Dialyse aktuell 2008; 12(5): 317
DOI: 10.1055/s-0028-1084999
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Kasuistik - Die sHPT-Therapie anpassen, optimieren und Probleme voraussehen

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Publication Date:
06 August 2008 (online)

 
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Ein 50-jähriger oligophrener Patient, seit 12 Jahren wegen einer chronischen Glomerulonephritis dialysepflichtig, musste wegen zunehmender pflegerischer Probleme im Sommer 2006 in einem Heim untergebracht werden. Beim Patient - ein Epileptiker - war keine Krankheitseinsicht zu erzielen. Daher war er nicht transplantationsfähig.

Seine Dialysebehandlung gestaltete sich zunächst unproblematisch, er wurde 3-mal wöchentlich dialysiert (KtV 1,5-1,8), erhielt Calcitriol und Kalziumazetat 660 mg (3-mal 1-2 Tbl/d) als Phosphatbinder (PB). Die Blutwerte waren stets stabil: Kalzium 2,12-2,42 mmol/l, Phosphat 1,6-1,95 mmol/l, Kalzium-Phos-phat-Produkt < 4,0 mmol2/l2 und iPTH 108-320 pg/ml.

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Wenn sich die Ernährung verbessert...

Bei den Routinekontrollen im Herbst fiel ein Phosphatanstieg auf 3,15 mmol/l auf, das Kalzium-Phosphat-Produkt betrug 7,59 mmol2/l2, das Serumkalzium war normal geblieben. Die Ursache der zunächst unklaren Hyperphosphatämie war erfreulich: Die Ernährungssituation unseres Patienten war nunmehr im Pflegeheim eine viel bessere als zuvor; die nPCR (Protein-Katabolisierungs-Rate) war von 0,8 auf 1,3 g/kg KG/d/1,73m2 gestiegen.

Bei Dialysepatienten ist ein guter Ernährungsstatus wünschenswert. Daher wurde zunächst das Kalziumazetat auf 3-mal 3 Tabletten erhöht. Dies entspricht 1509 mg elementarem Kalzium - nach K/DOQI[1]-Leitlinien die Obergrenze der täglichen oralen Kalziumzufuhr über Phosphatbinder. Um jedoch den Phosphatzielwert zu erreichen, war zusätzlich ein kalziumfreier Phosphatbinder (3-mal 800 mg Sevelamer) zwingend erforderlich. Um die Gesamtkalziumbilanz möglichst konstant zu halten, wurde außerdem das Dialysatkalzium von 1,5 auf 1,25 mmol/l reduziert. Nach 2 Monaten war das Serumphosphat auf 2,35 mmol/l gesunken, das Kalzium-Phosphat-Produkt betrug 5,43 mmol2/l2.

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... bessert sich die Compliance nicht automatisch

Um das Phosphat weiter in den KDOQI-Zielbereich (1,13-1,78 mmol/l) zu senken, wurde die Sevelamer-Dosis im September von 3-mal 800 auf 3-mal 1600 mg erhöht. Einen weiteren Monat später hatten sich verblüffenderweise die Phosphatwerte nicht verbessert. Wie die Nachforschung ergab, waren Compliance-Probleme die Ursache: Der Patient hatte weiterhin die ursprüngliche, niedrigere Dosis eingenommen. Die höhere Dosierung wurde erneut nachdrücklich empfohlen: 2 Monate später lagen alle Werte de facto im Zielbereich (P = 1,82 mmol/l).

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An Interaktionen denken

Eines Tages erschien der Patient nicht zur Dialyse: Er hatte einen epileptischen Anfall erlitten, nachdem er zuvor über Jahre anfallsfrei war. Warum? Der Carbamezepinspiegel war mit weniger als 4 µg/ml subtherapeutisch niedrig (Zielbereich 4-12 µg/ml).

Da die Medikamentencompliance dank pflegerischer Aufsicht zuletzt gut war, erklärt sehr wahrscheinlich die verdoppelte Sevelamerdosis das Absinken des Carbamazepinspiegels. Die Dosis wurde von 600 auf 900 mg/d erhöht. Seitdem ist der Patient wieder anfallsfrei. Die Sevelamerdosis wurde beibehalten, die Kalzium- und Phosphatspiegel lagen auch bei der Kontrolle im April 2008 im Zielbereich.

