Dialyse aktuell 2008; 12(4): 246-247
DOI: 10.1055/s-0028-1082103
Interview

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Tacrolimus retardiert – Was ist anders? – Bewährtes Immunsuppressivum in einmal täglicher Form

Further Information

Publication History

Publication Date:
10 July 2008 (online)

Table of Contents

Um die Gefahr einer Abstoßung nach einer Transplantation zu minimieren, müssen die Patienten ein Leben lang immunsuppressive Medikamente einnehmen – zusätzlich zu zahlreichen weiteren Medikamenten. Mangelnde Therapietreue (Compliance) hat nach Überzeugung der Experten einen entscheidenden Einfluss auf das Transplantatüberleben in der Langzeittherapie transplantierter Patienten. Die Tablettenanzahl durch Medikamente mit verlängerter Wirkstofffreisetzung zu reduzieren ist ein Schritt in Richtung Compliance. Ein Beispiel hierfür ist das Immunsuppressivum Tacrolimus, das mittlerweile auch zur Einmaldosierung verfügbar ist. Über die Unterschiede zwischen der alten und der neuen Formulierung sprachen wir mit Dr. Oliver Witzke, Leiter der Nierentransplantationsambulanz am Universitätsklinikum Essen.

#

? Der Calcineurininhibitor Tacrolimus steht seit Kurzem in veränderter Galenik mit verlängerter Wirkstofffreisetzung als Einmaldosierung zur Verfügung. Welchen Einfluss hat die neue Galenik auf die Bioverfügbarkeit?

Dr. Oliver Witzke: Bei der neuen Formulierung von Advagraf® wird der Wirkstoff verzögert im gesamten Magen–Darm–Trakt freigesetzt. Hierdurch wird es möglich, die Tagesdosis von Tacrolimus als Einmalgabe zu applizieren statt einer Zweimalgabe wie es für Prograf® der Fall ist. Nach Gabe der gleichen Tagesdosen sind beide Formulierungen bioäquivalent. Die Aufnahme des Immunsuppressivums über den Magen–Darm–Trakt erfolgt bei beiden Formulierungen in gleichem Ausmaß. Die Bioverfügbarkeit ist demnach vergleichbar.

#

? Hat das veränderte pharmakokinetische Profil der Substanz bei Einmalgabe Einfluss auf die Wirksamkeit und das Nebenwirkungsprofil?

Witzke: Die verzögerte Aufnahme in den Körper hat keinen erkennbaren Einfluss auf das Nebenwirkungsprofil, es ist identisch mit dem von Prograf®. Nach den bisherigen Studien gibt es auch keine Unterschiede in der Wirksamkeit. Die Abstoßungshäufigkeit und die Transplantationsüberlebensraten sind gleich, wie auch – und das ist extrem wichtig – die Nierenfunktion unter beiden Prinzipien identisch ist.

#

? Kann Tacrolimus in der neuen Formulierung einfach 1:1 gegen die klassische Formulierung ausgetauscht werden? Was ist bei der Umstellung zu beachten?

Witzke: Prinzipiell kann man zunächst mit einem 1:1–Austausch beginnen. Dieser Austausch sollte jedoch nur in einem Transplantationszentrum durchgeführt werden, weil hier die Möglichkeit besteht, den Blutspiegel zu überwachen. Schließlich muss man je nach Blutspiegel im Einzelfall die Dosis adaptieren.

#

? Wie erfolgen Monitoring und Dosisanpassungen? Gibt es Unterschiede zu Prograf®, der klassischen Formulierung?

Witzke: Bei einer Umstellung von der klassischen auf die neue Formulierung beginnen wir zunächst mit der gleichen Tagesdosis. Für beide Formulierungen gelten die gleichen Zielwerte. Was die Dosierung betrifft richten wir uns nach dem Spiegel vor der erneuten Dosis.

