
lässt sich, anders als beispielsweise die 30-Tage-Mortalität des Intensivpatienten,
nicht auf einen singulär messbaren Parameter reduzieren. Sowohl die Qualität und Quantität
der psychischen Symptome als auch die direkte und indirekte Verarbeitung der prähospitalen
Krisensituation spielen eine Rolle. Die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung, wie
in unserer Studie untersucht, kann dabei, abhängig vom prähospitalen, subjektiven
Erleben des Patienten, positiv oder negativ beeinflusst werden. Im Kontext
des psychischen Outcomes kommt es somit beispielsweise zu einer schnelleren Verarbeitung
des Erlebten, zu mehr Vertrauen in das medizinische Versorgungssystem und vice versa.
Das Ziel der vorliegenden Studie war es daher, anhand strukturierter Interviews mit
psychiatrisch erkrankten Notfallpatienten zu untersuchen, ob die Versorgung durch
Notärzte und Rettungsdienstfachpersonal Auswirkungen auf die spätere Arzt-Patienten-Beziehung
in der akutstationären psychiatrischen Behandlung hat.
Methoden
Nach Genehmigung durch die lokale Ethikkommission und Registrierung in einem zentralen
Studienregister wurde von 2023 bis 2024 eine fragebogenbasierte Umfrage auf einer
universitär-akutpsychiatrischen Station sowie auf einer akutpsychiatrischen Station
einer regionalen Psychiatrie in Deutschland durchgeführt. Die Studie erfolgte gemäß
den aktuellen Richtlinien der Deklaration von Helsinki. Alle teilnehmenden Patienten
haben ihre schriftliche Einwilligung gegeben.
Einschlusskriterien waren:
Ausschlusskriterien waren:
eine Erkrankungsschwere, die eine Teilnahme an der Studie unmöglich machte und
mangelnde Deutschkenntnisse.
Um die primäre Forschungsfrage zu beantworten, wurde ein Fragebogen von einem Notarzt
und Anästhesisten, einem Psychiater sowie einem Psychologen entwickelt. Um die Arzt-Patienten-Beziehung
als primären Endpunkt messen zu können, wurden validierte Skalen (Patient-Doctor Relationship
Scale, Patient Satisfaction Questionnaire [PSQ]) für diese Forschungsfrage angepasst
[11 ]
[12 ].
Der Fragebogen wurde durch 10 Notärzte und 10 Psychiater bezüglich inhaltlicher Korrektheit
validiert. Der Fragebogen (siehe Appendix, Teil 1) sowie Angaben zur inhaltlichen
Struktur und zur statistischen Auswertung (siehe Appendix, Teil 2, Tabelle S1) finden
sich im Appendix.
Patientenrekrutierung
Jede Neuaufnahme in einem der beiden teilnehmenden psychiatrischen Krankenhäuser wurde
unmittelbar, bzw. bei einer Aufnahme außerhalb der Dienstzeit bis 08:00 Uhr am Folgetag,
durch den diensthabenden Arzt dem Studienleiter gemeldet. Dieser prüfte vorab, ob
eine Studienteilnahme entsprechend den formulierten Ein- und Ausschlusskriterien möglich
war. Anschließend erfolgte die Aufklärung der Patienten sowie deren schriftliche Einwilligung.
Die Aushändigung der Fragebogen sowie das tagesgleiche Einsammeln erfolgte durch geschulte
Doktoranden.
Ergebnisse
Wie in [Abb. 1 ] dargestellt, konnten 135 Fragebogen ausgewertet werden. Die Rückläuferquote betrug
60%. Die demografischen Daten sind in [Tab. 1 ] aufgeführt. Um eine bessere Übersicht über die Ergebnisse zu ermöglichen, werden
diese getrennt nach notärztlicher bzw. rettungsdienstlicher prähospitaler Versorgung
berichtet.
Abb. 1 Studienablauf.
Tab. 1
Demografische Daten.
