Die hämatopoetische Funktion des Knochenmarks wurde bereits im Jahr 1868 von dem Königsberger
Pathologen Ernst Neumann in einer Kurzmitteilung „Ueber die Bedeutung des Knochenmarkes
für die Blutbildung” [19] beschrieben. Die nachfolgenden Forschungen vieler Arbeitsgruppen mündeten letztendlich
in die Stammzelltheorie von Metcalf ein, der die wesentlichen Erkenntnisse zur Hämatopoese
und deren Steuerung durch Zytokine mittels semisolider Kulturen generierte [18].
Stand bei Neumann und seinen Zeitgenossen die Bildung der roten Blutkörperchen im
Vordergrund ihrer Forschungen, so sind danach vorrangig die Leukozyten ins Zentrum
der experimentellen Hämatologie als auch anderer Fachrichtungen gerückt [20]. Obwohl die Leukozyten zahlenmäßig nur einen geringen Teil der in den Gefäßen zirkulierenden
zellulären Blutbestandteile ausmachen, sind ihre vielfältigen physiologischen Funktionen
hierfür verantwortlich, die in der Erkennung von „Selbst” und „Fremd” zusammengefasst
werden können.
Der Erhalt der körpereigenen Integrität gegenüber eindringenden Mikroben ist dabei
nur eine, aber sehr wichtige Teilfunktion, der sich die Immunitätsforschung und die
Infektiologie in komplementärer Weise widmen. Während die Erforschung von angeborenen
oder erworbenen Defekten der Leukozyten am Anfang der pädiatrischen Immunologie stand,
wurden zwischenzeitlich auch die Immunregulationsstörungen als wichtiges Forschungsgebiet
erkannt und damit eine Brücke zur pädiatrischen Rheumatologie geschlagen. Umgekehrt
kann eine maligne Entartung hämatologischer Zellen auf jeder Reifungsstufe der Hämatopoese
stattfinden und stellt unter dem umfassenden Oberbegriff der Leukämie die häufigste
onkologische Erkrankungsgruppe im Kindesalter dar.
Die genannten Forschungsrichtungen haben zu eigenständigen Fachgesellschaften geführt,
deren Mitglieder sich regelmäßig zu Fachtagungen treffen und die in spezialisierten
Fachzeitschriften veröffentlichen. In den zurückliegenden Jahrzehnten haben sich nun
zunehmend Überschneidungen herausgestellt, die ihre Begründung in den Erkenntnissen
der experimentellen Hämatologie haben. Die Verfeinerung der diagnostischen Verfahren
hätte ohne die Generierung monoklonaler Antikörper durch den Immunologen und Nobelpreisträger
Georges Köhler [16] nicht den heutigen Stand erreicht. Und ohne die Entdeckung des HLA-Systems durch
den ebenfalls mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Jean Dausset [3]
[4] wären keine erfolgreichen Transplantationen von Knochenmark oder Blutstammzellen
zur lebensrettenden Therapie einer schweren aplastischen Anämie, von schweren kombinierten
Immundefekten und von rezidivierten Leukämien möglich geworden.
War früher in der konditionierenden Vorbehandlung der Wirkeffekt bei der Behandlung
von Leukämien durch eine Knochenmarktransplantation gesehen worden, haben spätere
Untersuchungen gezeigt, dass das mit den transplantierten Stammzellen übertragene
Immunsystem des Spenders entscheidend zur Kontrolle der residualen Leukämiezellen
beiträgt. Somit handelt es sich bei der onkologisch indizierten hämatopoetischen Blutstammzelltransplantation
auch um eine immunologische Therapie. Umgekehrt gibt es Ansätze, immunologische Erkrankungen
mit Immundysregulation durch autologe Stammzelltransplantationen zu behandeln [21].
Für die Erforschung der experimentellen Grundlagen der Blutstammzelltranplantation
und die systematische klinische Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse hat Donnall
Thomas [22] den Nobelpreis für Medizin erhalten. Hierdurch ist erstmals ein neuartiges Therapiekonzept
in dieser hervorragenden Weise ausgezeichnet worden, das nur durch die Vernetzung
von unterschiedlichen Forschungsrichtungen möglich wurde.
Diese Aneinanderreihung von wichtigen Meilensteinen der experimentellen Hämatologie
und klinischen Immunologie lässt nicht erkennen, wie viele kleine Einzelschritte zwischen
jedem Meilenstein zu bewältigen waren. Noch weniger wird erkennbar, wie viele Patienten
ohne den ersehnten Erfolg behandelt wurden oder trotz aller Fortschritte die Nichterfüllung
ihrer Hoffnungen noch immer erleben müssen.