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Korrespondenz

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Dr. Christoph C. Haufe

Abteilung für Nephrologie

Helios Klinikum Erfurt

Nordhäuser Str. 74

99089 Erfurt

Email: christoph.haufe@helios-kliniken.de

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

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Was war gut, wie hätte die Therapie optimiert werden können?

Wie seit der DOPPS[2]-Studie [3] bekannt ist, steigt das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko abhängig vom Serumkalzium an. Um eine Hyperkalzämie zu vermeiden, wurde daher das Dialysatkalzium gesenkt und ein kalziumfreier Phosphatbinder verordnet. Inzwischen gilt längst ein Kalziumgehalt im Dialysat von 1,25 mmol/l als Standard; weit besser als mit hoher Kalziumzufuhr wird das erhöhte PTH durch die modernen Therapien der sHPT (Phosphatsenkung, Vitamin-D-Rezeptor-Aktivierung, Calcimimese) supprimiert. Eine negative Kalziumbilanz muss dabei wegen eines potenziellen konsekutiven PTH-Anstiegs und eine unnötige Kalziumbeladung wegen des Kalzifizierungsrisikos vermieden werden. Zunehmend mehr Patienten werden sogar mit Dialysatkalziumkonzentrationen unter 1,25 mmol/l behandelt - mit gutem Erfolg.

Liegt das Serumkalzium im Zielbereich, so ist ein zu hoher Phosphatwert dann mit kalziumfreien Phosphatbindern zu korrigieren, da das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko parallel zum Serumphosphat ebenfalls deutlich ansteigt [2], [3]. Für Sevelamer kann die Dosis bis auf 5-mal

800 mg pro Mahlzeit (3-mal täglich) gesteigert werden. Sevelamer ist ein nicht resorbierbares, Amin(hydrochlorid)polymer. Die Bindungseigenschaften von Sevelamer ähneln den von Ionentauschern. So kann es Gallensäuren und LDL-Cholesterin binden, was in klinischen Studien bei Hämodialysepatienten das LDL um bis zu 31% senkte. Wie bei Phosphatbindern auf Aluminium- und Kalziumbasis bekannt, werden auch bei Sevelamer in sehr seltenen Fällen Interaktionen (Hypothyreose) zu L-Thyroxin beobachtet [1]. Auch die Bioverfügbarkeit von Ciprofloxacin verringert sich auf circa 50 %, wenn es gleichzeitig mit Sevelamer verabreicht wird. Zur Sicherheit sollten solche Präparate zeitversetzt zu Sevelamer eingenommen werden. Die Fachinformation sieht ein Intervall von 1 Stunde vor und 3 Stunden nach der Einnahme des Phosphatbinders vor, wenn eine Reduktion der Bioverfügbarkeit eines medizinischen Präparats gegeben ist. Es empfiehlt sich eine enge Therapieüberwachung auch bei Antikoagulantien-, Digitoxin-, Antiarrhythmika- und Antikonvulsivatherapie. Wenn nötig muss deren Dosis erhöht werden. Damit sowie durch Verschiebung der Einnahme-Intervalle können unerwünschte Interaktionen minimiert werden.

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Literatur

  • 01 Diskin CJ . Stokes TJ . Dansby LM . et al . Int Urol Nephrol. 2007;  39 (2) 599-602
  • 02 Pisoni R . et al . Nephrol Dial Transplant. 2003;  18 (suppl 4) 678
  • 03 Young E . et al . Nephrol Dial Transplant. 2003;  18 (suppl 4) 678

01 Kidney Disease Outcomes Quality Initiative

02 Dialysis Outcomes and Practice Patterns Study

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Literatur

  • 01 Diskin CJ . Stokes TJ . Dansby LM . et al . Int Urol Nephrol. 2007;  39 (2) 599-602
  • 02 Pisoni R . et al . Nephrol Dial Transplant. 2003;  18 (suppl 4) 678
  • 03 Young E . et al . Nephrol Dial Transplant. 2003;  18 (suppl 4) 678

01 Kidney Disease Outcomes Quality Initiative

02 Dialysis Outcomes and Practice Patterns Study

 
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Dr. Christoph C. Haufe