Kategorien
N = 135
Prozent
Geschlecht
Männer
72
53%
Frauen
60
45%
divers
3
2%
Altersverteilung
18–19 Jahre
4
3%
20–29 Jahre
34
25%
30–39 Jahre
28
21%
40–49 Jahre
31
23%
50–59 Jahre
20
15%
60–69 Jahre
15
11%
70–79 Jahre
2
1%
80–89 Jahre
1
1%
ICD-10-Diagnosen
F00–09 organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen
5
4%
F10–19 psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
44
33%
F20–29 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
35
26%
F30–39 affektive Störungen
38
28%
F40–49 neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
13
10%
F50–59 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren
1
1%
F60–69 psychische und Verhaltensstörungen
15
11%
F80–89 Entwicklungsstörungen
2
1%
F90–99 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend
1
1%
Z-Diagnosen (Z91.8, Z73)
3
2%
Aufnahme
nur mit Rettungsdienst
97
72%
mit Notarztbegleitung
38
28%
freiwillige Aufnahme
125
93%
unfreiwillige Aufnahme
10
7%
Aufnahme ohne Gewaltanwendung
115
85%
Aufnahme mit Gewaltanwendung
20
15%
Auswirkungen der prähospitalen Versorgung auf die Arzt-Patienten-Beziehung in der
Psychiatrie
Versorgung durch Notärzte
Die im Fragebogen durch die psychiatrischen Notfallpatienten angegebene subjektive
Bewertung des Verhaltens der Notärzte wurde anhand eines Scores zur Bewertung der
Arzt-Patienten-Beziehung berechnet (siehe Appendix Teil 2). Die subjektive Bewertung
des Verhaltens der Notärzte durch die psychiatrischen Notfallpatienten korrelierte
stark mit der stationären Arzt-Patienten-Beziehung im anschließenden psychiatrischen
Aufenthalt (Spearman-Rangkorrelation ρ = 0,56, p < 0,001). Darüber hinaus konnten
prähospital-notärztliche Maßnahmen, die von den Patienten als physische oder psychische
Gewalt empfunden wurden, als ein Prädiktor für eine schlechtere Arzt-Patienten-Beziehung
in der Akutpsychiatrie identifiziert werden (Regressionskoeffizient β = 4,65, p = 0,016).
Versorgung durch Rettungsdienstfachpersonal
Wurden die Maßnahmen des Rettungsdienstfachpersonals in der prähospitalen Versorgung
der psychiatrischen Notfallpatienten negativ empfunden, so wurde die folgende Arzt-Patienten-Beziehung
in der Akutpsychiatrie ebenfalls als schlecht beschrieben (β = 1,75, p = 0,003). Zwischen
der Bewertung der durch das Rettungsdienstfachpersonal durchgeführten Maßnahmen und
der späteren Arzt-Patienten-Beziehung in der Akutpsychiatrie zeigte sich eine moderat-positive
Korrelation (ρ = 0,407, p < 0,001).
Die weiteren potenziellen Einflussfaktoren auf die Arzt-Patienten-Beziehung zeigten
in der statistischen Auswertung keinen signifikanten Einfluss (siehe [Tab. 2 ]).
Tab. 2
Ergebnisse der Regressionsanalyse, SEM = Standard Error of the Mean.
Variable
Regressionskoeffizient
SEM-Koeffizient
p-Wert
Rettungsdienstfachpersonal
Bewertung des Verhaltens des Rettungsdienstfachpersonals durch die Befragten
1,750
0,577
0,003
Gewalterfahrung durch Rettungsdienstfachpersonal
−0,166
0,837
0,843
durch Rettungsdienstfachpersonal provoziert gefühlt
1,245
1,027
0,228
durch Rettungsdienstfachpersonal beeinträchtigt gefühlt
0,669
0,702
0,343
Notarzt
Bewertung des Verhaltens des notärztlichen Personals durch die Befragten
−0,021
1,214
0,986
Gewalterfahrung durch den Notarzt
4,652
1,833
0,016
durch den Notarzt provoziert gefühlt
0,988
1,978
0,621
durch den Notarzt beeinträchtigt gefühlt
1,524
1,195
0,211
Anwendung von Zwang oder physischer/psychischer Gewalt durch Notarzt/Rettungsdienstfachpersonal
als potenzieller Einflussfaktor auf die Arzt-Patienten-Beziehung in der Psychiatrie
Versorgung durch Notärzte
Vier von 8 Patienten, welche die notärztlich durchgeführten Maßnahmen als physische
oder psychische Gewalt interpretierten bzw. keine klare Abgrenzung zu Zwangsmaßnahmen
treffen konnten, bewerteten die nachfolgende Arzt-Patienten-Beziehung in der Akutpsychiatrie
als „eher schlecht“ oder „schlecht“. Der Gesamtpunktewert für die Arzt-Patienten-Beziehung
wurde als Messgröße zur Berechnung der Korrelation verwendet (siehe Appendix, Tabelle
S2). Dabei zeigte sich eine moderate Korrelation zwischen den von den Patienten als
Zwang interpretierten notärztlichen Maßnahmen und der anschließenden Arzt-Patienten-Beziehung
in der Akutpsychiatrie (ρ = 0,56, p < 0,001).