Die Häufigkeit von Spiegelkontrollen ändert sich durch den Einsatz der neuen Formulierung nicht. Wie oft wir kontrollieren hängt vielmehr davon ab, wie lange die Transplantation zurückliegt. Direkt nach einer Transplantation sind natürlich häufigere Kontrollen notwendig, etwa zwei– bis dreimal in der Woche. Liegt die Transplantation schon länger zurück und ist der Patient in einer stabilen Phase, reicht es im Allgemeinen aus, im Abstand von ein paar Monaten die Tacrolimusspiegel zu kontrollieren.

Gelegentlich ist es notwendig, die Dosis anzupassen. Die Häufigkeit der Nachjustierung liegt für Advagraf® nicht höher als bei der konventionellen Formulierung. Das Monitoring ist beim Einsatz von Advagraf® also im Prinzip das gleiche wie bei Prograf®.

#

? Die neue Formulierung wurde entwickelt, um die Therapie zu vereinfachen und die Compliance zu verbessern. Warum ist die Compliance gerade bei der Immunsuppression so wichtig?

Witzke: Es gibt sehr gute Daten, die belegen, dass die Non–Compliance ein sehr großer Risikofaktor für eine Verschlechterung der Funktion des Nierentransplantates ist. Durch die Nichteinhaltung der immunsuppressiven Therapie kommt es vermehrt zu akuten Abstoßungsreaktionen und die Gefahr, das Transplantat zu verlieren, ist deutlich höher. Bei jedem zweiten bis dritten Patienten, der sein Nierentransplantat verliert, ist dies zumindest zum Teil auf Non–Compliance zurückzuführen.

Bei der Immunsuppression – wie im Übrigen auch bei der Hypertoniebehandlung – ist die Einmalgabe ganz klar das zu bevorzugende Prinzip. Wir hoffen natürlich, durch die Verbesserung der medizinischen Compliance deutlich bessere Transplantatfunktions– und Überlebensraten zu bekommen.

#

? Wie wirkt sich die Einmaldosierung auf die Compliance aus? Welche Patienten profitieren aus Ihrer Sicht besonders?

Witzke: Wir gehen davon aus, dass sich die Compliance durch die Umstellung auf die einmal tägliche Dosierung verbessert. Denn die Compliance ist generell bei solchen Medikamenten deutlich höher, die man nur einmal pro Tag einnehmen muss. In unserem Transplantationszentrum führen wir momentan zum Thema Compliance breit angelegte Patientenbefragungen durch.

Meiner Meinung nach können viele Patienten von einer Umstellung auf die einmal tägliche Dosierung profitieren. Dies gilt besonders für Patienten, bei denen im Rahmen der Standardtherapie schon einmal Zeichen von Non–Compliance aufgetreten sind und für Patienten, deren Tagesablauf durch die mehrfache Einnahme der Tabletten gestört würde. Die Erfahrung zeigt, dass die morgendliche Einnahme am sichersten ist, die Patienten entwickeln hier eine gewisse Routine. Wenn man wie bei Prograf® dann nach exakt zwölf Stunden eine weitere Dosis einnehmen muss, kann das die Lebensqualität des Patienten doch deutlich beeinträchtigen.

#

? Durch die Einmaldosierung wird das Risiko Einnahmefehler zu machen geringer – welche Auswirkungen hat dies auf das Langzeitüberleben von Patienten und Transplantaten?

Witzke: Das kann man nur hypothetisch beantworten, denn die Studien zum Vergleich Einmal– gegen Zweimaldosierung sind noch nicht abgeschlossen. Genaues zu den Auswirkungen auf die Langzeittransplantatüberlebensrate werden wir erst nach Beobachtungen von fünf bis zehn Jahren Dauer wissen. Wir vermuten jedoch, dass sich die vereinfachte Therapie günstig auf das Langzeitüberleben von Patient und Transplantat auswirkt. Nach all dem, was wir bislang wissen, gehen wir davon aus, dass die Einmaldosierung Vorteile mit sich bringt.

Vielen Dank für das Gespräch Herr Dr. Witzke.