Die alltägliche Konfrontation mit dieser Realität hat an vielen Behandlungseinrichtungen
für krebskranke Kinder Forschungslabore mit unterschiedlichen Zielrichtungen entstehen
lassen, was meist nur durch die Zuweisung erheblicher Spendenmittel möglich war [10]. Die interdisziplinäre Nutzung der zum Teil sehr aufwendigen apparativen und personellen
Ausstattungen führt zu neuen Kooperationen, die auch anderen Patientengruppen zugute
kommen. Insofern ist zu hoffen, dass auf dem langen und mühsamen Weg der vielen kleinen
Einzelschritte neue Erkenntnisse in der Diagnostik und Therapie für möglichst viele
Patienten generiert werden können.
Beispiele dieser interdisziplinären Kooperation sind die Jahrestagungen der Kind-Philipp-Stiftung
für Leukämieforschung, die seit 21 Jahren junge Forscher unterschiedlicher Fachrichtungen
in Wilsede/Lüneburger Heide zusammenführen und deren Beiträge als Abstracts in dieser
Zeitschrift regelmäßig publiziert werden [11]
[12]
[13]. Die gleichfalls regelmäßig in zeitlich größeren Abständen stattfindenden Reisensburg
Symposien dienen dahingegen dem Gedankenaustausch international führender Forscher
mit deutschen pädiatrischen Hämatologen und Onkologen, um neue Entwicklungen zu diskutieren
und zu fördern. So hatte die letzte Tagung die Immuntherapie bei Kindern zum Inhalt,
die aus verschiedenen Forschungsrichtungen diskutiert wurde; beispielsweise waren
die natürlichen Killer-Zellen mit ihrer Alloreaktivität nach allogener Blutstammzelltransplantation
sowie als zelluläre Therapeutika, monoklonale Antikörper zur Tumortherapie oder die
Tumorvakzination vier der acht Themenschwerpunkte [14].
Einen direkten Praxisbezug haben die Supplemente zur antiinfektiösen Prophylaxe und
Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit zytostatischer Therapie [2]
[17]. Hier wurde erstmals versucht, Standards für die tägliche Arbeit am Krankenbett
für den deutschsprachigen Raum bereitzustellen, die einer ungeprüften Polypragmasie
vor allem in lebenskritischen Situationen entgegenwirken und durch evidenzbasierte
Maßnahmen das Eintreten von Komplikationen verhindern bzw. deren Behandlung verbessern
sollen.
Mit Band 36 der Forschungsergebnisse der pädiatrischen Onkologie, Hämatologie und
Immunologie ist dieser Entwicklung seitens der Zeitschrift Klinische Pädiatrie Rechnung getragen worden [7]; die Früherkennung schwerer kombinierter Immundefekte [9], die Wegener-Granulomatose [6] und die immunologische Immunrekonstitution nach Ende der ALL-Therapie [1] waren die Themen der immunologischen Arbeiten. Von sehr viel weiter reichender Bedeutung
ist jetzt die Veröffentlichung der interdisziplinären S2-Therapieleitlinie der Juvenilen
Idiopathischen Arthritis durch die Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie,
an der acht weitere wissenschaftliche Fachgesellschaften, Verbände und Vereinigungen
mitgewirkt haben [8]. Auf diese Weise konnten auch die Konzepte der Physiotherapeuten, der Psychologen
und Sozialpädagogen sowie der Selbsthilfeorganisationen und Eltern mit eingebracht
werden. Besser kann der Wille zur Kooperation und Vernetzung bei der Behandlung einer
wichtigen Patientengruppe nicht dargestellt werden.
Synergien werden an Einzelprojekten wie der Apoptose aus experimenteller Sicht bei
Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie [23] und juveniler idiopathischer Arthritis [5] erkennbar, die über die gemeinsame Nutzung von verfügbaren Ressourcen hinausgehen.
Die Pilotstudie zur Rekonstitution Zytomegalie-spezifischer T-Zellen nach allogener
Blutstammzelltransplantation beinhaltet eine immunologische Fragestellung bei einem
onkologischen Patientengut und beschreibt das proof of principle vor Aktivierung einer
prospektiven multizentrischen Studie [15]. Die Entscheidung zur Therapie bei Uveitis mit konventioneller Immunsuppression
oder TNFα-blockierenden Agenzien trifft der Augenarzt, während der pädiatrische Rheumatologe/Immunologe/Hämatologe/Allgemeinpädiater
die therapiebegleitende allgemeine Diagnostik durchführt; insofern ist eine interdisziplinär
erstellte Übersicht zum aktuellen Wissensstand für diese klinische Situation besonders
hilfreich für ein auf Evidenz basiertes Vorgehen [24].
Es ist zu hoffen, dass möglichst viel dieser mühsam erarbeiteten Einzelaspekte sich
in Zukunft wieder so zusammenfügen, dass ein weiterer Meilenstein in der Geschichte
der experimentellen Hämatologie erreicht werden kann, der letztendlich unseren Patienten
zugute kommt.