Versorgung durch Rettungsdienstfachpersonal
Sechs von 18 Patienten werteten die vom Rettungsdienstfachpersonal durchgeführten
Maßnahmen als Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt bzw. interpretierten
die Maßnahmen als Zwang. Die folgende Arzt-Patienten-Beziehung in der Akutpsychiatrie
wurde von dieser Gruppe an Patienten als „eher schlecht“ oder „schlecht“ bewertet.
Wurden die Maßnahmen des Rettungsdienstfachpersonal als physisch/psychische Gewalt
bzw. Zwang interpretiert, so war der Effekt auf die folgende Arzt-Patienten-Beziehung
im Vergleich zu o. g. Maßnahmen durch Notärzte vergleichsweise schwach (p = 0,006).
Weitere, die Arzt-Patienten-Beziehung in der Psychiatrie beeinflussende Faktoren
Als potenzielle Einflussfaktoren auf die Arzt-Patienten-Beziehung in der Akutpsychiatrie
wurden die Variablen Geschlecht, Alter und Diagnose der Patienten in die Analyse einbezogen.
Darüber hinaus wurde der potenzielle Einfluss der Aufnahmemodalitäten (freiwillig/unfreiwillig)
untersucht. Weder die psychiatrische Diagnose noch das Geschlecht der Patienten hatten
einen signifikanten Einfluss auf die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung (p = 0,269).
Die Spearman-Rangkorrelation zeigte eine schwache Korrelation zwischen dem Alter der
Patienten und ihrer Bewertung der Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung (r = −0,329).
Je älter die Patienten waren, desto besser bewerteten sie die Arzt-Patienten-Beziehung
(p < 0,001). Die Tabellen, auf denen die Analysen zur differenzierten Betrachtung
der ICD-Diagnosen und des Geschlechts basieren, sind im Anhang aufgeführt (siehe Appendix,
Tabelle S3, Tabelle S4). Geschlecht, Alter und Diagnose unterscheiden sich innerhalb
ihrer Gruppen
hinsichtlich der Arzt-Patienten-Beziehung nicht signifikant und stehen daher nicht
in ausreichendem Zusammenhang mit der Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung als Gesamtkonstrukt.
Die Art der Einweisung (freiwillig/unfreiwillig) wurde hingegen als potenzieller Risikofaktor
für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen oder physischer/psychischer Gewalt im prähospitalen
Bereich identifiziert.
Einweisung in die Akutpsychiatrie durch Notärzte
Von den 38 Patienten, die notärztlich versorgt wurden, wurden 5 unfreiwillig in die
Psychiatrie eingewiesen. Vier dieser Patienten interpretierten die notärztlichen Maßnahmen
als physische/psychische Gewalt. Von den 33 Patienten, die sich freiwillig in Behandlung
begaben, interpretierten 4 die Maßnahmen als physische oder psychische Gewaltanwendung
bzw. konnten nicht eindeutig zwischen der Anwendung von Gewalt und Zwang differenzieren.
Somit nahmen die Patienten die notärztlichen Maßnahmen bei unfreiwilligen Einweisungen
häufiger als Anwendung physischer oder psychischer Gewalt wahr (Korrelationsverhältnis,
Eta-Koeffizient: η = 0,578, p = 0,002).
Einweisung in die Akutpsychiatrie durch Rettungsdienstfachpersonal
Von den 135 Patienten, die bei der Einweisung von Rettungsdienstfachpersonal begleitet
wurden, wurden 10 unfreiwillig in der Akutpsychiatrie untergebracht. Sechs Patienten
interpretierten die durch das Rettungsdienstfachpersonal angewandten Maßnahmen als
Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt. Bei 12 der 125 freiwillig untergebrachten
Patienten kam es aus deren Sicht zur Anwendung von physischer oder psychischer Gewalt.
Der Zusammenhang zwischen Aufnahmemodalität (freiwillig vs. unfreiwillig) und als
Gewalt interpretierten Maßnahmen durch das Rettungsdienstfachpersonal war moderat
(η = 0,394, p < 0,001).
