Dialyse aktuell 2008; 12(7): 446
DOI: 10.1055/s-0028-1100479
Markt und Forschung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Kasuistik - Reversibilität von extraossären Kalzifikationen

Further Information

Publication History

Publication Date:
22 October 2008 (online)

 
Table of Contents

Ein 53-jähriger Patient (110 kg, 182 cm) mit chronischer Glomerulonephritis wurde Ende 1999 dialysepflichtig. Von Beginn an war die Therapie nicht ganz einfach: Neben einem Diabetes mellitus und einem Nikotinabusus lag dies auch an ausgeprägten Compliance-Problemen, die eine unzureichende Flüssigkeitsrestriktion und damit eine rezidivierende, symptomatische Überwässerung zur Folge hatten. Der Patient dialysierte nur 3-mal 4 Stunden in der Woche, bestand aber auf diesem Regime. Medikamente, insbesondere seine Phosphatbinder, nahm er nur inkonsequent ein.

#

Ausgeprägte extraossäre Kalzifikation

2001 erhielt der Patient einen 3-fachen aortokoronaren Bypass. Im Juni 2002 klagte er über Juckreiz, progrediente, diffuse Gelenkbeschwerden und Immobilität. Serumkontrollen zeigten (unter Therapie mit aktivem Vitamin D und Kalziumazetat) einen Kalziumwert von 11,6 mg/dl (2,9 mmol/l), einen Phosphatwert von 11,5 mg/dl (3,7 mmol/l), ein Kalzium-Phosphat-Produkt von 127,6 mg2/dl2 (10,9 mmol2/l2) und einen iPTH-Wert (iPTH: "intact parathyroid hormone") von 480 pg/ml. Klinisch imponierte rechts supraklavikulär eine harte, unregelmäßige Schwellung.

Es wurden Röntgen- und CT-Aufnahmen angefertigt, um den Verdacht auf Weichteilverkalkung und ihr Ausmaß abzuklären. Die Schwellung ließ sich als extraossäre Kalzifikationen klassifizieren, die ein beträchtliches Ausmaß hatten (Abb. [1a]).

Zoom Image

Abb. 1 Extraossäre Kalzifikationen im Schulterbereich (a: Juni 2002), die nach Umstellung des Therapieregimes deutlich zurückgingen (b: August 2002).

#

Deutliche Regression der Kalzifikation

Das Therapieregime wurde daraufhin geändert. Es erfolgte eine ausführliche Ernährungsberatung, und die Vitamin-D-Supplementierung wurde beendet. Der kalziumhaltige Phosphatbinder wurde durch das kalziumfreie Sevelamer ersetzt und das Dialysatkalzium von 1,5 auf 1,25 mmol/l gesenkt. Unter dem steigenden Leidensdruck stimmte der Patient auch einer verlängerten Dialysezeit auf 20 Stunden pro Woche zu.

Acht Wochen später hatten sich die Laborwerte deutlich gebessert: Kalzium lag bei 9,6 mg/dl (2,4 mmol/l), Phosphat bei 6,0 mg/dl (1,9 mmol/l), das Kalzium-Phosphat-Produkt bei 57,6 mg2/dl2 (4,6 mmol2/l2) und das iPTH bei 283 pg/ml. Palpatorisch schienen die Kalkdepots ebenfalls deutlich regredient, was sich röntgenologisch bestätigte (Abb. [1b]). Weitere 4 Monate später waren nur noch linsengroße Kalzifikationen nachweisbar.

Im Juni 2005 wurde wegen des erneut steigenden iPTH (> 1000) wieder interveniert: Neben Sevelamer erhielt der Patient nun wieder aktives Vitamin D und zusätzlich ein Kalzimimetikum (off-label), um den renalen sekundären Hyperparathyreoidismus (sHPT) effektiver zu behandeln.