Diskussion
In der vorliegenden Studie, die sich mit dem Zusammenhang zwischen der prähospitalen
Versorgung psychiatrischer Notfälle und den Auswirkungen auf die sich anschließende
Arzt-Patienten-Beziehung in der akutpsychiatrischen Behandlung befasst, zeigte sich:
Wurde das Rettungsdienstfachpersonal von Patienten negativ bewertet, verschlechterte
sich die Arzt-Patienten-Beziehung in der Akutpsychiatrie. Wendeten Notärzte aus Sicht
der Patienten physische oder psychische Gewalt oder Zwangsmaßnahmen an, dann verschlechterte
sich die nachfolgende Arzt-Patienten-Beziehung ebenfalls signifikant.
Insgesamt bewertete nur ein geringer Anteil der befragten psychiatrischen Notfallpatienten
den Notarzt bzw. das Rettungsdienstfachpersonal negativ. Dies deckt sich mit Ergebnissen
von Baubin et al., die in einer Studie zur Entwicklung eines Fragebogens zur „Patientenzufriedenheit
in der Notfallmedizin“ zeigen konnten, dass Notfallpatienten ein hohes Maß an Zufriedenheit
in Bezug auf ihre prähospitale Versorgung berichten [11 ]. Wenngleich Vergleichsstudien fehlen, so kann angenommen werden, dass psychiatrisch
erkrankte Patienten vergleichbare Ansprüche an die prähospitale Versorgung stellen,
wie rein somatisch Erkrankte.
Im Rahmen der Studie zeigte sich, dass die Befragten notärztliche Maßnahmen teilweise
als die Ausübung von Zwang, bis hin zur Anwendung physischer oder psychischer Gewalt
interpretierten. Dies ist diskussionswürdig.
Der Terminus „Zwang“ ist nicht einheitlich definiert. Im Kontext der vorliegenden
Studie kann Zwang als „(…) die Anwendung von Maßnahmen gegen den Patientenwillen,
einschließlich der Anwendung körperlicher Gewalt“ (Übersetzung durch Verfasser) definiert
werden [12 ]. Mögliche Auswirkungen von Zwang können, wie in der S3-Leitlinie zur „Verhinderung
von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen“ aufgeführt,
zu einem „(…) zeitweiligen Verlust von Autonomie“ führen. Für „(…) die Betroffenen
stellt dies fast immer eine große emotionale und körperliche Belastung dar.“ [13 ].
Unklar bleibt, ob die in der Studie befragten Patienten tatsächlich physischen Zwang
erlebt haben oder bereits die verbale Einengung wie beispielsweise „Sie müssen mitkommen“
als Zwangsmaßnahme erlebt und geschildert wurde. Die von Patienten wahrgenommene Anwendung
von Zwang oder physischer/psychischer Gewalt durch Notärzte beeinträchtigte dabei
die Arzt-Patienten-Beziehung in der Akutpsychiatrie stärker als ein als vergleichbar
geschildertes Vorgehen durch Rettungsdienstfachpersonal.
Erklärungsansätze dafür finden sich unter anderem in der unterschiedlichen Erwartungshaltung
an die ärztliche Rolle. Attribute wie „Ärzte verkörpern Hilfe und Schutz, treten für
die Rechte ihrer Patienten ein“ etc. werden durch die ggf. notwendige Anwendung von
Zwang oder Gewalt aus Patientensicht konterkariert [14 ]. In einer Studie mit Notfallsanitätern in Südaustralien gaben diese an, sich bei
psychiatrischen Notfällen eher in einer Art „Transportfunktion“ zu sehen [15 ]. Aus Patientensicht entspricht dies einem technisch-operativen Rollenverständnis
des Rettungsdienstfachpersonals. Dies könnte teilweise erklären, warum notärztlicher
Zwang oder Gewaltanwendung als schwerwiegender interpretiert werden [16 ]
[17 ].
Die Arzt-Patienten-Beziehung wird nicht nur durch potenziell modifizierbare Faktoren
beeinflusst, sondern auch durch nicht modifizierbare Faktoren. So bewerten ältere
Patienten beispielsweise die Arzt-Patienten-Beziehung häufig positiver als jüngere
Patienten [18 ]
[19 ]. Ein patientenzentrierter Kommunikationsstil führt dabei unter anderem zu einer
höheren Patientenzufriedenheit [20 ]. Unklar ist hingegen, welchen Einfluss das Geschlecht psychiatrischer Notfallpatienten
auf deren prähospitale Versorgung hat. Studien bei somatisch erkrankten Patienten
zeigen, dass Patientinnen in der Traumaversorgung sowie beim Meldebild „akuter Brustschmerz“
gegenüber männlichen Patienten benachteiligt sein können [21 ]
[22 ]. Möglicherweise spielt an dieser Stelle die Prävalenz psychiatrischer Erkrankungen,
die zwischen Männern und Frauen divergieren, eine Rolle. Im akutpsychiatrischen Umfeld
dominieren bei Frauen unter anderem Angst-, affektive und Persönlichkeitsstörungen,
während bei Männern eher Suchterkrankungen vorliegen [23 ]
[24 ]. Mitunter werden männliche Patienten als potenziell gefährlicher betrachtet [25 ]. Im notärztlichen Kontext wurden in einer Studie Hinweise auf eine häufigere Hypnotikaapplikation
durch männliche Notärzte gefunden [26 ]. Die europäisch-multizentrische EUNOMIA-Studie hat bei Patienten mit
Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis geschlechtsspezifische Aspekte unfreiwillig
untergebrachter oder behandelter Patienten untersucht. Frauen neigen in dieser Studie
eher zur Aggressivität, während die männlichen Patienten insgesamt schwerwiegendere
Übergriffe begingen [27 ]. Ob und in welchem Ausmaß die psychiatrische Diagnose Auswirkungen auf die prähospitale
Versorgung und damit die folgende Arzt-Patienten-Beziehung in der Psychiatrie hat,
kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden [13 ]. Dagegen konnte in der zitierten EUNOMIA-Studie klar gezeigt werden, dass es im
Rahmen unfreiwilliger Einweisungen in die Psychiatrie häufiger zur Gewalt- oder Zwangsanwendung
durch Rettungsdienstfachpersonal gekommen ist [28 ]. Patienten berichteten in diesem
Zusammenhang von dem Gefühl einer permanenten Demütigung durch die Zwangseinweisung
[29 ]. An dieser Stelle wird deutlich, dass die prähospitale Patientenversorgung untrennbar
Auswirkungen auf die Arzt-Patienten-Beziehung hat [30 ]. Daher sollte laut Lidz et al. „ein Aufnahmeverfahren mit geringstmöglicher Anwendung
von Zwang, insbesondere die Vermeidung von Drohungen und Gewalt (…)“ angestrebt werden
(Übersetzung und inhaltliche Kürzung durch die Verfasser) [31 ].
Dem Studiendesign sind Limitationen inhärent, welche die Einordnung der Ergebnisse
erschweren. Grundsätzlich wird über eine Patientenbefragung zu vielen Aspekten die
subjektive Meinung der Studienteilnehmer erfasst. Dabei kann ein Retrospektionseffekt
nicht ausgeschlossen werden. Die von den Patienten berichteten potenziellen Gewalterfahrungen
sind ihrer Natur nach subjektiv, und eine klare Trennung zwischen rechtlich im Ausnahmefall
legitimierten Zwangsmaßnahmen und unzulässiger Gewaltanwendung wurde in der vorliegenden
Studie nicht getroffen. Aufgrund der relativ geringen Stichprobengröße des Studienkollektivs
(n = 135) sind die Ergebnisse nicht verallgemeinerbar.
Schlussfolgerung
Die Art und Weise, wie Notärzte und Rettungsdienstfachpersonal von Patienten wahrgenommen
und bewertet werden, sowie der mögliche Einsatz von physischer oder psychischer Gewalt
oder Zwangsmaßnahmen können einen nachhaltigen Einfluss auf die Arzt-Patienten-Beziehung
in der psychiatrischen Weiterversorgung haben. Es ist denkbar, dass sich neben einer
schlechteren Compliance auch die Aufenthaltsdauer in der Akutpsychiatrie verlängert.
Dieser Aspekt sollte in weiterführenden Studien untersucht werden, um eine Kausalität
zwischen prähospitaler Versorgung und potenziell schlechterem Outcome durch eine schlechtere
Arzt-Patienten-Beziehung begründen zu können. Die Tatsache, dass Patienten die Anwendung
von physischer oder psychischer Gewalt durch Notärzte in der prähospitalen Versorgung
als schwerwiegender für die Arzt-Patienten-Beziehung bewerten als die Anwendung von
Gewalt durch Rettungsdienstfachpersonal, unterstreicht die besondere Rolle des Notarztes.
Die geringe
Stichprobengröße sowie die insgesamt geringe Anzahl an Patienten, die von der Anwendung
von Zwang oder Gewalt berichten, erlauben keine Generalisierung der Ergebnisse. Studien,
die sich mit dem Einfluss prähospitaler Zwangs- oder Gewaltanwendung auf das Outcome
des psychiatrischen Patienten beschäftigen, könnten jedoch auf den Studienergebnissen
aufbauen.