Dr. Roland Fulde, Bad Oyenhausen

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg

#

Verschiedene Stellschrauben im Kalzium- und Phosphatmanagement

Mit sinkender renaler Phosphatexkretion steigt der Serumphosphatspiegel, was zusammen mit dem Calcitriolmangel zum sHPT und einem komplex gestörten Kalzium-Phosphat- und Knochenhaushalt führt. Die Phosphatbindertherapie mit Kalziumkarbonat oder -azetat trägt über die Kalziumzufuhr zur Erhöhung des Kalzium-Phosphat-Produktes bei, besonders in Kombination mit einer Calcitriolgabe, welche die enterale und ossäre Kalziumresorption fördert. Ab einer kritischen Grenze des Kalzium-Phosphat-Produktes (> 72 mg2/dl2) [1] besteht ein hohes Risiko für extraossäre Kalzium-Phosphat-Präzipitationen in Gefäßen sowie anderen Weichteilen (metastatische Verkalkungen: harte unregelmäßige Tumoren, oft im Bereich des Schultergelenkes).

Erhöhte PTH-Spiegel, in der Haut abgelagerte Kalziumphosphat-Mikrokristalle und Urämie verursachen häufig Pruritus. Symptome der Osteopathie sind schlecht lokalisierbare Knochenschmerzen, -deformitäten, Frakturen und Myopathie. Darüber hinaus sind der sHPT und ein erhöhtes Kalzium-Phosphat-Produkt mit einer gesteigerten kardiovaskulären Morbidität und Mortalität bei chronisch nierenkranken Patienten assoziiert [1], [2], [3]. Für mehr als 50 % aller Todesfälle sind arterosklerotische Komplikationen (Schlaganfall, Herzinfarkt), aber auch hämodynamische Veränderungen (kardiale Dysfunktion, linksventrikuläre Hypertrophie) verantwortlich. Kalzifizierungen finden sich in Koronarien, Herzklappen und Myokards, ebenso eine diffuse myokardiale Fibrose [4].

Das Ziel bei der individuellen, leitliniengerechten Therapie ist es, alle Faktoren zu optimieren. Hierfür ist es obligat, alle nicht notwendigen Kalzium- und Phosphatquellen zu vermeiden: Neben einer angepassten Ernährungsweise und einer intensivierten Dialyse mit reduziertem Dialysatkalzium sollte ein kalziumfreier Phosphatbinder zum Einsatz kommen. Gegebenenfalls kommt auch die Gabe von Kalzimimetika infrage. Compliance-Veränderungen müssen berücksichtigt werden, und Vorsicht ist bei aktiven Vitamin-D-Präparaten geboten: Diese sollten nur eingesetzt werden, wenn das Serumphosphat im KDOQI-Zielbereich (KDOQI: "Kidney Disease Outcomes Quality Initiative") liegt, um zu verhindern, dass Kalziumphosphat ausfällt. Im geschilderten Kasus waren die metastatischen Weichteilkalzifizierungen reversibel.

#

Literatur

  • 01 Block GA . et al . Am J Kidney Dis. 1998;  31 607-617
  • 02 Locatelli F . et al . Nephrol Dial Transplant. 2000;  15 (Suppl. 5) 69-80
  • 03 SRDS Annual Data Report (VI).  Am J Kidney Dis. 1999;  34 (Suppl. 1) 87-94
  • 04 Amann K . et al . Nephrol Dial Transplant. 1999;  14 2085-2087
#

Literatur

  • 01 Block GA . et al . Am J Kidney Dis. 1998;  31 607-617
  • 02 Locatelli F . et al . Nephrol Dial Transplant. 2000;  15 (Suppl. 5) 69-80
  • 03 SRDS Annual Data Report (VI).  Am J Kidney Dis. 1999;  34 (Suppl. 1) 87-94
  • 04 Amann K . et al . Nephrol Dial Transplant. 1999;  14 2085-2087
 
Zoom Image

Abb. 1 Extraossäre Kalzifikationen im Schulterbereich (a: Juni 2002), die nach Umstellung des Therapieregimes deutlich zurückgingen (b: August 2002).